9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2016

Das haben wir in Bagdad jeden Tag

30.07.2016. "Stop it Now", ruft der Guardian mit Blick auf die Belagerung Aleppos. Die syrisch-russische Verkündung von "humanitären Korridoren" sei ein Hohn. Zeit online schildert die Nöte atheistischer Flüchtlinge, die in den Heimen drangsaliert werden. In der taz erklärt Klaus Theweleit, wie es wirklich um die Gewalt junger Männer steht.  Spiegel online zeichnet den Streit zwischen Edward Snowden und Wikileaks nach.

Ooops, mein Gott

29.07.2016. Dass sich Türkei und Russland wieder annähern, wundert Sonja Margolina gar nicht: Sie opfern ihre Länder gemeinsamen Idealen. Das Blog Hyperallergic erzählt die Geschichte der Fotografin Carol Highsmith, die Getty Images auf eine Milliarde Dollar verklagt, nachdem sie feststellte, dass die Agentur ihre Open-Source-Fotos vermarktet hat. Libération und taz sehen keinen Anlass, Namen und Fotos von Terroristen nicht zu veröffentlichen. Der Guardian fragt sich, woher die neue Welle der Frauenfeindlichkeit in der Politik kommt.

Sie, der Wirt

28.07.2016. Die New York Times hat für ein Aufsehen erregendes Dossier die Uhr im März zwei Wochen lang angehalten und nach den Namen und Geschichten aller Terroropfer auf der Welt in dieser Zeit gesucht. Trumps Liebe zu Putin ist echt und tief, meint der Atlantic. Die Säuberungen in der Türkei nehmen immer dramatischere Züge an, berichten viele Medien. Die FAZ schildert die Sorgen und Nöte der Antiquare im Internetzeitalter.

Neue Assoziationen

27.07.2016. "Ausweitung des Kampfgebiets". Slate.fr beschreibt, wie die IS-Schergen das französische Territorium systematisch mit Terror überziehen. Es gibt keine "Turboradikalisierung", schreibt Ahmad Mansour in der Welt. Politico.eu und taz beschreiben das gespannte Verhältnis Polens zum Papst, der das Land heute besuchen wird. Bei Zeit online fragt der Volkswirt Oliver Nachtwey, warum Deutschland bis heute kaum sozialen Aufstieg ermöglicht.

Wie eine Melone

26.07.2016. Wikileaks steht doppelt in der Kritik: weil es als möglicher Erfüllungsgehilfe russischer Geheimdienste Mails der Demokraten in Amerika leakte - und weil es die Wohnadressen von Millionen türkischer Frauen leakte. Artikel dazu in Vice und der Huffpo. Der New Yorker ist entsetzt über den Fall des Autors Dennis Cooper, dessen Blog von Google ohne Angabe von Gründen abgeschaltet wurde - und womöglich vernichtet ist. SZ und taz  fragen nach der Verwandtschaft von Amok und Terror.

Die unbewaffnete Mehrheit

25.07.2016. Amokläufer bereiten sich in der Regel lange auf ihre Taten vor.  Ein sensibles Umfeld kann sie verhindern helfen, sagt der Psychologe Jörg Fegert in der taz. Die SZ spricht mit dem Soziologen Klaus Hurrelmann, der die psychischen Probleme der Täter für ausschlaggebender hält als ihre Lebensumstände. Die amerikanischen Medien fragen sich, wie groß der Einfluss Wladimir Putins auf Donald Trump ist - ziemlich groß, so scheint es.  In der FAZ beschreibt Can Dündar den Streit zwischen Tayyip Erdogan und Fethullah Gülen als Scheidungskrieg zweier Partner, die sich einst gemeinsam bereicherten.

Endlose Bedrohung

23.07.2016. Heute ist CSD: Im Tagesspiegel macht sich Bundesjustizminister Heiko Maas für eine Rehabilitierung der Opfer des Paragrafen 175 stark. In der Welt porträtiert Wolf Lepenies den syrischen Philosophen Sadiq al-Azm, der sich nach einen arabischen Mandela sehnt. Für Washington Post und New York Times hat "schlimmste Gefahr für Amerika seit dem Bürgerkrieg" einen Namen: Donald Trump. taz und Tagesspiegel analysieren die Lage in der Türkei. Die NZZ sehnt sich nicht ohne Grund nach Stille.

George Orwell war optimistisch

22.07.2016. In der NZZ analysiert der Nahostforscher Alp Yenen die staatlich geförderte Gewaltkultur auf den türkischen Straßen. Der Ex-Alphablogger Andrew Sullivan hat sich heute Nacht für das New York Magazine die Rede von Peter Thiel für Trump angehört und fand sie erbärmlich. In der SZ spricht Black-Panther-Veteran und Filmemacher Jamal Joseph über Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA. Der Streit um das Honorar der Sportexperten in ARD und ZDF geht weiter.

Bregret oder Regrexit

21.07.2016. Die Krimiautorin Esmahan Aykol schildert in der Berliner Zeitung, wie sich die Angst in alle Kapillaren der türkischen Gesellschaft verbreitet. Necla Kelek analysiert die Ereignisse für emma.de und porträtiert Fethullah Gülen als feindlichen Bruder Erdogans. In der NZZ beobachtet Tanja Dückers das Sinken der Hemmschwelle für terroristische Akte. Die Kolumnisten recherchieren zu einer hochrangig besetzten Tagung über "Islamophobie". Im Kluwer Copyright Blog bedauert die EU-Parlamentarierin Julia Reda das Fehlen der Briten in künftigen europäischen Urherberrechtsverhandlungen.

Mit Direktzugriff

20.07.2016. Im Tagesspiegel erklärt Ken Loach, warum er mit dem ganzen Herzen gegen die EU ist. Der Guardian versucht unterdessen, die Nordirland-Frage zu lösen. Theresa May plant auch eine Vorratsdatenspeicherung mit Totaltransparenz, weiß Netzpolitik. In der taz fordert Najem Wali, dass der wahhabitische Islam auf die Terrorliste gesetzt wird. "Wie ein Fluch" war dieser Putsch, ruft die türkische Autorin Perihan Magden in Spiegel online.

Das Land zwischen den Drähten

19.07.2016. taz und SZ schildern die verzweifelte und aggressive Stimmung in der Türkei nach dem Putschversuch und vor der Normalisierung. Die Welt sollte inzwischen nicht vergessen, dass Aleppo eingeschlossen ist, mahnt der Tagesspiegel. Politico.eu sieht kein Halten im Niedergang der europäischen Sozialdemokratie. Die NZZ beschreitet das Niemandsland. Die Kolumnisten fragen, warum muslimische Funktionärinnen nicht auch für das Recht der Frauen eintreten, kein Kopftuch zu tragen.

Panzer im Feierabendstau

18.07.2016. Kann man von den Türmen der Minarette zur Erhaltung der Demokratie aufrufen, als ginge es um Heiligen Krieg?, fragt Nedim Gürsel in der NZZ. Das Reden über "Krieg" hilft auch in Frankreich nicht, meint Tahar ben Jelloun in der FAZ: Nur Bildung könne das Problem lösen. In Britannien zerfetzt sich unterdessen die Linke: "Labour stinkt nach Tod", schreibt Nick Cohen im Guardian. Und laut taz formieren sich nun auch linke Eurogegner. Die russische Autorin Alina Wituchnowskaja legt in der NZZ einen glänzenden Essay über Russland als großes schwarzes Loch vor. Die Reaktion auf den Mord an der pakistanischen Feministin Qandeel Baloch sagt auch einiges über deutsche Medien.

Jahre im All

16.07.2016. Politico.eu erklärt, warum Nizza einer der wichtigsten Rekrutierungsorte für Dschihadisten in Frankreich ist und warum eine Figur wie Mohamed Merah zum Rollenmodell wurde. In der taz bekennt Wolfgang Streeck seine ganze Verachtung für die EU. Und Stephan Wackwitz erinnert sich, wo ihm jenes Polen, das heute regiert, zuerst begegnete. Der Guardian erinnert an die Erfindung des Internets in einem Biergarten vor vierzig Jahren.

Eine solche Panik

15.07.2016. Viele Kinder waren unter den Toten des Attentats von Nizza. Wir verlinken auf die Liveblogs französischer Zeitungen. Außerdem: Die Konservativen sind schuld am Brexit. Labour ist schuld, dass Britannien ein Einparteienstaat geworden ist, schreibt Ian McEwan in der NZZ. Die SZ erklärt, warum der NSU-Prozess so quälend lang ist. Die Internetpioniere Tim Berners-Lee, Lawrence Lessig und Barbara van Schewick rufen zur Rettung der Netzneutralität in Europa auf.

Die Kultur ist stärker

14.07.2016. In der Welt attackiert Alice Schwarzer das Zeit-Dossier zur Kölner Silvesternacht, das den religiösen Hintergrund ausspare. Die Zeit recherchiert zum Thema Abtreibung in Polen. In der Washington Post fragt Jay Rosen, wie Medien auf populistische Kandidaten reagieren sollen, an denen das übliche Fact checking einfach abgleitet. In der taz benennt Afrikaforscher Jürgen Zimmerer, was die Völkermorde an den Herero, an den Armeniern und an den Juden verbindet.

Stabile und abgesicherte Wahrheiten

13.07.2016. In der SZ bekennt der Dramatiker Simon Stephens seine ganze Verzweiflung über den Brexit.  Die FAZ erinnert daran, dass der Frieden in Nordirland die EU-Mitgliedschaft Irlands und Großbritanniens voraussetzt. Die taz erinnert an das Pogrom von Iași in Rumänien vor 75 Jahren.

Ohne kritische Gegenfrage

12.07.2016. Der Guardian porträtiert die neue britische Premierministerin Theresa May, die aus dem Brexit nun doch noch einen Erfolg machen will. Ian Buruma ist in der Welt das Entsetzen über den Brexit allerdings noch anzumerken. Die NZZ schildert die Medienstrategien Putins, Politico.eu die Mediengleichschaltung in Polen. In der taz warnt die Internetrechtlerin Barbara van Schewick vor der Abschaffung der Netzneutralität in Deutschland.

Ein Schlüssel zu so vielem

11.07.2016. Die Welt erinnert an den heimlichen Krieg der DDR gegen Israel. Die FAZ analysiert den Atavismus des amerikanischen "Rasse"-Begriffs. Die NZZ feiert die Philippinen als Hort der Emanzipation. Die SZ fragt: Welche Rolle haben "Social Bots" beim Brexit gespielt. Für Foreign Policy waren britische Zeitungen die Hauptquellen der Desinformation.

Freiheit, Lässigkeit, Toleranz

09.07.2016. Nach den Polizistenmorden von Dallas ist Amerika wieder zurückgeworfen auf ihre alten ungelösten Konflikte und zwar alle auf einmal: Waffen, Gewalt, Rassismus. Kritik am Islam ist Herrschaftskritik erinnert Ahmad Mansour in der taz die Abwiegler unter den Linken. Die SZ bewundert die schönen struppigen Hunde auf der Via Appia. Und in Zeit Online fragt Cécile Calla, wann Frankreich eigentlich ein Antimodell wurde?

Einladung ins Würzburger Bahnhofsrestaurant

08.07.2016. In der der taz spricht Memorial-Historikerin Irina Scherbakowa über den Kult des Zweiten Weltkriegs in Russland. In der Berliner Zeitung prangert der Archäologe Luca Giuliani die Raubgrabungen in Ländern wie Syrien an - deren Funde in den hiesigen Kunsthandel geraten. Der Guardian erklärt, wie human die Tories mit ihren abgelegten Kandidaten umgehen. Der Tagesspiegel verabschiedet sich vom offensiven Hedonisten Wolfram Siebeck.

Heruntergekühlte Rennstrecke

07.07.2016. Heute wird im Bundestag über das Sexualstrafrecht abgestimmt - die meisten Kommentatorinnen stimmen der geplanten Verschärfung zu. In der Zeit fordert Jürgen Habermas nach der Brexit-Abstimmung ein Kerneuropa, das sich aus den Euroländern zusammensetzt. Wohin mehr Nationalismus führt, kann man zur Zeit in Venezuela studieren, meint Mario Vargas Llosa in der NZZ.  Im Antisemitismusstreit der AfD geht es nicht um historische Wahrheit, sondern um die Frage, "wie man den Holocaust am effektivsten instrumentalisiert", schreibt Lothar Müller in der SZ.

Was stimmte und was Erfindung war

06.07.2016. Der Mittelschicht ist unwohl, konstatiert der Soziologe François Dubet in der SZ. In Le Monde fragt Alain Touraine, warum die französische Linke nie fähig war, sich zu modernisieren. Im Guardian verteidigt David Graeber den Labour-Chef Jeremy Corbyn. Die FAZ beschreibt, wie der Kreml die tschechische Öffentlichkeit untergräbt. Und bei Carta beschreibt Christoph Kappes, wie das Internet den Journalismus in Frage stellt.

Das Dorf hinter sich zu lassen

05.07.2016. Auch die Linke ist mit schuld daran, dass die Arbeiter heute rechtspopulistisch wählen, sagt Didier Eribon bei Zeit online. Der liberaldemokratische Politiker Andrew Duff entwirft im Verfassungsblog ein Szenario, nach dem Britannien in die EU zurückkehren könnte. Auch Kazuo Isihiguro sucht in der Financial Times nach dem Rückweg. Gobalvoices.org erzählt, wie die Inder auf den Brexit reagieren. Die SZ fordert eine Anerkennung des Völkermords an den Herero und Nama.

Wer ein Produkt sehr teuer ersteht

04.07.2016. In der Welt ist der Russland-Historiker Karl Schlögel geradezu verzweifelt über die deutschen Putin-Fans. Schon einmal hat man geglaubt, dass der Friede ewig währen würde, das war kurz vor 1914, meint Politico.eu. Martin Schulz fordert in der FAZ eine europäische Regierung mit einem richtigen Parlament. In der NZZ erklärt der Stanforder Literaturwissenschaftler Adrian Daub das Problem des Silicon Valley mit der Männlichkeit. Was ist das eigentlich, was die ARD und das ZDF mit der EM machen?, fragt die taz.

Hyperdemokratische Kurzschließung

02.07.2016. Die Brexit-Debatte eine Woche danach. Timothy Garton Ash analysiert im Guardian die europäische Stimmungslage. Politico.eu blickt auf die Rolle der Boulevardpresse und auf den Königsmacher Rupert Murdoch. Die Presse fürchtet eine "Öxit"-Debatte im neu aufgeführten österreichischen Präsidentschaftswahlkampf. In der FAZ setzt sich Martin Schallbruch, der von De Maizière neutralisierte ehemalige Leiter der  IT-Abteilung des Innenministeriums, für Verschlüsselung ein. Im Perlentaucher antwortet Martin Vogel, der das VG Wort-Urteil des BGH erstritt, auf die Kritik der Verleger am Urteil.

Nahezu bruchlos

01.07.2016. Der Brexit macht weiter großen Spaß. Das Blog Reason.life erzählt, wie Boris Johnson gestern früh erfuhr, dass er leider erledigt ist. Die Feministin Laurie Penny macht in der taz darauf aufmerksam, dass auch eine Menge Linke für Brexit votierten. Jeremy Corbyn stellte laut Telegraph unterdessen einen Bericht über Antisemitismus bei Labour vor und brachte es fertig, im Brustton der Unschuld Israel mit dem "Islamischen Staat" zu vergleichen. Die SZ blickt in einen Abgrund namens München - in der Nazizeit und danach. Erst durfte der BND nicht, was er tat. Und jetzt soll die Gesetzeslage einfach der Praxis angepasst werden, berichtet Netzpolitik.