9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2017

Überreizt und unbeständig

31.01.2017. Steht Frankreich vor dem Ende der Fünften Republik? Ein weniger überzeugendes Personal für die Präsidentschaftswahlen als in diesem Jahr hat die FAZ jedenfalls noch nie gesehen. Caroline Fourest fürchtet überdies in ihrem Blog, dass selbst in Frankreich die laizistische Linke auf dem Rückzug ist. Die Salonkolumnisten werfen einen Blick auf Donald Trumps gesundheitspolitische Vorstellungen und fürchten seine Nähe zu Impfgegnern.  Die taz setzt ihre Debatte über linke Identitätspolitik und "critical whiteness" fort.

Aber am Ende wird er scheitern

30.01.2017. Die New York Times kocht vor Wut über Trumps "heuchlerischen, feigen, selbstzerstörerischen" Einreisestopp gegen Bürger bestimmter Länder. Bernard-Henri Lévy hofft in La Règle du Jeu, dass Israel der Fürsorge Donald Trumps widersteht. "Die Mauer ist eine Demütigung für Mexiko", ruft Jorge Volpi aufgebracht in der Welt und fordert eine internationale Allianz gegen Trump. Im Tagesspiegel wünschte sich Tanja Dückers, dass die Frauenbewegung, die gegen Trump demonstrierte, sich zuvor für Hillary Clinton engagiert hätte.

Ein Käfig, in dem ständig das Licht brennt

28.01.2017. Slate hat die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence über Abtreibung gehört und stellt einen mörderischen Unterschied zwischen Diskurs und Utopie fest. Die FAZ macht sich Sorgen um die katholische Kirche in Deutschland - aber zum Glück keine materiellen. Zeit online sieht Trump als  Ideologen des fossilen Kapitalismus. In der taz beschreibt Deborah Feldman, wie sich ihre Alpträume über Auschwitz veränderten, seit sie in Deutschland lebt. In der NZZ und FAZ spricht Asli Erdogan über ihre Zeit in "Gewahrsam".

Bedürfnis nach Unfreiheit

27.01.2017. Medien haben null Integrität, null Intelligenz, und sie tun ihre Arbeit nicht, hämmert Trump-Berater Steve Bannon der New York Times ein. Und die Medien sollten jetzt mal den Mund halten und zuhören, statt Opposition zu machen. Die FAZ stellt das StratCom-Forschungszentrum in Riga vor, das Fake News nach Russland nachverfolgt. In der NZZ sieht Michail Schischkin Russland "im Sumpf von Angst und Schweigen" versinken. Das von Can Dündar in Deutschland betriebene Portal Özgürüz ist in der Türkei bereits gesperrt, meldet Correctiv.

Komplett unregulierte Ökosysteme

26.01.2017. taz und Freitag werfen Alice Schwarzers Emma, die gerade vierzig wird, mangelnden Antirassismus und allzu dezidierten Universalismus vor. Der Informatiker Manfred Broy und der Philosoph Richard David Precht fürchten in der Zeit ein weiteres Fortschreiten der digitalen Revolution. Die amerikanische Pressefreiheit ist keineswegs so abgesichert wie viele glauben, mahnt die New York Times. Die SZ besucht das neue Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs und fragt sich, wie lange seine Ausstellung das Kaczynski-Regime übersteht.

Zuerst wohltemperiert, später gleichstufig

25.01.2017. Im Guardian erklärt der Labour-Abgeordnete Owen Smith, warum er, anders als seine Labour-Kollegen, nicht für den Brexit stimmen wird.  Die NZZ singt ein Loblied auf die Normierung. Die taz verteidigt die "offene Gesellschaft". In der NZZ gibt Judith Butler nochmals Hillary Clinton die Schuld am Wahlsieg Trumps. Und in La Règle du Jeu erklärt Bernard-Henri Lévy, warum er der Liebe Trumps zu Israel nicht traut.

Das absehbar erfolglose Wüten

24.01.2017. In einer E-Mail an den New Yorker erklärt Philip Roth, was Donald Trump von Charles Lindbergh unterscheidet, und warum wir jetzt Melville lesen sollten. In Politico blickt Francis Fukuyama mit der Neugier eines Laborleiters auf das Experiment Trump.  In Zeit online fordert der Grünen-Politiker Malte Spitz eine Meldepflicht für Überwachungskameras.  Und das Max-Planck-Institut für Ethnologie in Halle hatte trotz Protesten und Berichten in der Jüdischen Allgemeinen und der Welt kein Problem damit, einen Holocaust-Relativierer einzuladen, der Fake News über Gaza verbreitet.

Unterschwellige Nachrichten

23.01.2017. Die amerikanische Presse ist echt sauer auf Trump und seine Lügen. Der New Yorker freut sich über die massiven Demonstrationen am Samstag: "Der Widerstand hat in spektakulärer Weise begonnen." Die New York Times warnt die Journalisten zugleich, in einen hysterischen Oppositionsgestus zu verfallen, der nur ein Spiegelbild Trumps wäre. Die SZ vermisst angesichts der Lage die Philosophen. Die FAZ muss ihre tendenziöse Berichterstattung über Martin Vogel und den VG Wort-Streit richtigstellen.

Das Gift der Destruktion

21.01.2017. Donald Trumps Amstantritt hat die schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Für die FR war die Rede des Milliardärs über die Macht des Volkes reinste Demagogie, für die SZ eine einzige Beleidigung gegen die Repräsentanten Washington. Aber warum haben diese so brav applaudiert, fragt der Guardian. Der Affekt gegen die Regierung steckt den Amerikanern im Blut, meint Marcia Pally in der taz, seit sie 1774 englische Zollbeamte geteert und gefedert haben. ProPublica meldet unterdes, dass Trump mitnichten seine Geschäfte abgegeben hat. Im Tagesspiegel diagnostiziert F.C. Delius Trump-Fieber auch im Europaparlament, das einen Intimus Silvio Berlusconis zum Präsidenten gewählt hat.

Es braucht Resilienz

20.01.2017. Heute ist T-Day, warnt die taz und fürchtet einen zivilisatorischen Totalschaden. In der FAZ hofft der Kulturhistoriker Kulturhistoriker Michael Hochgeschwender, dass Trump nicht dauerhaft auf die konservativen Wähler zählen kann. Facebook fragt jetzt bei ARD, ZDF und Spiegel, ob man nicht Lust hätte, Faklten zu checken. Aber die Welt wundert sich, das Facebook aus ethischen Gründen nichts dafür zahlen will.  Außerdem streitet das Netz über die Frage, von wem das schlimmere Zitat über das Holocaust-Mahnmal stammt: Björn Höcke oder Rudolf Augstein?

Bald bedeutungslos

19.01.2017. Nix zu machen, die Zeiten bleiben düster. Ian Buruma sucht in der Welt nach einem Fünkchen Hoffnung für Europa - aber da ist keins. Der Guardian versucht Theresa Mays "harte Brexit"-Rede zu verkraften: Deutlich warnt EU-Brexit-Unterhändler Guy Verhofstadt vor einem Bündnis mit Trump. In Politico suchen Trump-Biografen nach seinen inneren Triebkräften: Michael D'Antonio fürchtet, das Trumps Aggressivitiät in der Angst vor der eigenen Illegitimät begründet sei. Stefan Niggemeier erinnert in den Uebermedien daran, dass es Fake News auch schon vor dem Internet gab.

Mit einer Prise Drohung

18.01.2017. Die Brexit-Rede Theresa Mays war so forsch, weil sie jetzt auf den Verbündeten Donald Trump zählen kann, fürchtet Zeit online. Der Guardian sieht die Briten dagegen nicht ganz so groß: nur ungefähr so wie Belgien. Barack Obama hat die Whistleblowerin Chelsea Manning begnadigt - nun muss noch Edward Snowden folgen, fordert die New Republic. Das US Press Corps hat einen geharnischten offenen Brief an Trump veröffentlicht. In Deutschland stößt die Idee eine "Reporterfabrik" auf Skepsis.

Der Moment des Reichstagsbrandes

17.01.2017. Donald Trumps Interview mit Bild und Times scheint vor allem dazu geeignet, dem russischen Präsidenten Wladimir Putin ein verzücktes Lächeln aufs Gesicht zu zaubern, meint der Guardian. In der Welt hält Timothy Snyder an einem Vergleich von Trump und Hitler fest. Als ein Präsident der Überwachung hat Barack Obama leider Vorarbeit für Trump geleistet, fürchtet Zeit online.  Die Meldung, dass Correctiv.org bei Facebook Fake News überprüft, stößt in den Zeitungen durchaus auf Skepsis.

Die Stelle, auf der das Lindenblatt lag

16.01.2017. Donald Trump mäßigt sich nicht. In einem Bild-Interview erklärt er die Nato für obsolet. BMW soll 35 Prozent Einfuhrzoll bezahlen und die EU ist ihm egal. Das gemeinnützige Rechercheteam Correctiv.org soll für Facebook Fakenews checken, berichtet Spiegel online. Der Tagesspiegel fürchtet immer reaktionärere Spielarten des Christentums, auch in Europa. In der FAZ warnt Medienrechtler Rolf Schwartmann angesichts dieses Pöbels im Netz vor einem ungezügelten Volkswillen.

Keine Bibel sollte bereitgestellt werden

14.01.2017. Amerikanische und europäische Medien versuchen zu verstehen, was Donald Trump eigentlich treibt? Es ist das Unternehmertum, meint Dieter Thomä in der NZZ. Trump-Biografen bestätigen das laut Politico: Er sei unfähig, sich selbst anders denn als CEO seiner Firma zu sehen. Mark Greif von n+1 rät in der taz dazu auszuflippen. Und der demokratische Politiker John Lewis erklärt in NBC als erster Senats-Abgeordneter, dass er die Legitimität Trumps nicht anerkennt. Politico.eu verweist auf nordirische Brexit-Risiken. Die FAZ staunt über das rot-rot-grüne Programm für Berlin.

Was der Mann da auf der Bühne sagt

13.01.2017. Eines wird Trump nicht erzeugen: Solidarität unter Journalisten, meint der russische Autor Alexej Kowalew in Medium.com. Die taz möchte doch wieder über eine Kulturflatrate diskutieren, 14,70 Euro im Monat müssten es schon sein. Imame der Ditib haben für die Türkei Mitglieder der Gülen-Sekte benannt, aber sonst ist die Ditib selbstverständlich unabhängig, berichten mehrere Medien. Die taz begibt sich in die Parallelwelt der Kirchengerichte, die Ehen annullieren, damit man bei der Caritas arbeiten darf.

Unter Druck gesetzt, besiegt und im Stich gelassen

12.01.2017. Chaos und Düsternis begleiten diesen Jahresbeginn. Die amerikanischen Medien versuchen, der Posse um die unbelegten Vorwürfe gegen Donald Trump und dessen grand-guignolesker-Pressekonferenz Herr zu werden. Die Briten brillieren unterdessen laut FAZ mit der Idee einer "Ausländersteuer" für in Britannien arbeitende EU-Bürger. Tagesspiegel und Zeit fragen, warum die deutsche Öffentlichkeit nach dem Berliner Attentat so wenig überzeugende Gesten der Trauer fanden.

Damals schon frappierend

11.01.2017. In der huffpo.fr insistiert der Historiker Pascal Ory zwei Jahre nach der großen Demo in Paris: Der "Geist des 11. Januar" existiert. Das türkische Präsidialsystem, wie Erdogan es haben will,  kennt keine Gewaltenteilung, schreibt Bülent Mumay in der FAZ.  Die NZZ wünscht sich Roboter fürs Allzumenschliche. Die New York Times erklärt, warum die "Ethnopopulisten" um Trump Wladimir Putin so mögen.

Intuitive Benutzerführung

10.01.2017. Der Soziologe und Kulturkritiker Zygmunt Bauman ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Der Standard erinnert an seine "Dialektik der Ordnung". Sigmar Gabriel fordert eine "demokratische Kulturoffensive" gegen den Islamismus - aber die Religion scheint nicht in seinen Kulturbegriff zu gehören, wundert sich die FAZ.  In der SZ erklärt die Autorin Deepti Kapoor, warum Gewalt gegen Frauen gerade in Ländern wie Indien so grassiert. Die Welt fürchtet: Die Deutschen sind immer noch unfähig zu trauern.

Wie ein Katzenbaby

09.01.2017. In der SZ erklärt Asli Erdogan, warum sie nach Entlassung aus der Untersuchungshaft eigentlich nur noch eines will: raus aus der Türkei. Im Guardian schildert Tim Wu die Fragmentierung der Öffentlichkeit durch das Internet.  Die SZ beschreibt die Gleichschaltung der ungarischen Medien. In der NZZ sagt der Grazer Philosophieprofessor Peter Strasser eine ungewisse Zukunft voraus. Schuld ist dieses Internet.

Die Lage ist unübersichtlich

07.01.2017. Putin persönlich hat die Manipulation des US-Wahlkampfs angeordnet, stellen die Geheimdienste fest. Am Wahlausgang hat das aber nichts geändert, versichert Donald Trump. Mit Brexit und Trump ist die Russische Revolution nach 100 Jahren an ihr Ende gekommen, meint Boris Groys in der SZ. Die taz attestiert der Debatte um den Silvestereinsatz der Kölner Polizei totalitäre Züge. Und Arno Widmann referiert in der FR beklommen Timothy Snyders "zwanzig Lektionen aus einem furchtbaren 20. Jahrhundert" aus Lettre International.

Dabei bin ich noch nicht mal ein Mädchen

06.01.2017. Der Niedergang der sozialen Bewegungen ist der Grund für den Aufstieg des Rechtspopulismus, meint Kenan Malik im Observer. Libération beobachtet die rasante Verbreitung der Hatespeech-Neologismen "Journalope" und "Merdia" in den sozialen Medien.  Wer Begriffe wie "Sonderbehandlung" und "Selektion" benutzt, um die Polizeikontrollen in Köln zu beschreiben, bagatellisiert, was er angeblich bekämpfen will, meint die Jüdische Allgemeine. FAZ.Net schildert, wie der deutsche Ableger von Breitbart versucht, Fake News zu verbreiten.

In feinem grauen Leinen

05.01.2017. Alle haben eine Meinung zu Köln. Aber wie wär's, wenn man erstmal recherchierte, was überhaupt vorgefallen ist?, fragt Christoph Kappes im Freitag. Apple schaltet die New York Times-App in China ab. Kann es daran liegen, dass die Zeitung zu den Milliardensubventionen recherchiert hat, von denen der Konzern in China profitiert? Bei dpa lässt ARD-Vorsitzende Karola Wille offen, ob sie die Erhöhung der Renten in ihrem Laden begrenzen kann. Der Tagesspiegel erzählt das Drama um das Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig in fünf Akten. In der SZ zerreißt Jeremy Adler die kritische Ausgabe von "Mein Kampf".

Nicht einfach rhetorisch

04.01.2017. Alle diskutieren über den Silvestereinsatz der Kölner Polizei: Ist "Racial Profiling" in Deutschland ein Problem? Die dänische Parlamentarierin Ida Auken malt sich in ihrem Blog eine goldene, von Algorithmen gesteuerte Zukunft aus, die FAZ ist entsetzt. Slate.fr beschreibt, wie schwer es überlebende Opfer von Attentaten haben, ihr Trauma zu bewältigen.

Rücksicht auf politische Befindlichkeiten

03.01.2017. Luther war Antisemit, und er begründete seinen Antisemitismus nicht nur theologisch, meint der Theologe Thomas Kaufmann in der FR. 142 Brandanschläge auf Flüchtlingsheime zählt die taz im Jahr 2016. Die Zeit macht Vorschläge für eine neue Migrationspolitik. Das unabhängige Verlagswesen in Hongkong ist tot, erklärt der Verleger Bao Pu in Spon. Wladimir Putin verdankt seine weltpolitischen Erfolge auch seinen Verharmlosern im Westen, meint die Welt.

Was unter Klasse verstanden wird

02.01.2017. In der FAZ erinnert Bülent Mumay daran, wie zwiespältig sich die türkische Regierung zum "Islamischen Staat" verhalten hat. In Berlin sind religiöse Autoritäten nach dem Scheitern des "House of One" zur traurigen Erkenntnis gekommen, dass der Dialog der Religionen nicht funktioniert. Das Nervendste an Trump war, dass er Medien zu Quoten verhalf, so dass inhaltliche Berichterstattung unterblieb, stellt Nicholas Kristof in der New York Times fest. In der taz fordern zwei Redakteure von Kater Demos eine öffentlich-rechtliche Finanzierung neuer Medien.