9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2019

Nix mit Romantik

31.07.2019. Historikerin Karina Urbach erklärt in der FR, warum es nicht in Frage kommt, die Hohenzollern zu entschädigen:  Hitlers Kriege waren in ihren Augen echte Hohenzollernpolitik. Masih Alinejad stört seit Monaten die iranische Behörden auf, indem sie Videos von Frauen ohne Kopftuch auf Twitter publiziert - nun bedroht der Iran Frauen, die solche Videos machen, laut Telegraph mit zehn Jahren Gefängnis. In der taz erklärt Jan Feddersen, warum er lieber schwul als queer ist. Und in der NZZ erklärt Hermann Parzinger, wie er sich Restitution vorstellt.

Die vollkommene Nachtschwärze

30.07.2019. Der Europäische Gerichtshof hat zum Thema Sampling ein wegweisendes Urteil getroffen: Zitieren ist in gewissen Fällen erlaubt. Viel Arbeit für Popkritiker, freut sich Jens Balzer in Zeit online.  Es sind nicht medienethische Fragen, die sich im Fall Marie Sophie Hingst in erster Linie stellen. Der Skandal liegt in der Erkenntnis, dass sich eine Holocaust-Geschichte so einfach fälschen lässt, meint die taz. Ebenfalls in der taz unterstützt Udo Knapp die These, dass es nicht die Bürgerrechtler waren, die die DDR stürzten. Aber die Bevölkerung war es auch nicht.

Das, was ich sage, ist Fakt

29.07.2019. Aktualisiert: Die Irish Times erzählt die traurige Geschichte der Bloggerin Marie Sophie Hingst, die sich nach den Enthüllungen über ihre erfundene jüdische Identität das Leben nahm. Der Historiker Jörn Leonhard erinnert in der FAZ daran, wie zweispältig sich die Idee der "Selbstbestimmung" der Völker nach dem Ersten Weltkrieg auswirkte. In der NZZ macht Udo Di Fabio einen Vorstoß zu einer weiteren europäischen Integration - bis hin zum Bundesstaat.

Finales Stadium

27.07.2019. In der taz verordnet der Volkswirt Niko Paech einen radikalen Verzicht auf individuelle Freiheit, um des Klimas willen. In der SZ stellt Heribert Prantl fest: Auf dem Weg zur rechtsextremen Partei ist die AfD angekommen. In Britannien sorgt Jacob Rees-Mogg für eine Renaissance der imperialen Maße. Im New York Magazine konstatiert Andrew Sullivan: Es ist nicht die Frage, ob der amerikanische Rechtsstaat eine zweite Amtszeit Trumps überstehen wird. Er ist schon zusammengebrochen.

Leichter zu steuern - und leichter zu erpressen

26.07.2019. Es stehen wichtige Wahlen an, aber Wahlwerbung bei Facebook ist nach wie vor intransparent, stellt politico.eu fest. Und die Parteien geben angeblich 80 Prozent ihrer Werbebudgets bei Facebook aus. Der Zölibat ist gar nicht so ehern, wie behauptet, sagt der Kirchenhistoriker Hubert Wolf in der Berliner Zeitung. Erst seit hundert Jahren gebe es ihn in der heutigen rigiden Form. In der taz erzählt Susanne Schröter, was der Fundamentalismus mit dem Islam anstellt. Vice enthüllt eine skandalöse Kooperation von Amazon mit der amerikanischen Polizei.

Zeitungen, die lieb schreiben

25.07.2019. In der Zeit bestreitet Alice Schwarzer, dass Kritik am Islamismus ein Treten nach unten sei. Man soll rassistische Taten nicht fremdenfeindlich nennen, mahnt die taz. In der NZZ fordert die Ex-Muslimin Laila Mirzo einen "sakralen Königsmord". Hubertus Knabe liest für sein Blog noch einmal die Stasi-Akten von Anetta Kahane. Die taz berichtet, wie Ungarn die Erinnerung an Georg Lukacz ausradiert. In der SZ erklärt der ehemalige Wiener Kurier-Chefredakteur, was "Inseratenkorruption" ist.

Ich will RSS-Feeds

24.07.2019. Deal geht nicht, No Deal geht nicht. Die Brexit-Maschine wird Boris Johnson fressen, meint Ian Dunt bei politics.co.uk. Nach Protesten um das islam-theologische Institut der Humboldt-Uni hat sich die taz mal das katholische Institut an der Uni angeguckt - und es ist auch nicht besser. Im Tagesspiegel wird über Ausgrenzung von Muslimen gestritten. Es ist ein Horror, wie deutsche Parlamente im Internet über sich informieren, meint Netzpolitik.

Handauflegung des Bischofs

23.07.2019. Heut' ist der Tag der bösen Clowns: In der FAZ beschreibt Rafael Cardoso die zunehmende Polizeigewalt im Brasilien Jair Bolsonoras - sie richtet sich vor allem gegen die Afrobrasilianer in den Favelas. Die Welt beschreibt, wie Trump die Idee der Demokratie aushöhlt. Die New York Times beschreibt Boris Johnson als Hallodri. Und in der FAZ verteidigt Kardinal Walter Brandmüller den Zölibat.

Verblüffend einfache Evidenzen

22.07.2019. In der FAZ erinnert sich Jürgen Habermas an Agnes Heller. Ebenfalls in der FAZ sucht Udo Di Fabio nach Ursachen für die Blüte der Identitätsdiskurse. In der Financial Times lokalisiert Simon Kuper den Ursprung des Brexit im Ökosystem von Oxford. Im Filmdienst schlägt Lars Henrik Gass vor, das öffentlich-rechtliche Fernsehen sein zu lassen und sich mit den Mediatheken zu begnügen.

Enkelinnen und Schwiegersöhne

20.07.2019. Agnes Heller ist gestorben. Wir verlinken auf erste Nachrufe. Der 20. Juli ist heute das große Thema. Und er bleibt kontrovers, wenn auch anders als in den frühen Jahren der Bundesrepublik. Der grundsätzlichen Würdigung, etwa durch Manfred Schneider in der NZZ, stehen scharfe Gegenakzente gegenüber: Stauffenberg-Biograf Thomas Karlauf bleibt in der FAZ bei seiner Kritik an den Motiven der Attentäter.  Arno Widmann ist in der FR froh, "dass der Putsch vom 20. Juli 1944 gescheitert ist".

Diese Links-Rechts-Sache

19.07.2019. Amerikanische Medien diskutieren weiter über Trumps Rassismus, Israel und die Krise der Institutionen, die die Extreme profitieren lässt. In der SZ fordert die Literaturagentin Elisabeth Ruge, dass der 20. Juli zum Feiertag gemacht wird. In der FAZ widerspricht der Historiker Rainer Eckert dem Soziologen Detlef Pollack: Die Bürgerrechtsbewegung habe sehr wohl entscheidende Verdienste um den Mauerfall.

Guck mal nach wegen des Feuers

18.07.2019. Zeit und taz bringen Dossiers zum Jahrestag des 20. Juli: Wie einsam das verlorene Häuflein der Widerständler war, ergibt sich aus beiden - und wie wenig Anerkennung sie in der Bundesrepublik bekamen. Viele Zeitungen finden: Die Hohenzollern haben lange genug in der preußischen Geschichte mitgeredet, und dies mit durchaus zweifelhaftem Ergebnis. Die New York Times bringt einen Riesenartikel zum Brand von Notre Dame, die näher vorm Zusammenbruch stand als bisher bekannt.

Unvermeidlicher Konflikt

17.07.2019. Welt-Autor Thomas Schmid ist froh über die Wahl Ursula von der Leyens zur Kommissionspräsidentin: Die EU bleibt handlungsfähig. Amerikanische Medien diskutieren über Trumps rassistische Tweets. Klar ist er ein Rassist, schreibt David Remnick in der New York Times. Und die Extreme werden durch den Streit gestärkt, schreibt David Brooks ebendort. Eine moderne Stadtpolitik nutzt den Bobos und schadet der Peripherie, konstatiert der Standard bei einem Paris-Spaziergang.

Die republikanische Schmerzgrenze

16.07.2019. Die Hohenzollern wollen nicht nur Schlösser und Gärten und Kunstwerke zurück, um herrlich leben zu können, sondern auch über die preußische Geschichte mitreden - die FAZ ist dagegen. Die Republik stimmt der These zu, dass sich die NZZ der AfD andiene, aber einer bestimmten. Die taz feiert die neuen Pasionaras des politischen Engagements. Netzpolitik hat jetzt einen Eindruck davon "wie gefährlich der Verfassungsschutz ist".

Evident und eklatant

15.07.2019. Flugscham reicht nicht, meint die taz, wie steht's um Gehorsam? Das EU-Parlament ist demokratisch nicht legitimiert, den Kommissionspräsidenten zu bestimmen, sagt Heinrich August Winkler in der NZZ. Rigidität ist in der Flüchtlingspolitik nur um den Preis der Dehumanisierung zu haben, warnt Richard Herzinger in der Welt. Im Wall Street Journal denkt Ayaan Hirsi Ali über Ilhan Omars Äußerungen zu Israel nach. In der SZ ist die Wirtschaftsinformatikerin Sarah Spiekermann von Libra begeistert. Wenn die Idee nur nicht von Facebook wäre!

Die Freiheit, frei zu sein

13.07.2019. Europas Ultras werden nicht nur von Russland finanziell unterstützt, sondern auch von Amerikas religiöser Rechten, berichtet die NYRB. Der Guardian fragt, ob die fünf Milliarden Dollar, die Facebook wegen des Cambridge-Analytica-Skandals zahlen muss, eine Strafe oder ein Gefallen sind. Die FAZ beobachtet, wie Frankreich investigative Journalisten kujoniert. Die SZ erinnert an die Französische Revolution, in der NZZ hält Pascal Bruckner allerdings den Hass auf die Reichen für ein Überbleibsel der Aristokratie.

Grenzen der Unterlassung

12.07.2019. Die Financial Times sagt Goodbye "zu einem Britannien, wie wir es einst kannten".  In der FAZ blickt der Soziologe Detlef Pollack auf den Mauerfall zurück und stellt fest: Nicht die Kirchen oder die Bürgerrechtler brachten die DDR zu Fall. Im Tagesspiegel antworten Museumschefs auf Vorwürfe, ihre Bestände seien schlecht gelagert. Laut Netzpolitik plädiert Tim Wu für eine Zerschlagung von Facebook. Und Vorsicht bei Bettgesprächen: Google hört mit.

Vielfältige Intriganz

11.07.2019. Buzzfeed berichtet von einem Treffen zwischen der Lega Nord und Putin-Funktionären - ein erster materielle Beweis, dass die Russen rechtsextreme Parteien in Europa heimlich finanzieren wollen. Die Stadt Weimar hat ein Problem: Ausgerechnet die AfD könnte den Kulturausschuss leiten - und Weimar wird dieses Problem nicht als einzige Stadt im Osten haben, fürchtet die FAZ. Und der Tagesspiegel schließt aus einem "Religionsmonitor" der Bertelsmann-Stiftung: "Die Deutschen sind tolerant - nur nicht gegenüber dem Islam."

Angemessene Steuerung der jährlichen Ergebnissituation

10.07.2019. Die AfD ist das große Thema heute in den Zeitungen: Die Welt  zeigt, wie die Partei die grassierende Unzufriedenheit in den Neuen Ländern ausnutzt. SZ und Zeit online beobachten das Auftrumpfen des rechtsextremen Flügels der Partei - in Erwartung seiner Wahlerfolge im Osten. Die FR findet es ok, wenn Waffenexporte von linken Regierungen vorangetrieben werden. Die taz findet es nicht ok, wenn Zeitungen Politiker wie Friedrich Merz und Sigmar Gabriel als Kolumnisten anbieten. Von den Honoraren ganz zu schweigen.

Ohne reine Lehre halt

09.07.2019. In einem sind sich die erhabenen Führer der muslimischen Welt aus Iran, Saudi Arabien, Türkei und Pakistan einig wie ein Mann, konstatiert Foreign Policy: in ihrem Schweigen zur Lage der Uiguren. In emma.de attackiert der Charlie-hebdo-Karikaturist Laurent Sourisseau Jakob Augstein, der genau bestimmen will, wen man karikieren darf und wen nicht. Die Frau im Sozialismus war nicht gleichberechtigt: Sie durfte sogar mehr Lasten tragen, ganz wie ein Lastesel, erinnert sich Kateryna Botanova in der NZZ. Und die SZ geht dahin, wo die geraubte Kunst vermodert.

Das süße Leben

08.07.2019. Selbst die treuesten Putin-Anhänger sind Freunde des Westens, beteuert Viktor Jerofejew in der FAZ. Und Boris Johnson ist ein Kumpel  des Oligarchensohns Jewgeni Lebedew, dessen Vater als KGB-Agent sehr reich wurde, erzählt Open Democracy. Dass die Bundesregierung den Jahrestag des Mauerfalls fast vergessen hätte, ist ein Symptom, schreibt Hubertus Knabe in seinem Blog. In der Allgemeinen Zeitung erklärt Necla Kelek, was Feminismus mit dem Klimawandel zu tun hat. In der NZZ erklärt Richard Swartz, was West- und Osteuropa trennt.

Spezielle Rechtsform

06.07.2019. Gynäkologinnen müssen in Schweden studieren, wenn sie lernen wollen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen, erzählt eine Medizinstudentin bei bento. Die Festung Europa züchtet durch ihre immer inhumanere Politik eine ganze Industrie von Kidnapping und Sklaverei an, schreibt Kenan Malik in Expressen: "Und es herrscht fast vollständiges Schweigen darüber." Im Perlentaucher prangert Richard Herzinger den Defätismus der Europäer gegenüber Wladimir Putin an, der den Liberalismus für überholt hält. Die taz fragt: Ist Thüringen demnächst das erste Bundesland ohne Zeitungen?

Einfach mal eine Benin-Bronze einpacken

05.07.2019. In der NZZ beschreibt der Autor Chandrahas Choudhury den Hindunationalismus in Indien als konservative Konterrevolution. Bülent Mumay erzählt in der FAZ, wie sich Tayyip Erdogan gegen die schlimmsten Folgen seiner Wahlniederlagen absichert. In den USA wird weiter über die Frage diskutiert, ob man Lager für illegale Migranten mit KZs vergleichen darf. (Man darf.) SZ und Deutschlandfunk fragen, wie die Öffentlich-Rechtlichen mit der AfD umgehen sollen.

Bandbreite für das Extreme

04.07.2019. Für die Zeit hat die Ostberliner Psychoanalytikerin Annette Simon den ganzen Osten auf die Couch gelegt und herausgefunden, dass der verordnete Antifaschismus der DDR die Bürger bis heute prägt. Die SZ fürchtet eine Balkanisierung des Internets. In der FR bekennt Ken Follett seine Zerknirschung über den Brexit. Libération macht sich Gedanken über Notre Dame und  das 19. Jahrhundert, das die Kirche zugleich rettete und romantisierte. Und Horizont fragt: Sind die Zeitungen der Dumont-Gruppe noch zu verkaufen?

Unklare Verhältnisse

03.07.2019. Die FAZ erklärt, was es heißt, wenn eine offizielle Handreichung für Museen das Osmanische Reich plötzlich nicht mehr als ehemalige Kolonialmacht sieht. Die taz freut sich, dass mit den Fernsehgebühren alles bestens läuft - immerhin musste man 45 Millionen Haushalte überprüfen. Die SZ hat herausgefunden, dass China eine Überwachungssoftware auf die Handys von Touristen speichert: Es wird geraten vor der China-Reise alle Dateien über den Dalai Lama zu löschen! Libération staunt über "La surprise de la cheffe". Und die SZ findet "toxisch" so "toxisch" wie "hysterisch".

Wer hat weder Gesicht noch Stimme?

02.07.2019. Der Tagesspiegel erzählt in einem Dossier, "wem Berlin gehört" und auch warum. Die taz zeigt, wie die katholische Kirche in Kroatien (und ein bisschen auch in Deutschland) die Holocaust-Relativierung fördert.  Die Diskussion um das Jüdische Museum Berlin geht weiter.  Project Syndicate prangert die Gewalt gegen Frauen in Nigeria an, die engstens mit dem patriarchalischen Regime und der Tradition verknüpft ist.

La Capitana

01.07.2019. Emma.de feiert die Kapitänin Carola Rackete, die den Capitano zur Weißglut treibt. Die taz erinnert an den Mord an Marwa El-Sherbini vor zehn Jahren. Der IT-Sicherheitsexperte Michael Steigerwald rät in Zeit online: Smarte Küchengeräte vom Strom trennen, sonst hören sie mit. Die FAS rät von der "Euro Fatwa App" ab.  Der Guardian schildert Matthew Caruana Galizias Kampf für die Aufklärung des Mords an seiner Mutter.