9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2016

Jedem seine Leberwurst

30.04.2016. Das Medienkollektiv Inkyfada kritisiert in der taz die Unterdrückung der Presse in Tunesien. Das Filmemacherkollektiv Abounaddara kritisiert in der Zeit die Darstellung entwürdigter Syrer in den internationalen Medien. Die NZZ ist erleichtert über das neue Museum Judengasse in Frankfurt. In der taz plädiert die Politologin Ulrike Guérot für eine Europäische Republik. In der FAZ erklärt der Migrationsforscher Ruud Koopmans Multikulti für gescheitert. Und im Guardian erklären MSF und ICRC: Der Arzt deines Feindes ist nicht dein Feind.

Schockierende, beängstigende Leere

29.04.2016. Fast die Hälfte der Syrer ist auf der Flucht, warum wurde so gut wie keiner von ihnen in den Ölstaaten aufgenommen?, fragt starke-meinungen.de. Politico.eu beschreibt Syrien zugleich als verlassenes Land. Die NZZ erklärt, warum das Silicon Valley René Girard liebt. Während in Moskau die Jungputinisten gegen Memorial wüten, macht die Welt erstaunliche Parallelen zwischen den Putin liebenden Parteien AfD und Die Linke aus. Mother Jones macht klar: Die Medienkrise ist längst bei den Internetmedien angekommen.

Existenz eines Rückkanals

28.04.2016. Die Debatte um das VG Wort-Urteil des BGH nimmt nun doch Fahrt auf. In Zeit online betrachtet die Autorin Karen Köhler das Urteil allerdings als Danaergeschenk, das sie Martin Vogel, der das Urteil erstritten hat, am liebsten zurückgeben würde. Die Freischreiber sehen das ganz anders und zeichnen Vogel aus. Vogel äußert im Börsenblatt Verständnis für die Situation der Verlage - die er allerdings nicht mit Geld, das Autoren zusteht, verbessern will. Die Bundesregierung beeilt sich inzwischen das für Unrecht Erkannte zu Recht zu machen. Sonstige Themen: Google, Österreich und Palmyra.

Tratschtanten

27.04.2016. Bei den Ermittlungen gegen Netzpolitik wegen Landesverrats ging es dem Verfassungschutz weniger um Netzpolitik als um die Dingfestmachung von Parlamentariern, berichtet Zeit online. Zeit online und taz fürchten die Abschaffung des Säkularismus in der Türkei. In der NZZ erinnert sich die Übersetzerin Wei Zhang an die Schrecken der Kulturrevolution. Laut politico.eu zieht sich International New York Times demnächst aus Europa zurück. An amerikanischen Unis wird inzwischen aus political correctness auf die Betätigung des Kopfes verzichtet, schreibt Ilija Trojanow in der taz.

Tendenziös wie immer

26.04.2016. Entgeistert beobachten Medien, Politiker, Journalisten und Kulturschaffende, mit welcher Brachialität die Türkei ihre Zensur jetzt auch auf den Rest der Welt ausdehnt. In Bangladesch sind ein schwuler Aktivist und ein Anglistikprofessor mit Macheten zerhackt worden - laut Taslima Nasrin dehnen die Terroristen den Kreis der ihnen missliebigen Personen immer weiter aus. The Intercept zitiert einen sehr traurigen "nationalen Geheimdienstdirektor" der USA: Edward Snowden habe durch seine Enthüllungen die Kommerzialisisierung  von Verschlüsselung beschleunigt.

Mit Nacktheit hat es schon einmal nichts zu tun

25.04.2016. Ganz Österreich in blau. Zum Wahlerfolg der FPÖ bei den Präsidentschaftswahlen meint die NZZ mit Bick auf die Mainstream-Parteien: Weiterwursteln ist vorbei. Die Diskussionen um das VG Wort-Urteil des BGH geht weiter - alle wussten im Grunde, dass die Ausschüttunghen aus Geräteangaben zu Unrecht auch an Verleger gingen, meint Wolfgang Michael in seinem Blog - aber warum sind dann auch Autoren gegen die Entscheidung?, fragt Verleger Jo Lendle in der Welt. In der FAS erklärt die mexikanische Journalistin Lilia Pérez, wie Drognekartelle, Staat und Medien zusammenarbeiten. Die SZ fragt: Wann ist ein Bild "sexuell diskriminierend"?

Mitschuldig, aber nicht angeklagt

23.04.2016. Hat Barack Obama die Briten vor dem Brexit gerettet?, fragen sich die britischen Medien nach seiner überraschend deutlichen Intervention gegen den Ausstieg des Landes aus der EU. Oder war es Boris Johnson mit seinen Äußerungen, die "in die Gosse" gehören, fragt der Spectator. Im Perlentaucher sieht Wolfgang Kraushaar den Umgang mit der AfD als den Lackmustest für die deutsche Demokratie. In der SZ resümiert Annette Ramelsberger in einer großen Reportage den Zschäpe-Prozess. Die VG Wort-Entscheidung des BGH sorgt weiter für Debatten. Und The Intercept belegt die glänzenden Beziehungen zwischen Google und dem Weißen Haus mit einer interaktiven Grafik.

Selbst die freiwillige Unterwerfung

22.04.2016. In der FR erklärt die Publizistin Irina Scherbakowa, wie Russland Ideologie durch Geschichte ersetzt. taz, FAZ und SZ fragen nach dem Urteil des BGH in Sachen VG Wort: Kann denn Recht sein, was nicht Verlegerinteressen entspricht? Der Islam darf ruhig dem Grundgesetz widersprechen, das tut das Christentum auch, schreibt Dieter Grimm in der FAZ - aber die Gläubigen müssen sich dran halten. taz und SZ fürchten TTIP, Zeit online ist dafür. Und Mark Leonard stellt in der Welt die Gewinner der Migration vor.

Die Anwendung aller Instrumente

21.04.2016. Die New York Times erklärt, warum sich in Belgien Jugendliche marokkanischer Herkunft radikalisieren, aber nicht Jugendliche türkischer Herkunft. In der Zeit kritisiert Heinrich August Winkler eine angebliche deutsche Überheblichkeit.  In der Berliner Zeitung sieht Saskia Sassen die Entwicklungspolitik als eine Ursache der globalen Flüchtlingskrise. Der Tagesspiegel erklärt, warum Berliner Universitäten die Einrichtung eines Instituts für Islamische Theologie ablehnen.

Recht auf Nichtverbreitung

20.04.2016. Nach aktuellem Urheberrecht wären Rubens und Dürer Verbrecher, meint Wolfgang Ullrich in der Pop-Zeitschrift. "Hier gibt es nichts zu jammern", ruft Dieter Nuhr im Tagesspiegel mit Blick auf die Causa Böhmermann. In der FAZ erzählt Theatermacher Przemek Wojcieszek, wie politischer Druck in Polen funktioniert. In Prospect verteidigt Alan Rusbridger die Internetstrategie des Guardian. Das Urteil zu Google Books wird in FAZ und SZ begrüßt.

Wie ein Zucker in der Teetasse

19.04.2016. Im Guardian wundert sich Neil MacGregor über die Geschichtsvergessenheit der Briten. Das FAZ-Feuilleton schimpft auf Angela Merkel, weil sie Erdogans Klage zuließ. In der NZZ fürchtet der Anwalt Peter Kurer, dass sich das Recht in dieser Welt langsam auflöst. In der SZ möchte Philip Ther den Flüchtlingen in Deutschland einen eigenen Status und Recht auf Mitbestimmung geben. Und nach zehnjährigem Streit wird Google Books vom Supreme Court endgültig beschieden, dass es "Fair Use" ist.

Frech, deutsch, kalt

18.04.2016. Indonesien gerät immer mehr unter Einfluss des Islamismus, fürchtet die FAZ - die immer stärkere Diskriminierung von Homosexuellen ist hierfür ein Zeichen. Erst zerstören die Türken die Altstadt von Diyarbakir, dann verstaatlichen sie sie, berichtet die NZZ. Die Zeitungskrise ist längst auch eine Krise der Internetmedien, schreibt die New York Times. Dafür kriegen die öffentlich-rechtlichen Medien unbahängig von ihrer Legitimität mehr Geld, konstatiert die Welt. Über Jan Böhmermanns Humor kann man geteilter Meinung sein, zeigen Oliver Polak im Spiegel und Helge Malchow in der SZ.

Mangel an Steinen

16.04.2016. In der Affäre Böhmermann beruhigen sich die Gemüter wieder, in der Berliner Zeitung schlägt allerdings Serdar Somuncu Krach: Beim WDR werde zensiert wie im Politbüro.  Der New Yorker wirft der New York Times vor, sie habe aus Arroganz nicht an den Panama Papers mitgearbeitet. Der Freitag erkennt bei der Megarecherche aber auch die Kinderkrankheiten des digitalen Journalismus. Die NZZ erkennt die Trostlosigkeit einer multiplen Briefkasten-Identität. Und Slate.fr fragt, warum die Italiener eigentlich kein Brot backen können.

Nicht einmal ein paar Millionen wert

15.04.2016. Nicht Diskriminierung, sondern freiwillige Selbstdiskriminierung ist die höchste Hürde für muslimische Migranten auf dem Arbeitsmarkt, lernt die NZZ vom Soziologen Ruud Koopmans. In der SZ berechnet der Dokumentarfotograf Gerd Ludwig die Kosten der Kernkraft neu. Für das sang- und klanglos abgeblasene Einheitsdenkmal fordert Günter Nooke, Mitinitiator des Projekts, im Tagesspiegel einen Aufschrei. Zeit Online macht auf die regelmäßigen antisemtischen Ausrutscher der SZ aufmerksam.

Der Zustand, nicht auf Sendung zu sein.

14.04.2016. In der Zeit attackiert Pascal Bruckner Angela Merkels Flüchtlingspolitik und wirft ihr einen Narzissmus des Mitgefühls vor. Dass die Politik das Einheitsdenkmal sang- und klanglos begräbt, geht für die meisten Kritiker in Ordnung. Die Berliner Zeitung könnte nicht noch eine Berliner Lachnummer vertragen. Die taz versteht nicht, warum die Rundfunkgebühren erst ein bisschen gesenkt und dann kräftig angehoben werden. Der Guardian berichtet, wie die polnische Staatsanwaltschaft dem Historiker Jan Tomasz Gross zusetzt. Und Politico fragt: Wozu die ganze Nacht auf sein?

Ein grausamer Trugschluss

13.04.2016. Die Causa Jan Böhmermann hält die Zeitungen weiter in Atem: Im Verfassungblog meint Alexander Thiele: Eine uneigentliche Beleidigung ist keine. Der Tagesspiegel meint: Wenn jemand beleidigt wird, dann auf keinen Fall eine Majestät. Die taz findet es eher beleidigend, wenn eine Lehrerin von Schülern auf ihr Geschlecht reduziert wird. Die NZZ blickt auf Marokkos Rif-Gebirge, wo Dschihadismus und Drogenhandel zusammenlaufen. Politico läutet die Ära der Mega-Leaks ein. Der Guardian wertet seine Leserkommentare aus.

Barmherzige Grundrechte

12.04.2016. Im Perlentaucher meint Wolfram Schütte zur Staatsaffäre um Jan Böhmermann: Auch trotz performativer Rücktrittsversicherung ist sein Schmähgedicht auf Erdogan keine Satire. In der NZZ betont der marokkanische Autor Mahi Binebine: Islamisten sind nicht die missratenen Söhne des Arabischen Frühlings, sondern der Diktatur. Die taz erlebt Ähnliches in Indonesien. Die Presse staunt dagegen über eine neue Heimatverbundenheit.

Kritik der Waffen

11.04.2016. Im Guardian ahnt Thomas Piketty, warum die Regierungen lange kein Problem mit Steueroasen hatten. Die FR fragt, wie man zum Salafisten wird. Im Standard drängt Garance Le Caisne, hinter die zivilisierte Maske des Assad-Regimes sehen. Die NZZ setzt gegen den Unverstand der polnischen PiS auf Bürgerclubs. Und Jan Böhmermann bekommt mächtigen Beistand von Mathias Döpfer, der sein Schmähgedicht auf Tayyip Erdogan in der Welt zum Kunstwerk adelt.

Finte im Spiel

09.04.2016. Die geplante EU-Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen richtet sich laut Netpolitik.org vor allem gegen Whistleblower und Journalisten. Die NZZ beschreibt die AfD als männlichen Gegenentwurf zu einer effeminierten Gesellschaft. Die taz trägt Hinweise zusammen, dass die Schweiz in den Siebzigern als Rückzugsraum für palästinensische Terroristen diente. Und Tanja Dückers ruft auf Zeit Online zur Überwindung unserer Autolibido auf.

Ich will nicht heilig sein

08.04.2016. Die PiS-Partei ist durch die Unterstützung der katholischen Kirche an die Regierung gekommen, nun fordert sie mit dem totalen Abtreibungsverbot den Preis, schreibt Patrick Monod-Gayraud in Le Monde. In der taz warnt der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Jerzy Stepien vor einem "tiefgreifenden Schaden" an der polnischen Demokratie. Das niederländische "Nein" ist eine Schande, ruft die Welt. Die taz erzählt, wie Christian Ströbele seine Rolle als RAF-Anwalt heute sieht.

Dabei fehlt etwas Entscheidendes

07.04.2016. Die Niederländer haben in einem Referendum gegen das EU-Abkommen mit der Ukraine gestimmt. Geert Wilders jubelt. Ein Sieg für die Putinisten, kommentiert Zeit online. Aber auch Geert Mak findet in der FR: Mit Russland muss man reden. In der Zeit gibt Slavoj Zizek Pascal Bruckner recht: Antirassismus ist auch nur ein Rassismus. Bei den "Panama Papers" wird nach wie vor mehr über die Inszenierung als über den Inhalt geredet. Und währenddessen kreisen laut Buzzfeed lautlose FBI-Flugzeuge über den amerikanischen Städten und sammeln... Buzzfeed.

Haupt- und Staatsaffären eines winzigen Staates

06.04.2016. Im Blog der LRB greift Adam Shatz die französische Autorin Elisabeth Badinter an, die westliche Kleidungsmarken mit islamistisch korrekter Mode boykottieren will: Ihr Feminismus passe bestens in eine "lange Geschichte weißer Männer, die braune Frauen vor braunen Männern retten" wollen. In der FR erklärt der Politologe Carsten Frerk die ungeheuren Privilegien der Kirchen in Deutschland. Zeit online schildert den erbitterten Streit zwischen Italien und Ägypten um den zu Tode gefolterten Journalisten Giulio Regeni. In der FR erzählt Arno Widmann die Operette des Frühkommunismus.

Austausch steuerrelevanter Daten

05.04.2016. Die Konkurrenzmedien reagieren zum Teil leicht pikiert auf die "Panama Papers". Nicht ohne Grund, meint die taz, denn anders als bei öffentlichen Leaks liegen die Rohdaten den anderen Medien nicht vor. Der Guardian beharrt dennoch eindringlich auf dem aufklärerischen Wert der Dokumente. Politico.eu erzählt, wie prächtig sich die Katholische Kirche und die polnische Pis-Partei beim Thema Abtreibung verstehen. Und im Guardian erzählt die Feministin Hibo Wardere vom Kampf gegen Genitalverstümmelung in Somalia und um Aufmerksamkeit in Europa.

Die Milch des Kulturrelativismus

04.04.2016. Die SZ und andere Medien veröffentlichen die "Panama Papers", die einigen Mächten ziemlich peinlich werden könnten. Die engsten Freunde Putins erweisen sich da als Milliardäre. Und in Island ist schon Regierungskrise. In Le Monde ruft die Feministin Elisabeth Badinter zum Boykott westlicher Kleidungsmarken wie Marks & Spencer auf, die neuerdings Burqinis und Hidschabs anbieten. Die neue polnische Regierung will Abtreibung komplett verbieten: Der Guardian berichtet über wütende Demonstrationen in Warschau und anderen Städten.

Dieses Moment der Wahl

02.04.2016. Warum sollte Erdogan glauben, dass Deutschland Presserechte respektiert, da es ja auch die Flüchtlingsrechte nicht so ernst nimmt, fragt Carolin Emcke in der SZ. Die taz erzählt, wie Christian Ströbele einst in der taz kritisiert wurde, weil er seiner Sekretärin Texte über alternatives Arbeiten in die Maschine diktiere. Medien können nicht nur eine Tendenz, sondern auch einen "Fairness bias" haben, konstatiert Timothy Garton Ash mit Blick auf die Position der BBC zur Brexit-Debatte. Im Tagesspiegel erklärt Elmar Kraushaar, wozu Homosexuelle Joghurtmaschinen brauchen.

Gut vermarktbare Knalleffekte

01.04.2016. Wer glaubt, letztlich sei der Westen schuld am Wüten des Islamismus, überschätzt den Westen, meint Politico.eu. Im Interview Magazine beschwört Chelsea Manning die Gefahren eines digitalen Totalitarismus. In ein paar Jahren werden die Rundfunkgebühren deutlich steigen, prognostiziert die Medienkorrespondenz - es wird eine Debatte befürchtet.  Zeit online ist erleichtert, dass Palmyra weniger stark zerstört ist als befürchtet.