9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2016

Hektik und Daseinsangst

31.03.2016. Die Zeit lauscht den düsteren Prophezeiungen Boualem Sansals über Europa und den Terror. Und dieser Terror hat durchaus "mit dem Islam" zu tun, erklärt der Religionspädagoge Ednan Aslan ebenfalls in der Zeit. Oder waren es doch Atheisten? Das glaubt laut hpd.de jedenfalls der Bischof von Fulda. Wenn mehr Überwachung etwas gegen Terror bringen würde, dann hätte sie es eigentlich längst bringen müsssen, hat Sascha Lobo bei Spiegel online herausgefunden. Und Buzzfeed erklärt, wie europaskeptische Zeitungshierarchen ihre Jagdschlösser in Schottland finanzieren.

Ein Cousin sammelte Regenwasser

30.03.2016. Wird Wladimir Putin zu einer Art Türsteher der europäischen Politik, der freiwillig die Drecksarbeit macht und dafür Respekt verlangt?, fragt die NZZ. In Libération prangert der kurdische Autor Kendal Nezan die mauen Kompromisse der EU mit der türkischen Regierung an. Zeit online fragt: Warum redet das Auswärtige Amt nach Lahore von "allen Menschen gleichermaßen", wenn ausdrücklich Christen gemeint waren? Bei Bei irights.info warnt Christiane Schulzki-Haddouti vor dem Begriff des "Dateneigentums". Und bei Netzpolitik fürchtet Medienprofessor Volker Lilenthal, dass Facebook die Medien schluckt.

Kämpferische Reproduktion

29.03.2016. Nach Lahore, Brüssel und Paris wird überall über die Ursachen des Dschihadismus nachgedacht. Sind die Attentäter von Paris einfach Opfer des Kolonialismus (so die taz)? Bis in die dritte Generation? (NZZ) Nein, der Dschihadismus ist eine globale Bewegung und kann nur deshalb erfolgreich sein, meint The Daily Beast nach Lahore. Im Wirtschaftsteil der FAS wendet sich der Theologe Friedrich Wilhelm Graf gegen den Begriff der "Werte", der die Muslime nur ausgrenze. Auch in Frankreich geht die Debatte weiter: Radikalisierung des Islam oder Islamisierung von Radikalität?

Diese Möglichkeit der Intensität

26.03.2016. Radikalisierung des Islam oder Islamisierung von Radikalität? Die NZZ resümiert einen erbitterten Streit zwischen Gilles Kepel und Olivier Roy. In der SZ erklärt David Gelernter, warum er nicht an Künstliche Intelligenz glaubt. Der  FAZ ist unwohl über den bleibenden Nationalismus der Iren. Warum wird eigentlich der Kapitalismus kritisiert, wenn's uns doch so prächtig geht?, fragt in der NZZ Hans Ulrich Gumbrecht.

Die Erkenntnis der Kontinuität

24.03.2016. Die Debatte, ob das nun "Krieg" sei, flammt wieder auf: Nicolas Hénin, einst Geisel der Terroristen, erklärt im Guardian, warum er die Vokabel ablehnt. Im Tagesspiegel erklärt der belgische Autor Stefan Hertmans, wie Molenbeek zum Brennpunkt wurde. Sascha Lobo bei Spiegel online und Christiane Peitz im Tagesspiegel denken über den öffentlichen Raum nach dem Terror nach. "Weshalb diese Dämonisierung?", fragt der Kunsthistoriker Wolfgang Ruppert zwei Jahre nach der Gurlitt-Affäre in der taz. In der FAZ antwortet Reinhard Jirgl sehr polemisch auf Rafik Schami, der ihm und anderen "Islamophobie" vorwarf.

In großer Verwirrung

23.03.2016. Die Anschläge von Brüssel beherrschen die Medien. Christophe Berti, Chefredakteur von Le Soir, fürchtet eine Verhärtung der belgischen Gesellschaft. Für Politico.eu zielen die Anschläge auch auf  das Herz der Europäischen Union - Spiegel online sieht es anders. Zwischen Frankreich und Belgien herrscht nicht gerade Solidarität, konstatiert die FAZ. Außerdem: Islamismus hat sehr wohl mit Islam zu tun, und man muss es sagen, schreibt Jochen Hoerisch im Mannheimer Morgen. Und die Dublin Review of Books freut sich, dass die Iren nicht auf G.K. Chestertons Antisemitismus reingefallen sind.

Granularer Medienstrom

22.03.2016. Die FR fürchtet: In den USA ist die Demokratie nicht auf dem Vormarsch. Aber Apple wehrt sich tapfer gegen das FBI, beobachtet die SZ, die auch fragt, warum Yahya Hassan einem Islamisten in den Fuß schoss. Muslimische Länder mögen den Westen nicht, weil sie seine Errungenschaften lieben, meint huffpo.fr. Die NZZ testet Khmeli Suneli. Und den täglichen Artikel von Herfried Münkler gibt's heut' selbstverständlich auch.

Messianismus, der nichts tut

21.03.2016. Im Gespräch mit der FR fürchtet Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch nichts mehr als die Angst vor der Zukunft. Die New York Times schildert die Symbiose zwischen News-Medien und Donald Trump - sie bemisst sich nach Preisen pro Werbespot. In Libération konstatiert Historiker Bertrand Badie: Die Entkolonisierung scheiterte, weil die ehemaligen Kolonien die ehemaligen Zentralen nachahmten. In der Welt ist Ramin Jahanbegloo zuversichtlich, dass die Iraner einen fließenden Übergang zur Demokratie schaffen.

Arbeit am großen Nein

19.03.2016. Salah Abdeslam, der letzte noch gesuchte Paris-Attentäter, ist gefasst. Im Merkur streift Ekkehard Knörer durch die Betonwüsten der Pariser Banlieue. In der FR fragt Rafik Schami, wo eigentlich Sloterdijk und Safranski waren, als er an der israelisch-palästinensischen Versöhnung arbeitete. Die NZZ fragt, wo eigentlich die Kritische Theorie geblieben ist. Im NYRB-Blog beschreibt Masha Gessen in Russland einen Mafia-Staat. Die taz begrüßt die Krise des deutschen Schweinesystems.

Aber auch Begriffe der Intimsphäre

18.03.2016. In der taz, die heute ein Syrien-Dossier bringt, ist Herfried Münkler den Russen für ihre Syrien-Intervention dankbar, weil sie die Fronten kläre. In der SZ erklärt die Gurlitt-Cousine Uta Werner, warum sie die Abschiebung der Gurlitt-Sammlung in die Schweiz nicht gutheißt. In der NZZ polemisiert der Philosoph und Managementberater Reinhard K. Sprenger gegen Unternehmen als "Umerziehungsheime". Und die Welt behauptet: Wir sprechen alle Etruskisch und merken es noch nicht mal.

Da schwebt Humboldts Geist

17.03.2016. in der Zeit beklagt Benedikt Erenz in einem großartigen und beschämenden Essay die deutsche Geschichtsvergessenheit. Es gibt zwar nichts Neues über das Humboldt-Forum, aber auf der PK glühten die Beteiligten vor Begeisterung, notieren Tagesspiegel und Berliner Zeitung. In der Welt verteidigt Michael Wolffsohn den Religionskritiker Hamed Abdel-Samad gegen Vorwürfe der Volksverhetzung. SZ und FAZ befassen sich heute mit der Zukunft des Buchs und seiner Insitutionen.

Du musst aus moralischer Pflicht handeln

16.03.2016. Auch bei der Leipziger Buchmesse wird die Flüchtlingsthematik wird eine Rolle spielen, ist sich die FAZ sicher, zumal Flüchtlinge direkt neben dem Messegelände campieren. In der NZZ schlägt Karl-Markus Gauß vor, einmal die Roma zum "Gastland" einer Buchmesse zu machen. Pünktlich zur Messe gibt auch Justiziminister Heiko Maas dem Drängen der Verlage auf Entschärfung des Urheberrechtsgesetzes nach, so die Welt. Außerdem: In der FR empfiehlt Pussy Riot Kant. So stark sind die Refomer im Iran nicht, weiß politico.eu. Und was will die AfD mit ARD und ZDF machen?, fragt die FAZ.

Potenziell schlauer ist als Menschen

15.03.2016. Dass Wladimir Putin sich aus Syrien zurückzieht, zeigt, wie wenig er an der Bekämpfung der IS-Milizen interessiert war, meint politico.eu. in der Welt erklärt Timothy Garton Ash, wie er sich eine Arbeitsteilung in der europäischen Flüchtlingspolitik vorstellt.  Kenan Malik prangerrt in seinem Blog die Verlagerung der europäischen Grenzen nach außen an. correctiv.org nimmt die populistischen Forderungen im Programm der AfD auseinander. Bei der Krautreportern erzählt der Reporter Christian Gesellmann, warum er am Ende aus Zwickau weggezogen ist.

Erschüttert, aber nicht umgehauen

14.03.2016. Das Schlimmste sind die Nichtwähler, meint die FR nach den Landtagswahlen. Zeit online gibt vorsichtig Entwarnung: Noch hat die AfD nicht die Mehrheit. Politico.eu macht auf einen misslichen europäischen Effekt aufmerksam: Abhängigkeit von Erdogan. Die New York Times bringt eine düstere Reportage über jesidische Fauen, die von IS-Milizen als Sexsklavinnen gehalten wurden. Die NZZ warnt vor einer neuen Schuldenkrise. Und der Philosoph Andreas Urs Sommer erklärt, warum Demokratien den Begriff der Werte brauchen. Kress.de berichtet über drastische Kürzungspläne in der WeltN24-Gruppe.

Ein Projekt gegen Resignation

12.03.2016. Auf Zeit online bekräftigt Armin Nassehi die Vorwürfe gegen Peter Sloterdijk, fragt aber auch, ob der Philosoph seinen Cicero-Interviewern auf den Leim gegangen ist. In der FAZ überlegt Kathrin Röggla, mit welchen literarischen Techniken man sich dem Krieg nähern kann. In der FR diagnostiziert der Soziologe Heinz Bude ein Gefühl der verbauten Zukunft in Europa. Auf Spon erklärt der dänische Politiker Naser Khader, warum Islamisten in Dänemark so erfolgreich sind. In der FAZ führt uns Viktor Jerofejew durch die russische Zauberwelt.

Wie Ideen gemacht werden

11.03.2016. Heiko Maas kassiert die Fünfjahresregel im geplanten neuen Urheberrechtsgesetz ein, meldet die FAZ - aber Total-Buy-Out-Verträge bleiben erlaubt. Die NZZ erinnert an den Universalgelehrten Conrad Gessner. Bei den Kolumnisten fürchtet der Ökonom Norbert Häring die Abschaffung des Bargelds. Die SZ bringt ein Loblied auf das Berliner Haus der Kulturen der Welt.

Wie Grönland im Klimawandel

10.03.2016. Der Streit zwischen Herfried Münkler und Peter Sloterdijk steigert sich zum Zickenkrieg. Münkler findet Sloterdijk in der Zeit heute verkorkst: Sowas konnte man höchstens in der alten BRD gebrauchen, jetzt braucht man Genies der geopolitischen Analyse wie Münkler. In der Welt sucht Wolf Lepenies bei Richard Hofstadter Hilfe gegen Verschwörungstheorien. Donald Trump ist gar nicht nur Rassist, er ist auch "links", staunt der Guardian. Aber wer interessiert sich schon für die Arbeiterklasse?

Futter für das Monster

09.03.2016. Die NZZ fragt: Soll man Gene verändern dürfen? Zeit online zeigt, wie Bargeld und Schutz der Privatsphäre zusammenhängen. In der FAZ bespricht der Historiker Andreas Rödder den neuen Sloterdijk. In der LA Review of Books fragt Franco Moretti, was die Digitalisierung mit den Geisteswissenschaften macht. In der NZZ nimmt Cora Stephan vielleicht Abschied von Facebook. Bei Open Democracy schreibt der russische Künstler Pjotr Pawlenski über das Gefängnissystem Russland.

Ein Weichei, wer sich gegen Chili entscheidet

08.03.2016. Weltfrauentag, auch in der taz, die die Pinkifizierung der weiblichen Kindheit anprangert und Frauen auffordert, aus Solidarität, das Kopftuch abzulegen. In lorientlejour.com beschreibt der Journalist David Thomson die immer schwierigere Lage in Tunesien. Bernard-Henri Lévy setzt in seiner jüngsten Kolumne seine Hoffnung auf die deutsch-französische Achse. In der CJR warnt die Medienwissenschaftlerin Emily Bell: Facebook frisst den Journalismus auf.

Vorform der Informationsflut

07.03.2016. Im Standard blickt Marlene Streeruwitz auf die Goldmaries und Pechmaries des Postfeminismus. in der SZ rechnet die Jungfeministin Meredith Haaf mit der "Sorte Frauenrechtlerei" ab, die sie in Emma liest. Die New York Times verzeichnet nach Restriktionen in der Abtreibungspolitik eine Rückkehr zum "Do-it-yourself" in den USA. Es wäre ein Fehler, Donald Trump als Außenseiter zu sehen, meint der New Yorker: Vielmehr verkörpere er alte Tendenzen der Republikanischen Partei, die er jetzt zerlegt.

Was Sprache eigentlich ausmacht

05.03.2016. Im Guardian erinnert sich Timothy Garton Ash mit Überraschung der britischen Kolonialzeit. In der Welt fragt Dan Diner: Zieht uns Russland zurück ins 19. Jahrhundert? Im Tagesspiegel spricht Adam Zagajewski über die polnische Angst vor Fremden. Mit Donald Trump hält nicht der autoritäre, sondern der narzisstische Charakter Einzug in die amerikanische Politik, meint Isolde Charim in der Wiener Zeitung. Die SZ findet, dass Peter Sloterdijk mit Blick auf muslimische Jenseitsvorstellungen differenzieren sollte.

In diese Betonstruktur hinein

04.03.2016. Andrzej Stasiuk (Zeit online) und Etienne Balibar (Libération) sind deprimiert. Mit Europa ist Schluss. In Frankreich einerseits. Und in Osteuropa sowieso. In der Schweiz wird in der Urheberrechtsdebatte erstmals gefragt: Was nützt den Nutzern und Vermittlern wie Bibliotheken?, freut sich Claudia Jolles, Chefredakteurin des Kunstbulletins in der NZZ. Anders Anish Kapoor, der sich laut Dezeen das schwärzeste Schwarz unter den Nagel riss. Ein französisches Video zeigt, wie Männer mit Männern flirten sollten (oder auch nicht). Die FAZ fragt: Wie bauen für Flüchtlinge?

Diese Art von Strategie-Versteherei

03.03.2016. In einem flammenden Plädoyer auf Facebook verteidigt der französische Premierminister Manuel Valls den Autor Kamel Daoud gegen eine Petition von Akademikern. Daoud selbst hält in der Zeit an seinem umstrittenen Text zu Köln und zum muslimischen Frauenbild fest. In der NZZ macht sich der Politologe Xavier Bougarel Hoffnung auf eine friedlichen Islam auf dem Balkan. In der FAZ erklärt Shoshana Zuboff, "wie wir Sklaven von Google wurden". Ist Herfried Münkler das Megafon des in Gestalt von Angela Merkel wesenden Weltgeists? Peter Sloterdijk hat in der jüngsten Zeit so seine Zweifel daran. Und David Rieff wendet sich im Guardian gegen den Kult der Erinnerung.

Und irgendwann wachten wir auf

02.03.2016. Der autoritäre Charakter ist auferstanden. Und er hat Donald Trump gewählt - meint jedenfalls das amerikanische Blog Vox.com mit Blick auf politologische Studien. In der NZZ spricht die syrische Autorin Rosa Yassin Hassan über die verlorene Hoffnung in den arabischen Frühling. In der Berliner Zeitung wendet sich Herbert Schnädelbach gegen den Begriff der Werte und beharrt vielmehr auf Normen. Der Guardian ist entsetzt über die geplante "Snooper's Charter", die der britischen Polizei ungeahnte Überwachungsmacht gibt. Und der "Privacy Shield" schützt auch nicht, meint Zeit online.

Nur noch eine Thomasbirne

01.03.2016. Soll man Holocaust-Leugner durch Verbot oder durch Diskussion schwächen? Die huffpo.fr ist nicht einverstanden mit einer These der Autorin Anastasia Colosimo. Die NZZ würdigt in Phoenix-See in Dortmund, dass auch deutsche Städte zu architektonischen Leistungen fähig sind. Die New York Review of Books vermisst die Dahlemer Museen schon jetzt. Die New Republic stellt überrascht fest: Es gibt so etwas wie einen "secular turn" im amerikanischen Wahlkampf.