9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2016

Die Vierte Gewalt verschmilzt mit der Zweiten Gewalt

30.01.2016. In der NZZ attackiert Slavoj Zizek die europäische Linke, die das revolutionäre Subjekt an ganz falscher Stelle orte."The Gang is Back", schreibt politico.eu zu den triumphierenden Murdochs, während BBC und Guardian darben. Kenan Malik staunt über den Begriff von Humanität in Sri Lanka. In der Gesellschaft ist ja eine Menge los, aber wo sind die Soziologen?, fragt Thomas Schmid in seinem Blog. Was ist, wenn Bloomberg noch unheimlicher ist als Trump?, fragt Tobias Endler bei Carta. Und Twitter ist tot, behauptet der New Yorker.

Das sogenannte Unheimliche Tal

29.01.2016. Nein, ruft die NZZ, Goyas Maya ist viel zu sexy, um nicht nackt zu sein! Die Welt fürchtet, dass man mit der AfD wird reden müssen. In der FAZ rät der estnische Komponist Jüri Reinvere davon ab, russischen Dissidenten zu glauben. Huffpo.fr zitiert aus der nicht eben freundlichen Rede, mit der Pierre Nora den großen Alain Finkielkraut in der Académie française empfing. FAZ und Junge Freiheit attackieren die Grundstücksgeschäfte der taz. Und die Barbie-Puppe der Tochter zeichnet die Gespräche auf.

Auf das Meer verweisen

28.01.2016. Während die Zeit über Angela Merkels "Salto mortale" meditiert, kriegt die Kanzlerin am Holocaustgedenktag ein Riesenlob von Ruth Klüger. Aber auch in der Zeit überwiegt letztlich Bewunderung: darüber, wie Merkel Europa in den Abgrund (nämlich ein Europa ohne Merkel) blicken lässt und wie entideologisiert sie auf die Tatsachen blickt. Im New Yorker erklärt Lawrence Lessig, warum er für die Präsidentschaft kandidierte. In der New York Times erklärt der Google zustädige Reporter, wie es ist, dem Boss der mächtigsten Firma der Welt niemals zu begegnen.

Zensur des öffentlichen Raumes

27.01.2016. Die europäische Wirtschaft atmet auf: Endlich Versöhnung mit dem Iran! Italien verhüllt aus diesem Anlass seine antiken Statuen - zum Erstaunen von Spiegel Online. Heute wird der iranische Präsident Hassan Rohani in Paris empfangen. Ob der französische Präsident dem Auslober des "Holocaust Cartoons Contest'" in Erinnerung bringt, dass heute Auschwitz-Gedenktag ist? Huffpo.fr zweifelt. Die FAZ macht sich Sorgen um das Berliner Schloss, das vollendet sein könnte, bevor Ideen dazu entwickelt sind. Wolf Lepenies bezweifelt in der Welt, dass sich die Deutschen mit ihrer "Willkommenskultur" in Europa beliebt machen.

Dazu ist zu viel Beton gegossen worden

26.01.2016. Ein Dokumentarfilm über den Alltag von Salafisten in Nordafrika ist in Frankreich vom Verbot unter 18 Jahren bedroht - Claude Lanzmann schreibt in Le Monde einen empörten Brief an Kulturministerin Fleur Pellerin. Die Berliner Zeitung ist ganz froh über die Revirements beim Humboldt-Forum: So kann man endlich mal planen! Die SZ berichtet, wie die Deutsche Bahn ohne Mitsprache der Städte zentrale Grundstücke verkauft. Perlentaucher Thierry Chervel kann nicht fassen, was Mathias Müller von Blumencron von der FAZ bei Horizont.net über das angebliche "Wachstum von Qualitätsmarken" sagt.

Jetzt harmonisieren wir das mal

25.01.2016. Im Guardian erinnern sich fünf arabische Autoren an den arabischen Frühling - zum Teil schreiben sie aus dem Gefängnis. Pascal Bruckner kritisiert im Figaro den Größenwahn westlicher Linker, die sich immer nur den Westen als den Bösen in der Geschichte denken können. In Zeit online warnt Viktor Jerofejew vor der russischen Romantik und Russlandromantik. Kunst macht Theater, Theater macht Kunst, und alles sieht gleich aus, stöhnt der Tagesspiegel - aber Thomas Oberender von den Berliner Festspielen sieht's ganz anders.

Akuter Sauerstoffmangel

23.01.2016. In der NZZ berichtet Mansura Eseddin, wie das ägyptische Regime jeden Hauch von revolutionärem Geist erstickt. In der taz beobachtet Micha Brumlik entsetzt, wie der Antizionismus jetzt Heidegger zu seinem Kronzeugen macht. In der FAZ verteidigt Heiko Maas seine Urheberrechtsreform. In der SZ setzt Constanze Kurz auf künstliche Intelligenz. Und Google ist wieder wertvoller als Apple.

Wie Hofnarren

22.01.2016. Die Briten hängen von den Russen ab. Nun müssen ihnen die Enthüllungen über das Offensichtliche - Alexander Litwinenko wurde auf Geheiß Wladimir Putins ermordet - recht peinlich sein, meint Peter Pomerantsev in Foreign Policy. Die Debatte um die "Elefantenrunde" des SWR geht weiter - eine wichtige Elefantin fehlt nun aber zum Vergnügen der FAZ. Die NZZ blickt fassungslos auf die verfehlte Einwanderungspolitik der EU. Spiegel online beobachtet den Aufstand der türkischen Öffentlichkeit gegen Erdogan. Die Debatte um Köln geht auf niedrigem Niveau weiter.

Bleibt die Frage, wer die Trottel waren

21.01.2016. Die SZ schildert recht anschaulich, wie das polnische Fernsehen gleichgeschaltet wird. Die NZZ liest französische Bücher zum Thema Dschihadismus und verweist besonders auf die Blindheit der Linken für den religiösen Furor. Der Guardian startet eine Serie über Saudi-Arabien und fürchtet wie viele Saudis: Die Prinzen sind noch die Besten unter den Schlechten. Lord Weidenfeld publizierte bis kurz vor seinem Tod - in seinem letzten Interview mit der Welt kritisiert er die deutsche Flüchtlingspolitik. Richard Tofel von propublica bringt alarmierende Zahlen über die Lage der amerikanischen Zeitungen.

Und die Ehrenloge frei halten

20.01.2016. New York Times und Le Monde bringen die empörende Meldung vom Tod der Fotografin Leila Alaoui im Alter von 33 Jahren - sie war bei einem islamistischen Attentat in Ouagadougou verletzt worden. Im britischen Magazin Standpoint ist die britische Feministin Julie Bindel entsetzt über die Kapitulation vieler Feministinnen vor dem Frauenbild des Islams. In der FAZ sagt Gilles Kepel, was er von Olivier Roy denkt. Und in Atlantic ist Ta-Nehisi Coates ziemlich sauer über Bernie Sanders, der die Forderung nach Reparationen für die Folgen der Sklaverei in den USA ablehnt.

Sie weint

19.01.2016. In Cicero hofft Chantal Louis auf eine Reform des Sexualstrafrechts. Auf Zeit online sekundiert Strafverteidigerin Christina Clemm: Das Umzingeln und Begrapschen von Frauen ist derzeit nicht strafbar. Die Berliner Zeitung weiß nicht mehr, wann die Herkunft von Tätern wichtig ist und wann nicht. Die Welt weiß nicht mehr, wann sie gegen das Urheberrecht verstößt. Die positive Nachricht: Es wächst eine Zinnie im All.

Eine Krise europäischer Männlichkeit

18.01.2016. Mehr Erklärungen für die Kölner Übergriffe: Im Spiegel macht Slavoj Zizek Aggression und Neid dafür verantwortlich. Täter waren vor allem heterosexuelle Männer, gibt die taz zu bedenken. In der FAZ nimmt die Ethnologieprofessorin Susanne Schröter die patriarchalen Strukturen bei vielen Flüchtlingen aufs Korn. Die Berliner Zeitung erkundet die neue Kulturhauptstadt Breslau. Politico zeigt mit Donald Trump die Unterschiede zwischen Britannien und den USA auf. In der SZ beschimpft Evgeny Morozov Silicon Valley als technikaffine Version der Tea Party.

Das bessere Feuilleton

16.01.2016. Die Debatte über Köln flaut nicht ab: Die Welt bringt ein ganzes Dossier zum Thema. Im Deutschlandfunk ruft Necla Kelek zur Reform des Islam auf. Die taz plädiert eher für eine Reform der Sexualerziehung, die religiös eingebunden sein müsse. In der Literarischen Welt gibt die Bestatterin Caitlin Doughty einige Lektionen aus dem Krematorium. Die Universität von Oxford steht zu ihrer Geschichte, auch wenn Kolonialisten dabei mitmischten, lernt die FAZ. Im Tagesspiegel möchte Klaus Dieter Lehmann das Humboldt-Forum gern mit Ideen versorgen. Die Basler Zeitung fragt: Quo vadis, FAZ?

Es geht sozusagen um einen Kant'schen Integrativ

15.01.2016. In der FAZ fragt Monika Maron, wie man eigentlich in Deutschland zwischen Links- und Rechtspopulisten noch agieren kann. Außerdem stellt die FAZ das neue Buch von Gilles Kepel zur Genese des französischen Dschihadismus vor. Ulrike Draesner beobachtet in Freitext die gelungene Integration ihrer Tochter in einer britischen Schule. Die NZZ plädiert für eine verantwortungsvolle Bereitstellung der Tagebücher Anne Franks. Slate.fr und die FR beugen sich über die neueste Karikatur von Charlie Hebdo. Die taz ist enttäuscht von den Ergebnissen der Gurlitt-Taskforce.

Habt euch nicht so, Opfer

14.01.2016. Die Debatte über die Kölner Übergriffe geht weiter: In der Zeit fürchtet Malin Schulz, den Rechten in die Hände zu spielen. Außerdem gibt es größere Katastrophen, meint Richard David Precht in der FR. Der Freitag freut sich: Endlich wird erkannt, dass Race, Class und Gender zusammengedacht werden müssen. Im Perlentaucher meint dagegen Thierry Chervel: Der "#ausnahmslos-Aufruf" distanziert sich von den spezifischen Opfern in Köln. Außerdem: Manfred Rettig, Bauherr des Humboldt-Forums, wirft das Handtuch, meldet der Tagesspiegel.

Analysen zu algorithmischer Öffentlichkeit

13.01.2016. In der NZZ erklärt Stefan Chwin, wie die neue Regierung Polen in ein allkatholisches Einparteienregime verwandelt. Mit EU-Sanktionen muss Polen auf jeden Fall nicht rechnen, meint politico.eu. Die FAZ kritisiert den #ausnahmslos-Aufruf, der in Sekundenschnelle vom Konkreten ins Allgemeine ausweiche. Der Blogger Christoph Kappes erklärt, was er sich von Stefan Niggemeiers Übermedien-Blog erwartet. Netzpolitik verlinkt eine Hommage Chelsea Mannings auf Aaron Swartz.

Als gelte es, einen Cordon sanitaire zu errichten

12.01.2016. Die Debatte über Köln geht weiter, und die Positionen sind unversöhnlich. Der Aufruf "#ausnahmslos" versucht festzulegen, welche Differenzen man benennen darf, und welche nicht. Samuel Schirmbeck sieht das mit den Differenzen in der FAZ etwas schlichter. Caroline Fetscher wendet sich im Tagesspiegel gegen paternalistische Stimmen, die andern Kulturen Zeit lassen wollen. Außerdem: In der Berliner Zeitung ist Götz Aly nicht zufrieden mit der akademischen Erbsenzählerei in der kritischen Hitler-Ausgabe. Und der New Yorker mokiert sich über den Journalisten Sean Penn.

Ein Produkt, auf das wir stolz sind

11.01.2016. Im Tagesspiegel empfiehlt Caroline Fetscher mit Blick auf Köln die Lektüre der Feministin Mona Eltahawy. Trotz der Furcht vor Rassismus bestehen FAZ und SZ darauf, dass über die Ereignisse von Köln geredet werden müsse und dass Straftäter ausgewiesen werden. Angriffe auf Frauen wie in Köln sind immer auch Angriffe auf Öffentlichkeit, schreibt Isolde Charim in der Wiener Zeitung. Die amerikanische Medien diskutieren über Sean Penns Interview mit dem Drogenboss Joaquin Guzman, das der Rolling Stone von Guzman autorisieren ließ. Und in Edge und der SZ besteht Steven Pinker darauf, dass es Fortschritt gibt.

Die tägliche Dosis Hitlertainment

09.01.2016. Die Vorfälle von Köln schlagen weiter hohe Wellen. Anstatt über sexuelle Gewalt gegen Frauen reden wir über muslimische Männer, ärgert sich die taz. Der Guardian sucht nach Parallelen zwischen Köln und Rotherham. Der Tagesspiegel verabschiedet sich vom barrierefreien Europa. Philipp Ther denkt in der FR über mögliche Reaktionen der EU auf den polnischen Rechtsruck nach. Und alle begrüßen die editorische Großtat des IfZ, das den Originaltext von "Mein Kampf" mit 3500 Fußnoten entmystifiziert und eingehegt hat.

Seriös und detailliert

08.01.2016. Die Frage der Herkunft schmerzt in der Debatte um Köln weiter. Es waren offenbar nicht oder nicht nur Nordafrikaner, sondern wohl auch Flüchtlinge aus Syrien und Irak. Wurde die Herkunft der Täter bewusst nicht benannt?, fragen die Zeitungen. Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski hält den Rassismus-Vorwurf mit Blick auf die Reaktionen aufrecht. Die Medien sind von zwei Seiten unter Beschuss, erklärt die Welt - ihnen wird gleichzeitig vorgeworfen zu beschönigen und zu diskriminieren. Sie sollten differenzieren, meint die NZZ, aber nicht relativieren. Wie Rassismus funktioniert erklärt Kenan Malik, der zeigt, wie religionskritische Muslime von der westlichen Linken im Stich gelassen werden.

Sagenhaftes Glück

07.01.2016. Die taz bringt ein großes Special zum Jahrestag des Charlie-Hebdo-Massakers. Ralf König gesteht seine Bewunderung für Zeichner wie Kurt Westergaard, die unverdrossen weiter zeichnen - auch an Mohammed. Meedia kritisiert das langsame Reagieren großer Medien auf die Kölner Ereignisse - so ließ man den Populisten die Vorfahrt. Die Zeit übt heftige Kritik an der absehbaren bürokratischen Verkarstung des Humboldt-Forums. Politico.eu fürchtet das kommende Ringen zwischen EU und Google.

Seltsame Kapriole der Geschichte

06.01.2016. Nein, die Männer vom Kölner Bahnhofsplatz waren keine Flüchtlinge, sondern das Produkt einer misslungenen Integration, meint Alice Schwarzer in emma.de. Wir verlinken auf viele Debattenbeiträge zum Thema. Auf politico.eu attackiert Caroline Fourest englische und amerikanische Medien, die Charlie Hebdo in den Rücken gefallen seien. Thomas Schmid beschreibt in seinem Blog, wie Jaroslaw Kaczynski in Polen den Einparteienstaat schafft, den er angeblich bekämpft. Golem.de fürchtet, dass die EU ein europäisches Leistungsschutzrecht einführt, während deutsche Verleger nun gegen Google in der gleichen Sache klagen.

Einfach nur aufschreiben

05.01.2016. Die New York Times kritisiert den Ausnahmezustand in Frankreich. In der SZ beschwert sich Martin Mosebach über Deutschland, das Leuten wie ihm nur Verdruss bereitet. Digidays zeigt, dass Facebook immer weniger Klicks zu Medien schickt. Politico.eu schildert, wie das normale Leben in kurdischen Regionen der Türkei geschleift wird. Richard Herzinger fordert in der Welt ein Ende des "Tatorts".

Wie Kätzchen im Bunker

04.01.2016. Charlie Hebdo stellt das Cover zum Jahrestag der Pariser Massaker vor: "Der Mörder ist immer noch auf der Flucht." Im Guardian beschreibt Robert McLiam Wilson die Arbeitssituation der Charlie-Redaktion in den neuen Redaktionsräumen. In der FAZ kritisiert der ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm das Demokratieverständnis der neuen EU-Länder. Die SZ schildert den Widerstand malischer Musiker gegen religiösen Terror. Auf critic.de verzweifelt der Filmemacher Robert Brankamp an der deutschen Fernseh- und Förderlandschaft.

Der Ausschlag der Urteile

02.01.2016. Heute ist Tag der Gemeinfreiheit. Wir feiern ihn mit Anton Weberns Variationen opus 27, gespielt von Glenn Gould. Und sonst geht's weiter in den großen Debatten: In der Welt sieht Ian Kershaw Europa vor den größten Herausforderungen seit 1945. In der Wiener Zeitung begüßt uns Isolde Charim im Post-Post. In der FAZ schreibt Hans Christoph Buch über die trübe Lage im neuerdings "islamischen" Staat Gambia. Trübe geht's laut SZ auch auf dem Berliner Zeitungsmarkt zu. Und das Internet lacht über ein Silvesterfoto aus Manchester.