9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2015

Cocktails anstatt Molotowcocktails

30.04.2015. Die Charlie Hebdo-Debatte spitzt sich weiter zu. Über 30 Schriftsteller schließen sich dem Protest der Gala-Boykotteure gegen eine Auszeichnung der Zeitung durch das amerikanische PEN-Zentrum an, darunter sind Joyce Carol Oates, Eliot Weinberger und Charles Simic. Wir verlinken auf ihren Brief. Auch der Präsident des deutschen PEN Zentrums, Josef Haslinger, wendet sich laut Tagesspiegel gegen eine Ehrung für die Zeitung. Außerdem: In der NZZ schreibt der Autor Boubacar Boris Diop über Ausländerfeindlichkeit in Südafrika. Politco.eu und Netzpolitik werfen kritische Blicke auf Googles Freundschaftsgeschenke an Zeitungen.

Wem das alles hilft

29.04.2015. Der Streit um die Ehrung von Charlie Hebdo durch den amerikanischen PEN Club geht weiter. Salman Rushdie zieht den Begriff "Pussies" zurück. Francine Prose begündet ihren Gala-Boykott im Guardian. Der Student und Blogger Karthick Ram Manoharan wendet sich in der Huffpo gegen die angelsächsische Political correctness. Hand in Hand marschieren Google, FAZ und Zeit laut taz einer leuchtenden Zukunft entgegen, jetzt, da Google 150 Millionen Euro regnen lässt. Die SZ hüpft hinterher. Alle anderen Zeitungen wollen sechs Prozent von Googles Umsatz.

Jupiterhistorie

28.04.2015. Scharfe Kontroverse in den USA über die Frage, ob der PEN Club Charlie Hebdo ehren soll. Sechs Autoren haben bekanntgegeben, dass sie die Gala boykottieren. Die FAZ freut sich. Salman Rushdie nennt sie Pussies. Glenn Greenwald vermisst die Verteidigung antisemitischer Witze. Das andere große Thema: Kurz vor den EU-Prozessen zu Googles Marktmacht schließt der Konzern einen Pakt mit acht europäischen Zeitungen, darunter die FAZ und die Zeit, und lässt 150 Millionen Euro für einen "Innovationsfonds" regnen.

Fata Morgana der Normalität

27.04.2015. Mehrere Autoren, darunter Michael Ondaatje, Teju Cole und Taiye Selasi, wollen der jährlichen Gala des amerikanischen PEN-Clubs fernbleiben, weil dort Charlie Hebdo geehrt wird, meldet AP. In der Berliner Zeitung graut es Ian Kershaw vor dem deutschen Durchhalten vor der Niederlage 1945. In der Welt geißelt Henryk Broder Frank-Walter Steinmeiers Schweigen zum Völkermord an den Armeniern. Die FAZ macht sich Sorgen um Deutsch in Frankreich. In der NZZ wirft Mark Lilla den französischen Schulen vor, den kulturellen Faktoren nicht zu beachten.

Ich bin so gespannt, was nach mir kommt!

25.04.2015. Im Merkur-Blog taumelt Robin Detje im Glücksrausch durch eine Stadt voller Jugend und Lust auf Veränderung. Kann es Berlin sein? In der Welt beschreibt der Schriftsteller Kamel Daoud, auf welch verlorenem Posten die Kultur in Algerien steht. In der taz ruft der Künstler Artjom Loskutow: Ihr gefallt uns nicht! Die NZZ beobachtet nach der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer das rhetorische Händeringen in Italien. Und das NYRB-Blog reist mit Franz Werfel nach Musa Dagh.

Grundlegende Abwehrhaltung

24.04.2015. Die EU reagiert auf die Flüchtlingskatastrophe mit einer Verdreifachung der Mittel für die Grenzkontrollen - mehr Flüchtlinge will man auf keinen Fall aufnehmen, resümiert Politico.eu den gestrigen Sondergipfel in Brüssel. Bundespräsident Gauck sprach gestern Abend den Satz mit "Völkermord" aus, der heute auch im Bundestag gesagt werden wird. Die türkische Gesellschaft ist in der Auseinandersetzung mit dem Thema wesentlich weiter als die türkische Politik, konstatiert die FAZ. Und der BND scheint in Wirklichkeit für die NSA zu arbeiten, hat Spiegel Online herausgefunden.

Der bleibende Naturgrund

23.04.2015. Die Flüchtlingskatastrophe treibt die Medien weiter um. Der Zeit ist sie - wie es für dieses Institut nun mal typisch ist - ein Pro und Kontra wert. Slate.fr erinnert an die Boat People, die es vor 35 Jahren noch schafften, die Intellektuellen und die Weltöffentlichkeit zu mobilisieren. In einer Grundsatzrede zur Digitalisierung verschluckt sich Monika Grütters am Internet - bei ihr kommt nur noch Aber Aber Aber raus. In Kanada gibt es noch Widerstand gegen die Verlängerung von Copyright-Schutzfristen. Und die wirklichen Debatten finden sowieso auf Facebook statt, behauptet die Zeit.

Und sich dann flach machen wie im Rugby

22.04.2015. Ganz Italien verlangt eine europäische Intervention in der Flüchtlingsfrage, schreibt Libération. Politico.eu analysiert die europäischen Divergenzen in der Frage: Britannien hat nur 200 syrische Flüchtlinge aufgenommen, Deutschland und Schweden Tausende, Ungarn schließt die Grenzen ganz. In der FAZ prangert Navid Kermani die westliche Mitschuld an. In The Walrus erklärt Atom Egoyan, warum die Traumatisierung durch den Völkermord an den Armeniern bis heute nicht überwunden ist.

In Blau-Weiß-Rot gemalt

21.04.2015. Der Bundestag wird den Völkermord an den Armeniern beim Namen nennen, wenn auch mit einem Satz, den Spiegel online spitzfindig findet. Der New Yorker erkennt Fortschritte in der Türkei bei diesem Thema. Großen Ärger hat François Hollande mit dem Satz ausgelöst, Marine Le Pen klinge wie ein kommunistisches Flugblatt von 1970. Libération gibt ihm recht. Heute startet politico.eu mit Artikeln gegen Austerität und pro Google. Die taz fordert eine Evakuierung der libyschen Flüchtlingslager.

Nur ein einziger Imperativ

20.04.2015. Der Schock über die neue Flüchtlingskatastrophe ist groß. Alle fragen, wie die europäische Politik reagieren soll. Bernard-Henri Lévy will den Front national nicht "entdiabolisieren". "Ein Völkermord ist ein Völkermord", konstatiert die FAZ mit Blick auf die Ereignisse in der Türkei vor hundert Jahren. Aber wird der Bundestag dieses Wort aussprechen? Die NZZ besucht Kuba, bevor die Amerikaner kommen.

Druck aufbauen

18.04.2015. Wenn die deutsche Regierung den Völkermord an den Armeniern nicht benennt, dann sollten die Vertreter ihres Souveräns es tun, meint der Tagesspiegel. Der Guardian staunt über die Gobbels-Erben, die Geld für Zitate sehen wollen. Die NZZ spürt den Ursprüngen des Schweizer Populismus nach. The Daily Beast liest Charbs Büchlein zum Begriff "Islamophobie" und den Strategien seiner Verfechter. Die FAZ erklärt, warum der Name des Kopiloten Andreas Lubitz genannt werden sollte. In der NZZ erzählt Peter Trawny, wie schwer es ein Heidegger-Herausgeber mit Heidegger-Adepten haben kann.

Von Chuzpe und von Frivolität

17.04.2015. Respekt! Der Rapper Booba erklärt auf seiner Instagram-Seite, worin er und der Papst d'accord gehen. Die SZ lässt sich von Herfried Münkler über überraschende Vorzüge der deutschen Geschichte aufklären. Die NZZ begibt sich auf die Suche nach der äußersten Grenze des Wissens. Die Welt verteidigt das Rostocker Theater gegen Rostock.

Dann baut halt jeder eine Atombombe

16.04.2015. Wie lange soll das Flüchtlingssterben im Mittelmeer noch weitergehen, fragen einige Politikerinnen in der Huffpo.fr und der Soziologe Ludger Pries in der FAZ. Spiegel Online fürchtet, dass die deutsche Regierung vor Tayyip Erdogan kuscht und den Völkermord an den Armeniern nicht beim Namen nennt. In der taz fordert die Techniksoziologin Zeynep Tufekci mehr Kontrolle über die Algorithmen. In der Zeit wehrt sich Tim Renner mit Popkultur gegen Claus Peymann.

Uns zuzuzuckern

15.04.2015. Scharf attackiert Kenan Malik in seinem Blog den New York Times-Zeichner Garry Trudeau, der Charlie Hebdo "Hate Speech" vorwarf. Im SZ-Interview erklärt Adam Szymczyk, Chef der Documenta 2017, warum er gern die Gurlitt-Sammlung zeigen würde. In der NZZ lobt der Theologe Jan Heiner Tück die Papst-Äußerungen zum Völkermord an den Armeniern. Ähnliche Offenheit wünschte ich die FR in Bezug auf die Rolle der Katholischen Kirche im Holocaust. Die Huffpo.fr sucht nach Repräsentanten nicht gläubiger Muslime. Und laut Horizont wollen drei der vier Spiegel-Erben ihre Anteile verkaufen.

Eine gewisse biografische Logik

14.04.2015. In The Daily Beast analysiert der Geheimdienstspezialist Andrei Soldatov Edward Snowdens Verhalten in Russland. Micha Brumlik fragt in der taz, ob der Pariser Mai 1968 jüdisch war. Gegen den Streit bei den Le Pens wirken die "Atriden" wie die "Sesamstraße", meint die Welt. Und der Pariser Rapper Booba fragt laut Huffpo.fr: Habe ich eine Fresse wie Charlie? Wenn du die Religion nicht repektierst, gibt's was auf die Nase. Das ist die Straße, Mann.

Stets als Solitäre dargestellt

13.04.2015. Hillary Clinton will US-Präsidentin werden. Wir bringen eine Menge Links zu Lesestoff über sie.  Die NZZ erklärt, warum Sex unter Mao nicht angesagt war. Andreas Lubitz ist für seine Tat verantwortlich, schreibt der Psychologe Rainer M. Holm-Hadulla in der FAZ, und er handelte wohl nicht aus Depression. Im Tagesspiegel erklärt die Soziologin Alice Goffman, wie der Rassismus der amerikanischen Polizei funktioniert. Netzpolitik ist sauer über die nachträgliche Legalisierung illegaler Abhörpraktiken beim BND.

Darum brechen die Marinisten mit Le Pen

11.04.2015. Das King-Lear-Drama um Jean-Marie Le Pen bedeutet keinen politischen Wandel seiner Partei meint huffpo.fr. In der Welt spricht Ralf Bönt über Vaterschaft als blinden Fleck. New York Times und Washington Post diskutieren über die Zukunft von Print. Und hoffen wir mit der taz, dass der Sommer nicht wird wie der nach dem Vulkanausbruch des Tambora in Indonesien vor 200 Jahren.

Der Bauch der Leihmutter

10.04.2015. Das Kopftuch einer Lehrerin ist sehr wohl ein Problem, meint Seyran Ates in der WeltQuartz.com verteidigt die nützlichen Wörter des indischen Englisch. Kamel Daoud singt im Quotidien d'Oran ein Loblied auf Tunesien. Die FAZ schildert die Kehrseiten eines neuen Kinderbooms. Und Libération wundert sich über den Vatikan, der den neuen französischen Botschafter offenbar nicht akkreditieren will.

Nietzsche ist abwesend

09.04.2015. Alle Zeitungen sind happy: Neil MacGregor wird Gründungsintendant des Humboldt-Forums und muss sich jetzt nur noch ein bisschen gegen die Berliner wehren. Alain Jakubowicz prangert in der Huffpo.fr die Feigheit und Passivität der internationalen Gemeinschaft angesichts der Genozide an Christen und anderen nicht-muslimischen Bevölkerungsgruppen durch Islamisten an. Journalisten in der Türkei werden immer mehr drangsaliert, so AFP und FAZ. Für die Zeit liest Jürgen Habermas den Briefwechsel zwischen Theodor W. Adorno und Gershom Scholem.

Links sein und dennoch denken

08.04.2015. Libération kann sich den griechischen Reparationsforderungen an Deutschland ganz und gar nicht anschließen. Die taz warnt unterdessen vor russischen Kreditbedingungen. Während alle anderen Regionen nach Fortschritt suchen, fragen sich die Araber, wer das höhere Recht hat zu hassen oder zu morden - Schiiten oder Sunniten? -, ächzt Najem Wali in der SZ. Die FAZ feiert Ayaan Hirsi Ali. In Amerika wird weiter über den GAU beim Rolling Stone diskutiert.

Die Zwänge der karrieristischen Vernunft

07.04.2015. Diejenigen, die Angela Merkel mit Hitler-Bärtchen zeichnen, tragen heimlich selber eins, meint Bernard-Henri Lévy in der Welt. In der SZ hat ein Seelsorger die Erklärung für Andreas Lubitz' Tat gefunden: Zu viele Krimis. Die NZZ rauft sich die Haare über die deutsche Reparationen-Frage. In den USA sorgt ein Skandal um eine erlogene "Gang Rape"-Geschichte im Rolling Stone für Riesendebatten. In The Daily Beast erklärt Ayaan Hirsi Ali, warum sie den Islam für reformfähig hält.

Eine Menge Leute, die überhaupt nicht gerne lügen

04.04.2015. Die NZZ fragt, ob nach Abschluss der hundertbändigen Heidegger-Ausgabe nicht dringend eine neue fällig wäre, die philologisch-kritischen Ansprüchen gerecht würde. Laut artechock wollen die Studenten der Berliner Filmhochschule dffb bei der Besetzung der Leitungsposition durchaus nicht einfach ihren Willen durchsetzen. Die FAZ liest die Blogbeiträge Raif Badawis, die nun auf deutsch erschienen sind, und findet einen klugen Säkularisten. Und wie funktioniert mediale Wahnehmung an Karfreitag?

Eine Halsmuskulatur wie Thor

02.04.2015. Die NZZ fürchtet, dass die Russen sich für heilsgeschichtlich auserwählt halten könnten. Der russische Künstler Dmitri Vrubel erklärt im Freitag, warum er nach Berlin emigriert ist. Die SZ schildert die Torturen des Schönheitszwangs in Hollywood. Die Equipe von Charlie Hebdo erklärt in Le Monde, wie sie sich vor dem "Gift der Millionen" schützen will. Auf der Krim hat das letzte nicht putinistische Medium zugemacht, berichtet die taz.

Unzählige Mensuren

01.04.2015. Schon weil er die Annexion Elsass-Lothringens betrieb, war Bismarck nicht der kluge Politiker, als den ihn manche bis heute feiern, meint der Historiker Christoph Nonn in der Zeit. In Amerika und Britannien fragen linke Feministinnen: Schadet der Säkularismus den Frauen und ihrem Recht aufs Kopftuch? Bei Spiegel Online übt Bertelsmann-Chef Thomas Rabe Kritik an seinen Vorgängern. Der Konflikt im Jemen ist nicht nur ein Stellvertreterkrieg, meint die taz.