9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Dezember 2021

Etwas ganz Essenzielles

31.12.2021. Claus Leggewie nimmt sich in der SZ eine Menge vor und verlangt ein Bündnis mit China und Bürgerräte, die gegen Rechtspopulismus kämpfen, was ohne öffentlich-rechtliche soziale Medien nicht funktionieren wird. In der taz erklärt die Kölner Museumsleiterin Nanette Snoep, warum die Kuratorin Peju Layiwola Benin-Bronzen ohne Museumshandschuhe anfassen durfte. In der FR weigert sich  Bruno Preisendörfer, den Eisernen Kanzler als Pionier der Sozialpolitik zu sehen. Und die FAZ macht Hoffnung. Bald ist Corona nur noch ein Schnupfen. Und wir wünschen unseren Lesern und Leserinnen, dass sie sich dann wieder umarmen können, ohne sich vor Aerosolen zu fürchten. Guten Rutsch dahin!

Auch der Waschzwang ist zwanghaft

30.12.2021. Islamismus ist in gewisser Hinsicht Kulturpolitik. Der malische Archäologe Oumar Yamadou Diallo erzählt in der SZ, wie Islamisten in seinem Land Bücher verbrennen, Schulen schließen und Lehrer bedrohen. AfD-Politiker verweigern die Impfung. Darum sind einige schon an Corona gestorben - und die Partei feiert sie als Freiheitshelden, beobachtet die taz. In der Welt erklärt der Architekt Matthias Sauerbruch, warum er mit der neuen Berliner Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt nichts anfangen kann. Die Empörung über die Auflösung von Memorial ist nach wie vor groß.

Die glitzernde Botschaft

29.12.2021. Man mag zwar geglaubt haben, dass das eine Selbstverständlichkeit war, über die nicht erst verhandelt werden muss: Aber das Bundesverfassungsgericht hat nun entschieden, dass Behinderte in Triage-Situationen nicht benachteiligt werden dürfen. Die meisten Kommentatoren freuen sich über das Urteil, nur Daniel Deckers von der FAZ ist irritiert. In der taz resümiert der belarusische Historiker Alexander Friedman das Jahr der Schrecken in Belarus - und warnt vor der Gefahr, die von Lukaschenko ausgeht. Das putinistische Urteil gegen Memorial sorgt für Empörung in den Medien.

Quasi eine Abofalle

28.12.2021. Religiöse Besinnlichkeit in vielen Medien. Die FAZ erzählt, dass sich die katholische Kirche in Frankreich nach den Berichten über Missbrauch in einer Identitätskrise befindet. In der NZZ fragt Rainer Hank: Erklärt sich der Antikapitalismus des Papstes aus seinem Monarchismus? In Berlin wird laut Welt über "konfrontative Religionsbekundungen" und die Frage, ob man sie untersuchen soll, gestritten. Vice.de erklärt, was ein Kirchenaustritt ist. Die FAZ staunt auch, wie die öffentlich-rechtlichen Medien ihre Staatsferne aufrechterhalten. Und die Übermedien über Coronazahlen, die überall brav rezitiert werden, obwohl alle wissen, dass sie falsch sind.

Toxische Partner

27.12.2021. Die NZZ erklärt, wie Russland versucht, die Ukraine als toxischen Partner für den Westen aussehen zu lassen. In der FAZ wirft der Kiewer Historiker Kyrylo Tkachenko Deutschland eine Mitschuld an der Kriegsgefahr in der Ukraine vor. Bei libmod.de untersucht der Historiker Martin Schulze Wessel Putins Idee von der überzeitlichen Identität eines Volks. In der taz versucht sich die Medienpsychologin Maren Urner, Impfgegner mit positivem Denken zu überzeugen. Die SZ warnt vor riechender KI. Die FR erinnert an Johannes Kepler, die FAZ trauert um Desmond Tutu.

Eher ein Symptom als eine Ursache

24.12.2021. Der Guardian erzählt, wie Nord Stream 2 den Westen lähmte. Alexei Nawalny spießt in einem Twitter-Thread unterdessen hübsche Volten aus Putins Umfeld auf. In der FR erinnert Arno Widmann daran, dass die Auflösung der Sowjetunion vor dreißig Jahren doch eher ein Segen war. In der taz erzählt Marion Ackermann von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, welche ihrer Werke sie online nicht zeigen will. In der Bundeskulturpolitik obsiegt die pro-BDS-Fraktion auf allen Posten, konstatieren die Ruhrbarone.

Noch zu definierender Spielraum

23.12.2021. Wenn die USA morgen verschwänden, würde Europa wie ein Kartenhaus zusammenfallen, sagt Pascal Bruckner in der NZZ. Aber sind die USA eigentlich noch da, fragt die FAZ. Die FAZ verabschiedet auch die französische Linke im kommenden Wahlkampf. Die Schweriner Volkszeitung hat ein Interview mit  der Linken-Politikerin Jacqueline Bernhardt geführt, immerhin Justizministerin in Mecklenburg-Vorpommern, die nichts Schlechtes über die DDR sagen will. Die Debatte um die arabische Redaktion der Deutschen Welle geht weiter.

Groß und höchstwahrscheinlich langanhaltend

22.12.2021. Vor dreißig Jahren kollabierte die Sowjetunion. Wladimir Putin betonte neulich, dass dies für ihn dem Zerfall des "Historischen Russland" gleichkommt, so Radio Free Europe. In der FAZ lässt Viktor Jerofejew die langen Jahre des Putinismus Revue passieren, die in die Unberechenbarkeit führten. Deutschland kommt in diesem Konflikt eine Schlüsselrolle zu, schreibt Constanze Stelzenmüller in der Financial Times. In der NZZ malt Nikolai Klimeniouk aus, wie ein Krieg nach einem Angriff auf die Ukraine aussehen könnte.

Warnsignal für ganz Europa

21.12.2021. "Alle bosnischen Traumata werden wieder zum Leben erweckt", sagt die Filmemacherin Jasmila Zbanic angesichts neuer serbischer Drohungen in der Welt. In der taz skizziert Kristina Lunz von der  Beratungsorganisation "Centre for Feminist Foreign Policy" eine feministische Außenpolitik. Bei heise.de erklärt Julia Reda, wie sie gegen Hassrede bei Telegram vorgehen würde.  Die FAZ beleuchtet die symbolische Rolle Armeniens in der französischen Politik.

Madaniya!

20.12.2021. In Afghanistan hat die Falle für Frauen längst wieder zugeschnappt, konstatiert Hasnain Kazim in Zeit online. In der FAZ erzählt der argentinische Autor Martín Kohan, wie sich Inflation anfühlt. Der laizistische Intellektuelle Laurent Bouvet ist gestorben - der Elysée-Palast bringt einen Nachruf. Nach der Wahl Friedrich Merz' zum CDU-Vorsitzenden fragt Gustav Seibt in der SZ, was heute Konservatismus ist und orientiert sich an der "Richtschnur der Subsidiarität". In der FR möchte Herfried Münkler Osteuropa einer russischen Einflusszone überlassen. 

Das rebellische Zwerchfell

18.12.2021. In der NZZ beschwört Alexander Kluge das Vertrauen auf Verstand und Gefühl. Querdenker sind weder rechts noch links, sondern nihilistisch, erkennt Claus Leggewie in der FAZ. Cancel Culture ist keine Erfindung der Rechten, ruft die Jungle World, und in Deutschland betreiben sie Akademikerinnen, die Kathleen Stock zur Unperson machen. Auf ZeitOnline blickt die syrische Journalistin Dima Al-Bitar Kalaji dem farblosen Gott der Autokraten ins Gesicht.

Wie weggeschmolzen

17.12.2021. Eine allgemeine Impfpflicht ist absolut mit der Verfassung vereinbar, schreibt der Rechtswissenschaftler Frank Mayer in der SZ.  In der FAZ erzählt der Schauspieler Christian Kahrmann, wie es sich anfühlt, wenn einem die Lunge ausgesaugt wurde. FAZ und Welt fragen, ob Verwaltungen grundsätzlich gendern sollten. Im Tagesspiegel fordert Christian Humborg von der Wikimedia Foundation eine Freigabe der Impfstoffpatente. Die Jüdische Allgemeine fragt, wie Claudia Roth zu Israel steht.

Das Risiko historischer Benennungen

16.12.2021. Wenn Julian Assange ausgeliefert wird, ohne dass die europäische Politik einschreitet, "disqualifiziert sie all ihre künftigen Warnungen im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit in anderen Ländern zu hohlem Gerede", schreibt Eugen Ruge in der Zeit. In der FAZ erklärt Andreas Kilb die Hohenzollern-Debatte für beendet: "Was es jetzt braucht, sind keine weiteren Meinungen mehr, sondern Entscheidungen." Im Pariser Institut du Monde arabe läuft eine Ausstellung über "Juden des Orients". Arabische Intellektuelle wie Elias Khoury laufen Sturm gegen die "Normalisierung" der Beziehungen zu Israel, die sich darin ausdrücke, berichtet die Welt.

Dieser Fortschrittsgeist

15.12.2021. Wir sollten den "Aufstand der Anstehenden" zur Kenntnis nehmen, mahnt die taz: Jeden Tag demonstrieren 900.000 Menschen für die Booster-Impfung. Bei den Riffreportern spricht Christian Drosten auch über die Öffentlichkeit, in der er sich äußert und bekennt seine Skepsis bei Interventionen von Geisteswissenschaftlern. Türkische Politik hatte immer ein taktisches Verhältnis zu Frauenrechten, erzählt die Historikerin Elife Biçer-Deveci bei geschichtedergegenwart.ch. In der NZZ fordert die Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin, dass bei der Triage auch Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Patienten eine Rolle spielen.

Kommunikationslüftchen statt Winde

14.12.2021. Der Krieg zwischen Russland und der Ukraine steht nicht kurz bevor, er dauert schon seit sieben Jahren, erinnert der im Donbass lebende Dichter und Musiker Serhij Zhadan in der NZZ. SZ und Monopol untersuchen den Effekt der "NFT" auf den Kunstmarkt. Bari Weiss und andere wollen eine Universität gegen "Cancel Culture" gründen. Das tun sie nur aus Geldgier, sagt der Professor Adrian Daub im Philomag. Ein Projekt in Berlin will, dass Straßen, die nach Antisemiten benannt sind, umbenannt werden. Aber warum nur der Richard-Wagner-Platz, und nicht die Karl-Marx-Allee, fragt die taz.

Besonders blau in der Gegenwart

13.12.2021. Corona bestimmt nach wie vor die Debatten. Die Welt plädiert gegen die Impfpflicht, die FAZ thematisiert die problematische Rolle der Springer-Medien in der Pandemie. Die taz fragt: Warum Sachsen? Warum gibt es dort eine Inzidenz zwischen 1.000 und 2.200? Außerdem: In der FAZ erklärt Falter-Herausgeber Armin Thurnher , wie in Österreich die Inseratenkorruption funktionierte und Sebastian Kurz dann doch stürzte. In der SZ protestiert Frederik Obermaier gegen den finsteren juristischen Umgang mit Julian Assange.

Von außen nicht zu sehen

11.12.2021. Bei hpd.de erzählen drei polnische Menschenrechtsaktivistinnen, wie die Katholische Kirche nach 1989 das polnische Abtreibungsrecht beharrlich schleifte und Politiker Frauenrechte als Preis betrachteten, den sie zu zahlen haben. Die taz erklärt, was "weiche Triage" ist. In der Berliner Zeitung kritisiert Iris Hefets von der "Jüdischen Stimme für gerechten Frieden im Nahen Osten" den "philosemitischen Imperativ" der Deutschen. In Spanien rufen der Erziehungsminister und die Gleichstellungsministerin laut Börsenblatt zu einem Spielzeugstreik auf.

Und du hast vier Tage Zeit, dir einen Anwalt zu besorgen

10.12.2021. Die Hohenzollern hören nicht auf: Immer noch behelligen sie Historiker mit Klagen. Stephan Malinowski schildert in der SZ den Effekt dieser juristischen Einschüchterung. Langsam, sehr langsam lösen sich auch einige der am stärksten mit der Sackler-Familie verbundenen Museen vom Namen der Familie, so jetzt etwa das Metropolitan Museum, berichtet die New York Times. Italien war immer schon ein politischer Trendsetter, nun also der "Technopopulismus", beobachtet politico.eu. Selbst im Bundestag gibt es jetzt vereinzelte Konfessionslose, notiert hpd.de, und in der Regierung natürlich den Kanzler.

Ein paar Globuli fürs Baby

09.12.2021. Scholz ist es nun: Die Feuilletons begrüßen ihn mit Wohlwollen, wenn auch ein wenig ungläubig. Außer dem Tagesspiegel, der sich über Scholz' Konfessionslosigkeit Sorgen macht. Die neue Bundeskulturministerin Claudia Roth verspricht in der Zeit, sich für mehr "Diversity" einzusetzen. In der FAZ würdigt der Dokumentarfilmer Marc Wiese die Journalistin Maria Ressa, die heute den Friedensnobelpreis erhält. Der Westen ist schuld an den Taliban, mit einem ordentlichen Kalifat wäre das nicht passiert, meint der Politikwissenschaftler Jonathan Laurence im Tagesspiegel.

Zunehmend surreale Züge

08.12.2021. In der NZZ freut sich Bénédicte Savoy über die Rückgabe zahlreicher Kunstwerke an afrikanische Länder und ist froher Dinge, dass nun dort eine eigene Vergangenheitsbewältigung beginnt. Die FAZ würdigt die Ausstellung über die Stadt Frankfurt im Nationalsozialismus im Historischen Museum der Stadt als beispielhaft. Guardian und taz fragen: Warum schafft Polen ein Zentralregister für Schwangerschaften? Vice deckt weitere Kooperationen der Deutschen Welle mit Hisbollah-nahen Sendern auf.

Rapider Wertverfall der Weltmacht

07.12.2021. In der Coronakrise hat sich eine Führungsschwäche der politischen Elite gezeigt, konstatiert die Politologin Christine Landfried in der FAZ : Man handelt lieber nicht und wartet aufs Gericht. Im Standard sehnt sich Kulturkritiker Hartmut Rosa in den Plattenladen zurück. Bei emma.de gibt Alice Schwarzer der frisch gebackenen Ministerin Annalena Baebock Empfehlungen für eine feministische Außenpolitik. Eine Demokratie, die funktioniert, gibt es doch: China, findet China laut Zeit online.

Wie eine Schulklasse

06.12.2021. Die Merkel-Bilanzen fallen unterschiedlich aus: Sie  den Osten "gesamtdeutsch emanzipiert", meint Cerstin Gammelin in der SZ, sie hat die Deutschen unterfordert, fürchtet Thomas Schmid in der Welt. Richard Herzinger und die FAZ fragen sich, was Putin mit seinem massiven Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine bezweckt. Die Zeit feiert die italienische Renaissance 2.0. Und hpd.de sorgt sich um männliche Junggorillas.

Der Richter half auf seine Weise

04.12.2021. In der taz beklagt der Historiker Andreas Rödder die intellektuelle Orientierungslosigkeit der CDU. Die FAZ stellt klar: Gesellschaftlicher Zusammenhalt lässt sich nicht dekretieren, Gemeinsinn erweist sich im Handeln. Die SZ fragt sich im bitteren Fall der Alice Sebold, wie reflektiert ein Rassismus sein muss, um als okay durchzugehen. Der Economist opponiert gegen die britischen Pläne, therapeutische Gespräche vor einer Geschlechtsumwandlung verbieten zu lassen.

Um dramatischer Effekte willen

03.12.2021. In der SZ warnt der Nürnberger Arzt Matthias Baumgärtel die Ungeimpften: Die Nebenwirkungen der Medikation sind fataler als die der Impfung. In der NZZ macht Matheus Hagedorny auf interessante Widersprüche in der rechtspopulistischen bis -extremen Szene im Verhältnis zum Islam aufmerksam. Die Diagnose "Die Mittelschicht schrumpft", schrumpft bei näherer Betrachtung, fürchtet Jürgen Kaube in der FAZ.

Ein Quäntchen zu viel Selbstermunterung

02.12.2021. Abtreibung ist weltweit ein Streitthema. SZ, taz und Zeit online zeigen, wie das Thema populistisch manipuliert wird. Der Bundestag wird möglicherweise eine Impfpflicht beschließen, die SZ zeigt, wie sie aussehen kann. In der Welt protestiert Otto Schily gegen eine Impfpflicht. In der taz erklärt Annalena Baerbock ihre künftige China-Politik. heise.de berichtet über heftige Kritik des Bundesrechnungshofs am "De-Mail"-Projekt der Bundesregierung.

Trotz guter Hygienekonzepte

01.12.2021. Nicht nur rechte Unternehmerclubs, sondern auch renommierte Medien und Verlage haben Eric Zemmour bei seinem Aufstieg geholfen, konstatiert Le Monde. Can Dündar erzählt in Zeit online, wie Tayyip Erdogan Interpol bemüht, um missliebige Personen im Ausland zu verfolgen. Arabische Journalisten der Deutschen Welle fielen durch krass antisemitische Tweets auf, recherchiert die SZ. Kein Drogenkonsum, wachsames Verhalten im Straßenverkehr: Berliner Chefärzte mahnen laut Tagesspiegel die Bevölkerung, keine Risiken einzugehen - zu voll sind die Intensivstationen.