9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2017

Ähnliche Aufmärsche

31.05.2017. In der NZZ erweist Hans Ulrich Gumbrecht den Techno-Genies in seinen geisteswissenschaftlichen Stanford-Seminaren Reverenz. Ebenfalls in der NZZ fragt Slavoj Zizek, wie bunt die bunte Linke tatsächlich ist. In der SZ erinnert Gustav Seibt daran, dass der "Abfall vom normativen Projekt des Westens," bielang eher eine europäische Spezialität war.

Was geschah zur Tatzeit?

30.05.2017. Die Welt wird immer besser! In der NZZ empfiehlt der Neurowissenschaftler Steven R. Quartz mehr Optimismus. Pessimismus macht glücklich und frei, ruft dagegen Tim Parks in der New York Review of Books. Wohin die SZ tendiert, ist klar: Sie fühlt sich mit Amazons Echo zu Hause schon wie im Gefängnis. Außerdem befürchtet sie mit dem bedingungslosen Grundeinkommen neue Ungerechtigkeiten. In der taz dagegen hat der Historiker Moshe Zimmermann immer noch Hoffnung und denkt über eine Zweistaatenlösung im Nahostkonflikt nach. Und der Guardian feiert Donald Trump als großen Einiger Europas.

Der Neffe in der Bank

29.05.2017. Der Economist stößt auf die Grenzen von Angela Merkels Unauffälligkeit. Politico sieht an die Stelle des alten Klassenkampf einen Antagonismus linker und rechter Nationalismen treten. Die NZZ macht für den Aufstieg des Autoritarismus in Osteuropa auch den Raubtierkapitalismus der Transformation verantwortlich. Slate.fr diagnostiziert bei den Europäern einen Überlegenheitskomplex. Nichts gegen die öffentliche Stadt, meint die taz, aber die Smart City hat damit nichts zu tun. Und Spiegel Online fürchtet, dass Desinformation einfach immer funktioniert.

Wie gefährlich wir sind

27.05.2017. Nach Trumps jüngster Parade von Fauxpas und Brüskierungen bringt die Washington Post die Meldung: Die Trump-Truppe wollte mit den Gerätschaften der russischen Botschaft einen abhörsicheren Kommunikationskanal mit Moskau aufbauen. Die SPD möchte demnächst Google zwingen, approbierte Medien in den Suchen zu privilegieren, berichtet golem.de. Die FAZ ist sehr sehr traurig: Falls Heiko Maas mit dem Wissenschaftsurheberrecht durchkommt, darf die Nationalbibliothek mit dem Eigentum der Zeitungen um sich werfen. Das wäre sebstverständlich das Ende der freien Presse.

Unter Ausschluss der Welt

26.05.2017. "Ich bin nicht pessimistisch", sagt Orhan Pamuk in der SZ über die Lage in der Türkei und beschreibt, wie er selbst die Zensur als motivierende Widrigkeit wahrnimmt. Museen sollten ihre Bilddateien möglichst gemeinfrei ins Internet stellen, meint Kathrin Passig bei irights.info. In der FAZ schlägt der Historiker Caspar Hirschi die Warnungen vor Automatisierung in den Wind. Und in der FR kritisiert Thea Dorn pünktlich zum Kirchentag Martin Luthers unfrohe Botschaft.

Einfach immer Nein

24.05.2017.  Großes Aufsehen erregt ein Facebook-Post des Smiths-Sängers Morrissey, der die britischen Politiker beschuldigt, den islamistischen Hintergrund von Attentaten wie in Manchester nicht zu benennen. Der Guardian widerspricht. Die taz bringt zum fünfzigsten Todestag von Benno Ohnesorg ein Riesendossier über den Begriff der "Gegenöffentlichkeit". Und taz-Autorin Doris Akrap macht in einem Offenen Brief an die Kanzlerin Druck in der Sache Deniz Yücel.

Enge Verbindung von Kanzel und Bajonett

23.05.2017. Die Debatte um das Kreuz auf der Kuppel des Berliner Humboldt-Forums nimmt Fahrt auf. Gegen die religiös-kulturalistischen Argumente Monika Grütters' für das Kreuz bringt die FAZ historische in Anschlag: Das ursprünglich im 19. Jahrhundert angebrachte Kreuz steht unter anderem für den Triumph über die "in Blut erstickte bürgerliche Revolution von 1848". Was würden die Humboldts denken, wenn das nach ihnen benannte Forum unterm Kreuz agieren müsste, fragt der Tagesspiegel. Und in der Berliner Zeitung sprechen sich die Gründungsdirektoren des Forums für das Kreuz aus.

Diskussion sensibler Themen

22.05.2017. Die VG Wort hat getagt, und nun freuen sich auch die Gegner Martin Vogels über das, was er für sie erstritt. Die New York Times kritisiert Donald Trumps Rede in Saudi Arabien als kompletten Verzicht auf einen Menschenrechtsdiskurs, und sei es in Form von Lippenbekenntnissen. In der FR schätzt der Priester Krzysztof Charamsa, dass fünfzig Prozent seiner Kollegen schwul sind.

Absolute Schlankheit

20.05.2017. Einige Artikel geben heute Aufschluss über Stand und Klima der intellektuellen Debatte in Deutschland: Alice Schwarzer erzählt in ihrem Blog, wie sie von Studentinnen als Rassistin behandelt wurde.  Thomas Schmid denkt in der taz über ein Buch von Ralf Fücks und den Bedeutungsverlust der Grünen nach. Jörg Baberowski beklagt in der NZZ eine "kulturelle Hegemonie" der Linken. Dem Freitag graut's vor der Critical Whiteness. Und die Welt meint: Auf das nagelneue Stadtschloss gehört auch ein ordentliches Kreuz.

Algorithmen trimmen

19.05.2017. Wahlen im Iran: Bahman Nirumand graut's in der taz vor dem Kandidaten Ebrahim Raisi, der für Tausende von Hinrichtungen verantwortlich ist. Der Staat entdeckt das Internet: Was es hier noch alles zu regulieren gibt! Als erstes will die SPD jetzt Google zwingen, die öffentlich-rechtlichen Sender zu privilegieren, fürchtet die FAZ. Vor der neuen Mitgliederversammlung erzählt Wolfgang Michal in seinem Blog die interessante Vorgeschichte der VG Wort. Und die NZZ macht sich Sorgen um die Schweizer Verlage.

Das gute Miteinander

18.05.2017. Auch im Iran kann's noch schlimmer kommen als es schon ist, warnt die taz: Es muss nur der religiöse Scherge Ebrahim Raisi an die Macht kommen. In der FR erklärt Michael Wolffsohn, warum sich Deutsche und Israelis so schlecht verstehen: weil sie beide alles richtig machen. Libération findet die Ursachen für die erstaunliche Blüte der Internetmedien in Frankreich. In Zeit Wissen balanciert ein hoch alarmierter Harald Welzer auf "Shifting Baselines".

Und ob die Erde hohl ist

17.05.2017. Schadet das Internet der Demokratie? Die FAZ fürchtet ja. Die NZZ möchte der "Liquid Democracy" noch eine Chance geben. Heute ist der Tag gegen Homophobie: Europa sollte gegen die Drangsalierung Schwuler in Tschetschenien protestieren, schreibt eine Autorenkollektiv in Libération. Nur weil bei mp3 die Patente abgelaufen sind, ist die Technologie noch nicht tot, meint Marcel Weiß im Neunetz.

Manche Mönche fahren teure Autos

16.05.2017. Le Monde sucht nach Spuren der Philosophie Paul Ricoeurs bei Emmanuel Macron. Das größte Problem mit Donald Trump ist nicht, dass er böse, sondern dass er ein Kind ist, meint die New York Times. In der SZ erzählt Yavuz Baydar, wie der Belge-Verlag seines Freunds  Ragip Zarakolu drangsaliert wird. Politico.eu erzählt, wie Russland mit Hilfe der orthodoxen Kirche und schwulenfeindlicher Schläger Einfluss auf Georgien nimmt.

Spätere Blamage

15.05.2017. WannaCry ist treffend benannt: In der SZ weist Evgeny Morozov darauf hin, dass die Erpressungssoftware, die viele Behörden lahmlegte, von einer demokratischen Regierung geschaffen wurde. Auch Edward Snowdon staunt auf Twitter darüber. Die taz beschreibt, wie Russland die Schwäche der EU im Westbalkan ausnutzt. Was für ein Flop das deutsche Leistungsschutzrecht ist, wird laut Netzpolitik immer noch klarer. Die taz setzt sich in Berlin für mehr Lehrerinnen mit Kopftuch ein.

Zeichen des Läppischen

13.05.2017. Zum Schutz der Meinungsfreiheit lässt die türkische Medienaufsicht drei kurdische Satellitensender abschalten, meldet die FAZ. Vom türkischen Wirtschaftsministerium lässt sich die FAZ außerdem zum Überbringer von Fake News machen. SZ und Berliner Zeitung streiten über die Rekonstruktion der Kuppel auf dem Berliner Stadtschloss. In der taz erklärt die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger, warum die heute vor 300 Jahren geborene Maria Theresia keine Königin, sondern ein König war. Und Emma erklärt, warum Necla Kelek nicht bei einer Hamburger Demo gegen Rechtsextremismus und Islamismus redet.

Reden und Lesen gehören zusammen

12.05.2017. In der NZZ misstraut Pascal Bruckner dem Bild des alle Gegensätze versöhnenden charismatischen Anführers, das Emmanuel Macron von sich verbreitet. In Le Monde denkt der Soziologe Gérald Bronner über die Frage nach, warum Macron ein so beliebtes Futter für Verschwörungstheoretiker ist. Die NZZ bringt ein Dossier über George Soros. Die FAZ-Herausgeber wenden sich in einem offenen Brief gegen ein neues Urheberrechtsgesetz, und zwar ist die freie Presse in Gefahr.

Russischer Siegestanz

11.05.2017.  Die Chefredakteure der New York Times schreiben einen Offenen Brief an den Generalstaatsanwalt mit der dringenden Bitte, einen neuen Ermittler gegen Trump einzusetzen. Wieso Angst haben vor Künstlicher Intelligenz, wenn wir ohnehin fremdbestimmt sind, meint Yuval Noah Harari in der Welt.   Die NZZ erklärt, warum ein philosophischer Jutesack nichts von der Zukunft der Autos weiß.

Der Mut Einzelner

10.05.2017. Die SZ analysiert die vor Pathos nicht zurückscheuende Instrumentalisierung der Geschichte durch Emmanuel Macron. Der Guardian begrüßt, dass Macron die Kolonialverbrechen als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" bezeichnet. In Polen demonstrieren laut politico.eu wieder die Frauen: diesmal gegen die Abschaffung der "Pille danach". Die SZ kann's immer noch nicht fassen, wie sich ARD und ZDF um Abermillionen Euro betrügen lassen konnten.

Eine so kühne wie krude Formel

09.05.2017. Kein Verleger hätte diese Räuberpistole gekauft. Bernard-Henri Lévy erzählt in seinem Blog nochmal den "grand roman français", an dessen Ende der Präsident Emmanuel Macron steht. Bei der deutschen Politik landet Macron aber vorerst nicht, stellen taz und SZ fest. Die Welt porträtiert Brigitte Macron. In der taz werden Pariser und eine Berliner Ausstellungen zur Nazizeit besprochen.

Um einiges smarter

08.05.2017. Anne Applebaum resümiert in der Washington Post noch einmal, was Emmanuel Macron da vollführt hat: Seit Napoleon hat kein so junger Politiker je das höchste Amt in Frankreich erobert - und das ohne Partei und  Unterstützung des politischen Establishments. Doch der Erfolg des Front national ist nicht zu unterschätzen, warnt Timothy Garton Ash im Guardian. Slate.fr beleuchtet die erstaunliche Rolle der Bretagne. Im Standard denkt die Soziologin Judith Wajcman über die kommende Roboterisierung nach.

Die sich die Links gegenseitig zuspielen

06.05.2017. Kurz bevor die französischen Medien nicht mehr über den Wahlkampf berichten dürfen, lancieren rechtsextreme Blogger und offenbar auch Wikileaks ein Mischmasch aus falschen und echten Dokumenten aus Emmanuel Macrons Wahlkampfteam. Libération geht den Ursprüngen dieses Hacking nach. In Zeit online spricht Emmanuel Carrère: über das gespaltene Frankreich.  Außerdem: Leistungsschutzrecht kostet nur, muss die VG Media laut t3n konstatieren. Und die SZ fragt: Wie konnten sich ARD und ZDF um bis zu 200 Millionen Euro erleichtern lassen?

Diese erbärmliche Rauferei

05.05.2017. Le Monde erkundet, woher Marine Le Pen die Energie für ihren Tiefschlag gegen Emmanuel Macron holte: Die Behauptung von Marcrons angeblichem Konto auf den Bahamas zirkulierte zuerst in rechtsextremen amerikanischen Twitterkonten, dann im Umkreis russischer Medien. Slavoj Zizek schließt sich im Independent den linken Defätisten an, die sich trotz allem nicht für Macron aussprechen wollen. Im Freitag fordert der Germanist Christoph May mehr Männerforschung. Und die taz hat Post von Deniz Yücel erhalten.

Besonders nachteilige Verträge

04.05.2017. Nach der brutalen Fernsehdebatte zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron zählt Le Monde 19 falsche Behauptungen auf, derer sich Macron erwehren musste. Unter anderem unterstellte Le Pen, dass Macron ein Konto auf den Bahamas habe - Macrons Team konterte auf Twitter. Slate.fr analysiert die "hassvolle Faszination", die Macron bei Linken und Rechten wegen seiner Zeit in der Rothschild-Bank auslöst. Gilles Kepel spricht in Marianne über die Wahlhilfe des IS für den Front national. Außerdem: Die SZ erzählt, wie sich ARD und ZDF etwa 100 bis 200 Millionen Euro Gebührengelder abknöpfen ließen.

Unser nationaler Peter Pan

03.05.2017. In der SZ ruft Joschka Fischer die Kanzlerin und die EU-Politiker auf, einen künftigen Präsidenten Macron tatkräftig zu unterstützen. In Le Monde will Régis Debray nicht in den Sumpf zurückkehren, um sich vor dem Regen zu schützen. Le Monde mokiert sich über Marine Le Pens Euro-Programm, das sie nun aus opportunistischen Erwägungen gelockert hat.  Golem und FAZ berichten über Zensur an der Wikipedia in China und der Türkei. In der Berliner Zeitung protestiert Götz Aly gegen Arte, das eine Doku über Antisemitismus nicht zeigen will.

Mit These 7 antworten

02.05.2017. Thomas de Maizière hat das Wort "Leitkultur" in die Runde geworfen, und die deutsche Öffentlichkeit formiert sich jäh nach altbekanntem Schema. Man soll Burka-Trägerinnen nicht ausgrenzen, sagt die taz. Und die SZ lehnt den Begriff als "spaltendes Kampfwort" ab. Politico.eu erklärt, wie Marine Le Pen doch noch siegen könnte: mit Hilfe der Mélenchon-Linken. Didier Eribon hält dieses Argument im Freitag für eine durchschaubare Strategie des Neoliberalismus. In der NZZ nimmt der Philosoph Michael Hampe sein Fach gegen den Vorwurf des Realitätsverlusts in Schutz.