9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2017

Die tägliche Revolution? Nein danke

29.04.2017. Facebook gibt zu, im US-Wahlkampf von Russland für Manipulationen und Meinungsmache missbraucht worden zu sein, berichtet Zeit Online. Beim Thema Europa kommen Emmanuel Macron und Michel Houellebecq in der Welt auf keinen grünen Zweig. Cora Stephan erinnert in der NZZ daran, dass auch in Zeiten von Diversität die "Normalos" die Mehrheit stellen. Die Novelle des Wissenschaftsurheberrechts tritt Autorenrechte mit Füßen, schreiben der Germanist Roland Reuß und der Jurist Volker Rieble in der FAZ. Und die taz beschreibt, wie sich in Israel das Klima für politische Aktivisten und oppositionelle Meinungen verschärft.

Auf ausdrücklichen Wunsch christlicher Kreise

28.04.2017. Die französischen Wahlen belegen, dass der Links-Rechts-Gegensatz in der Politik ausgedient hat, meint der Politologe Gérard Grunberg in huffpo.fr. Die taz erzählt, wie Thomas Ostermeier in seiner Schaubühne das Wort entzogen wurde. Die FAZ schlägt vor, dass alle Männer für einen Tag Kopftuch tragen sollten - aus Solidarität mit Frauen, die zur Verhüllung gezwungen werden. Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird sicher mit gutem Beispiel voran gehen.

In den syrischen Labors entwickelt

27.04.2017. Emmanuel Macrons Wahlsieg ist noch keineswegs gesichert: Zwei Strömungen könnten ihn noch verhindern, sagen die französischen Medien: die radikale Linke und die Katholiken. Die franzöische Regierung bringt einen Bericht heraus, wonach der Giftgaseinsatz auf das Dorf Chan Scheichun der syrischen Regierung zuzuschreiben ist, berichtet die taz. Die Zeit stellt die Bildrechtehändlerin Har­riet Bridge­man vor, die Museumsbesuchern das Fotografieren verbieten will.

Diskriminierungsfreier Zugang

26.04.2017. In Le Monde kann es der Historiker Pascal Ory kaum fassen: Ein Zentrumsmann könnte Präsident in Frankreich werden. Aber es könnte ihm ergehen wie Matteo Renzi, fürchtet Politico.eu. Sigmar Gabriel wird nicht von Benjamin Netanjahu empfangen. Dabei fühlt er stark mit Israel, erklärt er in der Berliner Zeitung, denn "Sozialdemokraten waren wie Juden die ersten Opfer des Holocaustes". Der Freitag fürchtet, dass linke und rechte Identitätspolitik verwandter sind, als ihnen klar ist. Und die FAZ staunt über die brummende Musikindustrie.

Die Humanität mancher Menschen

25.04.2017. Daniel Cohn-Bendit attackiert in der taz Jean-Luc Mélenchon und Didier Eribon, die einer "Neuauflage der These vom Sozialfaschismus" anhingen - die Mélenchon-Anhänger rufen bisher nicht zur Wahl Macrons gegen Le Pen auf. In der New York Times verteidigt der Uni-Funktionär Ulrich Baer die Einschränkung von Redefreheit an amerikanischen Unis zum Schutz der "Schneeflocken".  Und Jimmy Wales gründet laut Niemanlab die Wikitribune - die die Arbeitsweisen der Wikipedia auf ein neues Medium übertragen soll.

Es waren keine Zufälle, es hatte System

24.04.2017. Immerhin: Es war ein grausames Wochenende für die Populisten, konstatiert politico.eu: Marine Le Pen schaffte es nur auf Platz zwei, und die AfD zerfleischt sich selbst. Die französischen Wahlen sind allerdings auch in anderer Hinsicht bestürzend: Unter anderem weil in nur zwei Jahren ein ganzes tradiertes Modell über den Haufen geworfen wurde, meint Anne Sinclair in der huffpo.fr. Außerdem: Ist es Zeit, Google zu zerschlagen, fragt die New York Times. Und in der NZZ zeigt sich die Lyrikerin Maria Stepanowa fassungslos über die Exportfähigkeit des russischen Modells der Autokratie.

Es ging um dreihundert Wörter

22.04.2017. Es war der merkwürdigste Wahlkampf der Fünften Republik. Und es ist das Ende einer Ära, schreibt Laurent Joffrin in der taz vor der ersten Runde der französischen Wahlen. In Le Monde beschwört Martin Walser die Franzosen,  Emmanuel Macron zu wählen. Der Konflikt zwischen der Religionsfreiheit der Eltern und der der Kinder ist noch nicht erledigt, sagt der Deutschlandfunk mit Blick auf eine neue Debatte über Beschneidung. Die New York Times berichtet über die Pogrome gegen Homosexuelle in Tschetschenien.

Vom Gebrüll aufgeweckt

21.04.2017. In der NZZ erklärt Pascal Bruckner, warum er den Begriff der "Islamophobie" bekämpft. In Le Monde attackiert der Politologe Thierry Pech das Geschichtsverständnis der Marine Le Pen. Die Berliner Zeitung wendet sich gegen den Entwurf von Herzog & de Meuron für ein Museum der Moderne in Berlin. In der taz erklärt die Historikerin López Maya, wie das chavistische Regime sich die Armen in den Barrios gefügig macht.

Unechte Korrepondenzen

20.04.2017. Franzosen, löscht nicht die Aufklärung aus, ruft Peter Sloterdijk in Le Monde. Jürgen Habermas blickt in der Zeit gelassen auf die französischen Wahlen. Europa wird sich auch dann verändern, wenn ein gemäßigter Kandidat gewinnt, meint die Welt. Unterdessen steckt Boris Groys in der NZZ mit Hilfe Jean-François Lyotards seinen Geist in die Maschine.  Und Orlando Figes erklärt in der Berliner Zeitung, warum er Deutscher wird.

Im metaphorisch Ungefähren

19.04.2017. Theresa Mays Vorstoß zu Neuwahlen ist ein Schlag ins Gesicht aller Brexit-Gegner, meint Anne Perkins vom Guardian, aber es ist ein kluger Schachzug, entgegnet ihr Kollege Jonathan Freedland. Beim türkischen Referendum hat in Wahrheit niemand gewonnen, nicht mal Erdogan, schreibt Bülent Mumay in der FAZHuffpo.fr analysiert die falschen Versprechen der Populistinnen und Populisten. Und in der NZZ macht Karl-Heinz Ott Schluss mit postmoderner Ironie.

Auf jeden Fall: bitte anschnallen

18.04.2017. Bestürzung herrscht über das starke Votum der Deutschtürken für Tayyip Erdogan: Hierfür ist auch die deutsche Politik verantwortlich, die die Ditib-Moscheen so förderte, meint Necla Kelek bei Emma.  Die taz mahnt: "Es gibt eine Türkei jenseits von Erdogan", die andere Hälfte, mit der Europa weiter zusammenarbeiten sollte.  Libération dekliniert die möglichen Konstellationen der ersten Wahlrunde in Frankreich durch: Klingt nicht gut. Im Observer registriert Nick Cohen die antisemitischen Töne gegen George Soros von Budapest bis Washington.

Ein Dorftrottel, der sich freiwillig an den Pranger stellt

15.04.2017. In der NZZ geißelt Andrew Doyle Dummheit und bigotterie linker Identitätspolitik. Auch in der Debatte um Slut-Shaming sieht die Welt eine Infantilisierung der Kulturkritik. In der taz zeiht sich die französische Linke gespalten über den Präsidentschaftskandidaten Jean-Luc Mélenchon. Außerdem blickt die taz vor dem türkischen Referendum nach Izmir, in dem Erdogan nicht punkten kann. In der FAZ hält Bülent Mumay fest, welch hohen Preis Erdogans Kampagne gekostet hat. Die SZ erinnert an die Fundamentalistin und Zockerin Maria Theresia.

Der Weg über den Westen

13.04.2017. Die taz fragt sich, ob ein "Nein" im türkischen Referendum nicht genau  so unheimlich ist wie ein "Ja".  Backchannel fragt: Was ist eigentlich aus Google Books geworden? Die FAZ schildert die Schwierigkeit des Gedenkens an die Oktoberrevolution in Russland.  Facebook hat einen Weg zur Bekämpfung von Fake News gefunden: Ganzseitige Anzeigen in Zeitungen.

Royalistische Königsmörder

12.04.2017. Bei Slate.fr erstellt der Historiker Michel Winock ein Psychogramm des französischen Wahlvolks. Die SZ befreit den Sündenbock "Neoliberalismus" aus der Haftung für alles. Der Perlentaucher veröffentlicht György Konrads zorniges "Antwortschreiben an den Ministerpräsidenten Ungarns". Und Timothy Garton Ash attackiert im Guardian Viktor Orbans beschämt schweigende Kollegen aus  der European People's party.

Aufschlussreiche Zwischentöne

11.04.2017. Der Perlentaucher bringt einen Rundblick durch ungarische Medien zur gestern endgültig beschlossenen Schließung der Central European University. Marine Le Pen hat den "radical right gender gap" überwunden, erklärt die Politologin Nonna Mayer in Le Monde: Frauen wählen jetzt genauso oft rechtsradikal wie Männer. Für die FR analysiert Claus Leggewie die Rolle der algerischen Vergangenheit im französischen Wahlkampf.  In der SZ schildert Andrei Soldatov den Niedergang des von Putin einst so gepeppelten Geheimdienstes FSB.

Digitale Doppelgänger auf Steroiden

10.04.2017. Das Ethnologische Museum Berlin wird im kommenden Humboldt-Forum zum bloßen Leihgeber degradiert und als Institution nicht mehr sichtbar sein, fürchtet die SZ. Anke Groener erklärt in ihrem Blog, warum Künstler doppelt tot sein müssen, bevor ihre Bilder bei den Münchner Pinakotheken ins Netz gestellt werden. Die Aktivistin Zana Ramadani kritisiert in der SZ westliche Feministinnen, die das Kopftuch im Namen der Freiheit verteidigen. Der syrische Autor Sami Alkayial fordert im Freitag Schutzzonen für die Zivilbevölkerung.

Das Kreuz in meinem Dienstzimmer

08.04.2017. Ein Wahlsieg des Front national ist in Frankreich durchaus möglich, meint der Historiker Thomas Maissen im Tages-Anzeiger - mit Hilfe klassisch linker Stimmen. Warum sind die Grünen in Kreuzberg eigentlich gegenüber Erdogan und seinen Anhängern so schüchtern?, fragt der Hauptstadtbrief. Längst geht es bei Videoüberwachung nicht mehr um Gesichtserkennung, sondern um Konformitätskontrolle, meint die SZ. Investoren aus Übersee machen nicht mehr nur London unbewohnbar, warnt der Guardian. Die taz stellt eine unheimliche Frage: Was unterscheidet eigentlich die einstige linke von der heutigen rechten Idee von Gegenöffentlichkeit?

Überholende Kausalität

07.04.2017. Manfred Flügge prangert im Tagesspiegel die Ignoranz einiger französischer Präsidentschaftskandidaten gegenüber Osteuropa an. Basler Zeitung und New Statesman beleuchten den Antisemitismus in der Labour-Partei. Die taz befasst sich mit der Rolle der katholischen Kirche und Frankreichs beim Völkermord an den Tutsis. Die FAZ erzählt, wie der Fachhochschulprofessor Thomas Royen eines der berühmtesten mathematischen Probleme löste - und niemand hat es gemerkt. Laut Tagesspiegel ist der Direktor des Danziger Weltkriegsmuseums, Pawel Machcewicz, jetzt von den Nationalisten entmachtet worden. Die NZZ feiert gerade noch das von ihm konzipierte neue Museum.

Private Meinungspolizei

06.04.2017. In der NZZ geißelt Jochen Hörisch die um sich greifende Idee, man könne Autor sein, ohne gelesen zu haben.  Auf Spon erklärt Sascha Lobo am Beispiel des Giftgasangriffs in Syrien, wie Social Propaganda funktioniert. Die NZZ beklagt die Feigheit der EU vor Viktor Orban. Selbst Zeitungsverleger können dem neuen Gesetz gegen Hate Speech nichts abgewinnen, meldet der Tagesspiegel.

Exzess an Rationalität und Logik

05.04.2017. Kinderrechte im Grundgesetz untergraben Elternrechte, kritisieren FAZ und Welt. Victor Orbans Gesetz gegen die Central European University wird bei den osteuropäischen Autokraten Schule machen, fürchten taz und FAZ. In der Welt schildert die dagestanische Autorin Alissa Ganijewa die Indoktrination russischer Schüler. Aber rasende Vernunft ist auch keine Lösung, meint die NZZ.

Strafe war nicht mehr an Schuld gekoppelt

04.04.2017. Besonders in Krankenhäusern wird gefoltert: Die Washington Post berichtet über Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien.  In Russland demonstrieren Tausende Jugendliche gegen Korruption, den Westen interessiert das bisher nicht, kritisiert Jan-Philipp Hein auf shz.de. In der NZZ zeichnet der weißrussische Schriftsteller Viktor Martinowitsch nach, wie Präsident Lukaschenko seine Autokratie errichtete.  Ebenfalls in der NZZ widerspricht der Biologe Axel Meyer der These, Geschlcht seine eine "Konstruktion". Und überall wird jetzt gegen Fake News gekämpft.

Das Wort Zukunft kommt überhaupt nicht vor

03.04.2017. Im Standard prangert Sergej Lebedew den russischen Kult der historischen Größe an. Und Swetlana Alexijewitsch  schreibt im Tages-Anzeiger über die "rote Utopie". In der FAZ erinnert Heinrich August Winkler an die Spaltung der SPD vor hundert Jahren. Sueddeutsche.de berichtet über die brutale Verfolgung Homosexueller in Tschetschenien. In der Welt fragt Ian Buruma die osteuropäischen Länder: Wie steht ihr zu George Soros? In der FAS kritisiert der kurdische Autor Yavuz Ekinci die mangelnde Solidarität der türkischen Intellektuellen.

Kleine Jungs im schicken Internat

01.04.2017. Der Brexit-Prozess ist mitnichten unaufhaltsam, meint in Politico der Verfasser des Artikels 50. Theresa Mays Sinn für Kleidung ist genial, schwärmt Laurie Penny im Tages-Anzeiger. Die FAZ beklagt, dass der Freitag die investigative Journalistin Petra Reski nicht vor der Mafia in Schutz nimmt. Eine amerikanische Crowdfunding-Kampagne spart auf die Browserverläufe führender Politiker, meldet Resistance Report. Und in der NZZ gerät Sibylle Lewitscharoff über Luthers wortbewimmeltes Hirn ins Schwärmen.