9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2016

Das Unsagbare

30.11.2016. Die Franzosen werden nicht Marine Le Pen wählen. Sie würden sich niemals erlauben, Briten und Amerikaner nachzuäffen, beteuert politico.eu. Buzzfeed beleuchtet das Mediennetzwerk der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung in Italien.  Arge Verstimmung in der FAZ: Die Deutsche Nationalbibliothek hindert sie, Bücher haptisch zu rezipieren - schuld ist mal wieder George Soros. Der Manufacturing Belt wurde nicht durch die Globalisierung zum Rust Belt, legt der Stadtplaner Reinhart Wustlich in der FR dar. Je jünger die Leute, desto weniger glauben sie an Demokratie, hat die New York Times herausgefunden.

Die kulturelle Aneignung der Cevapcici

29.11.2016. Mark Lilla in der SZ und Colin Crouch in der taz machen sich Gedanken darüber, wie die Linke sich vom Schock erholen soll: auf nationaler Ebene geht es nicht, meint Crouch. Die SZ warnt vor einem "monströsen Zivilisationsbruch" in Aleppo. Bei irights.info erklärt der Anwalt Ansgar Koreng, wie schwer es sein kann, eine Kirche zu fotografieren. In der Basler Zeitung erinnert der Historiker Diarmaid MacCulloch die staatsfrommen Deutschen an den Schweizer Beitrag zur Reformation.

Wir wissen, was richtig ist

28.11.2016. Westeuropäische Demokratien in der Krise: Die Vorwahlen der französischen Konservativen zeigen nicht ihre demokratische Stärke, sondern ihre Schwäche, meint der Politologe Rémi Lefebvre auf slate.fr. Im Observer analysiert Nick Cohen den Verfall des Konservatismus in Britannien. Politico.eu schildert die Risiken des kommenden Referendums in Italien. Im Blog der NYRB rät Masha Gessen mit Blick auf Trump: "Do not compromise." Stefan Niggemeier staunt nach der neuerlichen VG-Wort-Versammlung am Samstag über das Verhalten der Gewerkschaften.

Eine Revolution ist kein Rosenbett

26.11.2016. Fidel Castro ist tot. Im kubanischen Fernsehen verkündete sein Bruder Raúl die Nachricht mit geballter Faust. Die New York Times bringt schon einen großen Nachruf auf den Revolutionsführer und Autokraten, der fünfzig Jahre über Kuba herrschte und für kurze Zeit die Welt an den Rand eines Atomkriegs führte. In der FR betont der Ökonom Branko Milanovic: Die Globalisierung ist eine Kraft zum Guten. Die taz empfiehlt gegen Ungleichheit Eigentumsbildung. Und der Guardian spricht Boris Johnson das Verdienst zu, die Europäer geeint zu haben.

Echte Michael-Kohlhaas-Typen

25.11.2016. Das Problem mit den Wählern rechtspopulistischer Parteien ist kein soziales, sondern ein kulturelles, meint die Politologin Silja Häusermann in der WOZ. Die NZZ hat herausgefunden, dass Trump gar nicht beißt, sondern nur die Demokratie neu entdeckt. Die FAZ und die SZ attackieren den Juristen und Perlentaucher-Autor Martin Vogel, der ohne ihre Approbation im VG-Wort-Streit in allen Instanzen Recht bekommen hat. Die Berliner Zeitung freut sich über die Kür Raphael Gross' als Chef des Deutschen Historischen Museums.

Dass alle Angst hatten, nur Einzelne nicht

24.11.2016. Sollte Hillary Clinton nachzählen lassen? Nach bloßer Stimmenzahl führt sie inzwischen mit 1,5 Prozent, hat die New York Times herausgefunden. Tanja Maljartschuk erinnert in Zeit online an Ukrainer, die nach der Annexion der Krim nach wie vor in russischen Gefängnissen sitzen und zum Teil schwer gefoltert werden. In der SZ schlägt der Anwalt Joachim Kersten vor, dass die Verlage aus der Künstlersozialkasse aussteigen - wenn sie schon nichts von der VG Wort kriegen. In der Zeit gibt  Peter Sloterdijk dem President-elect bestenfalls zwei Jahre - bis dahin wird er wohl ohnehin erschossen.

Dethematisierung, ja Verachtung

23.11.2016. Die türkischen Intellektuellen sind eingeschüchtert, schreibt Ilija Trojanow nach seiner Rückkehr von der Istanbuler Buchmesse in der taz. Politico.eu überlegt, wie die EU dem  Kaczynski-Regime Einhalt gebieten kann. Facebook macht bei Zensurtechniken Fortschritte, berichtet die New York Times. Die Diskussion um die VG-Wort-Entscheidung des BGH geht weiter. Verlegerin Susanne Schüssler schildert in der taz die Probleme der Verlage, Autorin Nina George reicht ihr Geld gleich weiter. Wolfgang Michal rät in diesem Kontext zu Fact Checking. Und, ach ja: Donald Trump. Er hat der New York Times ein erstes stubenreines Interview gegeben.

An diesem Punkt wird etwas brechen

22.11.2016. Zwei Propheten hatten es vorher gewusst, haben SZ und New York Times herausgefunden: Ralf Dahrendorf und Richard Rorty (dessen Zitat von 1998 klingt, als sei es gestern geschrieben).  Die Alt Right-Bewegung versammelt sich unterdessen in Washington und  ruft "Heil Trump, Heil Sieg", berichtet der Atlantic. Die NZZ wundert sich über die neue Verklärung der Nationen. Die Katholische Kirche entschuldigt sich laut taz für ihren Anteil am Genozid in Ruanda. Und Großbritannien erlässt laut Netzpolitik das schärfste Überwachungsgesetz aller Demokratien.

Katholisch und römisch und wohlanständig

21.11.2016. Tag 1 nach der Bekanntgabe von Angela Merkels vierter Kanzlerkandidatur: Sie wird's wohl bleiben, meint die taz. Rot-Rot-Grün ist nach Trump unmöglich geworden. Le Monde sagt uns, wer François Fillon ist: ein Putin-Freund mit drastischen Programmen. In der NZZ erklärt Mark Lilla den Unterschied zwischen Reaktionären und Konservativen. Im Tagesspiegel erklärt Trump-Biograf David Cay Johnston, warum  Donald Trump nicht nur seinen Musiklehrer nicht verprügelte und dies um so mehr gegen ihn spricht.

Dunkelheit ist gut

19.11.2016. Ein Arbeiterjunge mit Klassenbewusstsein, der sein Geld mit der Serie "Seinfeld" machte - Michael Wolff porträtiert für den Hollywood Reporter den Trump-Ideologen Steve Bannon und lässt sich von ihm erzählen, was "Macht" ist. Linke Identitätsideologie hat die Demokraten in den Abgrund geführt, schreibt Mark Lilla in der New York Times. In der FAZ bringt Gunnar Heinsohn deprimierende Zahlen über die USA. Die OSZE übt laut Buzzfeed scharfe Kritik an einem britischen Gesetz, das die Pressefreiheit einschränkt. Demokratien brauchen Eliten, insistiert die NZZ.

Weltkanzlerin

18.11.2016. Die Wahlen in Amerika überschatten immer noch alle anderen Diskussionen. Im Moment wird allerdings weniger über Trump als über Facebook debattiert: Die New York Times zeigt, wie Desinformationen auf Facebook etwa die mörderische Drogenpolitik in den Philippinen unterstützen. Bei Carta fordert der Medienprofessor Wolfgang Hagen eine Ausdehnung der öffentlich-rechtlichen Anstalten ins Netz, um eine ausgewogene Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. FAZ und SZ berichten über die deprimierende Lage in der Türkei.

Unvorhersehbare Nebenwirkungen

17.11.2016. Etwas mehr als eine Woche nach der Wahl graut dem New Yorker angesichts der Aufführungen des President-elect vorm Kommenden. Die Debatte um Facebook geht weiter: Buzzfeed behauptet, dass Fake News direkt vor der Wahl mehr geteilt worden seien als seriöse Nachrichten. In der NZZ fragt Ruud Koopmans, wie multikulturell westliche Gesellschaften sein sollen.  FAZ-Autor Paul Ingendaay traf Sprecher der polnischen Opposition, die die Kaczyński-Regierung als Spezialfall im rechtspopulistischen Spektrum sehen.

Mit Fabeln, Parabeln oder in der Lyrik

16.11.2016. Der italienische Autor Beppe Severgnini fragt sich in der New York Times, an wen ihn Donald Trump nur erinnert: Ein Siebzigjähriger, der sich mehr Sorgen um sein Haar als über die Weltlage macht? Buzzfeed klärt mit dem Transkript eines längeren Gesprächs von 2014 über die religiösen und politischen Vorstellungen des Trump-Beraters Stephen Shannon auf. Überall wird weiter über den Einfluss von Facebook auf die amerikanischen Wahlen recherchiert und gestritten. Die FAZ feiert sich unterdessen als Nachfolgerin der Frankfurter Zeitung.

Er hat sich nie im Kreis von Russen besoffen

15.11.2016. Trump, trumper am trumpesten: In der NZZ beweist Nicholas Taleb, dass man zugleich Finanzmathematiker sein und ressentimentgeladenen Stuss über Intellektuelle verbreiten kann - NZZ-Feuiletonchef René Scheu stimmt ihm auch noch zu. Herfried Münkler sieht das Problem in der Welt dann doch eher bei Trump selbst. Die Debatte um Facebook wird schärfer: Hat Facebook Instrumente zur Neutralisierung von Fake News bewusst nicht eingesetzt?, fragt Gizmodo. Buzzfeed berichtet, das Facebook-Angestellte eine inoffizielle Taskforce aufbauen, um Vorwürfe gegen die Plattform zu prüfen.

Unerklärliches Wunschdenken

14.11.2016. Eine Woche nach der amerikanischen Wahl verzweifeln die Kommentatoren nach wie vor an einer Arbeiterklasse, die gegen ihre eigenen Interessen gestimmt hat. Allerdings ist auch die neumodische Linke am Verhalten dieser Wähler schuld, meint Nick Cohen im Guardian. Auch bei Facebook wird jetzt darüber nachgedacht, ob man eine Filterblase erzeugt hat, berichtet die New York Times - der Begriff selbst wird allerdings laut Carta in Frage gestellt. Und alle lieben jetzt "die letzte Verteidigerin des freien Westens", Angela Merkel.

'Das Volk' hat keine Sorgen

12.11.2016. Macht Donald Trump die acht Obama-Ära rückgängig? Oder darf man darauf setzen, dass er seine Wahlversprechen sowieso nicht hält? Die Beobachter schwanken zwischen Zweckoptimismus und Fatalismus. Bernhard Pörksen analysiert auf Zeit Online das mediale Klima, das Trump zum Sieg verholfen hat. Tagesspiegel und taz überlegen, wie Medien besorgte Bürger erreichen können. Im Guardian schreibt Manuel Valls zum morgigen Jahrestag der Terroranschläge von Paris.

Viele von uns sind Mittelschicht

11.11.2016. Politico.eu fürchtet, das die Chancen Marine Le Pens, französische Präsidentin zu werden, nun steigen. Mit Populisten reden heiißt nicht, wie Populisten reden, sagt der Politologe Jan-Werner Müller in der taz. Mark Zuckerberg wies auf eine Konferenz alle Verantwortung von Facebook: Wer glaubt, es liege an Verschwörungstheorien, habe keine Empathie mit den Wählern. Dietmar Dath in der FAZ und Henry Broder in der Welt meinen in ihrer je eigenen Art: Die privilegierten Weicheier von der Linken haben selber schuld.

Ist erstmal eine Fensterscheibe eingeworfen

10.11.2016. Der Guardian fasst zusammen: Der Satz, der angeblich Trumps Wahlchancen zerstörte, brachte ihn an die Macht. Für David Remnick im New Yorker und andere Autoren ist Facebook allerdings genauso schuld. Naomi Klein wünscht sich im Guardian eine kräftige Linke, die die Depossedierten mit der Aussicht auf Umverteilung zurückholt. Judith Butler bekennt in der SZ nun doch ihr  Unbehagen. Und Andrew Sullivan vibriert im NYMag wie stets vor Pathos.

Eine sehr schlechte Nachricht

09.11.2016. Die Katastrophe ist eingetreten: Donald Trump wird der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Die New York Times hat es im Aufmacher zur Kenntnis genommen: Es sei der "bestürzende Höhepunkt einer populistischen Kampagne gegen die Institutionen und die lange hochgehaltenen Ideale der amerikanischen Demokratie". Herausgestellt hat sich auch, dass der Sexismus in Amerika noch schlimmer ist als der Rassismus, so der Komiker Patton Oswalt in einem viel zitierten Tweet. Auch die Medien sind mit schuld, sagen die New Republic und die Washington Post. Wir bündeln erste Reaktionen.

Mit hohem politischem Druck

08.11.2016. Am Tag Null des Countdowns holt Trump noch die Waffe des Antisemitismus aus seinem Arsenal, analysieren die Washington Post und der Youtube-Kanal The Young Turks.  In der New York Times fragt Harry Belafonte: "Was haben wir zu verlieren?" Und antwortet: "alles".  In der taz klagt der Verleger Jörg Sundermeier nochmal über die VG-Wort-Entscheidung des BGH. Irights.info zitiert aus einem Papier der VG Wort, die überlegt, wie man die Autoren doch noch zum Verzicht auf ihre Ansprüche bewegen kann.  In der Presse spricht Olga Tokarczuk über die national-katholische Ideologie der polnischen Regierung.

Die Mitte und die Mehrheit

07.11.2016. Im Guardian beschreibt Nick Cohen, wie die Brexit-Anhänger inzwischen die zentralen Institutionen des britischen Rechtsstaats angreifen. Nigel Farage kündigt unterdessen laut Telegraph einen "Marsch der Hunderttausend" auf den Supreme Court an, der die Entscheidung des High Court zur Rolle des Parlaments im Brexit-Prozess nun prüfen muss. In Atlantic analysieren Peter Pomerantsev und Arkady Ostrovsky die Rolle Putins im amerikanischen Wahlkampf. in der taz wird eine strikte Überwachung der sozialen Netze gefordert.

Neues Zeitalter der Finsternis

05.11.2016. Heute gibt's nicht viel anderes als die Panik vor der Wahl in den USA. Hillary Clinton ist sehr wohl eine erfahrene und qualifizierte Kandidatin, meint die taz, aber wird sie Amerika von der Propagandamaschine Trumps befreien können? Melodramatisch wird Andrew Sullivan im NYmag, der Trump einen Faschisten nennt, und Clinton fast noch mehr zu verachten scheint.  In seltsamem Kontrast steht eine eigentlich positive Botschaft der Obama-Präsidentschaft, die Louis Begley in der FAZ benennt.

Logik tribaler Zugehörigkeit

04.11.2016. Nach einer historischen Entscheidung des High Court, der dem britischen Paralement sehr wohl zugesteht, über den Brexit mitzubestimmen, streitet der Guardian über die Frage, ob die Parlamentarier den Brexit noch verhindern sollen. Der amerikanische Wahlkampf spitzt sich in den letzten Tagen mit immer neuen Ungeheuerlichkeiten zu, die die Washington Post resümiert. Libération analysiert das religiöse Element am Rechtspopulismus.

Der Strom ist jetzt eingeschaltet

03.11.2016. Der Eintritt wird frei sein: Gestern wurden konkretere Pläne für das Humboldt-Forum vorgestellt. Die Zeitungen finden das gut. Sehr scharf kritisieren die Verbraucherzentralen das von Günther Oettinger geplante europäische Leistungsschutzrecht, das jeden Link zum Risiko macht. In der Welt fürchtet Sylke Tempel, dass auch in den Talkshows das postfaktische Zeitalter angebrochen ist.  Google und Facebook machen gigantische Gewinne - und der Guardian knirscht mit den Zähnen.

Besenreine Netzwerke

02.11.2016. In der Welt prangert Can Dündar die zahnlose Reaktion der deutschen Regierung auf die Gleichschaltung in der Türkei an. In der NZZ stellt der Thologe Jan Heiner Tück eine wohlwollende Prüfung der Reformation durch die katholische Kirche in Aussicht. Der Guardian bringt einen langen Hintergrund über die Rechtspopulisten in Europa, die so geschickt die Diskurse der Linken kapern. Erstmals wird das Internet mehr über mobile Geräte als über Computer rezipiert, meldet Quartz.com. Es gibt einen  Wermutstropfen bei der Einigung von Youtube und Gema, meint Netzpolitik.

Verdacht auf Unterstützung

01.11.2016. Die taz demonstriert für Cumhuriyet. Die letzte Zeitung, die sich in der Türkei für die Trennung von Staat und Religion einsetzt, wird mundtot gemacht.  In der Berliner Zeitung prangert Götz Aly den Neonationalismus in Osteuropa an.  Die Virgin Islands wollen laut Politico.eu eine "positive Rolle" beim Brexit spielen. Und Google und die Gema haben sich geeinigt: Nun dürfen auch deutsche Musikfreunde eine Menge bisher gesperrter Youtube-Videos sehen - FAZ.Net kennt die Konditionen.