9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2017

Das Freie-Rede-Dogma

31.08.2017. In der Zeit antwortet Horst Bredekamp auf Attacken gegen das Humboldt-Forum und verteidigt ein universalistisches Sammlunsginteresse gegen kulturrelativistische Kritik. In der FR macht sich Heinrich-August Winkler Sorgen über die Rolle Deutschlands in einem geschwächten Westen. Die Welt fürchtet nach hetzerischen Parolen Alexander Gaulands einen republikanischen Lackmustest bei den Bundestagswahlen. Die Staatsfunk-Kontroverse zwischen FAZ und öffentlich-rechtlichen Sendern geht weiter.

Gegen eine schwarze Wand donnern

30.08.2017. In der Washington Post erzählen die russischen Journalisten Andrei Soldatow und Irina Borogan, wie wütend die "Panama Papers" Wladimir Putin machten und wie Wikileaks die eigenen Prinzipien verriet. Im Guardian fordert der Ökonom Nick Srnicek die Verstaatlichung von Google, Facebook und Amazon. Die NZZ geißelt die Zerstörung des Tourismus durch den Tourismus. Und für die Welt schreibt Hans-Christoph Buch eine Wehklage über die afrikanischen Zustände.

Unser körperliches Frau*-Sein

29.08.2017. In der taz rät Angela Merkel den Grünen jetzt, wo alles zum Besten steht, nach neuen Themen zu suchen. Im Deutschlandfunk erklärt Religionswissenschaftler Michael Blume, warum nicht jeder Muslim ein Muslim ist. Laut Techcrunch schafft China jetzt endgültig die Anonymität im Internet ab. Die Welt erzählt, wie die italienische Regierung gegen den Faschismus kämpft.

Leider hatte Caligula keine politische Erfahrung

28.08.2017. In der FAZ fürchtet der Autor Dmitry Glukhovsky, dass Putin den Druck auf Russland erhöht, weil ihm jetzt das Geld ausgeht. Die FAS ahnt: Im chinesischen Zeitalter wird nicht zensiert, sondern zu kleinen Modifikationen angehalten. In der FR erinnert Stella Gaitanon an die große Tragödie des Südsudan. In der taz lernt Gabriele Goettle mit jugendlichen Flüchtlingen, richtig Deutsch zu lernen. Und die New York Times tröstet Amerika: Auch Rom hat seine verrückten Caesaren überstanden überstanden.

Es muss eine Erklärung geben

26.08.2017. Europa sollte seine Hoffnungen nicht auf die amerikanische Linke setzen, warnt Hans Ulrich Gumbrecht in der Welt: Denn es gibt sie nicht. Die SZ schreibt zur Bertelsmann-Studie: Für die Integration in eine moderne Gesellschaft braucht es weniger sichtbare Religion, nicht mehr. Die FAZ fragt nach dem demokratischen Mehrwert von Nordseekrimis, Fußball und Volksmusik. Der Guardian spürt Londons geheimem Plan für den Brexit nach.

Nett und eher zurückhaltend

25.08.2017. Wenigstens Charlie Hebdo traut sich, die Verbindung von Terrorismus und Islam zu thematisieren, lobt die über den neuen Titel gebeugte FAZ. Der Tagesspiegel übersetzt den Brief einer Sozialarbeiterin an die Attentäter. Die SZ möchte die Berliner Mohrenstraße in Anton-W-Amo-Straße umbenennen und so den ersten afrikanischen Wissenschaftler in Deutschland würdigen. Mit der Digitalisierung lernen die Geisteswissenschaften den politischen Alexander von Humboldt kennen, freut sich die taz. Auch Fahrradfahrer können töten, lernt der Guardian.

Was für ein Brexit soll das werden?

24.08.2017. In der NZZ sieht Cees Nooteboom Spanien auch nach dem Attentat von Barcelona als gespaltenes Land. Im Freitag streiten der Autor Alan Posener und der Historiker Jürgen Zimmerer über die Frage, ob es eine Kontinuität zwischen Kolonialismus und Holocaust gibt. In der FAZ teilt Neil MacGregor mit, dass das Humboldt-Forum etappenweise eröffnet wird. Sascha Lobo in Spiegel online und Bastian Berbner in der Zeit denken über Medien, soziale Medien und Terrorismus nach.

Was im Titel des Papiers hinterlegt ist

23.08.2017. Die Welt hat herausgefunden, was die Briten vom Brexit wirklich wünschen: dass alles beim Alten bleibt. Überall in Europa wachsen Betonklötze aus dem Boden. Auch Metallgitter werden zu Betonklötzen, seufzt Le Monde. In der NZZ verbindet Slavoj Zizek sein Hirn mit einem Supercomputer. Weiter gestritten wird über die Frage, wann und wie sehr und wie automatisch die Öffentlich-Rechtlichen ihre Gebühren erhöhen dürfen. Und ob es überhaupt Gebühren sind.

Lediglich die westliche Perspektive

22.08.2017. Provenienzforschung allein reicht auch nicht, meint die Ethnologin Viola König in der Welt. Lieber sollten die Ethnologischen Sammlungen umfassende Objektbiografien erstellen. In der FAZ möchte Fassbinder-Erbin Juliane Lorenz mehr öffentliche Gelder für die Digitalisierung des Filmerbes. Im Guardian wünscht sich Frank Mugisha mehr Solidarität mit den Homosexuellen in Uganda. Ebenfalls im Guardian fordert Afua Hirsch den Kopf Nelsons auf dem Trafalgar Square.

Die großen drei Tabus

21.08.2017. Die Politologin Barbara Loyer beschreibt in Huffpo.fr, wie das Attentat von Barcelona die Beziehung zwischen den katalanischen Sezessionisten und der Zentralregierung weiter vergiftet. Die chinesische Zensur greift jetzt auch wissenschaftliche Zeitschriften an, berichtet die Welt. In der FR verteidigt Arno Widmann die Marktschreier und Moritatenerzähler des digitalen Zeitalters. Die FAS fragt sich, wie die Öffentlich-Rechtlichen mit mehr Geld sparen wollen.

Scharfer Gegenwind ist das Mittel erster Wahl

19.08.2017. Auf ZeitOnline stimmt Jordi Punti eine Elegie auf die Rambla an. Der indonesische Islam-Gelehrte Kyai Haji Yahya Cholil Staquf pocht in der FAZ auf einen Zusammenhang von Terrorismus und Islamismus. In der New York Times hält Timothy Snyder unter anderem fest: Trumps Versagen nach Charlottesville ist kein unschuldiges. Die FR erinnert allerdings daran, dass der Faschismus eine europäische Erfindung ist. Die NZZ ächzt: Der Diskurs von heute kennt nur noch Diversity, aber keinen Pluralismus mehr.

Cäsarenhafte Dekadenz

18.08.2017. Die New York Times hat einen sehr plausiblen Vorschlag für den Friedensnobelpreis: die Organisatoren der Regenschirm-Proteste, die ersten politischen Gefangenen Hongkongs. Die Volksrepublik China beweist unterdessen laut Reuters, dass man das Internet tatsächlich abschalten kann. Der Tagesspiegel erklärt, warum das Humboldt-Forum unbedingt mehr Provenienzforscher braucht. In der Berliner Zeitung rettet Jochen Hörisch die Medien. Netzpolitik kritisiert die Google-Wahlkampfhilfe für die Kanzlerin. In der Welt rauft sich Robert D. Kaplan die Haare - natürlich wegen Trump.

Irgendetwas läuft da gewaltig schief

17.08.2017. Das Berliner Festival Pop Kultur wird von der Israel-Boykottbewegung BDS attackiert, weil Israel 500 Euro Reisekosten zugeschossen hat - und tatsächlich sagen einige Bands ab, berichtet die taz. Eine HBO-Dokumentation über Charlottesville macht im Netz Furore - wir binden sie ein. Die Zeit beschreibt, wie ein ganz Linker mit ganz Rechten spricht und dann über die innere Verwandtschaft staunt.  In der NZZ wiederholt Mark Lilla seine Vorwürfe gegen die modische Linke, die Zeit liest Lillas neues Buch.

Die Bedürfnisse der Wirtschaft

16.08.2017. Die Guardian-Kolumnistin Amina Lone protestiert gegen Kopftücher für immer kleinere muslimische Mädchen. Die NZZ wirft einen Blick auf die rigide Einwanderungspolitik in Kanada. Die New York Times geißelt die gestrige Pressekonfernz Donald Trumps - nie habe er die Rechtsextremen so deutlich unterstützt. Der Tagesspiegel fordert weniger Chefs für das Humboldt-Forum.

Wie aus einer Apfelsaftreklame

15.08.2017. In der New York Times schreibt der Medienwissenschaftler Siva Vaidhyanathan ein kleines Porträt der Stadt Charlottesville. in der Welt fordert Perlentaucher Thierry Chervel Generalstände über die deutsche Medienlandschaft. Die SZ beschreibt, wie deutsch-tschechische Institutionen eine nach der anderen eingehen.  Die taz geht den Antisemitismusvorwürfen gegen eine Arte-Doku über den Gaza-Streifen nach. Laut FAZ diskutieren Briten, Inder und Pakistaner über das Erbe des Kolonialismus.

Mit Anti-Glanzeffekt

14.08.2017. Jared Genser, Anwalt von Liu Xia, prangert in Libération das Kuschen des Westens vor chinesischen Menschenrechtsverletzungen an. Der Gewaltakt von Charlottesville widerspricht innersten amerikanischen Werten - was heißt es, dass Trump dies nicht beim Namen nennt, fragt die New York Times. Die SZ singt ein Abschiedlied auf Gärten. Die taz erklärt die komplizierte vietnamesische Community in Berlin. Die NZZ beklagt den fehlenden Technikjournalismus im deutschsprachigen Raum.

Ein bisschen Differenzierung

12.08.2017. Die Debatte um das "Diversity-Memo" von James Damore und um Sexismus bei Google geht weiter: Der New York Times-Kolumnist David Brooks fordert in einem scharfen Kommentar den Rücktritt des Google-CEO Sundar Pichai. Politico.eu erklärt das Verhalten Nordkoreas aus der Geschichte. Politico.eu beleuchtet auch das recht herzliche Verhältnis zwischen Papst Franziskus und Wladimir Putin. In der taz erzählt Manuel Karasek von seiner venezolanischen Mutter, ihrem Glauben an das chavistische Regime und den Kriegsvorbereitungen in dem Land.

Zögerlich im Blick auf die Opfer

11.08.2017. Aus Angst vor "Alt-Right" sagt Google eine Mitarbeiterversammlung ab, in der über Sexismus und das "Diversity-Memo" eines entlassenen Mitarbeiters diskutiert werden sollte, meldet recode.net. Zeit online konstatiert einen spezifischen Sexismus auch in der deutschen Techbranche. Die FAZ blickt mit Schrecken auf den "Hexensabbat" bei Google. In mehreren Medien wird über linke Solidarität mit dem chavistischen Regime in Venezuela debattert - auch Papst Franziskus wird kritisiert. In Le Monde diplomatique bekräftigt Bénédicte Savoy ihren Standpunkt zur Provenienzforschung.

Individuelle Unterschiede

10.08.2017. An die Adresse Judith Butlers, die sich über den angeblichen Rassismus der Emma Sorgen macht, antwortet Alice Schwarzer in der Zeit heute: "Die ersten Opfer der Islamisten waren und sind Musliminnen." Es wird weiter über das Diversity-Memo des Google-Programmierers James Damore gestritten: Das Blog @keinetheorie vermutet, dass das Memo kritisiert wird, weil es bestimmte Denkschablonen nicht bedient, der "Diversityberater" Robert Franken sieht es in Zeit online als den Text eines frustrierten Nerds. Die NZZ freut sich, dass auch die Färöer Inseln die Homoehe einführen.

Die Sohle ist der Schlüssel

09.08.2017. In der FAZ übt der Historiker Jürgen Zimmerer scharfe Kritik am Konzept des Humboldt-Forums. In der NZZ meditiert der Soziologe Tilman Allert über die Architektur unserer Sneaker. Google versucht laut Daily Mail fast panisch die Folgen eines sexistischen Manifests eines Programmierers zu begrenzen - der CEO unterbricht seinen Urlaub! Die Frage, wie Schauspiel, Oper und Kammerspiel Frankfurt saniert werden sollen, ist laut taz noch immer ungelöst.

Mit 150 PS unterwegs

08.08.2017. Wir können nicht nur keinen Flughafen, wir können auch keine Gesundheitskarte, konstatiert Zeit online. Französische Medien berichteten über "republikanische Badeaktionen" von Algerierinnen, die gegen den Druck zur Verhüllung protestieren - leider ist das reine Fantasie, antworten Medien in Algerien und Marokko. Modebloggerin Anja Aronowsky Cronberg kritisiert im Deutschlandfunk Korruption im Modejournalismus. Der Guardian stellt die Organisation "Women Now for Development" vor, die Frauen in Syrien nach dem Krieg bessere Partizipation ermöglichen soll.

Emergent und kaum vorhersagbar

07.08.2017. Die Täter der RAF schweigen, wie die Deutschen einst über die Verbrechen der Nazis schwiegen, schreibt die Berliner Zeitung. Die Welt erzählt, wie sich Tayyip Erdogan Respekt in der islamischen Welt holen will. Der Economist erinnert die Deutschen daran, dass Wahlkampf ist. In der SZ schildert der venezolanische Autor Alberto Barrera Tyszka das Ausmaß der Korruption des Regimes.  Die Zeit porträtiert den rechts-nationalen Verleger tz Kubitschek.

Die künstliche Intelligenz hasst uns nicht

05.08.2017.  In Atlantic erinnert Ta-Nehisi Coates die HBO-Macher daran, dass der schwarze Süden im Bürgerkrieg durchaus gewonnen hat. Die NYRB Daily weiß, warum die Ruander jetzt Schuhe auf dem Kopf tragen. Die taz ahnt: Gesichtserkennung bedeutet eigentlich Gesichtsverlust. Andres Veiel lernt die Kuh zu verwetten, die man nicht mehr melken will. Die Welt sucht Intelligenz, die NZZ Leben im All.

Perpetuierte Kontrollschleife

04.08.2017. Die taz unterhält sich mit Mnyaka Sururu Mboro vom Verein Berlin Postkolonial über die Rückgabe von Schädeln aus dem Ethnologischen Museum in Berlin. Die SZ fragt, warum so viele Deutschtürken zu Erdogan halten und fürchtet eine Inflation der Überwachungskameras wie in Britannien. In der Welt warnt Alice Schwarzer vor einer Psychologisierung islamistischer Täter.

Das Narrativ der tapferen Insel

03.08.2017. Über Christopher Nolans "Dunkirk"-Film wird weiterhin auf den Meinungsseiten der internationalen Presse diskutiert: In der New York Times wirft Yasmin Khan dem Film vor, die kolonialen Truppen in der Schlacht vergessen zu haben.  Was die Deutschen im Diesel-Skandal nicht begreifen, ist, dass ihnen die Geschichte davon läuft, meint Sascha Lobo in Spiegel online. In der FAZ wundert sich Josef Schuster vom Zentralrat der Juden über die Kriterien von Arte, wenn es um Israel geht. In der Zeit macht Judith Butler mit Blick auf Diskursgegnerinnen wie Alice Schwarzer klar, dass sie es ganz und gar nicht schätzt, wenn man nicht so denkt wie sie.

In Ewigkeit. Ramen

02.08.2017. Das Creative Commons-Netzwerk teilt mit, dass der syrische Aktivist für ein offenes Internet Bassel Khartabil, der sich für die Erhaltung Palmyras eingesetzt hatte, vom Assad-Regime hingerichtet wurde. Bei Arte lief eine Dokumentation über den Gaza-Streifen, diesmal ganz ohne Faktencheck, den das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus nachliefert. Die SZ fordert mehr Engagement bei der Provenienzforschung zu menschlichen Überresten in Museen.  Die New York Times wirft einen sehr kritischen Blick auf die Organisatorinnen des "Women's March" gegen Donald Trump. Und alle wackeln heute für die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters mit den Fingern.

Ein bisschen ein Potpourri

01.08.2017. Zeit online erzählt, wie sich Frauen in der Türkei gegen den konservativen Rollback wehren. Im Tagesspiegel verteidigt Michael Eissenhauer von den Staatlichen Museen zu Berlin den Herzog-und-de-Meuron-Entwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts. Der Guardian erzählt, was die Verfolgung Homosexueller in vielen Ländern mit dem Kolonialismus zu tun hat. In der taz fragt sich die türkische Abgeordnete Tugba Hezer Öztürk, was man in einem Parlament besprechen soll, in dem man das Wort "Armenier-Genozid" nicht aussprechen darf.