9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

April 2023

Bloß nicht aufmucken

29.04.2023. In der FAS beschreibt der Historiker Jan C. Behrends, wie Russland zum Totalitarismus zurückkehrte. Auch die taz verfolgt, wie der russische Staat Lüge, Denunziantentum und massenhafte Unmoral fördert. Die FAS lässt sich von Petros Markaris erklären, warum die Griechen gegen die Gleichgültigkeit ihrer Regierungen opponieren. In der FR beklagt die simbabwische Schriftstellerin Tsitsi Dangarembga den Braindrain als aktuelle Variante kolonialer Ausbeutung. In der Welt umreißt der Philosoph Hanno Sauer die Kosten des Fortschritts seit Erfindung des Ackerbaus.

Multimediale Verwertungskettenreaktion

28.04.2023. Äh, der Verleger der Berliner Zeitung, Holger Friedrich, hat zwar die Quelle Julian Reichelt an Mathias Döpfner verraten, aber der Chefredakteur der Berliner Zeitung, Tomasz Kurianowicz, beteuert, es gelte weiterhin der Quellenschutz. Alle anderen Medien sind entsetzt. Emmanuel Macron ist einerseits zu sehr Gaullist, andererseits nicht genug, fürchtet Wolf Lepenies in der Welt. In der SZ ist die Schottin A.L. Kennedy nicht zufrieden mit der britischen Monarchie. Die NZZ ist dagegen entgeistert über die Verschwörungstheoretikerin Kennedy.

Dieser Gestus des Besserwissens

27.04.2023. Im Tagesspiegel spricht Swetlana Tichanowskaja über den Widerstand in Belarus und ihren Mann Sergej Tichanowski im Gefängnis. Bis zur Helsinki-Schlussakte im Jahr 1975 war die Ostpolitik eine gute Sache, sagt Joachim Gauck in der SZ, aber danach...  In taz und Welt wird über die Thesen Martin Schröders gestritten, der die Emanzipation der Frau für mehr oder weniger abgeschlossen hält. Und auf Twitter fetzt man sich über Reinhart Koselleck.

Den Schnabel zu öffnen ist verboten

26.04.2023. In Russland regiert endgültig Big Brother, schreibt die Psychologin Anna Schor-Tschudnowskaja in der NZZ: "Wahr" ist nur noch das, was der Staat verordnet. In der Welt fragt Michael Wolffsohn: Warum haben sich deutsche Politiker so kaltschnäuzig gegenüber den Angehörigen des Olympia-Attentats verhalten? Aus der Fülle der heutigen Meron-Mendel-Interviews greifen wir zwei heraus, eins in der taz, eins in der FR. Die FAZ ist zwar selbst nicht mehr präsent, wünscht der Leipziger Buchmesse aber viel Glück.

Kontinentale Kolonisierung

25.04.2023. Die Verachtung für Minderheiten hat in Russland eine lange Tradition, erklärt in der FAZ der Polonist Heinrich Olschowsky - weshalb eine Mehrheit in Russland Putins Krieg unterstütze. In Italien versucht die Regierung Meloni den Faschismus in eine mildes Licht zu tauchen, berichtet die SZ. In der Welt erklärt der  Islamwissenschaftler Alfred Schlicht, wie vor allem Russland von den Konflikten im Sudan profitiert. Die NZZ erzählt, wie schnell man in Belarus im Gefängnis landet.

Begriffsraub und Inversionslogik

24.04.2023. Die Philosophin Sidonie Kellerer stört im Philomag die Feierstimmung zum hundertsten Geburtstag Reinhart Kosellecks. Eva Illouz sucht in Zeit online nach Mitmenschlichkeit. Die NZZ erzählt, was passiert, wenn die investigative Pariser Zeitung Le Canard enchaîné selbst einen Skandal verursacht. Hubertus Knabe recherchiert in seinem Blog zu einer sehr heißen Kartoffel, dem deutsch-russischen Museum in Berlin-Karlshorst. Das Berliner Neutralitätsgesetz bleibt unter Schwarz-Rot erhalten, freut sich hpd.de.

Es sind schamlose und törichte Zeiten

22.04.2023. Moskau droht Deutschland mit dem Hufeisen: Eine Recherche der Washington Post belegt, wie Putin die öffentliche Meinung, ja die politische Landschaft in Deutschland formen will: durch eine Fusion der ganz Linken mit den ganz Rechten. Recht skeptisch blickt die FAZ auf das neue Konzept für die Paulskirche: Ist das geplante "Haus der Demokratie" eine Exklusivveranstaltung des Bundes? In der taz skizziert der israelisch-palästinensische Politologe Bashir Bashir eine mögliche Versöhnung in Israel.

Vor der großen Havarie

21.04.2023. In der SZ wirft der sehr zornige ukrainische Diplomat Oleksander Scherba den hiesigen Friedensaktivisten vor, sie erschüttere weniger der Tod ukrainischer Zivilisten als die Bilder von ihrem Tod. taz und FAZ stellen den Erdogan-Herausforderer Kemal Kilicdaroglu vor, der sich gerade offen als Alevit bekannt hat. In der FAZ ermuntert Fabian Payr dazu, auch mal die Gefühle der Menschen ernst zu nehmen, denen das Gendern ihre sprachliche Identität nimmt. Die SZ erinnert die Klimakleber daran, dass nicht nur nur ältere konservative Biodeutsche am Auto hängen.

Die Ideologie der Macht und des Kapitals

20.04.2023. Maria Pevchikh von der Nawalny-Stiftung porträtiert auf Twitter die Oligarchen-Gattin Swetlana Maniowitsch, die sich in Cannes, London und Genf vergnügt, während ihr Mann, stellvertretender Verteidigungsminister Russlands, die Ukraine in Schutt und Asche schießt. Was macht Europa eigentlich, wenn in den USA Trump oder ähnliche wieder an die Macht kommen, fragt Hannes Stein in der Welt. Es gibt die Cancel Culture nicht nur nicht, sie lohnt sich auch sehr für ihre Verfechter, schreibt Ijoma Mangold in der Zeit.

Halt links statt rechts

19.04.2023. Alles, was die russische Armee in der Ukraine anrichtet, hat sie schon Jahre zuvor in Tschetschenien angerichtet, erinnert in der Zeit der russische Schriftsteller Sergej Lebedew. In der Welt erkennt der Migrationsforscher Oliviero Angeli die Flüchtlingskonvention als Produkt des Kalten Krieges. Auch Provenienzforschung kann als kolonialistisch angesehen werden, informiert uns die FAZ. In der taz prangert die Schriftstellerin Nora Bossong die Heuchelei in den Medien an, die Mathias Döpfner seine politische Agenda vorwerfen, als hätten sie selbst keine. Welt, SZ und FAZ versuchen die KI einzufangen.

"Nur du kannst uns noch retten"

18.04.2023. Russland muss eine totale Kapitulation erleben, um sich von seinem staatlichen Größenwahn zu befreien, meint in der Welt Olaf Kühl. Das Timing war schlecht, aber ansonsten begrüßt die SZ Emmanuel Macrons Vorstöße für mehr europäische Souveränität. Helfen die von der Zeit geleakten Mails von Mathias Döpfner dem Ex-Bild-Chef Julian Reichelt gegen den Vorwurf, seine Position missbraucht zu haben, um Frauen bei der Bild zum Sex zu zwingen, rätseln Meedia und die FAZ. Die NZZ würde gern wissen: Ist Reichelt die Hauptquelle des Zeit-Artikels? taz und NZZ erinnern an den Aufstand im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren.

Wie bei Poes entwendetem Brief

17.04.2023. Nicht nur Alexei Nawalny und Wladimir Kara-Mursa , auch der ehemalige georgische Staatspräsident Michail Saakaschwili wird in Haft gequält, berichtet der Observer. Die New York Times erklärt, warum Google solche Angst vor Künstlicher Intelligenz hat. In der NZZ fragt Ljudmila Ulitzkaja: Brauchen wir Freiheit, und wie viel davon? Die FAS beleuchtet das schwere Leben mit ÖPNV in Deutschland. Im Guardian fragt Tomiwa Owolade: Was ist, wenn sich weiße Iren häufiger als rassistisch verfolgt sehen als Schwarzafrikaner und alle asiatischen ethnischen Gruppen?

Kant würde Waffen liefern

15.04.2023. Der Guardian fürchtet, die amerikanischen Geheimdienste sind zu aufgebläht, langsam und komplex, um ihr Wissen unter Kontrolle zu halten. In der FR nimmt der Philosophieprofessor Markus Tiedemann Immanuel Kant gegen die Pazifisten in Schutz. Die FAS widerspricht Alexander Kluges Idee vom Krieg als großem Gleichmacher. In der taz opponiert die Feministin Luise F. Pusch gegen das Selbstbestimmungsgesetz. In der NYTimes fordert Thomas Friedman die Journalisten auf, nach China zu gehen: If you don't go, you don't know.

Die Rente als Erlösung

14.04.2023. Die Presse schwelgt in ihrem Lieblingsthema: der Springer-Presse. Handelt es sich bei den in der Zeit geleakten SMS von Mathias Döpfner um eine Rache Julian Reichelts, fragen Stefan Niggemeier und die FAZ. Döpfner ist ein Ossist, ruft die Berliner Zeitung. China ist ab heute nicht mehr das bevölkerungsreichste Land der Erde - die Chinesen werden jetzt animiert, viele Kinder zu zeugen, berichtet die taz. In der SZ erklärt der Soziologe Luc Rouban, warum die Franzosen so hingebungsvoll für ihre Rente kämpfen.

Wer da so alles mitliest

13.04.2023. Wladimir Putin scheint Alexei Nawalny zu Tode quälen zu wollen, fürchtet die taz. SZ und FAZ versuchen, mit Emmanuel Macrons leichtfertigen Äußerungen zu Taiwan fertig zu werden. In der Zeit beleuchtet der russische Kulturwissenschaftler Alexander Etkind die russisch-chinesischen Beziehungen: China hat Russland einiges zu verzeihen. Warum müssen die Staatsleistungen an die Kirchen abgelöst werden, da die Ansprüche über Jahrhunderte doch längst abgelöst sind, fragt die SZ.

Schüren der Glut

12.04.2023. Politische Gefangene in Belarus werden mit Aufnähern gekennzeichnet, um zu markieren, wer gewissenhafter gefoltert werden soll, sagt Swetlana Tichanowskaja in einer von der SZ veröffentlichten Rede. Auf die vielen Iranerinnen, die ohne Kopftuch auf die Straße gehen, werden jetzt die "Feuerfreien" losgelassen, berichtet die FAZ. Die Chinesen investieren und sprechen nicht von Menschenrechten, erklärt Asfa-Wossen Asserate in der NZZ afrikanische Sympathien für China. Und in der FR sieht Claus Leggewie Frankreich auf dem Weg in die "Sechste Republik".

Das Schweigen des Westens

11.04.2023. Will nach der "Palästina spricht"-Demo am Wochenende in Berlin ernsthaft noch jemand behaupten, der BDS sei "gewaltfrei", fragt ein empörter Thomas Wessel bei den Ruhrbaronen. Thierry Chervel liest im Perlentaucher  Reinhard Bingeners und Markus Wehners Buch "Die Moskau-Connection". In der SZ stellt der Sinologe Daniel Leese den Chefstrategen der KP China Wang Huning vor und seine eklektische Mischung aus sozialistisch fundiertem Kulturkonservativismus und dem Glauben an technische Lösungen. Im Tagesspiegel fürchtet Julia Ebner: Die Mitte wird rechts.

Mit wem warb Schalke 04 auf seinen Trikots?

08.04.2023. Die Verhandlungen zur Abschaffung der Staatsleistungen an die Kirchen scheinen abgebrochen zu sein, berichtet hpd.de: Sie wäre einfach zu teuer! In der taz prangert Nobelpreisträger Dmitri Muratow von der Nowaja Gaseta die jahrelange westliche Unterstützung für Wladimir Putin an. In der Welt erklärt Eren Güvercin, wie Erdogan in Deutschland Wahlkampf macht, obwohl er gar nicht darf. Nun geht's auch ein paar Berufsgruppen an den Kragen, die bisher von Rationalisierung verschont blieben, fürchtet Judith Simon vom Deutschen Ethikrat in der taz mit Blick auf ChatGPT.

Hegemonistische Narrative

06.04.2023. Die Museumsleiterin Olesia Ostrovska-Liuta schildert im Tagesspiegel die Muster russischer Gewalt gegen die ukrainische Kultur, die eine lange Geschichte haben. Das "Karfreitagsabkommen" wird 25 Jahre alt, noch ist man sich aber nicht ganz sicher, wie es heißt - taz und FAZ erinnern. Die "Friedensinitiative" um Peter Brandt bringt Argumente aus den achtziger Jahren, die heute nicht richtiger sind, schreibt Gerhart Baum in der SZ. Die SZ hat herausgefunden dass die Skulpteure der Benin-Bronzen am liebsten mit  rheinischem Metall arbeiteten, berichtet die SZ. Die Ruhrbarone schildern die missliche Lage des Lokalrundfunks in Städten wie Gelsenkirchen.

Freifahrtscheine ins Nirgendwo

05.04.2023. Wer sein Selbstbild als Pazifist dadurch pflegen möchte, dass er Zehntausende vor der eigenen Haustür dahinmorden lässt, der diskreditiert damit den ganzen Begriff, sagt der Autor Olaf Kühl in der Welt. Christoph Hein erklärt in der Berliner Zeitung, warum er den Dritten Weltkrieg fürchtet. Der Falter fragt, wohin die SPÖ verschwand, als Wolodomir Selenski im Parlament sprach. Und "Berlin bleibt Berlin", hat die neue Koalition in Berlin laut SZ gedroht.

Im Stadion standen Stalin-Doubles

04.04.2023. Es ist unrealistisch, einen Zaun um Europa ziehen zu wollen, sagt der Journalist Howard W. French, Autor des Buchs "Afrika und die Entstehung der modernen Welt", im Gespräch mit der NZZ. Correctiv berichtet, wie es sich die "German-Russian Young Leaders" richtig gut gehen ließen und dabei Förderung von Porsche und McKinsey bekamen, nur damit Gazprom noch besser in Deutschland dasteht. In der FAZ erklärt der Social-Media-Experte Marcus Bösch, warum Tiktok noch viel besser für Desinformation geeignet ist als Twitter.

Stochastischer Papagei

03.04.2023. Zeit online hat eine Erklärung für die irre Kostensteigerung und den ins Unendliche reichenden Zeitplan der Sanierung des Pergamon-Museums: Es sollte unbedingt ein Plan des Architekten Oswald Mathias Unger verwirklicht werden, der sehr tiefe Eingriffe am Gebäude vorsieht. Der Westen hat eine Mitschuld an der Entwicklung Russlands zur Diktatur, sagt Michail Schischkin im Guardian: Er wollte sich unbedingt bereichern. Ist der Hype um ChatGPT ein Hype, fragt NetzpolitikJohannes Paul II. wusste um sexuellen Missbrauch in der Kirche und tat nichts, berichtet die taz.

Warum verhaften Sie mich?

01.04.2023. In der taz spricht Victor Martinowitsch über die Isolation und Einsamkeit der Oppositionellen in Belarus. Sylvain Prudhomme zürnt in der SZ gegen Brillanz und Hochmut Emmanuel Macrons. Statt eines TikTok-Verbots fordert die NYTimes eine Regulierung aller invasiven Apps. In der NZZ ahnt Literaturwissenschaftler Manfred Schneider, warum sich Journalisten so für Chat-GPT begeistern. In der FAZ plädiert seine Bayreuther Kollegin Tina Hartmann für die Abschaffung der Frau und des binären Abendlandes.