9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2017

Inhalte, die in China illegal sind

31.07.2017. In der NZZ denkt Karl-Heinz Ott über Gemeinsamkeiten von RAF-Terroristen und Islamisten nach. Revolutionen in Arabien sind zwar gefährlich, erklärt Hassouna Mosbahi in der NZZ, aber trotzdem wünscht er sich, dass von Tunesien noch eine ausgeht. In Kanada wird laut Marianne.net über etwas gestritten, das Justin Trudeau nie gesagt hat. Apple beugt sich laut Techcrunch der chinesischen Internetzensur und nimmt den Nutzern, die letzten Möglichkeiten, anonym zu surfen. Und auch Putin erlässt in Russland laut Mashable entsprechende Gesetze.

Wie bei einem Provinztheater

29.07.2017. Der Diesel-Skandal zeigt etwas über deutsche Mentalität, sagt die Welt, und auch Angela Merkel sieht da nicht gut aus, ergänzt die taz. In der SZ gibt Jacek Dehnel Auskunft über die politische Szenerie in seinem Land - nicht nur die PiS-Partei ist verantwortlich. In der taz versucht Tristan Garcia seinem Begriff der "Intensität" auf die Spur zu kommen. Buzzfeed erzählt, wie es mit  Soundcloud bergab ging.  In der FAZ wird umständehalber ein Zeitungsmuseum gefordert.

Eine gewisse westliche Klientel

28.07.2017. In der NZZ schildert Jan Koneffke, wie es sich anfühlt, nur mit einigen Hundert-Euro-Scheinen bekleidet auf dem Operationstisch zu liegen. Monika Maron erklärt in der Welt, warum sie sich ungern als "Nichtmuslimin" bezeichnen lässt. Bei Spiegel online erklärt Ulrike Simon, wie sich die öffentlich-rechtlichen Sender reformieren wollen, um mit ihren knappen Geldern auszukommen. Die FAZ geht der antisemitischen ungarischen Kampagne gegen George Soros auf den Grund.

So entschlossen und zart

27.07.2017. Seyran Ates will jetzt auch eine Moschee in London gründen, berichtet der Guardian, und dann in Freiburg, und in Kopenhagen, Los Angeles, Marseille hat sie schon Partner. Slate.fr erinnert an all das, was in Dünkirchen (aber nicht in "Dunkirk") sonst noch geschah. Angela Merkel bekommt bei Vogue ein sehr hübsches Cover, berichtet unter anderem die New York Times. SZ und taz feiern die jungen Polen, die für den Rechtsstaat in ihrem Land demonstrieren. Die Zeit schildert die Schattenseiten Kanadas als Einwanderungsland

Souverän ist anders

26.07.2017. Hätte nur irgendjemand auf die Experten gehört, bevor er den Brexit beschließt, stöhnt ein Experte im Independent. Deutsche Industrieunternehmen sind besonders unehrlich, beobachtet politico.eu, und die deutsche Regierung lässt es geschehen. Künstliche Intelligenz mag gefährlich sein, aber schon unsere natürliche Intelligenz hat manchen Schaden angerichtet, meint die Informatikerin Johanna Bryson in der taz. Die NZZ kritisiert die politisch korrekten Manipulationen der Spiegel-Bestsellerliste.

Das Gegenteil einer Ideologie

25.07.2017. Deniz Yücel schickt der Welt einen ziemlich frechen Brief aus dem Gefängnis: Die deutsche Wirtschaft wird sich nicht amüsieren. Und die Berliner Zeitung schickt der Stiftung Preußischer Kulturbesitz einen sehr unfreundlichen Geburtstagsgruß zum Sechzigsten. L'Express fährt eine sehr scharfe Attacke gegen Le Monde diplomatique, die ein Dossier ihres Hasses auf Bernard-Henri Lévy online gestellt hat. Identitätspolitik ist eine Erfindung der Reaktion, die in die Linke eingewandert ist, schreibt Kenan Malik in seinem Blog.

Im Tempel von Chinas Kultur

24.07.2017. Heute beginnt in der Türkei der Prozess gegen die Redakteure von Cumhuriyet. Selbst der Kantinenwirt des Blattes wurde festgenommen, schreibt Can Dündar bei Zeit online. Ebenfalls in Zeit online sieht Jana Hensel den Rechtspopulismus als "Produkt des Feminismus, der Feminisierung unserer Gegenwart". Im Tagesspiegel kommt der Sinologe Gereon Sievernich auf den Tod Liu Xiaobos zurück. In der Berliner Zeitung spricht der  mosambikanische Schriftsteller Mia Couto über die Gewalt der vorkolonialen Zeit.

Jetzt soll's dem Autor an den Kragen gehen

22.07.2017. Die SZ fürchtet ein Aufziehen der wölfischen Demokratie: Polens Regierung zumindet hat und will schon keine Kontrolle mehr über sich. Der Standard fürchtet nicht nur um die polnische Justiz, sondern immer mehr auch um die Presse. In der taz spricht der türkische Modeschöpfer Barbaros Şansal über seine brutale Inhaftierung. In der NZZ drängt Liao Yiwu, Liu Xiaobos Witwe Liu Xia ausreisen zu lassen. In der Welt ärgert sich Elisabeth Ruge über das zähe und traurige Ausharren alter Männer. Ina Hartwig rät, sich an Menschen zu halten, die einem guttun.

Konsequenz der Umstände

21.07.2017. "Es ist der dunkelste Tag in der polnischen Geschichte seit 1989", schreibt Anne Applebaum auf Twitter - das Parlament hat die Justiz gleichgeschaltet, aber Zehntausende haben heute Nacht protestiert. Warum kriegen Sozialdemokraten beim Blick auf Russland eigentlich vor Rührung feuchte Augen, fragt die Welt.  Soziologen streiten in der Zeit: Der eine sagt, wir brauchen keine Linke mehr, der andere sagt doch. Und Ärger im Humboldt-Forum: Die Kunsthistorikerin Benedicte Savoy erklärt, warum sie den Expertenbeirat verlässt.

Umgeben von unwirklichen Bildern

20.07.2017. Nicht mal mehr Fotos lassen sich verschicken: China hat schärfste Internetzensur eingerichtet um zu verhindern, dass Bilder von Liu Xiaobo kursieren, heißt es bei Quartz.com. Die FAZ ruft auf, sich mit der Kunst seiner Frau, Liu Xia, auseinanderzusetzen. Scharf protestiert die katalanische Filmemacherin Isabel Coixet in El Pais gegen die Kaperung der katalanischen Öffentlichkeit durch die Separatisten. In der Zeit streiten Herta Müller und Włodzimierz Borodziej über den Rechtspopulismus in Osteuropa.

Alles im Rahmen des Üblichen

19.07.2017. Die Bürger in China entkommen der lückenlosen Überwachung per Gesichtserkennung nicht mehr, berichtet die taz. Wir leben heute in Europa in der besten aller Kulturen, meint der Freiburger Philosophieprofessor Andreas Urs Sommer in der NZZ. In Deutschland ist die Zahl der von Genitalverstümmelung bedrohten Mädchen gestiegen, berichtet die SZ. Frauen in Kultur und allen Medien sind mit ihrem Status höchst unzufrieden.

Von einer Idee getriebene Verbrecher

18.07.2017. Die bürgerliche Publizistik kratzt sich am Kopf: Und was wäre, wenn die sympathischen jungen Leute vom "Schwarzen Block" doch irgendwie Recht hätten? Dass "vehementer Widerstand" politische Entscheidungen verhindern kann, erkennt Jakob Augstein in Spiegel online geradezu als Beweis für Demokratie. Die Publizistin Barbara Sichtermann erklärt die Gewalt in der taz mit "Hilflosigkeit, Wut und Verzweiflung". Mit Gewalt lassen sich soziale Grundrechte verankern, hofft die Soziologin Donatella della Porta in der SZ. "Nichts als Verachtung" bekennt dagegen Peter Schneider in der Welt für solche Positionen.

Paparazzo-Niveau

17.07.2017. Tausende gedachten in Hongkong Liu Xiaobos. Chinesische Dissidenten sind empört über die hastige Einäscherung Lius, dessen Asche im Ozean verstreut wurde, um keinen Gedenkort zu schaffen, berichtet der Guardian. Die taz resümiert den Rollback in der Türkei seit dem Putschversuch in der Türkei: Gegen 170.000 Menschen laufen Ermittlungsverfahren. Die Welt identifziert einen neuen Typus Politiker, die den Personnality-Kult anziehen. In der New York Times warnt Tim Wu vor den Bots.

Ein Desaster, das sich in Zeitlupe entfaltet

15.07.2017. Liu Xiaobos Leichnam ist bereits eingeäschert - Menschenrechtler und Medien machen sich Sorgen um seine Witwe Liu Xia. Polen ist auf dem Weg in die Autokratie am "Point of no return" angelangt, warnt politico.eu. Die Türkei ist auf diesem Weg schon ein paar Schritte weiter, zeigen zwei Essays in der taz. Amerikanische Zeitungen beginnen den Widerspruch der Informationsökonomie zu begreifen, hofft Slate. Und der Guardian sucht Wege aus dem Brexit.

Zutiefst verstörend

14.07.2017. Liu Xiaobo ist tot. Scharf kritisiert das norwegische Nobelkomitee die chinesische Regierung, die Liu Xiaobo nicht rechtzeitig in ein Krankenhaus brachte, und den Westen, der zu all dem schüchtern schwieg. Der New Yorker zitiert einen Essay Lius, in dem der Nobelpreisträger das Kuschen der anderen vor dem wirtschaftlich immer stärkeren Giganten bereits beschrieb. Freunde Lius machen sich Sorgen um seine Frau - sie appellieren an die deutsche Regierung, sich für Liu Xias Freilassung einzusetzen.

Aus bürgerlichen Verhältnissen

13.07.2017. Aktualisiert: Freund Liu Xiaobos stellt laut Deutschlandfunk Fragen an die chinesische Regierung. In Deutschland wird weiter über die Gewalt in Hamburg diskutiert. Ein bisschen über dem Getümmel stehen die Salonkolumnisten, die herausgefunden haben, warum bürgerliche Medien oft mehr Verständnis für Linksradikale haben. In der Zeit wundert sich der einst gefeierte schwule Kirchenkritiker David Berger, warum er erst als islamo- und dann als homophob galt. In der Welt schlägt Ahmad Mansour in einem "Zehnpunkteplan gegen den Islamismus" vor, den konfessionellen Religionsunterricht abzuschaffen.

Per se nicht unbedingt ein Vergehen

12.07.2017. In der NZZ beklagt Kulturtheoretiker Jan Söffner die Verflachung der Theorie in der Kultur der Universität. Bei Vice erzählt die afghanische Rapperin Sonita Alizadeh, wie ihre Kunst das Leben verändert. In politico.eu hofft ein Brexit-Gegner auf eine späte und zerknirschte Einsicht der Brexit-Anhänger. In Zeit online protestiert Jan Philipp Albrecht  gegen die anlasslose und zeitlich kaum befristete Dokumentation unserer Reisedaten. Und alle Medien staunen über die Trumps und Russland.

Sie half vielen Flüchtlingen

11.07.2017. In der taz setzt Liao Yiwu seine Hoffnung auf Angela Merkel, um Liu Xiaobo doch noch nach Deutschland zu holen. Am besten wehren sich Medien gegen Plattformen, indem sie eine Plattform gründen, meint Publizistikprofessor Otfried Jarren in der NZZ. In Frankreich war der Kolonialismus eine Sache der Republik, erklärt der Historiker Pascal Blanchard in slate.fr. SZ und politico.eu gehen ungarischen Verschwörungstheorien über George Soros auf den Grund.

Schafe der Geschichte

10.07.2017. Liu Xiaobo möchte im Ausland behandelt werden, und er ist transportfähig, berichtet die New York Times. Die Hamburger Ausschreitungen halten die Medien noch in Atem. War die Polizei schuld? Oder lieferte der Schwarze Block nur ein Bild des hässlichen Deutschen?  In der Welt hofft Necla Kelek nach dem erfolgreichen Marsch für die Gerechtigkeit auf ein Erwachen der türkischen Zivilgesellschaft. In der FR möchte Pankaj Mishra, dass wir die Psyche junger Menschen verstehen, die zu Terroristen werden . Die türkische Journalistin Ece Temelkuran wendet sich in der NZZ gegen die großen Gesänge und will konkrete Ansätze. Und das Luther-Jahr ist ein Riesen-Flop, rechnet die FAZ aus.

Zähneknirschend und weißhaarig

08.07.2017. Das Schanzenviertel ist verwüstet, und auch sonst ging es beim G20-Gipfel heiß her. Dem Guardian traten beim Treffen von Trump und Putin die Unterschiede der beiden glasklar vor Augen: Putin spielt Schach, Trump spielt nur rum. Slate fragt allerdings, warum Trump Russland für die Einmischungen in den Wahlkampf ungestraft davon kommen lässt. Die taz verteidigt die Genderstudies gegen die Kritik von Emma, die Denkverbote und Psychoterror um sich greifen sieht. In der NZZ fürchtet Pascal Bruckner den Fluch der Langlebigkeit.

Weithin christlich, weithin weiß

07.07.2017. Auf dem G20-Gipfel wird über alles mögliche gesprochen, aber ganz bestimmt nicht über Liu Xiaobo. Laut der South China Morning Post bestehen kaum noch Chancen, dass Liu die nächsten Tage übersteht. Peter Beinart definiert den "Westen" im Atlantic als einen ethnischen und religiösen Begriff, der von Donald Trump in rassistischer Weise gebraucht wird. Die FAZ bringt eine Rede Navid Kermanis über die Zukunft der Erinnerung an den Holocaust. Die Berliner Zeitung berichtet, dass die Berliner Universitäten und die Charité ihre Verträge mit Elsevier kündigen - wegen nicht mehr zu tragender Kosten.

Beihilfe zur Propaganda

06.07.2017. Heute leider nur ein rudimentäres 9punkt: Der Perlentaucher hat Probleme mit dem Internet! Die SZ berichtet, dass Tausende Videoblogger in China ihre Arbeit verlieren, weil die Regierung die Internetmedien gleichschaltet. Gleichzeitig behauptet die China-Expertin Kristin Shi-Kupfer in der SZ, dass China auf dem Weg in die offene Gesellschaft sei. Die Zeit gibt Tayyip Erdogan auf zwei Seiten Gelegenheit zur Selbstdarstellung: Auch den Titel kriegt er: "Deutschland begeht Selbstmord." Und die FAZ rät zu Räumen der Stille ohne religiöse Symbole.

Genau diese eine Differenz

05.07.2017. Das Bundesverfassungsgericht möchte keine Kopftuchträgerinnen als Richterinnen sehen - die taz protestiert. Der Brexit ist immer gut für witzige Meldungen: Nun nennt Dominic Cummings, der Erfinder des Slogans "vote leave, take control" den Brexit eine "dumme Idee", hat der Independent herausgefunden. China entwickelt eine Überwachung der Bürger per Gesichtserkennung, die den schlimmsten Science-Fiction-Fantasien gleichkommt, berichtet Netzpolitik.

Desinformation im postfaktischen Zeitalter

04.07.2017. Der Dokumentarfilmer Matthew Heineman erzählt der Columbia Journalism Review von der extremen Gewalt, die er in seinem Film  über die Bürgerjournalisten von "Raqqa is Being Slaughtered Silent" zugleich zeigen müsste und nicht zeigen kann. Die Drohungen der FAZ und Zeit-Verleger haben gefruchtet: Studenten dürfen ihre Artikel nicht ohne Lizenz kopieren, merkt irights.info an. In der NZZ hat Roland Reuß ein Intelligenzproblem mit dem UrhWissG. In der Pop-Zeitschrift fragt sich Wolfgang Ullrich, warum Martin Schulz seine Wahlkampffotos auf Instagram so nostalgisch tönt.

35 Mal Sport und 11 Mal Tatort

03.07.2017. Zehntausende Hongkonger protestieren, auch für Liu Xiaobo - aber die Zeichen für Hongkong stehen nicht gut, fürchtet die taz. Im Standard schwärmt Karl-Markus Gauß von Moldawien. In der NZZ verzweifelt Michail Schischkin an Russland. In der Welt antwortet Richard Herzinger auf Seymour Hershs Behauptung, dass Baschar al-Assad nicht für das Giftgas in Chan Scheichun verantwortlich sei.  Im Observer fordert Kenan Malik die Linke auf, ihren Kulturalismus aufzugeben.

Ein ganz gewöhnliches religiöses Verhalten

01.07.2017. Die Freude ist groß, aber es gibt auch Streit: Die "Homo-Ehe", für die einige seit Jahrzehnten kämpften, ist nun da. taz und SZ machen sich aber auch Gedanken, was das für das Institut der Ehe eigentlich bedeutet. Liu Xia durfte ihren Mann Liu Xiaobo besuchen, berichtet die Welt. Ausreisen wird er wohl nicht dürfen, berichtet die South China Morning Post. In der NZZ  schildert Jonathan Haidt die ungeheure Macht der "Verletzlichkeit" in ideologischen Streitigkeiten an amerikanischen Unis. Die öffentlich-rechtlichen Sender möchten mehr  ins Netz und die Privatsender ans Gebührengeld, melden dwdl.de und golem.de.