9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2015

Kammerdiener der Regierenden

30.09.2015. Slate.fr erklärt, was "Antipolitismus" ist. In Atlantic lotet Ta-Nehisi Coates die Abgründe des amerikanischen Gefängniswesens aus. In der SZ verteidigt der Politologe Peter A. Kraus die katalonischen Separatisten. Wikileaks enthüllt einen Deal zwischen Großbritannien und Saudi-Arabien, der Saudi-Arabien einen Sitz im UN-Menschenrechtsrat bescherte. Und Jeff Jarvis meint: Internetwerbung ist kaputt, die Medien - nicht die Werbeagenturen - müssen sie neu erfinden.

Hundert Milliarden Metadaten-Einträge

29.09.2015. Bricht Saudi-Arabien zusammen?, fragt das Middle East Eye. Und in Slate plädiert die säkulare Muslimin Asra Q. Nomani für einen Boykott des Hadsch. In der FAZ wehren sich drei Migrationsforscher gegen die scharfen Töne Jörg Baberowskis. Spiegel Online rät, Hamed Abdel-Samad gar nicht zu ignorieren. In der NZZ warnt Manfred Schneider vor dem elektronischen Leviathan. Laut Netzpolitik ist er in Großbritannien aber mehr oder weniger verwirklicht.

Der Plan für die Expressscheidung

28.09.2015. Poltico.eu spürt mit Blick auf das Wahlergebnis in Katalonien "das Rumoren einer tektonischen Veränderung". Schon eilen Schweizer Parlamentarier zur Vermittlung herbei. Wladimir Putin bekennt bei CBS seine rückhaltlose Unterstützung für Baschar al-Assad. Die SZ begeht den neutralisierten Tahrir-Platz. Im Guardian erklärt Nick Cohen, warum Britannien eine Women's Equality Party braucht. Heinrich August Winkler sehnt sich in der FAZ nicht nach Harald Welzers "Sehnsuchtsland" Deutschland. Christiane Peitz verteidigt im Tagesspiegel die Kritik als Königsdisziplin des Feuilletons.

Ich will noch mehr Trump!

26.09.2015. In der taz fragt Karl Schlögel, warum bei der deutschen Linke alle solidarischen Reflexe ausfallen, wenn es um die Ukraine geht. Im Freitag fragt die Feministin Mona Eltahawy, warum sich die Linke bei den arabischen Misogynisten anbiedert. Im Tages-Anzeiger bekennt Salman Rushdie sein Faible für böse Dschinns. In der FAZ weiß Thomas Gsella, was der deutschen Autoindustrie fehlt: ein Tempolimit.

Internet der lügenden Dinge

25.09.2015. Dass VW so lange ungestraft seine Abgaswerte manipulieren konnte, liegt auch am Urheberrecht, haben die Electronic Frontier Foundation, Telepolis und die New York Times herausgefunden. Die deutschen Verleger in der VG Media wollen sechs Prozent des Google-Umsatzes für Links der Suchmaschine. Dem Patentamt ist das zuviel. Die Russen erinnern sich an die Neunziger, als das Leben noch wild, aber frei war, erzählt die Welt. Und Bloomberg Business hat Peinliches über Internetwerbung herausgefunden.

Mutmaßliche Majestätsbeleidigung

24.09.2015. Charlotte Knobloch von der Jüdischen Gemeinde begrüßt in der SZ die Flüchtlinge, will aber keineswegs, dass sie das Land verändern. Christian Geyer macht sich in der FAZ Sorgen um "das Eigene". Götz Aly will in der Berliner Zeitung weder "das Eigene" noch andere heilige Schriften, sondern hält das Grundgesetz hoch. Lamya Kaddor möchte in der Zeit, dass der deutsche Staat für Moscheen sorgt. In Spiegel Online staunt Sascha Lobo: Die Digitalisierung ist bei VW angekommen. Aber nur, um gegen den Elektromotor zu kämpfen. Und die New York Times meint: #Piggate ist ein 'Symptom.

Eine Halbwelt von zweifelhaften Geld

23.09.2015. Piggate ist mehr als eine Klatschgeschichte, findet der Guardian, und mehr als eine Jugendsünde, findet die huffpo.fr. In der SZ betont Kenneth Roth, Direktor von Human Rights Watch, dass es Assad ist, der die meisten Zivilisten vertreibt. Die Welt will eine Willkommenskultur der klaren Worte. Im Perlentaucher fragt Eva Quistorp bestürzt: Wie bringt man den Flüchtlingen eigentlich Deutsch bei? Und laut Hollywood Reporter dürfen wir künftig "Happy  Birthday" singen, ohne den Warner-Konzern zu bezahlen.

Überhaupt keine Handlungspotenziale

22.09.2015. Was ist nur aus der "linken Kritik" geworden, ächzt Isolde Charim in der taz. Ideen haben nichts mit Gewalt zu tun, meint Jörg Baberowski in der FAZ. Ebendort sagt Reinhard Merkel weitere Hunderte Millionen Flüchtlinge an. Die Berliner Zeitung schlägt vor, den geplanten Berliner Flughafen aufzugeben und einfach ganz neu anzufangen. Netzpolitik veröffentlicht neue Geheimdokumente aus dem BND.

Mögliche Schwierigkeiten bei der Religionsausübung

21.09.2015. Der Independent staunt über die Vereinten Nationen, die einen saudisch-arabischen Diplomaten zum Kopf eines Expertengremiums für Menschenrechtsfragen ernennen.  Warum sind die Deutschen sauer auf die Osteuropäer, aber nicht zum Beispiel auf die Dänen, die ihre Grenzen genauso geschlossen halten?, fragt die NZZ. In der Berliner Zeitung geißelt Ilija Trojanow den großen Meinungsbrei, der jeden ernsthaften Diskurs verhindere. Die FAZ beleuchtet  syrische und irakische Reaktionen auf die Flüchtlingskrise.

Friedliche Anfechtung der Macht

19.09.2015. Gestern hat Charlie Hebdo den Medienpreis M100 erhalten. Die Welt druckt die Dankesrede, in der Chefredakteur Gérard Biard das Recht auf Blasphemie verteidigt. Im Tagesspiegel erklärt Biard seinen aufgebrachten Kritikern die Karikatur mit dem Flüchtlingsjungen Aylan. Im Guardian erzählt der russische Dichter Kirill Medwedew, wie er sich und seine Werke vom Urheberrecht befreite. In der FR blickt Arno Widmann nach Zentralasien, dessen Landkarte China mit der Neuen Seidenstraße neuzeichnet. Die NZZ beobachtet entgeistert die deutsche Berichterstattung zur Flüchtlingskrise.

Eine seltsame Entwicklung

18.09.2015. Im Tagesspiegel wendet sich Charlie-Hebdo-Chefredakteur Gérard Biard gegen die Vokabel "Respekt", die oft nur Furcht bedeute. In der Welt enttäuscht Salman Rushdie all jene, die behaupten, die Rushdie-Affäre sei etwas ganz anderes gewesen als der Streit um Karikaturen. The Verge erklärt, wer im Clinch der Internetgiganten Google, Apple und Facebook wirklich draufzugehen droht: die unabhängigen Medien.

Zarter Ruch von Verwahrlosung

17.09.2015. In der NZZ spricht der syrische Autor Sadiq al-Azm über den Hass auf die Moderne. In der Zeit versucht Hans Ulrich Gumbrecht dem entsetzten Europäer Donald Trump zu erklären. Politico.eu erzählt Mordsgeschichten aus dem Leben der Rebekah Brooks. In der FAZ ruft Hermann Parzinger mit Blick auf Palmyra: "Baut die Tempel wieder auf!"

Der Mercedes kommt mit einem Doktortitel

16.09.2015. Kenan Malik findet keineswegs, dass die Flüchtlingskrise noch nie gekannte Ausmaße hat. Monika Grütters hat nun den Entwurf des Kulturgutschutzgesetzes vorgestelt, und alle freuen sich über die "Präzisierungen". Die FAZ findet die Kooperation zwischen SZ und NDR und WDR "total intransparent". Die Columbia Review of Journalism erzählt, was Journalisten in Marokko passiert, die Flüchtlinge als Flüchtlinge bezeichnen.

Kehre aus dem Stand

15.09.2015. In Politico und Open Democracy wird über die Rolle der mitteleuropäischen Länder in der Flüchtlingskrise gestritten. Politico.eu fragt: Ist Jeremy Corbyn ein Euroskeptiker? Die Berliner Zeitung berichtet begeistert von einem Feministinnen-Gipfeltreffen in Berlin. In der taz erzählt Brewster Kahle archive.org, wie er nun auch das Wohnungssystem hackt. Slate nimmt den "First-Person Industrial Complex" von Internetmedien wie Buzzfeed und Vice aufs Korn.

Es bedarf größerer Reformen

14.09.2015. "Die Verwirrung über Deutschland ist vor allem eine Krise der Klischees", schreibt Herfried Münkler im Tagesspiegel. Erst weigert sich Deutschland, in der Krise zu intervenieren, dann ruft es die Flüchtlinge zu sich, staunt der britische Politologe Anthony Glees im Deutschlandfunk. Jörg Baberowski will die Flüchtlingskrise in der FAZ überhaupt nicht bewältigen. Im New Yorker fragt Tim Wu: Was wurde aus Google Books?

Die Botschaft des Netzes als Medium

12.09.2015. Wenn die Kartoffel so heiß gegessen wird, wie sie gestern kochte, ist Katalonien demnächst unabhängig, meint der Guardian. In der Welt leisten Kurt Flasch und Friedrich Wilhelm Graf dem Teufel Sterbehilfe. Ebendort warnt Wolf Lepenies vor einem Bündnis von Rechts- und Linksextremisten in Frankreich. Theodor-Wolff-Preisträgerin Barbara Sichtermann wendet sich in ihrer Preisrede gegen die "Kostenlosmentalität". Teheran wird bunter, berichtet die FAZ, aber das Internet wird ab und zu abgeschaltet.

Die kleinen Verschiebungen

11.09.2015. Politico.eu staunt: Morgen wird ein Verehrer Hugo Chavez' zum Chef der Labour-Partei gewählt. Und huffpo.fr staunt auch: über Pep Guardiola, der für die Unabhängigkeit Kataloniens wirbt. In der FR hat Frans de Waal schlechte Nachrichten für Kirchen und andere Religionen: Sie haben die Moral gar nicht erfunden. In der Jüdischen Allgemeinen reibt sich Henryk Broder den Kopf: Warum will Claudia Roth, dass die Iraner Atomkraft nutzen dürfen, die Deutschen aber nicht?  Und In Australien sind laut Mashable jetzt sämtliche Australier wiedererkennbar.

Netzanbieter mit ziemlich leeren Händen

10.09.2015. Europa existiert, versichert Karl-Heinz Ott in der NZZ, ein Blick von außen hilft. Die Zeit erklärt, was Deutschland in der Flüchtlingskrise von Schweden lernen kann. Slate.fr räumt mit einem Missverständnis über Religonen auf: In Wirklichkeit sind sie gar nicht friedfertig. In der Zeit wird über die Frage gestritten, ob man Fotos von getöteten Menschen bringen soll. Und Theawl.com ist sich sicher: Dies ist eine prächtige Zeit für freie Journalisten.

Ungewolltes Tracking

09.09.2015. Verliert die Demokratie die "Schlacht der Ideen"?, fragt politico.eu. Die Zensur religiöser Beleidigungen zum Schutze religiöser Minderheiten schadet vor allem den religiösen Minderheiten, meint der New Humanist. Nicht die Adblocker, sondern die Werbeleute sind das Problem im Internet, meint Doc Searls. Die NZZ kritisiert die ukrainischen Geschichtsgesetze. Wir bringen einen Werbespot, der sich für das Recht auf Abtreibung einsetzt, und den Jezebel lieber nicht bringt.

Eigennutz ist wohl rational, aber nicht vernünftig

08.09.2015. Heute erscheint in den USA Timothy Snyders neues Buch "Black Earth", das neuen Streit über die Ursachen des Holocaust auslösen wird, meint die New York Times. Im Kongo wird laut Libération ein Film über den Gynäkologen Denis Mukwege verboten, weil er dem Ansehen der Armee schade - der Arzt kümmert sich um vergewaltigte Frauen. Die NZZ erzählt, wie im Koreakrieg chinesische Soldaten verheizt wurden. In der Welt löst Byung-Chul Han die Flüchtlingskrise mit Kant.

Der Enterich fliegt ferner, taucht tiefer und sprintet schneller

07.09.2015. Die Flüchtlingskrise ist in Wirklichkeit eine Sicherheitskrise, schreibt Anne Applebaum in Slate. Als Grund dafür sieht sie die fehlende europäische Außen- und Verteidigungspolitik. Aber sie ist keineswegs nur ein europäisches Problem, meint Michael Ignatieff in der New York Times. Poltico.eu und andere staunen über die deutsche Willkommenskultur, oder agiert Deutschland eiskalt und eigennützig (so taz, und laut politico.eu der Front national)? Im Guardian fragt William Dalrymple, wie es eigentlich mit der Vergangenheitsbewältigung der Briten steht.

Semiotische Voodoopuppe

05.09.2015. Herrscht in Deutschland Gesinnungsterror, wie die Zeit meint? Überhaupt nicht, findet die Welt. Nicht im Vergleich zu den USA, findet die SZ. Die FAZ nimmt Franz Josef Strauß in Schutz. Warum schimpfen alle auf Ungarn - die halten sich doch an die EU-Regeln für den Umgang mit Flüchtlingen, fragt der Tagesspiegel. Die taz kennt einen großen, leerstehenden Schlossneubau, der sich ideal als Flüchtlingsquartier eignen würde.

Angebliche Sittenlosigkeit des päpstlichen Rom

04.09.2015. Der Guardian versucht zu erklären, warum sich die Osteuropäer gegen Flüchtlinge wehren. Unterdessen fährt Zeit-online-Autor Robert Misik einfach nach Budapest, lädt drei Flüchtlinge ins Auto und bringt sie nach Wien. Wenn die Londoner Hipster Jeremy Corbyn lieben, verwechseln sie was, meint Politico.eu. Die NZZ hat herausgefunden: Nicht erst das Internet, schon der Buchdruck brachte als Medientechnologie bedenkliche Rückschritte. Die Welt schafft den Tod ab.

Schwester, ich finde den Rückwärtsgang nicht!

03.09.2015. Die FAZ folgte bei Gloria Thurn und Taxis einer mondänen Kongregation von Kirchenleuten gegen eine eventuell reformierte Familienpolitik des Papstes. Der Papst will jetzt schon ein Jahr lang Abtreibung verzeihen, meldet der Tagesspiegel. Die SZ wendet sich gegen gegen den Traum von einem linken Populismus. Die NZZ erklärt, was sich die Chinesen von der Geschichtswissenschaft erwarten. Die kontextwochenzeitung versucht mit Wolfgang Storz herauszufinden, ob linke Verschwörungstheorien besser sind als rechte.

Moment der Machtlosigkeit

02.09.2015. Die NZZ zweifelt an der Politik der neuen Besen in den italienischen Museen. Geradezu euphorisch begrüßen Claus Leggewie und Daniel Cohn-Bendit in der taz die durch die Flüchtlinge zu erwartenden Veränderungen. Irights.info wagt ein Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts. Im Freitag kritisiert Medienwissenschaftler Dietmar Kammerer die Idee der Gegenüberwachung.

Zwei Züge auf zwei Gleisen

01.09.2015. Der Baal-Tempel in Palmyra existiert nicht mehr - Satellitenbilder in allen Medien machen es klar. Alan Posener spottet in der Welt über Daniel Barenboim, der so gern in Teheran gespielt hätte, bis die Iraner entdecken mussten, dass er Israeli ist. Politico.eu macht auf eine neue politische Kraft in London aufmerksam: die Women's Equality Party. In der Berliner Zeitung erklärt Götz Aly, wie Adolf Hitler seine innovative Sozialpolitik finanzierte. Nur der Säkularismus kann die arabischen Länder retten, sagt Sadiq al-Azm in der taz. Es wird allerdings noch dauern.