9punkt - Die Debattenrundschau

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2014

Dieser gemeineuropäische Fatalismus

30.06.2014. Empörung bei Techcrunch und vielen anderen Medien über den Versuch von Facebook, die Emotionen der Nutzer durch den Newsstream zu manipulieren. Die SZ beschreibt den Clinch zwischen Peking und den aufsässigen Hongkongern. In Zeit online empört sich Till Kreutzer darüber, wie die Zeitungsverlage das Leistungsschutzrecht per Bundeskartellamt durchsetzen wollen. In der FAZ stellt Peter Graf Kielmansegg die Schuldfrage mit Blick auf den ersten Weltkrieg.

Die aufständische Elite einer glücklosen Stadt

28.06.2014. Vor hundert Jahren erschoss der jungbosnische Anarchist Gavrilo Princip den österreichischen Thronfolger. In der FR begibt sich Miljenko Jergovic auf die Spuren der Anarchisten in Sarajevo. In der NZZ hält Bora Cosic fest: Der Wahnsinn war bosnisch, die Waffen serbisch. Zeit Online staunt, dass jetzt eher Deutsche als Amerikaner Freiheitspathos versprühen. In der FAZ weist Constanze Kurz jedoch darauf hin, dass es auch Deutschland seine Anti-Terror-Dateien gibt. Im Blog der NYRB feiert Alma Guillermoprieto das Comeback Lateinamerikas. Und wir gratulieren Netzpolitik.org zum Grimme Online Award. 

Kugeln für die Freiheit

27.06.2014. Nach den Enthüllungen über die Kooperation zwischen BND und NSA stellt sich die Frage, ob die Bundesregierung überhaupt über das Thema aufklären kann: Denn sie ist Teil des Problems, fürchtet Lawblogger Thomas Stadler. Zeit online fragt, ob Frank-Walter Steinmeier in dieser Sache die Wahrheit sagte. Der Zürcher Germanist Wolfgang Groddeck erklärt in der NZZ, warum er gegen Open Access ist. Und wie sinnvoll ist ein Verbot von "Mein Kampf" nach Auslaufen der Urheberrechte im nächsten Jahr? Die SZ analysiert die Bildsprache der Terrortruppe Isis.

Selbstlaufende Majorisierung

26.06.2014. Da der BND an den Aktivitäten der NSA aktiv beteiligt war, müssen deutsche Politiker endlich Rechenschaft ablegen, fordert Sascha Lobo bei Spiegel Online. Und das gilt ganz besonders für die SPD, sekundiert die SZ, denn die enge Kooperation begann unter Rot-Grün. Lawblogger Thomas Stadler glaubt kaum, dass die Presseverlage beim Bundeskartellamt eine Chance haben. Der Tagesspiegel kritisiert deutsche Behörden für ihre geschönten Statistiken über Rechtsextremismus. In der Zeit erzählt Navid Kermani, wie tolerant Syrien 1989 war. Und werden die algerischen Nationalspieler zu Ramadan fasten?

Die Grammatik der Selbstrechtfertigung

25.06.2014. In der taz fordert Thomas Piketty eine Vermögenssteuer, schon als Grundvoraussetzung für jede Demokratie. Auf Neunetz ahnt Marcel Weiß, warum die Presseverlage so gegen Google giften: Sie wollen ein neues Gesetz. Aber auch die Verlage erheben sich gegen Amazon. Die FAZ warnt vor den Gefahren des Internets. Und kann man heute noch Zoos machen?

Am Kiosk seinen Ausweis zeigen

24.06.2014. Netzpolitik kommentiert schon mal die Rede, die Thomas de Maiziere heute zur digitalen Agenda der Bundesregierung halten wird: Der Minister träumt sich eine analoge Welt, die es nie gab. In der taz beklagt der Romanist Uli Reich die fehlende Erinnerungskultur Brasiliens. Le Monde lernt aus einer Umfrage: Kultur wird gern konsumiert, vorausgesetzt, Freunde empfehlen sie. Die NZZ stellt das Magazin Vice vor.

Wie auf einem Immendorf-Gemälde

23.06.2014. In Telepolis sprechen Stefan Aust und Dirk Laabs über die ungute Nähe zwischen Verfassungsschutz und seinen V-Leuten. In der FAZ sieht Swetlana Alexijewitsch Russland in die dreißiger Jahre zurückfallen. Der Tagesspiegel berichtet über die Trauerfeier für Frank Schirrmacher. Die NZZ beschreibt die Welt according to Isis. Im Blog NYRB erklärt John Searle, warum Menschenrechte nur als negative Rechte funktionieren.

Vom Patentamt genehmigt

21.06.2014. Mit Grauen blickt Najem Wali in der NZZ auf die Ereignisse im Irak. David Grossman sieht in der FAZ Israel zum Nebenkriegsschauplatz werden - und hofft dennoch nicht mehr auf Versöhnung. Amerikanische Whistleblower appellieren laut Netzpolitik an die deutsche Zivilgesellschaft. Die Zeitungsverleger haben inzwischen ihre Forderungen gegen Google beziffert: 11 Prozent der Umsätze aus Snippets, und Jeff Jarvis fasst sich an den Kopf.

Geliebte Charlotte

20.06.2014. Adieu offenes Netz. Leistungsschutzrechte werden eingeklagt. Blaue Briefe gehen raus. Alle bangen: Ähnle ich einer Suchmaschine? Irights.info berichtet. In der NZZ plädiert Tomasz Kurianowicz für unmittelbare Kommunikation unter Liebenden, das reduziert das Begehren. Die dänische Zeitung Information und The Intercept enthüllen das allergeheimste Geheimnis: Die NSA saugt mit 3 Terabit pro Sekunde die Glasfaserkabel ab, und die europäischen Geheimdienste sekundieren. Viele sind empört: Israel sucht nach entführten Israelis.

Gemeinsam vor einer Isis-Fahne

19.06.2014. Der Spiegel veröffentlicht ein Deutschland-Dossier zur Zusammenarbeit von NSA und BND. Die taz erzählt, wie die Dschihadisten im Irak und Syrien übers Internet Kämpfer aus aller Welt rekrutieren. Richard Herzinger macht den frühen Rückzug der Amerikaner aus dem Irak für den Schlamassel verantwortlich. Putin hat Angst, versichert Nadja Tolokonnikowa im Guardian. Carta fragt angesichts der Kritik an Amazon: Wollen wir mal über den Umgang von Verlagen mit freien Autoren reden?

Mauerblümchen

18.06.2014. In der FR erklärt Kurt Westergaard, warum er als Karikaturist nicht den Pausenclown fürs Publikum spielen will. Chelsea Manning erklärt in der New York Times, warum eingebetteter Journalismus kein Journalismus ist. Die taz gruselt sich in Transnistrien. Youtube will künftig Musikvideos von Künstlern sperren, die keinen Vertrag mit seinem neuen Abodienst haben, meldet Ars Technica. Der russische Regisseur Oleg Senzow wurde wegen seiner Unterstützung der Maidan-Bewegung vom russischen Geheimdienst verhaftet, berichtet die Welt.

Gradmesser für Relevanz

17.06.2014. Funkzellenabfragen und damit die Datenspeicherung unverdächtiger Handybesitzer ist bei der Polizei inzwischen Usus, berichtet Zeit online. Die FAZ warnt vor Gesundheits-Apps, die uns überwachen. In der Berliner Zeitung plädiert Jürgen Habermas für den guten alten Journalismus. In der FR beschreibt Olivier Roy den Irak als gescheiterten Staat.

Panikmache pensionierter Oberlehrer

16.06.2014. Die Welt stimmt mit Pep Guardiola für die katalanische Autonomie. Im Tagesspiegel macht Benjamin Korn die Refeudalisierung der französischen Gesellschaft für den Erfolg des Front national verantwortlich. Universale Menschenrechte sind rassistisch, erklärt Putins Hofintellektueller Alexander Dugin der FAZ. Deutsche Innenminister möchten unsere Mobiltelefone steuern können - aus reiner Sorge, meldet Udo Vetter.

Der Machtkreis um das eigene ich

14.06.2014. In der Berliner Zeitung prangert Jagoda Marinić die unterschwellige bis offene Verachtung gegenüber der ersten Einwanderer-Generation an: "Für viele sind die Eltern der schwarze Fleck auf ihrer Aufstiegsweste." In der NZZ erklärt Oleg Jurjew, warum Bulgakow und Babel nie über den Ersten Weltkrieg geschrieben haben. In der FR fordert Claus Leggewie eine Architektur der kulturellen Öffentlichkeit. Die SZ beobachtet den in den USA tobenden Kampf zwischen Amazon und den Verlagen. Außerdem beschäftigt die Feuilletons weiterhin der Tod Frank Schirrmachers.

Alle Positionen ins eigene Blatt

13.06.2014. Gestern starb FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher an einem Herzinfarkt. Alle Zeitungen würdigen ihn als herausragenden Journalisten, eine als großen Mimetiker. Außerdem: Die taz erhofft sich vom neuen Start-Up-Zentrum "Factory" in Berlin jede Menge absurde Ideen. Der amerikanische Jurist Tom Bell erklärt uns, warum eine konsequente Durchsetzung des Urheberrechts nicht wünschenswert ist. Der Anne-Frank-Fonds sieht das ganz anders.

Der biometrische Leviathan

12.06.2014. Die Medien sind sich ja bei Christian Wulff so weit einig: Unschuldig oder nicht - wir wollten seinen Rücktritt zu Recht. Die Zeit spielt die Gegenstimme: Peer Steinbrück gibt Wulff hier recht. Die Zeit selbst nimmt ihr Verhalten zur Zeit der Affäre selbstkritisch unter die Lupe. In Le Monde geißelt der belgische Autor Joël Rubinfeld die Position von "Antirassisten" zu Israel. Die NZZ fürchtet nach den Enthüllungen über NSA und Gesichtserkennung die totale Kartierung des Bürgers. Und nie wieder anstehen für Taxis?

Produkt einer totalen Diskussion

11.06.2014. Spiegel Online nimmt Christian Wulffs Kritik an den Medien zur Kenntnis, macht sie sich aber nicht zu eigen.  Die FAZ erzählt, wie Italien mit Biomarmelade der Digitalisierung trotzt. Gigaom freut sich über eine Gerichtsentscheidung zu Google Books. In der NZZ untersucht Richard Herzinger die Affinitäten zwischen der extremen Rechten in Westeuropa und Putins Hausintellektuellen Alexander Dugin. Die SZ findet nicht, dass der Feminismus einen Nebenwiderspruch verhandele.Und die Krautreporter könnten es schaffen.

Heiligenscheinliche Subversionskultur

10.06.2014. Google will Seiten, auf denen es Suchergebnisse zensieren musste, kennzeichnen, berichtet der Guardian. Wikipedia-Gründer Jimmy Wales findet das Urteil des EuGH gegen Google im Interview mit Techcrunch fatal. Jaron Lanier ist kein Internetpionier hält Florian Cramer im Blog des Merkur fest. Im Tagesspiegel freut sich die Autorin Hatice Akyün über Integrationserfolge der deutschen Gesellschaft. In der Berliner Zeitung kritisiert Götz Aly den Euro.

Laufend Momentaufnahmen, Ganzbilder und Profile

07.06.2014. Ein Jahr nach Snowdens Enthüllungen stellt sich die Frage, ob die Bürger ihrer Exekutive noch trauen können. Und der Judikative? In Großbritannien findet der erste Geheimprozess seit Menschengedenken statt: Guardian, Mail Online und Spiegel Online berichten über den "empörenden Anschlag" auf die offene Justiz. In der SZ prangert Horst Herold die Gefahren der Digitalisierung an. Außerdem: Ist der Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Jaron Lanier eine Kampfansage an das offene Netz? Und Türken dürfen nichts Schlechtes mehr über den Islam sagen.

Die EU schaut weg. Doch halt!

06.06.2014. Endlich kritisiert einer das Internet! Die Medien sind begeistert über den Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Jaron Lanier. Nur seine Vorschläge für ein Micro-Payment für Beiträge der Nutzer stoßen nicht auf Begeisterung. Im Freitag schildert Agnes Heller die Mischung aus faschistischen und kommunistischen Ideologiebruchstücken, die Ungarn heute in Bann hält. Von Religionen mag Gewalt ausgehen, konzediert die Berliner Zeitung, aber ist Aufklärung eine Lösung? Die NSA-Affäre wird eins, der D-Day siebzig.

Ein Spiel, das nicht hätte gespielt werden dürfen

05.06.2014. In Peking durfte nicht an den 4. Juni 1989 erinnert werden. Um so beeindruckender sind die Bilder aus Hongkong, wir setzen Links. Lee Cheuk-yan, Gründer des Tiananmen-Museums in Hongkong, erklärt in der taz, wie wichtig dieses Gedenken für die Stadt ist. Im ägyptischen Fernsehen erzählt eine Frau, warum sie nicht mehr an Gott glaubt - und fliegt aus dem Studio. Der Geschäftsführer der taz, Kalle Ruch, unterstützt die Krautreporter. Sascha Lobo nennt Deutschland einen "digitally failed state". Wenigstens ein Gutes hatten die Wahlen in Indien, findet die NZZ: die Nehru-Gandhi-Dynastie ist passé.

Mehr Daten

04.06.2014. Der Tages-Anzeiger berichtet von einem Wiener Treffen europäischer Erzadliger mit ein paar Rechtsextremen und dem Eurasisten Alexander Dugin zur Unterstützung Putins. Prominente Unterstützer und Schönredner fand auch das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens - wir erinnern. Was kein europäisches Medium gewagt hat: Das berühmte Washingtoner Blog Politico gründet einen Brüsseler Ableger. Beobachtet die Leser: Die SZ bewundert die neuen Personalisierungspläne der NYTimes. Und auch sonst viel Neues zu Überwachung.

Luhmann würde Hören und Sehen vergehen

03.06.2014. Bernard-Henri Lévy und Pierre Mertens prangern  in La Règle du Jeu und Le Monde die jüngsten antisemitischen Morde in Europa an. Thierry Chervel erklärt im Perlentaucher, warum es ohne Medien wie Krautreporter um die Zukunft des Journalismus schlecht steht. Die NZZ staunt: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin bröckelt. Die Verantwortlichen schweigen. So wie die Chinesen zum Massaker am Platz des Himmlischen Friedens, konstatiert die FAZ. Google muss sich jetzt auch mit Löschanträgen der Musikindustrie rumschlagen, meldet der Guardian.

Was Vorkrieg heißt

02.06.2014. Le Monde und Huffpo.fr erzählen, was sie über den mutmaßlichen Mörder von Brüssel schon wissen. Jaron Lanier schlägt in der FAZ-Google-Debatte vor, Google-Ads zu verbieten. Im Guardian erklärt Whistleblower Daniel Ellsberg dem amerikanischen Außenminister John Kerry, warum Edward Snowden kein Feigling ist. Lässt sich überhaupt noch definieren, was im Netz "deutsch" ist?, fragt Lawblogger Udo Vetter angesichts neuer BND-Enthüllungen. Deutschland war vor 1933 keine Ausnahme, sagt der Historiker Ulrich Herbert im Gespräch mit der taz.