9punkt - Die Debattenrundschau

Keine Bibel sollte bereitgestellt werden

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.01.2017. Amerikanische und europäische Medien versuchen zu verstehen, was Donald Trump eigentlich treibt? Es ist das Unternehmertum, meint Dieter Thomä in der NZZ. Trump-Biografen bestätigen das laut Politico: Er sei unfähig, sich selbst anders denn als CEO seiner Firma zu sehen. Mark Greif von n+1 rät in der taz dazu auszuflippen. Und der demokratische Politiker John Lewis erklärt in NBC als erster Senats-Abgeordneter, dass er die Legitimität Trumps nicht anerkennt. Politico.eu verweist auf nordirische Brexit-Risiken. Die FAZ staunt über das rot-rot-grüne Programm für Berlin.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.01.2017 finden Sie hier

Politik

Angesichts des Wahlerfolgs von Donald Trump sollten die Amerikaner "ausflippen", meint Mark Greif, Gründer der linken New Yorker Zeitschrift n+1 in der taz. Und er fordert das auch von den Repräsentanten: "Präsident Obama sollte nicht weiter von einem 'reibungslosen Übergang' sprechen, sondern den Übergang zu Trump so holprig wie möglich und so rau wie Sandpapier gestalten. Die Clintons sollten ihre Zusage, an der Inauguration teilzunehmen, zurückziehen. Das Capitol sollte die Bühne für die Inauguration nicht bauen. Der Partyservice sollte kein Essen liefern. Der Oberste Richter sollte nicht auftauchen, um den Amtseid abzunehmen. Keine Bibel sollte bereitgestellt werden. Soll Trump doch auf das schwören, was er gerade zur Hand hat: eine Ausgabe von 'Trump - Die Kunst des Erfolges'."

Greif mag sich von der NBC-Meldung bestätigt fühlen, dass der demokratische Politiker John Lewis als erster Abgeordneter des Senats erklärt hat, dass er Trump nicht als legitimen Präsidenten ansieht und dass er der Amtseinführung fernbleibt - das Video-Interview auf NBC.com ist recht beeindruckend.

Der Philosoph Dieter Thomä sieht in der NZZ die innerste Substanz Trumps im Wort "Unternehmertum" ausgedrückt: "Vor allem im Wahlkampf hat Trump einen Unternehmer gespielt, der rücksichtslos sein eigenes Ding durchzieht. Er ist als 'Trickster' aufgetreten. Unvergessen ist sein Einwurf in einer TV-Debatte, als Hillary Clinton ihm vorhielt, jahrelang keine Steuern bezahlt zu haben: 'That's because I'm smart.' Trump erlaubt sich, Regeln zu biegen und zu brechen, und diesen Freibrief stellt er sich aus, weil - wie er behauptet - das 'System' durch und durch 'korrupt' sei."

In der Tat weigerte sich Trump ja in seiner legendären Pressekonferenz, seine Unternehmungen komplett auszulagern - offenbar, weil es für ihn eine psychologische Unmöglichkeit ist. Michael Kruse zitiert dazu in Politico zwei Autoren, die sich auskennen: "'Ich glaube, er ist unfähig, sich selbst anders denn als CEO seiner Firma zu sehen, sagt Trump-Biograf Wayne Barrett, der seit 1979 über ihn schreibt, in Village Voice. 'Er kann Titel aufgeben, aber nicht das - darin liegt sein Selbstbild.' 'Er ist wie ein Junge mit seinen Murmeln', sagt der andere Trump-Biograf Tim O'Brien. 'Er kann nicht auf eine einzige seiner Murmeln verzichten.'"

Außerdem: In der SZ fragt Lothar Müller, inwieweit man auf eine "Einhegung und Zähmung Donald Trumps durch die Routinen der Demokratie" zählen kann und verweist auf einen New Yorker-Artikel über die "Intellectuals for Trump" (unser Resümee).
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Urheberrecht

Einige Autoren kleinerer Verlage lassen (unter anderem) auf der Website des Börsenvereins einen Aufruf zirkulieren, in dem sie ihre Kolleginnen dazu auffordern, auf die ihnen zustehenden Ausschüttungen der VG-Wort, die dem bisherigen Verlegeranteil entsprechen, zu verzichten: "Wir sind mit dem Verteilungsschlüssel der VG Wort zufrieden gewesen. Wir haben die Ausschüttung als leicht verdientes Geld gesehen, waren von den Pauschalen begünstigt. Wir wären nicht auf die Idee gekommen, dagegen zu klagen. Nun wollen wir von dem für unsere Verlage schmerzhaften bis ruinösen Ausgang auch nicht profitieren."
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Stichwörter: VG Wort, Urheberrecht

Europa

Ein Skandal um Umweltsubventionen bringt das empfindliche Gleichgewicht der Kräfte in Nordirland durcheinander, schreibt Peter Geoghegan  in politico.eu. Die Verbitterung zwischen "Unionisten" und "Nationalisten" steigt. Es könnte sein, dass es in Nordirland demnächst keine handlungsfähige Regierung mehr gibt und es direkt von der Londoner Zentrale aus verwaltet werden muss. Es könnte auch sein, dass der Supreme Court in Nordirland entscheidet, dass die Region dem Brexit zustimmen muss. Theresa May stünde dann dumm da: "Brexit hat auch tiefere Risse in die Struktur der Machtteilung in Nordirland und selbst im Vereinigten Königreich offenbart. Seit dem Karfreitagsabkommen ist die gewundene 300 Meilen lange Grenze zwischen Nord und Süd praktisch geschmolzen. Die politischen Verbindungen mit Dublin haben es vielen aus der 'nationalistischen' Community erlaubt, sich in Nordirland wohlzufühlen und keine Angst mehr vor einer protestantischen Mehrheit mehr zu haben. Das Brexit-Votum hat diese Dynamik verändert."

Die britische Autorin Priya Basil möchte sozusagen, dass sich die EU am eigenen Schopf aus dem Sumpf der Unpopularität und des Populismus zieht und sich ihren eigenen Demos schafft. Als erstes sollte sie "Europatage" schaffen, fordert sie in der taz: "fünf Feiertage zwischen dem 5. und 9. Mai, die in allen Mitgliedstaaten erstmals 2017 begangen werden. Während dieser Zeit ist der öffentliche Verkehr zwischen den EU-Ländern kostenlos, Hotels bieten vergünstigte Preise an, öffentliche Einrichtungen laden zu Tagen der offenen Tür ein. Überall finden europabezogene Straßenfeste statt, Diskussionen, Ausstellungen, Konzerte - kostenlose interkulturelle Aktivitäten, bei denen man erfahren und überlegen kann, was es heißt, Europäer zu sein."

Entsetzt liest Regina Mönch in der FAZ das Koalitionspapier der neuen rot-rot-grünen Regierung in Berlin. Die Bildungssenatorien Sandra Scheeres, unter der Berlin "zum Schlusslicht bei Schulleistungsvergleichen avancierte", bleibt im Amt - obwohl die Stadt unter ihr nicht damit rechnete, dass sie 80.000 Schüler "zu viel" hat. Dafür widmeten sich ganze Seiten in dem Papier der "Förderung von Selbstbestimmung und Selbstorganisation" der LSBTTIQ*-Communities". Mönch dazu: "Mit sektenartigem Eifer soll die Mehrheitsgesellschaft zur bedingungslosen Akzeptanz dieser Seltenheiten erzogen werden. Es ist nur ein Beispiel von vielen für eine Minderheitenpolitik, die Herkunft oder Geschlecht betont und wie die Erlösung vom Bindekraftmangel daherkommt, aber das Gegenteil, die Spaltung, bewirkt. Mit dem Lebensalltag, gar mit der Gefährdung der Stadt, hat sie wenig zu tun."
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Medien

Der Islamische Staat hat ein neues Magazin gegründet, Rumiyah, das gleich in sieben Sprachen herauskommt, berichtet Joseph Croitoru in der NZZ. Morde an christlichen Geistlichen werden besonders empfohlen, aber auch Todesfahrten mit Lastwagen. Technisch sind die Terroristen damit wieder ganz weit vorn: "Immer wieder werden jetzt ihre Todesfahrer auf ihrem Weg zum Anschlagsziel nicht nur von weitem, sondern auch aus der Luft gefilmt - mithilfe von Drohnen, die islamistische Terroristen mittlerweile in mehreren Ländern einsetzen. Das Video aus der Luft, wie das neue Genre in der Sprachregelung des IS heißt, nutzt den filmischen Effekt der Vogelperspektive, um umfassende Kontrolle und Allmacht zu suggerieren."
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Geschichte

Felix Ackermann berichet in der FAZ über eine bemerkenswerte Kooperation deutscher und weißrussischer Stellen, die die Ermordung von psychisch Kranken und von Juden in zwei Ausstellungen in Minsk dokumentieren. Unter anderem geht es um den Vernichtunsort Malyj Trostenez, wo Zehntausende Juden erschossen und verbrannt wurden - so dass fast keine Spur blieb: "Diese doppelte Geschichte der Vernichtung - des menschlichen Lebens und dann der Spuren des Mordes - ist auch ein Grund, warum Malyj Trostenez wie viele andere Massenerschießungsorte auf dem damaligen Gebiet der Sowjetunion in Deutschland fast unbekannt sind. Es sind Waldstücke, deren Geschichte der Vernichtung erst jetzt detailliert rekonstruiert wurde und wo es, wie in den großen Lagern der Aktion Reinhardt im Osten Polens, keine Überreste nationalsozialistischer Herrschaft gibt außer den charakteristischen Senkungen der Aschegruben, in denen die Überreste Tausender Menschen liegen."
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