9punkt - Die Debattenrundschau

Kommunikativer Stress

Kommentierter Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
11.12.2020. Eine Truppe hochmögender Kulturfunktionäre möchte die "eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition" stellen und befürwortet darum eine Aufhebung des Bundestagsbeschlusses zu BDS, der die Meinungsfreiheit gefährde. taz und SZ sind angetan, andere Medien doch eher kritisch. In der NZZ ärgert sich der Orientalist Michael Kreutz über jene Islamwissenschaftler, die den Islamismus als zwar verwerfliche, aber doch irgendwie verständliche Reaktion auf europäisches Gebaren darstellen. Im Perlentaucher erinnert Richard Herzinger an das Abkommen von Dayton., das vor 25 Jahren den Krieg um Bosnien-Herzegowina beendete.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 11.12.2020 finden Sie hier

Ideen

Schwerpunkt: "Initiative GG 5.3 Weltoffenheit"

Beraten unter anderem von Aleida Assmann, Andreas Görgen vom Auswärtigen Amt und und dem Dlf-Journalisten Stephan Detjen wendet sich eine ganze Menge hochmögender Kulturfunktionäre unter dem Titel "Plädoyer der 'Initiative GG 5.3 Weltoffenheit'" gegen den BDS-Beschluss des Bundestags. In dem Text (hier als pdf-Dokument), der sich beim näheren Lesen etwas schwurbelig anfühlt, stellen sie zwar nicht direkt die Forderung, dass dieser Beschluss zurückgenommen wird, aber sie sehen Artikel 5. Absatz 3 des Grundgesetzes, der die Kunstfreiheit garantiert, gefährdet. Unter explizitem Bezug auf die Debatte um Achille Mbembe, der den Ausschluss israelischer Wissenschaftler aus Debatten betrieb, fordern sie, dass postkoloniale Positionen in den deutschen Gedenkdiskurs aufgenommen werden: "Weltoffenheit, wie wir sie verstehen, setzt eine politische Ästhetik der Differenz voraus... Dazu gehört es auch, einer Vielstimmigkeit Freiräume zu garantieren, die die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition stellt." Mbembe gehört demnach zu den "marginalisierten und ausgeblendeten Stimmen", die in die Debatte aufzunehmen seien. Auch die "Vielfalt jüdischer Positionen" etwa gegen Israel sei widerzuspiegeln. Man wendet sich zwar gegen Antisemitismus und Israelboykott, aber auch gegen die "Logik des Boykotts, die die BDS-Resolution des Bundestages ausgelöst hat... Unter Berufung auf diese Resolution werden durch missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs wichtige Stimmen beiseitegedrängt und kritische Positionen verzerrt dargestellt." Die FunktionärInnen unterzeichnen für ihre Institutionen. Dazu gehören Institutionen aus dem Umfeld des Auswärtigen Amts - etwa das Goethe-Institut und das Haus der Kulturen der Welt - , aber auch die Berliner Festspiele, einige Theater, die Kulturstiftung des Bundes und andere Kulturinstitutionen wie das Moses Mendelssohn Zentrum für Europäisch-Jüdische Studien und das unvermeidliche Zentrum für Antisemitismusforschung.

Wohlwollend berichtet Jörg Häntzschel in der SZ über die Initiative. "Ihr wichtigstes Anliegen ist eine Revision des BDS-Beschlusses des Bundestags vom Mai 2019." Die offenbar stets auf Weisungen von oben wartenden Institution stünden zudem "vor einem praktischen Problem. Hartmut Dorgerloh, Generalintendant des Humboldt-Forums, nennt es nüchtern 'Planungsunsicherheit'. Wer darf eingeladen werden, wer nicht? Und sollen die Häuser bei jedem recherchieren, was er irgendwann unterschrieben hat?, fragt sich Amelie Deuflhard von Kampnagel. 'Wir sind nicht die Polizei.'" Am Ende zitiert Häntzschel Susan Neiman vom Einstein-Forum, die behauptet, dass heute nicht mal mehr Hannah Arendt zu einem Vortrag eingeladen werden dürfte.

Stefan Reinecke begrüßt das "Plädoyer" in der taz: "Der amtliche Bannfluch gegen BDS per Bundestagsbeschluss hat fatale Wirkungen. Es kommt zwar kein BDS-Sympathisant vor Gericht. Aber jede Art von BDS-Befassung in öffentlich geförderten Räumen und Universitäten zu verbieten ist ein massiver Eingriff in die Meinungsfreiheit. Da aber hat der Staat nur im Notfall etwas zu suchen."

Laut Jüdischer Allgemeiner leidet auch die Bundeszentrale für politische Bildung unter dem BDS-Beschluss des Bundestags. Thomas Krüger, der Chef der Behörde wird dort so zitiert: "In unserer Institution gibt es eine Reihe von Mitarbeitern, die Förderanträge zu begutachten haben und die natürlich in der Reaktion auf diesen Beschluss dazu neigen, vorauseilend Gesinnungsprüfungen stattfinden zu lassen. Das ist kontraproduktiv für politische Bildung, so wie ich Sie Ihnen hier skizziert habe."

Der Kolumnist Dr. Deutsch wendet bei den Salonkolumnisten ein, "dass es im Beschluss des Bundestags eben nicht darum geht, Menschen, die eine völlig verquere Haltung zum Nahostkonflikt vertreten, in Deutschland nicht reden oder publizieren zum lassen. Es geht einzig und allein darum, dass diese Auftritte nicht auch noch von staatlichen Institutionen finanziell gefördert werden sollen. Der Bundestag hat in seinem Beschluss selbst die engen Grenzen dieser Einschränkung eindeutig gezogen. Sie betreffen 'Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen'. Später werden den 'Organisationen' noch 'Projekte' hinzugefügt, an keiner Stelle jedoch 'Personen'. Das ist eine wichtige und sicher bewusste Formulierung. Umstrittene einzelne Menschen sind dezidiert nicht erwähnt." Knapp konstatiert Stefan Laurin bei den Ruhrbaronen: "Sie wollen mit Antisemiten in staatlich finanzierten Räumen diskutieren und dafür mit Steuergeldern bezahlt werden."

Unwirsch kritisiert Andreas Kilb in der FAZ dies Papier: "Wer öffentlich beklagt, er dürfe zu seinem Festival oder Forum, seiner Tagung oder Inszenierung nicht mehr einladen, wen er wolle, soll Namen, Themen und Zensurverantwortliche nennen, statt Erklärungen zu unterzeichnen, in denen 'Anderssein' als 'demokratische Qualität' gepriesen und das Publikum salbungsvoll aufgefordert wird, 'die eigene privilegierte Position als implizite Norm kritisch zur Disposition' zu stellen."

Implizit ging es die ganze Zeit um die Mbembe-Debatte (Unsere Resümees), meint Jan Küveler in der Welt und fragt sich denn auch - mit Blick auf Mbembe - welche Meinungsvielfalt bedroht sei: "Die Bücher des Kolonialismustheoretikers erscheinen unter anderem bei Suhrkamp. Seine Thesen wurden und werden bei Bedarf weiterhin lang und breit diskutiert. In der akuten Diskussion über Mbembes vermeintlichen oder tatsächlichen Antisemitismus kamen in den großen Zeitungen Verteidiger wie Ankläger zu Wort. Allein seine Einladung zur Eröffnung der Ruhrtriennale wurde nach begründeter, das heißt nachvollziehbarer Intervention des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, zurückgenommen. Die Debatte wurde also keinesfalls unterbunden."

In der SZ kann auch Ronen Steinke den Klagen, man könne hierzulande Israel nicht kritisieren, nicht folgen: "Ja: Wer auf größerer Bühne Kritik an Israels Politik übt, der findet sich schnell in einer Diskussion wieder, die leidenschaftlicher geführt wird als viele andere Diskussionen. Das erlebt jeder Journalist, der nur ein Detail im israelisch-palästinensischen Konflikt kommentiert, egal in welche Richtung. Das liegt nicht an Resolutionen des Bundestages. Es liegt am Thema. Das bedeutet also kommunikativen Stress. Das ist aber keine Zensur. Das ist Diskurs. Das sollte Kunst, das sollte auch Wissenschaft aushalten."

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In der NZZ ärgert sich der Orientalist Michael Kreutz über jene Islamwissenschaftler, die, sobald es darum geht, den Islam in Beziehung zu Europa zu setzen, den Diskurs auf "apologetische Weise" verengen, "um den Islam zum ewigen Opfer europäischer Expansion zu machen und den Islamismus als zwar verwerfliche, aber doch irgendwie verständliche Reaktion auf europäisches Gebaren darzustellen." Es reicht ein Blick in den Iran, schreibt er: Islamwissenschafter und -theologen pilgern "nach Teheran, um Auszeichnungen für ihre Publikationen oder Dialogbemühungen aus den Händen der Machthaber entgegenzunehmen. Sie lassen sich von einem islamistischen Regime instrumentalisieren, das in der eigenen Bevölkerung verhasst ist. Selbst der von Iran finanzierte Hizbullah wird mit Nachsicht bedacht. Die Kölner Islamwissenschafterin Katajun Amirpur bescheinigt der Terrororganisation in einem Beitrag für das 'Handbuch Islam', 'weitgehend pragmatisch' zu handeln. Bedenkt man die enormen Waffenarsenale, die die Organisation angehäuft und immer wieder gegen Israel eingesetzt hat, ist das ein bemerkenswertes Urteil."
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Europa

Es stimmt nicht, dass sich die Republik Moldau in ein prorussisches und ein proeuropäisches Lager spalten, schreibt Karl-Markus Gauß in der SZ: "Die Russen stellen im Land nur eine relativ kleine Minderheit; doch pflegen sich die vielen anderen Nationalitäten - Ukrainer, Gagausen, Bulgaren, ja selbst Ungarn, Tataren oder Deutsche - untereinander mehrheitlich auf Russisch zu verständigen. Ich habe es in Moldau mit vielen Angehörigen dieser Nationalitäten zu tun bekommen, die sich zwar des Russischen als verbindender Sprache bedienen und auf die sowjetische Ära als gemeinsame Vergangenheit beziehen, Putins Staat aber keineswegs für jene Demokratie halten, in der sie leben möchten. Und geradeso gibt es rumänische Moldauer, die ihre glückliche Zukunft nicht darin sehen, dereinst als Bürger der Europäischen Union an einer von deren abgehängten Peripherien zu leben."

Vor 25 Jahren machte das Abkommen von Dayton dem Krieg um Bosnien-Herzegowina ein Ende, erinnert Richard Herzinger im Perlentaucher. Aber nicht einer bestimmten Politik: "Mit der Rückendeckung seines Verbündeten Russland agierte das serbische Regime damals gemäß eines Prinzips, dem der Kreml später selbst folgen sollte: Unter dem Vorwand, vermeintlich eigene Volkszugehörige außerhalb der eigenen Grenzen schützen zu müssen, einen Aggressionskrieg zu führen."
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Medien

Für die Welt blickt Christian Meier hinter die Kulissen der Öffentlich-Rechtlichen geblickt, um zu klären, wofür sie 38 Milliarden Euro brauchen. Beispielsweise machen die Personalkosten "einen signifikant hohen Anteil an den Kosten der Anstalten aus, denn es gibt nach dem zuletzt von der KEF veröffentlichten Stand 43.630 Vollzeitstellen in den Anstalten. 80 Prozent des Personalaufwands fallen bei der ARD an. Eine Vorgabe der KEF, jährlich 0,5 Prozent der besetzten Stellen abzubauen, erfüllen ARD und ZDF nach letztem Stand, doch je nach ARD-Anstalt mit unterschiedlicher Disziplin."

Im Grunde gibt es nur zwei Fälle, in denen das Verfassungsgericht erlaubt, dass die Länder von den Forderungen der KEF abweichen dürfen, schreibt Heinrich Wefing bei Zeit Online: "Entweder, wenn die Beitragsbelastung für die Bürger 'unangemessen' würde, also ganz allgemein nicht mehr zu stemmen wäre. Das ist trotz Corona aktuell kaum zu begründen. Oder, zweitens, wenn eine Beitragserhöhung dazu führt, dass große Teile der Bevölkerung keinen Zugang mehr zum Rundfunk haben. Das ist erst recht ausgeschlossen, da schon jetzt von den Beiträgen befreit ist, wer nicht zahlen kann. Medienpolitische Ziele, wie sie Sachsen-Anhalts CDU jetzt anführt, also Unterrepräsentation des Ostens zum Beispiel oder vermeintliche politische Schlagseite, hat das Gericht ausdrücklich nicht anerkannt. Begründung: Schutz der Rundfunkfreiheit."

In der NZZ kann Eric Gujer nicht verstehen, weshalb Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haselhoff den Gesetzesentwurf zur Rundfunkerhöhung lieber zurückzog, statt mit der AfD dagegen zu stimmen: "Wie so häufig, wenn die Anständigen die Demokratiefeinde bekämpfen, leidet die Demokratie. Für diese wäre es nämlich fatal, wenn eine Volkspartei gegen ihre Überzeugungen handeln müsste, nur weil jemand mit weniger lauteren Absichten in einer Sachfrage dieselben Positionen vertritt. Damit würde man Kräften wie der AfD ein Vetorecht zubilligen, weil sie durch ein taktisches Abstimmungsverhalten den Ausgang jeder parlamentarischen Entscheidung manipulieren könnten."

Außerdem: Das Handelsblatt hat für den Bericht "Ronald Bergers späte Rache", in dem die Journalisten nachweisen, dass der Unternehmensberater Roland Berger seinen Vater, einen Profiteur des NS-Regimes, fälschlicherweise jahrelang als Nazi-Opfer darstellte, den Deutschen Reporterpreis bekommen. Das Handelsblatt selbst verkündete, die "Fakten" im Report seien auch von dem Historiker Michael Wolffsohn bestätigt worden, der von Berger mit der Aufarbeitung beauftragt worden war. Wolffsohn widerspricht heute in der Welt: "Richtig ist, dass ich in meinem wissenschaftlichen Gutachten der inzwischen prämierten und nun auch für Nannen-Preis 2020 nominierten 'Investigation' 14 zum Teil krasse Fehler, schwere methodische Mängel sowie eine zu schmale Quellenbasis nachgewiesen habe. Basierend auf meinem Gutachten und der Intervention von Roland Bergers Anwalt musste der Leiter der Handelsblatt Media Group am 1. Juli 2020 verbindlich erklären, zwei Aussagen jener Handelsblatt-Darstellung nicht mehr zu verbreiten."
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