9punkt - Die Debattenrundschau

Als Habermasianer argumentiert

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
13.06.2019. Das Humboldt Forum wird nicht dieses Jahr eröffnen: die Klimaanlage. An Berlin liegt's nicht, ruft die SZ und zeigt auf Seehofer. Warum lässt sich die Sinologie von China einschüchtern, fragt der Sinologe Andreas Fulda bei libmod.de. John Lanchaster erklärte es schon vor Jahren, jetzt belegt es auch der Digital News Report 2019: Der Mensch will nicht acht verschiedene Zeitungsabos, sondern eins, in dem er alle Zeitungen lesen kann. Und: Jürgen Habermas wird nächsten Dienstag 90 Jahre alt. Die Zeit hat ihm schon mal einen Strauß internationaler Gratulationen gebunden.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.06.2019 finden Sie hier

Kulturpolitik

Es wäre so schön gewesen, aber leider leider: Das Humboldt-Forum wird nicht wie geplant in diesem Jahr eröffnet, berichtet unter anderem Christiane Peitz im Tagesspiegel: "Im Januar hatte die federführende Stiftung Preußischer Kulturbesitz erklärt, das Humboldt Forum solle im November eröffnet werden. Der Namensgeber und Forscher Alexander von Humboldt war am 14. September vor 250 Jahren in Berlin geboren worden. Zu diesem Termin war ein Festakt im Schloss vorgesehen."

Die Klimaanlage ist nicht rechtzeitig fertig geworden. Keine Lästereien bitte, Berlin ist diesmal ausnahmsweise nicht schuld. Das Humboldt Forum liegt in der Verantwortung von Horst Seehofers Innenministerium, erinnert Jens Bisky in der SZ. Nikolaus Bernau sieht es in der Berliner Zeitung ganz positiv: Die Verschiebung erlaubt es, die inhaltlichen Ideen zu verbessern, hofft er. "Die Verschiebung ist auch eine Chance - auch dafür, das Riesenhaus nicht in einem großen Schlag, sondern nach und nach zu eröffnen und damit die Freude des Neuanfangs immer wieder zu erleben. So wie einst zwischen 1970 und 1974 bei den Museen in Dahlem." Andreas Rosenfelder (Welt) fühlt sich beim Rundgang für die Presse eher für dumm verkauft: "Aus der Kurzfristigkeit der Einladung und der Kompliziertheit des Protokolls ließ sich schließen, dass auf diesem 'Rundgang' eigentlich eine Botschaft überbracht werden sollte, wahrscheinlich eine eher Unangenehme, dass man für diese Mitteilung aber die Form eines Rituals gewählt hat, also eine performative, kollektive und anonyme Form, die keinen klaren Absender hat und an der alle, auch das Publikum, irgendwie mitwirken."
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Politik

Es ist nicht so, dass das chinesische Regime nur China gleichschaltet - den Rest der Welt hat es gleichfalls im Blick, und bei der internationalen Sinologie ist es mit seinen Zensurbestrebungen besonders erfolgreich, schreibt der kritische Sinologe Andreas Fulda bei libmod.de. Einmal etwa "stellte ich zusammen mit einem Kollegen chinesische Demokratiediskurse vor. Nach unserem Vortag unterstellte uns ein deutscher Konferenzteilnehmer Kulturimperialismus und forderte uns auf, diese Art von Forschung zu unterlassen. Wissenschaftler, die sich kritisch mit der KPCh auseinandersetzen, werden sanktioniert. In China gibt es mittlerweile kaum noch Intellektuelle, die sich noch frei zu äußern wagen. Doch auch ausländische KPCh-Kritiker wie die Neuseeländerin Anne-Marie Brady wurden Opfer einer anhaltenden Einschüchterungskampagne. (mehr hier) In Reaktion auf eine Publikation zur Einheitsfront-Politik unter Xi wurde in ihre Wohnung eingebrochen. Der britische Menschenrechtler Benedict Rogers erhielt für einen kritischen Internet-Aufsatz zur Unterwanderung des Autonomieversprechens für Hongkong eine Vielzahl von Drohbriefen (mehr hier)." Fuldas Artikel ist Teil einer China-Debatte bei libmod.de, die von Didi Kirsten Tatlow angestoßen wurde.

Im NZZ-Interview mit Markus Ziener kritisiert der kenyanische Ökonom James Shikwati die Entwicklungshilfe, erklärt, weshalb Europäer Arbeitskräfte aus Afrika brauchen und lobt das "frische" chinesische Investment: "Das chinesische Engagement macht vielleicht auch den Europäern klar, dass ihr Hilfeansatz für Afrika nicht mehr passt. Die Chinesen geben keine Hilfe. Sie investieren in Infrastruktur und sagen den Afrikanern: Das gibt es nicht umsonst. Wir wollen, dass ihr zurückzahlt. Das Problem ist, dass es die Chinesen auf der afrikanischen Seite zumeist mit Leuten zu haben, die gedanklich weiterhin in der Hilfekategorie verhaftet sind."
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Medien

Wir haben gestern schon kurz drauf hingewiesen (unser Resümee): Der von der Agentur Reuters beauftragte "Digital News Report 2019" ist raus. Hier der Link zum offiziellen Text für den 75.000 Personen aus 38 Ländern befragt wurden. Guy Faulconbridge fasst einige der wesentlichen Erkenntnisse bei Reuters dankenswerter Weise zusammen: "Selbst bei jenen, die bezahlen, gibt es eine 'Abo-Müdigkeit'. Viele sind es leid, dass sie zu so vielen verschiedenen Abos aufgefordert werden. Viele entscheiden sich eher für Filme oder Musik als für News. Manche Medien werden scheitern. 'Ein großer Teil der Bevölkerung ist absolut glücklich mit den News, die kostenlos zu bekommen sind, und selbst unter Nutzern, die bereit sind zu zahlen, will die Mehrheit nur für ein Abo aufkommen', sagt Rasmus Kleis Nielsen, der Leiter des Reuters Institute."

Und noch ein anderer viel erwarteter Bericht ist herausgekommen, Mary Meekers "State of the Internet", den die Medienwissenschaftlerin seit bald zwanzig Jahren jährlich aktualisiert. Joshua Benton resümiert im Niemanlab und stellt vor allem (auf den amerikanischen Markt bezogene) Zahlen gegeneinander: "Im Jahr 2010 beanspruchten Printmedien 8 Prozent unserer Aufmerksamkeit, aber überproportionale 27 Prozent der Anzeigendollars. Im Jahr 2018 nahmen Printmedien nur 3 Prozent unserer Aufmerksamkeit in Beschlag und 7 Prozent der Anzeigen-Dollars" Großer Sieger der Entwicklung ist inzwischen Mobil mit 33 Prozent der Ausgaben für Anzeigen.

Und noch zwei Meldungen aus der taz. Journalistin in Mexiko getötet: "Norma Sarabia sei "in der Nähe ihrer Wohnung in der Stadt Huimanguillo von zwei Bewaffneten auf einem Motorrad erschossen worden" (hier). Und: "Jagd auf Journalisten -  In der Ukraine wurde ein Kameramann von Rechtsradikalen schwer verletzt. Journalisten werfen der Polizei vor, nicht genug gegen Gewalt an ihren Kollegen zu tun" (hier).
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Internet

Rezo und kein Ende - aber das liegt daran, dass die CDU und verbündete Medien wie die FAZ konsequent weiter Mist bauen in ihren Reaktionen, meint Sascha Lobo in seiner Spiegel-online-Kolumne. Und findet über das Beispiel zu tieferen Einsichten über den Konservatismus im Medienwandel: "Die Ära der sozialen Medien aber ist eine ungünstige Zeit für Bigotterie, ständig wird man vom Digitalpöbel mit seinen eigenen Aussagen von früher konfrontiert oder gar selbst an den proklamierten Werten gemessen. Man kann dann nach trumpscher Manier entweder in eine Parallelrealität wechseln. Oder man verheddert sich in bizarro-bigotten Selbstwidersprüchen."
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Urheberrecht

Bei Sammelbänden werden Herausgeber mit 50 Prozent an den Ausschüttungen der VG Wort beteiligt. Diese Praxis ist rechtswidrig, schreibt der Jurist und Perlentaucher-Autor Martin Vogel bei den Freischreibern. Aber auch bei der diesjährigen Mitgliederversammlung hat die VG Wort diese Praxis wieder bekräftigt. Herausgeber sind nun mal keine Urheber, so wenig wie Verleger, an die die VG Wort zu Unrecht ausschüttete, und gegen die Vogel vor allen deutschen Gerichten und dem EUgH Recht bekommen hatte, gegen den erbitterten Widerstand aus Buchverlagen aber auch aus Zeitungsredaktionen  (gegen die FAZ erwirkte Vogel eine Richtigstellung, mehr hier und hier). Und auch bei diesem Thema staunt Vogel wieder über die angeblichen Interessenvertreter der Urheber: "Man fragt sich, weshalb die Journalisten- und Schriftstellerverbände DJV und ver.di in dieser Kameraderie den Vorstand der VG Wort in dieser Weise unterstützen. Denn auch sie sind in den Gremien der VG Wort dem Treuhandgrundsatz verpflichtet, wollen sie nicht an strafbaren Veruntreuungen mitwirken. Sie verbinden freilich mit der Begünstigung von Verlegerinteressen die Hoffnung, von diesen bei Tarifverhandlungen gnädig behandelt zu werden."
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Europa

In den Schulen sind die katalanischen Separatisten schon an der Macht, schreibt Paul Ingendaay in der FAZ - und das obwohl in Katalonien nach wie vor 15 Prouzent mehr Menschen Spanisch als Hauptsprache sprechen als katalanisch. "Über die Jahre haben die nationalistischen Regionalregierungen eine Politik des obligatorischen 'Eintauchens' ('inmersión linguística') ins Katalanische betrieben und damit das Spanische aus den Lehrplänen verdrängt. Das ist in Europa ein singulärer Vorgang. Spanisch ist in einem wichtigen Teil Spaniens zur Fremdsprache geworden: Zwei Wochenstunden in der Grundschule, drei in der Oberschule sind alles, was nach dem Willen der katalanischen Nationalisten zu haben ist."
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Ideen

Jürgen Habermas wird Neunzig. Die Zeit gratuliert als erste und widmet ihm gleich ihr ganzes Feuilleton - mit Glückwünschen von Kollegen aus aller Welt (nur ein Franzose ist nicht dabei). Agnes Heller würdigt ihn im Interview als "aktiven, denkenden Philosophen": "Jürgen Habermas glaubt an die Rationalität, das ist einfach schön in einer Welt, die von nichtrationalen Instinkten beherrscht wird. Aber mit Habermas' Projekt, die Aufklärung zu radikalisieren oder zu Ende zu führen, hatte ich immer Schwierigkeiten. Welche Aufklärung denn? Um es im Bild des Doktor Faustus zu fragen: Ist die Aufklärung der Teufel, oder ist sie die Erlösung? Habermas gewichtet den Widerspruch innerhalb der Aufklärung nicht, er will ihn im Grunde nicht wahrnehmen. Er ist ein konsequenter Kantianer und Universalist, das bin ich auch. Aber Kant war vorsichtiger als er. Man kann nicht alle Widersprüche versöhnen."

Ivan Krastev fehlte zugegebenermaßen immer das "Ohr für Habermas", aber: "Nachdem die europäische Demokratie in einer Krise steckt und die Notwendigkeit, sie zu bewahren, politisches und intellektuelles Engagement erfordert, ist mir klar geworden, dass man sich zur Verteidigung der demokratischen Regierungsform Europas hinter Jürgen Habermas' Vision von demokratischer Politik stellen muss. So fühle ich mich wie Molières Monsieur Jourdain, als er entdeckt, dass er sein ganzes Leben lang Prosa gesprochen hat, ohne es zu wissen. Während ich dem Denken Dahrendorfs immer noch näher stehe, habe ich in letzter Zeit festgestellt, dass ich als Habermasianer argumentiere."

Weitere Würdigungen kommen unter anderen von Peter E. Gordon, Martin Seel, Zhang Shuangli, Richard J Bernstein, Kenichi Mishima, Rajeev Bhargava, Claus Offe, Andrea Sangiovanni und Seyla Benhabib.

Weiteres: In der NZZ resümiert Marc Neumann die Debatte um den von der Cambridge University entlassenen Sozialwissenschaftler Noah Carl, der einen Zusammenhang zwischen Genen und IQ propagiert und von vererbbaren kognitiven Unterschieden zwischen Bevölkerungsgruppen und Ethnien ausgeht.
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