9punkt - Die Debattenrundschau

Unterschwellige Nachrichten

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.01.2017. Die amerikanische Presse ist echt sauer auf Trump und seine Lügen. Der New Yorker freut sich über die massiven Demonstrationen am Samstag: "Der Widerstand hat in spektakulärer Weise begonnen." Die New York Times warnt die Journalisten zugleich, in einen hysterischen Oppositionsgestus zu verfallen, der nur ein Spiegelbild Trumps wäre. Die SZ vermisst angesichts der Lage die Philosophen. Die FAZ muss ihre tendenziöse Berichterstattung über Martin Vogel und den VG Wort-Streit richtigstellen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.01.2017 finden Sie hier

Politik

Die amerikanische Presse ist echt sauer über Donald Trump und seine Betragen in den ersten Tagen seiner Amtszeit, seine Rede zum Amtseintritt und noch mehr seine Beschimpfung der Presse, die darauf hingewiesen hatte, dass bei der Amtseinführung Barack Obamas mehr Publikum gekommen war. Wer geglaubt hatte, Trump würde sich im Amt mäßigen, hat sich geirrt, schreibt John Cassidy im New Yorker: Die Demonstranten - und vor allem Demonstrantinnen - in vielen Städten am Samstag "haben sich solche Illusionen nicht erlaubt. Sie haben instinktiv verstanden, dass Trumps Aufstieg zur Präsidentschaft eine tiefe Bedrohung der amerikanischen Demokratie darstellt und dass sein Verhalten bei jeder Gelegenheit in Frage gestellt werden muss. Dank ihrer Bemühung hat der Prozess des Widerstands in spektakulärer Weise begonnen. Schon am zweiten Tag im Amt hat der neue Präsident eine nie dagewesene Zurückweisung erhalten."

Ross Douthat warnt die amerikanische Presse in der New York Times vor Eitelkeit und Trumps Fallen: "Die Presse könnte versucht sein - und Schulterklopfen dafür bekommen -, in eine Art hysterischen Oppositionsgestus zu verfallen und einen Spiegel für Trumps Boulevardstil und seine Verachtung der Wahrheit abzugeben. Diese Symmetrie ist eine Gefahr, in der nicht nur die Presse schwebt. Trump kommt als ein Zerstörer von Normen an die Macht, und jeder könnte sich versucht fühlen, bei diesem Treiben mitzumachen - zu eskalieren, wenn er eskaliert, sich zu radikalisieren, wenn er autoritär wird."

Die New York Times stellt unterdessen alle Falschbehauptungen, die Trump und seinen Mitarbeitern seit Freitag unterlaufen sind, richtig. Am elegantesten die Überschrift bei CNN: "Der Presseprecher des Weißen Hauses attackiert Medien für ihre zutreffende Berichterstattung über die Besucherzahlen bei der Amtseinführung."

Wir werden uns an einen Präsidenten Trump gewöhnen, aber diese neue Normalität ist gefährlich, warnt in der FAS Stefan Niggemeier nach der Amtseinführung. Denn der neue Trump ist der alte Trump: "Er streckte den Menschen, die ihn nicht gewählt haben - die Mehrheit der Wähler und die Mehrheit der Amerikaner -, nicht die Hand entgegen, fand keine Worte der Versöhnung. ... Das ist die gefährliche Wirkung der neuen Normalität: Donald Trump hat sich so radikal geäußert in den vergangenen Monaten, dass es reicht, wenn er die schlimmsten Auswüchse weglässt, um vergleichsweise moderat zu klingen."

Von Ägyptens Abdel Fatah al-Sissi über Syriens Baschar al-Assad und Recep Tayyip Erdoğan bis hin zu Israels Benjamin Netanjahu hat Donald Trump "einen Schurken-Fanclub im Rücken. Und deshalb wird seine Präsidentschaft ein Albtraum für den Mittleren Osten", warnt der ägyptische Blogger Khaled Diab auf Zeit online. "Trump sieht sich selbst als 'starken Mann' und autoritären Führer und gleichzeitig fühlt er sich instinktiv zu den Diktatoren der Region hingezogen. Trumps Präsidentschaft wird sehr wahrscheinlich darauf beruhen, die Despoten des Mittleren Ostens zu unterstützen. Deshalb feiern sie sie alle den neuen Mann im Weißen Haus - mit Ausnahme der Mullahs in Teheran."

Weiteres: Thomas Schmid ruft in der Welt die Europäer auf, aus dem behaglichen Schlummer mit der immer den Frieden garantierenden Schutzmacht USA aufzuwachen. Constanze Kurz ist in ihrer FAZ-Kolumne bestürzt über Trumps Rede vor den amerikanischen Geheimdiensten und die Luschigkeit des BND: "Mit diesem Mann an der Spitze, der nun Zugriff auf die umfassenden Überwachungswerkzeuge, Daten und Akten der Geheimdienste hat, soll alles so weitergehen wie immer? Wird europäische Kommunikation zum offenen Buch für einen Präsidenten Trump, der in seiner Antrittsrede nur eine einzige Botschaft an seine Landsleute und den Rest der Welt hatte, nämlich 'America first'?"

Und der Perlentaucher bringt einer Zusammenschau der wichtigsten Hintergrundtexte, auf die er in den letzten Monaten verlinkt hat: "Malfoy hat gesprochen. Wer ist sein Voldemort?"
Archiv: Politik

Ideen

Die Wahrheit selbst steht im digitalen Zeitalter zur Disposition, ruft Christoph Behrens in der SZ. Wo bleiben die Philosophen, warum schweigen sie?  Mit der Frage steht er nicht allein, auch die amerikanischen Philosophen Robert Frodeman und Adam Briggle oder Thomas Vašek, Chefredakteur der Philosophie-Zeitschrift Hohe Luft, sind enttäuscht von den Denkern. Von den Universitäten erwarten sie sich schon gar nichts mehr: "Größere Hoffnung als auf die 'alten Autoritäten' setzt Vašek auf die Jungen, Denker außerhalb des akademischen Systems. Frodeman und Briggle nennen diesen Zirkel die 'neue Republik der Gelehrten', in Anlehnung an die Gemeinschaft der europäischen Wissenschaftler im 17. und 18. Jahrhundert. Zu diesem informellen Netzwerk zählen sie Geschäftsleute, Wissenschaftler, Ingenieure und Futuristen. Leute, die eher in Forschungseinrichtungen von Google oder Apple arbeiten statt an Universitäten, und eine 'Philosophy on the Fly' betreiben, ein Ad-Hoc-Philosophieren an konkreten Problemen."

Warum ist Debatte so schwierig geworden? Warum können wir uns mit radikal Andersdenkenden nicht mehr auseinandersetzen, fragt sich in der NZZ der Philosophieprofessor Michael Schefczyk. Einen Grund sieht er in den "Vorbehalten derjenigen, die glauben, es gebe keine vernünftige Begründung grundlegender Werte. Debatten mit radikal Andersdenkenden sind aus dieser Sicht potenziell gefährlich, weil Grundwerte letztlich auf Dezisionen beruhen, an die nicht gerührt werden sollte. Heute wird diese Sicht in der Philosophie nur von wenigen geteilt (was ein Hinweis auf deren Unangemessenheit ist, aber auch nicht mehr). Vielleicht kann man es für den Moment so festhalten: Falls es keinen Grund gäbe, auf argumentativ geführte Debatten zu vertrauen - so gäbe es letztlich auch keinen Grund, sich zum Ideal liberaler Gesellschaften zu bekennen."
Archiv: Ideen
Stichwörter: Fly

Wissenschaft

Als eine seiner ersten Amtstaten wird Donald Trump die - bescheidenen - Bundesmittel für die Geisteswissenschaften streichen, schreibt Henning Lobin bei Spektrum.de: "Am 19.1.2017, am Tag vor dem Inauguration Day, meldete die Washingtoner Zeitung The Hill, dass die Trump-Regierung dramatische Einschnitte im kulturellen Bereich plant. Neben dem NEH soll auch der National Endowment for the Arts (NEA), spezialisiert auf die Förderung von Kunst und Literatur in gleicher finanzieller Größenordnung, aufgelöst werden. Außerdem ist geplant, die 1967 gegründete Corporation for Public Broadcasting zu privatisieren. Der gesamte öffentlich-rechtliche Rundfunk wird in den USA zuletzt etwa in der gleichen Höhe gefördert wie allein der Hessische Rundfunk in Deutschland."
Archiv: Wissenschaft

Europa

David Patrikarakos erkundet für politico.eu in den französischen Banlieue die Stimmung der muslimischen Bevölkerung und staunt: Die "Ambivalenz - oder sogar der vorsichtige Opitimismus - mit Blick auf den Front national, deren Führerin ihre community offen verachtet, würde die meisten Umfrageinstitute überraschen. In der ganzen Welt stimmen die Wähler für Populisten, um den 'Sumpf auszutrocknen' und die 'Eliten' zu bestrafen, In den Pariser Banlieues ist die Meinung eher, das es kaum darauf ankommt, wer gewählt wird, weil es kaum Auswirkungen auf ihr Leben hätte."

Immer düsterer wird die Stimmung in der Türkei, klagt der türkische Künstler Bedri Baykam im Gespräch mit Christian Geinitz in der FAZ: "Nicht nur in der Kunst, sogar in den Sozialen Medien: Man wählt seine Worte, um nicht verhört oder in Gewahrsam genommen zu werden. Kürzlich sind sogar einige Erdogan- und AKP-nahe Journalisten ins Gefängnis gewandert, weil sie vor dem 15. Juli 'unterschwellige Nachrichten' verbreitet haben sollen. Jeder Tweet, sogar Re-Tweet kann als Vorwand für Aufgriffe dienen."
Archiv: Europa

Geschichte

Wilfried Urbe spricht in der taz mit dem greisen Alfred Grosser über die "stillen Helfer", die in Frankreich Juden halfen - darüber wird morgen auf Arte eine Dokumentation gesendet - und Grosser beginnt einfach mit dem eigenen Beispiel: "Als 1942 auch im Süden die deutsche Besatzung drohte, gerieten meine Mutter und ich in Lebensgefahr und flohen mit falschen Papieren. Ich wurde darauf Lehrer an einer katholischen Privatschule. Der Direktor, der mich anstellte, ging damit ein hohes Risiko ein. Wäre ich ertappt worden, hätte man auch ihn deportiert."
Archiv: Geschichte

Urheberrecht

Die FAZ musste am Samstag eine ausführliche Richtigstellung zu ihrer tendenziösen Berichterstattung über Martin Vogel und den Streit um die VG Wort bringen. Zumal die Behauptung, Vogel habe als Berater der Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin Formulierungen ins Urheberrecht eingebracht, auf deren Grundlage der dann später gegen die VG Wort geklagt hätte, die FAZ-Redakteur Michael Hanfeld dem Publikum in drei Artikeln eingehämmert hatte (hier, hier und hier), war falsch. Vogel konnte in der FAZ auf die Berichterstattung nicht erwidern - und hat es dann mehrfach im Perlentaucher getan. Auch VG Info berichtet auf seiner Seite über die Richtigstellung.
Archiv: Urheberrecht