9punkt - Die Debattenrundschau

Einfach immer Nein

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.05.2017.  Großes Aufsehen erregt ein Facebook-Post des Smiths-Sängers Morrissey, der die britischen Politiker beschuldigt, den islamistischen Hintergrund von Attentaten wie in Manchester nicht zu benennen. Der Guardian widerspricht. Die taz bringt zum fünfzigsten Todestag von Benno Ohnesorg ein Riesendossier über den Begriff der "Gegenöffentlichkeit". Und taz-Autorin Doris Akrap macht in einem Offenen Brief an die Kanzlerin Druck in der Sache Deniz Yücel.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.05.2017 finden Sie hier

Europa

Großes Aufsehen erregt ein Facebook-Post des ehemaligen Smiths-Sängers Morrissey, der aus Manchester stammt und sich sehr über die Reaktionen britischer Politiker auf das Attentat aufregt, die nicht mal den islamistischen Hintergund des Attentäters benennen wollten: "Manchester mayor Andy Burnham says the attack is the work of an 'extremist'. An extreme what? An extreme rabbit?"

Guardian-Autor Kevin Rawlinson will dieses Argument nicht unterstützen: "Die Behauptung, dass politisch korrekte Politiker routinemäßig den Islam verschweigen, wenn Terrorattentate von Menschen verübt werden, die eine gewalttätige Interpretation ihrer Religion verfechten, kommt häufig von Rechtsaußen. In den vergangenen Jahren haben viele Poitiker die Rolle einer solchen Ideologie benannt, sofern sie sich bestätigte, während sie auch betonten, dass sie der großen Mehrheit der Anhänger dieser Religion fern steht."

taz
-Redakteurin Doris Akrap, die die Kampagne für Deniz Yücel mit organisiert, weiß, was sie in den hundert Tagen, die er im Gefängnis sitzt, alles getan hat. Nun fragt sie Kanzlerin Angela Merkel in einem Offenen Brief, wie die Bilanz bei ihr aussieht: "Sie haben immer wieder betont, dass die Regierung den Dialog mit der Türkei nicht beenden will. Ich bin für Dialog. Aber kann man noch von Dialog sprechen, wenn der Dialogpartner einfach immer 'Nein' sagt? (...) Was ist aus den vor der Verhaftung Yücels begonnenen Gesprächen über deutsche Wirtschaftshilfen an die Türkei geworden? Wolfgang Schäuble hat nur gesagt, dass es schwierig werde, die fortzuführen, solange Yücel weiter in Haft ist. Können Sie nicht einfach mal klar sagen: 'Es wird so lange kein Geld fließen, bis Yücel frei ist'?"
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Medien

Auf ein interessantes Paradox der Wahrnehmung macht Zeynep Tufekci nach dem Attentat von Manchester in Buzzfeed aufmerksam: Nutzer der sozialen Medien reagierten eher zurückhaltend - ganz anderes die Medien, die nach der vom Terror gewünschten Logik des Spektakels Bilder lieferten: "Diesmal kamen die einzigen Bilder von verletzten oder toten Menschen, die ich gesehen habe, als Anhänge von Tweets und Videos von Medien wie BBC und CNN. Die Leute in den sozialen Medien sind den Massenmedien bei der Einsicht in das kranke Spiel von Aufmerksamkeit und Horror um vieles voraus. Massenmedien sollten Schritt halten." Die Frage wäre allerdings, ob hier nicht auch die sich verstärkende Zensur in den sozialen Medien greift.

Anzeigen sind sowas von gestern! Statt teuer für ein statisches Format zu bezahlen, das dann womöglich noch in ein feindliches Redaktionsumfeld eingebettet ist, machen Unternehmen lieber selbst "Journalismus", warnt Sergio Aiolfi in der NZZ: "Die Versicherungsfirma Mobiliar beispielsweise verfügt an ihrem Hauptsitz in Bern über einen Newsroom und hat diesen mit einer Mannschaft bestückt, die imstande ist, in kurzer Zeit auf Breaking News zu reagieren. Ziel einer solchen Abteilung ist es, für die Branche oder das Unternehmen wichtige Ereignisse - wie etwa eine Naturkatastrophe - frühzeitig zu erkennen und das Thema im Sinne des Unternehmens zu besetzen. Mit journalistischem Geschick werden daraus Storys entwickelt, die sowohl firmenintern wie auch extern Verbreitung finden."
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Gesellschaft

Die taz bringt pünktlich zum fünfzigsten Todestag Benno Ohnesorgs eine riesige Beilage zum Thema "Gegenöffentlichkeit" - ein Begriff, der heute nicht unproblematisch ist, so Jan Feddersen im Editorial. Nicht nur, weil Rechtspopulisten ihn für sich beanspruchen - auch bei der sich selbst als "links" betrachtenden Fraktion: "Schon am Beispiel Wikileaks lässt sich heute plausibel machen, dass ein Mann wie Julian Assange und seine Freund*innen kaum mehr als politische Hasardeure sind - und zwar im Gewand der Aufklärer. Wie sich mehr und mehr herausstellt, ist die Enthüllungsplattform kaum mehr als ein Instrument nützlicher Idioten im Sinne der antidemokratischen Politiken Putins: Donald Trump und die Seinen freuten sich im Kampf gegen die demokratischen Bewegungen in den USA tüchtig. Denn: Wo haben denn die Wikileaks etwas zu oligarchischen Systemen in Russland oder im arabischen Kontext blamiert?"

Perlentaucher Thierry Chervel will in einem Gastbeitrag die Hysterie um den Begriff der "Fake News" nicht mitmachen: "Es ist eigentlich eine Banalität, aber es kann angesichts aktueller Diskussionen über Facebook und Fake News nicht schaden, sich dies vor Augen zu halten: Mussolini, Lenin, Hitler und Stalin sind auch ohne Facebook hochgekommen. Sie nutzten die modernsten Medien ihrer Zeit. Zeitungen waren historisch gesehen nur in einigen Jahrzehnten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg jene Garanten der demokratisch vor sich hin deliberierenden Öffentlichkeit, die Habermas idealisierte. Zeitungen waren über Jahrzehnte hinweg vor allem Partei- und Propagandainstrumente."

Und taz-Gschäftsführer Kalle Ruch denkt über die kaum mehr zu übersehende Asymmetrie zwischen automatisch finanzierten Öffentlich-Rechtlichen und leidenden Informationsmedien im privaten Sektor nach: "Beide Systeme werden ihre Publikationskanäle in Zukunft im Internet betreiben und auch miteinander im Wettbewerb stehen. Wie soll das aber ausgehen, wenn die einen über Milliarden von Gebühren verfügen und die anderen damit beschäftigt sind, ihre Aufwendungen den drastisch fallenden Erlösen anzupassen?"

Nur ein paar weitere Rosinen: In dem Dossier erinnert sich unter anderem Bahman Nirumand an den Schahbesuch vor fünfzig Jahren. Micha Sontheimer schreibt über die unselige Rolle der Springer-Presse in der Zeit. Annabelle Seubert besucht den Ort, an dem Benno Ohnesorg starb. Andere Artikel memorieren die Gründung der taz (hier) und die Rolle von Tschernobyl für die Zeitung (hier).

Weitere Themen: Ausgelöst durch den kürzlich veröffentlichten Antisemitismus-Bericht des Deutschen Bundestags machen sich  Inna Hartwich in der NZZ und Danijel Majic in der FR Gedanken über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland.
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Urheberrecht

Christian Rath informiert in der taz über den Stand der Diskussionen beim geplanten Gesetz über das Urheberrecht in der Wissensgesellschaft (UrhWissG). Streitpunkt ist die Frage, wie große Teile eines wissenschaftlichen Werks in Semesterapparaten digital zur Verfügung gestellt und wie die Rechteinhaber dafür entschädigt werden.
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Ideen

Bernie Sanders erweist sich im Interview mit der Zeit als guter patriotischer Amerikaner, der auch an das Gute in seinen Mitmenschen glaubt. Der Idee, man müsse die Rechten das Land erst mal ruinieren lassen, um es dann in Ruhe von links wieder aufbauen zu können, erteilt er eine Absage: "Wir haben davon gehört. Und die Kommunisten der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre haben etwas Ähnliches in Deutschland gesagt, stimmt's? (lauter) Stimmt's? Nun, die Rechnung ist damals nicht so ganz aufgegangen. 50 Millionen Menschen sind gestorben, Deutschland und die ganze Welt haben entsetzliche Jahre durchlitten. Insofern: Nein, ich glaube, das ist keine gute Gedankenfigur."

Ebenfalls in der Zeit lobt Slavoj Zizek in einem Text über Populismus und alles mögliche andere Peter Sloterdijks Buch "Was geschah im 20. Jahrhundert?", weil dort eine Zivilisierung der Kulturen gefordert wird und überhaupt alles so schön kommunistisch klingt: "Die Maßnahmen, die Sloterdijk vorschlägt - die Überwindung des kapitalistischen Expansionsdrangs, eine internationale Zusammenarbeit mit dem Potenzial zu einer Exekutivgewalt, die bereit ist, staatliche Souveränität zu verletzen -, sind dies nicht allesamt Maßnahmen, die darauf abzielen, unsere natürlichen und kulturellen Gemeingüter zu bewahren? Wenn sie nicht in die Richtung eines neu erfundenen Kommunismus weisen, wenn sie nicht einen kommunistischen Horizont implizieren, dann weiß ich nicht, was mit dem Begriff Kommunismus gemeint gewesen sein soll."
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Europa

Sporadisch kamen in den letzten Wochen Meldungen über brutale Verfolgungen Homosexueller in Tschetschenien (unsere Resümees). Nun scheint es eine Funken Hoffnung zu geben, berichtet Daniel Vernet bei slate.fr: "Bei ihrem Treffen in Sotschi Anfang Mai hat Angela Merkel gegenüber dem russischen Präsidenten den Fall der tschetschenischen Homosexuellen angesprochen. Ist es Angst vor einem internationalen Skandal? Jedenfalls hat der Kreml eine Untersuchungskommission nach Grosny gesandt. Sie wird von Igor Sobol geleitet, einem Staatsanwalt, der für seine Hartnäckigkeit und seinen Mut bekannt ist. Nowaja Gazeta berichtet, dass die Ankunft der Kommission bei lokalen Behörden Panik auslöste. Die Beamten überbieten sich gegenber der Kommssion mit Sympathiebekundungen für die LGBT-Community. Der Polizeichef von Grosny fasst sogar eine Gay Pride ins Auge."
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