9punkt - Die Debattenrundschau

Den Klang einer Oud im Ohr und nicht einer Gitarre

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
26.01.2015. Heinrich August Winkler erklärt im Tagesspiegel, warum ihn Pegida an die konservativen Rechten im wilhelminischen Kaiserreich erinnert. Huffpo.fr erklärt, warum sich sowohl die populistische Linke als auch die extreme Rechte in Frankreich über den griechischen Wahlausgang freuen. Kultur verbindet nicht, Kultur trennt, fürchtet die SZ. In der FAZ fordert der Jurist Christian Hillgruber ein starkes Blasphemie-Verbot. Und in der taz meint Soziologe Michal Bodemann: Jyllands Posten gleich Stürmer.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.01.2015 finden Sie hier

Politik

Der Historiker Heinrich August Winkler spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über den Islam in Deutschland, die Türkei und die EU, universale Menschenrechte und Pegida. Letztere sieht er in den "Fußstapfen der deutschen Rechten im wilhelminischen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, die in der westlichen Demokratie etwas "Undeutsches" sah und sie deshalb ablehnte. Eine Auseinandersetzung mit Pegida muss diesen Zusammenhang deutlich machen. Diese Bewegung stellt auch mit ihrer Pro-Putin-Propaganda die Westbindung Deutschlands und damit den Zusammenhalt der EU und der Nato infrage."
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Medien

Harald Welzer rät den Öffentlich-Rechtlichen in der FAZ, den Pegida-Anhängern einfach kein Forum zu geben: "Verantwortung für Demokratie zeigt sich auch darin, nicht im Spekulieren auf Einschaltquoten und politischen Krawall Menschen ein Millionenpublikum zu eröffnen, die sich bislang besser im Bereich der nicht-öffentlichen Meinung aufgehalten haben."
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Stichwörter: Pegida, Welzer, Harald

Europa

Nicht der Koran ist schuld am Terror von Islamisten, sondern der Rassismus des Westens, meint in der taz der Soziologe Michal Bodemann, der in seinem Kommentar religionskritische Zeichnungen gleich miterledigt: "Angemessen wäre es zu diskutieren, ob die dem Nazi-Hetzblatt Der Stürmer ähnlichen, orientalisierenden Karikaturen des Propheten Mohammed, die 2006 zunächst von Jyllands Posten publiziert wurden und in Europa in einem obsessiven Bilderkrieg verbreitet werden, ein Problem sind. Sind diese Karikaturen nicht auch eine Form von Gewalt?"

Sowohl die populistische Linke um Jean-Luc Mélenchon als auch die extreme Rechte um Marine Le Pen, aber auch der linke Flügel der Sozialisten begrüßen in Frankreich den Wahlsieg von Alexis Tsipras, notiert Geoffroy Clavel bei Huffpo.fr: "Mit anderen Worten, außer den Zentristen und den Konservativen sieht alle Welt in Frankreich Griechenland an seinen Pforten. Alle hoffen, dass der Erfolg der Antisparpolitik ihrer eigenen Agenda dient."

Warum gab es nach den Massakern in Paris eigentlich so wenig
Mitgefühl mit der jüdischen Gemeinde, fragt Joachim Cohen in Slate.fr: "Kann es sein, dass meine Landsleute fürchten, sie entzögen den Muslimen etwas, wenn sie zuviel Solidarität mit den Juden demonstrierten? Bedeutet Empathie mit den Juden hier, dass man im Nahostkonflikt schon Stellung bezieht?"
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Religion

Blasphemie ist ein Integrationshindernis ersten Ranges, findet der Rechtsprofessor Christian Hillgruber in der FAZ: "Weil er die unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches wenn nicht Mit-, dann doch wenigstens Nebeneinander verschiedener religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse in der staatlichen verfassten Gemeinschaft bildet, ist der wechselseitige Verzicht auf Beschimpfungen dieser Bekenntnisse mehr als nur ein Anstandsgebot; er darf und sollte rechtsverbindlich eingefordert werden."
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Gesellschaft

Verbinden Kunst und Kultur die Menschen? Aber ganz im Gegenteil, meint Sonja Zekri in der SZ: "Nichts trennt die Menschen mehr als die Kultur." Selbst wenn sie vorbildlich integriert sind, "werden sie Jahre, Jahrzehnte, vielleicht bis an ihr Lebensende einen Rest Fremdheit spüren, eine Distanz, ein unüberbrückbares Anderssein, sobald sie Kulturelles berühren. Sie sind mit diesen Rhythmen aufgewachsen, nicht mit jenen, haben den Klang einer Oud im Ohr und nicht einer Gitarre [...] "Wo ich bin, ist Deutschland", Thomas Manns berühmter Satz im amerikanischen Exil, verriet deshalb einerseits Größenwahn, aber auch viel von der kalten Einsamkeit des Emigranten." Im Anhang an Zekris Artikel werden fünf Künstler vorgestellt, die über Kultur versuchen Flüchtlingen näher zu kommen.

Gabriele Goettle unterhält sich für die taz mit Wilhelm Solms, Mitgründer der Gesellschaft für Antiziganismusforschung und Literaturwissenschaftler, über Antiziganismus und "Zigeunermärchen": "Als Brentano, in dessen Werken ein ganzes Dutzend "schöner Zigeunerinnen" auftritt, 1810 in Böhmen mit Roma zusammentraf, schrieb er den Brüdern Grimm: "die Zigeuner sind alle zum Galgen reif und gar nicht romantisch". Die "Zigeunerbilder" sind ein dunkles Kapitel in der deutschen Literatur. "

Es müsste in Deutschland einen innerislamischen Dialog geben, "losgelöst von der Islamkonferenz des Bundesinnenministeriums", meint Timur Tinç in der FR. "Eine Debattenplattform, auf der Muslime aus allen Spektren weg von den Interessen der Verbände theologische und gesellschaftliche Fragen diskutieren. Die Etablierung eines solchen Forums wäre ein erster Schritt, um nicht in der Öffentlichkeit übereinander, sondern miteinander zu reden."
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Überwachung

Die Staaten möchten keine Verschlüsselungen mehr zulassen, zu denen sie nicht Zugang haben. Innenminister Thomas de Maizière begründet das damit, das Polizei in bestimmten Notsiutationen auch in Häuser eindringen darf. Constanze Kurz kommentiert in ihrer FAZ-Kolumne: "Was de Maizière unerwähnt lässt: Der Staat verschafft sich dabei den Zweitschlüssel zu allen Häusern, um heimlich und verdeckt eindringen zu können. Bisher müssen auch noch keine patriotischen Hintertüren eingebaut werden, um im Fall der Fälle den Behörden Zugang zu verschaffen."
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Geschichte

In der NZZ zeichnet der Historiker Michael Brenner die Geschichte der Judenemanzipation in Frankreich nach, die trotz des grassierenden Antisemitismus (auch bei den Linken), nach der Revolution bedeutend schneller vorankam als in Deutschland: "Noch etwas kam hinzu. Anders als in Preußen und weiteren deutschen Staaten gab es in Frankreich eine lange Tradition einer republikanischen, demokratischen und säkularen Gesellschaft, in der Debatten offener und freier geführt werden konnten. Ein Emile Zola, dessen öffentliche Stellungnahme zugunsten von Alfred Dreyfus ("J"accuse . . .!") bis heute als Symbol für das kompromisslose Eintreten für eine gerechte Sache gilt, ging weiter als ein Theodor Mommsen, der letztlich doch wieder das Judentum in seine religiösen Grenzen verwies und die deutsche Gesellschaft als eine ihrem Wesen nach christliche wahrnahm."

Im Interview mit der Berliner Zeitung erklärt Museumsdirektor Hanno Loewy anlässlich der Ausstellung "Jukebox. Jewkbox! Ein jüdisches Jahrhundert auf Schellack und Vinyl" im Jüdischen Museum in Hohenems in der Presse sehr schön, warum Kuddelmuddel immer noch das beste Wort für Integration ist: "Der Musikethnograph Abraham Zvi Idelsohn hatte eine sehr einfache Definition: Das ist Musik von Juden für Juden. Diese Definition setzt voraus, dass es so etwas wie eine abgeschlossene jüdische Welt gibt. Genau diese Welt ist im 19. Jahrhundert zerbrochen, durch die Aufklärung, Säkularisierung und der Massenmigration von Ost nach West. Das hat dazu geführt, dass jetzt Juden für Nichtjuden sangen und Juden Nichtjüdisches für Juden sangen. Ende des 19. Jahrhunderts wurden alle großen Kantoren plötzlich auf Schallplatte gepresst. Ist es jüdische Musik, wenn Kantoren plötzlich öffentlich singen, in einem säkularen Kontext?"

Im Gespräch mit Arno Widmann in der FR hat Klaus Harpprecht immer noch Schwierigkeiten, Deutschland als eine Nation zu sehen: "Bismarck hat im zweiten seiner sogenannten Einigungskriege Österreich ausgegrenzt. Ein deutsches Kernland, das deutlich älter war als Preußen. Man hätte sicher auch eine föderative Lösung mit den ehemals dänischen Gebieten erreichen können. Bayern gelangte dank der Bestechung seines Königs ins Reich. Was hat das mit einem Nationalstaat, mit einer Nation zu tun?"

Marko Martin rät in der Welt, sich der Auschwitz-Gedenkindustrie zu entziehen und "die Bücher (noch einmal) zu lesen, welche uns die Überlebenden hinterlassen haben - Primo Levi, Ruth Klüger, Imre Kertész, Tadeusz Borowski".
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