9punkt - Die Debattenrundschau

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Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.04.2014. Die Welt geißelt die deutsche Fixiertheit auf Russland und die Ignoranz gegenüber den kleineren Ländern Osteuropas. Nach Enthüllungen über Arne Karstens und Olaf B. Raders  Buch "Große Seeschlachten" stellt sich die Frage: Wieviel darf man aus der Wikipedia abkupfern, ohne es zu erwähnen? Netzwertig studiert die niederländische Medienplattform Blendle, die es einfach macht, kostenpflichtige Inhalte im Netz anzubieten. In der FAZ nimmt Jaron Lanier dem Springer-Chef Mathias Döpfner zwar nicht seine Angst vor Google, wohl aber seine Hoffnung auf Rettung durch den Staat.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.04.2014 finden Sie hier

Urheberrecht

Vergangenes Jahr erschien die historische Studie "Große Seeschlachten" von Arne Karsten und Olaf B. Rader und erhielt, etwa in der FAZ, wohlwollende Rezensionen. In einem Facebook-Post enthüllt der Privatgelehrte Arne Janning nun, dass das Buch "vollständig aus Wikipedia-Einträgen zusammenkopiert" sei, und liefert gleich zahlreiche Belege. "Nun könnte man einwenden, hier hätten vielleicht zwei seekriegsenthusiastische Laien 'in mühevollster Kleinarbeit' den Überblick über Ihre Quellen verloren. Weit gefehlt: Arne Karsten ist ein Schützling und Günstling von Horst Bredekamp und hat mit ihm zusammen viele Jahre lang das DFG-Forschungsprojekt 'Requiem' geleitet. Olaf B. Rader ist Mitarbeiter der Monumenta Germaniae Historica bei der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und gibt zusammen mit Johannes Fried die 'Erinnerungsorte des Mittelalters' heraus. Karsten und Rader arbeiten nicht irgendwie am Rande der deutschen Geschichtswissenschaft, sondern im Zentrum."

In einem Artikel auf Spiegel online gibt Anna-Lena Roth erste Reaktionen auf die Entdeckung wieder. Während ein Sprecher des Verlags C.H. Beck mit dem Hinweis zitiert wird, man nehme "den Plagiatsvorwurf ernst", ist sich der Autor Olaf Rader keiner Schuld bewusst: "'Ein Plagiat ist für mich der Diebstahl geistigen Eigentums. Und dessen habe ich mich nicht schuldig gemacht'... In dem historischen Werk seien ausschließlich technische Details aus dem Online-Lexikon übernommen worden, sagt Rader. 'Früher hat man dafür den Brockhaus benutzt, heute eben Wikipedia.'"

Der niederländische Autor Joost Smiers nutzte bei irights.info den gestrigen Tag des Buchs und des Urheberrechts, um seine kritische Meinung zu letzterem noch einmal darzustellen. Er sieht Urheberrecht als Hindernis der Kreativität: "Als Gesellschaft bezahlen wir für diese Beschränkung einen hohen Preis. Wir verhindern damit, dass sich aus vorhandenen Werken vielfältige neue Ideen entwickeln. Ganz davon abgesehen, lässt sich das Urheberrecht auch als Recht auf Diebstahl betrachten, weil man damit monopolisiert, was viele Generationen vor uns durch beständige Weiterentwicklung erschufen."
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Europa

Marko Martin geißelt in der Welt die deutsche Fixiertheit auf ihr Spezialverhältnis zu Russland und ihre Ignoranz gegenüber Polen und anderen osteuropäischen Ländern: "Die Selbstverständlichkeit, mit der jetzt erneut allein 'unser' Verhältnis zu Moskau diskutierend hin und her gewendet wird, ohne auch nur einmal die polnischen Traumata einer mehrfach zwangsgeteilten Nation zu reflektieren, ist bestenfalls geschichtsvergessen, vor allem aber wohl: zutiefst widerlich."
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Stichwörter: Martin, Marko, Polen, Russland

Geschichte

Ara Toranian, Chefredakteur der Nouvelles d'Arménie, begrüßt in BHLs Blog La Règle du Jeu Tayyip Erdoğans Erklärung zum Völkermord an den Armeniern (mehr hier). Auch wenn Erdogan den Völkermord nicht als solchen anerkannte, war die Erklärung doch eine versöhnende Geste. Ein paar Fragen stellen sich aber noch: "Herr Erdoğan ruft zu einem Dialog zwischen der armenischen und der türkischen Gesellschaft auf. Können wir daraus ableiten, dass er bereit ist, die seit zwanzig Jahren geschlossene Grenze zu Armenien wieder zu öffnen? Er bekundet sein Beileid für die getöteten Armenier. Wird er also die Gedenkschilder abschrauben, die an öffentlichen Plätzen in der Türkei zu Ehren der Mörder angebracht wurden?"

Peter Reichel erinnert in der Welt an den polnischen Diplomaten Jan Karski, der heute hundert Jahre alt geworden wäre - einen der ersten, der die Westalliierten - leider folgenlos - über den Holocaust informierte.
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Gesellschaft

Stefan Willeke besucht fürs Zeit-Feuilleton einige der zahlreichen Leser, die sich über Ijoma Mangolds Verriss von Akif Pirinçcis Buch "Deutschland von Sinnen" aufgeregt haben. Die Idee ist löblich, leider macht Willeke dann doch keinen Versuch, sich mit den Vorwürfen auseinanderzusetzen, sondern wiegelt die Kritik an den Journalisten ab: "Natürlich leidet unser Blick auf die Welt unter dem Eppendorf-Syndrom. Aber nur, weil wir selbst in einer Homogenitätsfalle der urbanen Mittelschicht stecken, wird nicht der Umkehrschluss zulässig, Pirinçci leiste aufrichtige Basisarbeit. Viel unheilvoller ist es, wenn der Demagoge Pirinçci von seiner Bonner Villa aus die Geräusche der Straße imitiert, um damit reich zu werden." (Qualitätsjournalisten schreiben natürlich nur für die Sache, nie für Geld.)

Recht drastisch zur Sache geht es in Sexualkundebücher für unsere 12- bis 15-Jährigen, hat Christian Weber für die SZ herausgefunden. Und zitiert mit Faszination einige Übungen aus Elisabeth Tuiders Standardwerk "Sexualpädagogik der Vielfalt" (mehr dazu hier): "Siebtklässler sollen sich damit auseinandersetzen, ob 'Sadomasochismus und Fetischismus eigentlich nur sexuelle Vorlieben oder auch Identitätsbausteine sind', wie das gelehrte Autorenteam empfiehlt, Lernziel: 'Die Jugendlichen sollen Heterosexualität als Norm infrage stellen.'"

Melanie Mühl fordert in der FAZ nach dem neuesten Kinderporno-Skandal an der Odenwaldschule tiefgreifende Reformen für diese Institution.
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Überwachung

Die Website Venturebeat meldet, dass Google plant, seinen Emaildienst Gmail mit dem Verschlüsselungsprogramm PGP ("Pretty Good Privacy") zu verzahnen. Auf Zeit digital macht sich Eike Kühl Gedanken, wie das technisch funktionieren könnte, und meldet leise Zweifel an, ob Google überhaupt ein Interesse daran hat, nicht mehr auf die Emails zugreifen zu können: "Ausgerechnet die Inhalte von E-Mails sind ein wichtiger Bestandteil des personalisierten Anzeigengeschäfts von Google. Erst vergangene Woche hatte das Unternehmen mittels einer Änderung in den AGBs bestätigt, was ohnehin längst bekannt war: Dass man die E-Mails der Nutzer automatisch scanne. Wörtlich heißt es in den AGBs nun: 'Unser automatisches System analysiert Ihre Inhalte (inklusive E-Mails), um Ihnen relevante Funktionen wie auf Sie zugeschnittene Suchergebnisse, Werbung sowie Spam- und Schadsoftwareerkennung zur Verfügung zu stellen.'"
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Stichwörter: Gmail, Google

Internet

In der FAZ antwortet Internetkritiker Jaron Lanier auf Mathias Döpfner, dessen Hoffnung auf Rettung vor Google durch den Staat er allerdings eine Absage erteilt: "Ich selbst plädiere dafür, die Nutzung von Daten kostenpflichtig zu machen. Als Amerikaner und Bewohner der IT-Welt liegt mir daran, eine marktwirtschaftliche Lösung zu finden. Ich konzentriere mich auf Verfahren, bei denen der Einzelne den Preis für die Nutzung seiner Daten selbst bestimmt."
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Medien

Martin Weigert studiert für Netzwertig den niederländischen Dienst Blendle, der Inhalte von Zeitungen medienübergreifend bündelt und kostenpflichtig anbietet. Einzelne Artikel zu lesen kostet 10 bis 20 Cent: "Die Art, wie Blendle die Zahlungsinformationen transparent gestaltet, ohne mit diesen aber die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Inhalt wegzunehmen, ist vorbildlich. Und weil Blendle-Anwender ihr Guthaben im Prepaid-Verfahren aufladen, ist während des Erwerbs der Lektüre auch keine Eingabe von Zahlungsdaten erforderlich. Da User nach der Registrierung 2,50 Euro Guthaben geschenkt bekommen, können sie sich in Ruhe mit dem System vertraut machen, ohne gleich in finanzielle Vorleistung gehen zu müssen."

Die schwedische Plattform Magine bringt den Großteil der deutschen Free-TV-Sender ins Internet, meldet Kurt Sagatz im Tagesspiegel. Ungeklärt ist allerdings noch die Frage der Finanzierung des weitgehend kostenlosen Dienstes: "Im Gegensatz zum Konkurrenten Zattoo sind bei Magine auch die Programme der Privatsendergruppen RTL und ProSiebenSat 1 in der Kostenlos-Variante enthalten. Magine könnte damit zum vollwertigen Ersatz des Antennenfernsehens DVB-T werden."
Archiv: Medien