9punkt - Die Debattenrundschau

Nur für den Geschmack

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.02.2019. Wie "framet" man einen Kommunikationsunfall? Die Medien streiten weiter über das Framing-Papier für die ARD: Schuld an dem ganzen Debakel sei jedenfalls Mathias Döpfner, der die Öffentlich-Rechtlichen im Jahr 2017 als "Staatsfunk" geframed hatte, heißt es in der NDR-Sendung "Zapp". In der Zeit spricht Alain Finkielkraut über die antisemitischen Attacken der Gelbwesten. "Rechts" und "Links" sind in dieser Bewegung jedenfalls nicht mehr zu unterscheiden, meint Richard Herzinger in der Welt.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.02.2019 finden Sie hier

Europa

Was ihm bei der Demo der Gilets jaunes entgegenkam, war kein klassischer Antisemitismus, jedenfalls nicht nur, sagt Alain Finkielkraut im Gespräch mit Georg Blume in der Zeit, es war muslimischer Antisemitismus und mehr noch linker Antisemitismus, der sich für Antirassismus halte: "Die Demonstranten, so Finkielkraut, "hatten Negativbilder im Kopf, die seit Langem in der intellektuellen Öffentlichkeit Frankreichs im Umlauf sind. Nicht wenige Journalisten und Intellektuelle halten mich seit Jahren, auch wenn sie es so nicht sagen, für einen Rassisten und Faschisten. Die Gelbwesten haben nur den Anschuldigungen, die innerhalb der Intelligenzija entwickelt wurden, einen bedrohlichen Charakter verliehen. Deshalb ist es zu einfach, die Gelbwesten zu beschuldigen. In Wirklichkeit stammt die Gewalt der Attacke gegen mich aus der Welt der französischen Kultur."

Die traditionelle Aufteilung in linke und rechte Radikale ist überholt, konstatiert Richard Herzinger in der Welt mit Blick auf die antisemitischen Ausschreitungen bei den Gelbwesten-Protesten. Neben dem Antisemitismus eine auch die Affinität zu Putins Russland die Lager: "Kein Wunder, dass die Gelbwesten-Bewegung von Anfang an von den Desinformationsnetzwerken des Kreml befeuert wurde, entspricht sie doch dem Idealbild dessen, was Putins Regime im Westen gerne ins Werk gesetzt sehen will: eine Erhebung des 'Volkszorns' gegen den vermeintlichen Lug und Trug der parlamentarischen Demokratie. Die zentrale Botschaft der Gelbwesten-Bewegung deckt sich mit der, die der Propagandaapparat des Kreml in das westliche öffentliche Bewusstsein pressen will: Liberale Demokratien seien gar nicht demokratisch, ihre Institutionen verschleierten nur die Willkür 'globalistischer' Mächte, die dem Volk' ihre Selbstbestimmung geraubt hätten."

Vor einem Jahr wurden der slowakische Journalist Jan Kuciak und seine Lebensgefährtin Martina Kušnírová ermordet. Ein Jahr danach ist die Tat immer noch nicht völlig aufgeklärt. Im Gespräch mit Julia Boek sagt Michael Rediske von Reporter ohne Grenzen in der taz: "Die Politiker in der Slowakei tun offenbar nicht alles, um die Justiz in ihrer unabhängigen Arbeit zu unterstützen. Einige Politiker scheinen vor allem darauf aus zu sein, sich und ihren Ruf zu schützen. Es gibt klare Indizien dafür, dass auch ein Netzwerk hoher staatlicher Funktionsträger in den Mordfall verwickelt ist."

Im Welt Interview mit Tim Röhn spricht Peter Bardy, Chefredakteur des slowakischen Online-Zeitung aktuality.sk, für die auch Jan Kuciak arbeitete, über die ungebrochene Macht von Ex-Premierminister Robert Fico, seinen Verdacht, dass der Unternehmer Marian Kocner den Mord an Kuciak in Auftrag gab und geplante Änderungen der Mediengesetze durch die Regierung: "Sie wollen sicherstellen, dass Politiker das Recht haben, auf jeden Zeitungsartikel mit einem Text in der gleichen Länge zu antworten. Das würde bedeuten, dass sie unsere Fragen komplett ignorieren können. Diese Veränderungen bezüglich der Mediengesetze würden die Rechte von Journalisten sogar weiter beschneiden."

Im Zeit-Interview spricht Julian Barnes über seine Bewunderung für den deutschen Liverpool-Trainer Jürgen Klopp, Wut und Egoismus der Brexiteers, die Rückkehr der Etonians und die Zukunft von Irland und Schottland: "Irische Bekannte sagten mir: Die Leute holen die Waffen wieder raus. Und davon weiß England nichts, davon will es auch nichts wissen. Auf lange Sicht könnte es sinnvoll sein, dass Schottland sich aus Großbritannien verabschiedet und Nordirland sich mit der Republik Irland vereinigt. Es ist jetzt eine Situation entstanden, an der mir ein Aspekt sehr gefällt: Ausnahmsweise hat Irland die Kontrolle über England."

In seiner FAZ-Kolumne erzählt Bülent Mumay, wie Tayyip Erdogan in den Jahren vor dem gülenistischen Putsch Unternehmer dazu brachte, Medien zu kaufen und sie gleichzuschalten. Das System ließ die Korruption blühen: "Man ließ sich reichlich dafür entlohnen, dass man Zeitungen für Erdogan aufkaufte und auf regierungsnahe Berichterstattung trimmte. Staatliche Ausschreibungen gingen an loyale Unternehmer, die erzeugte Rendite floss als Propagandadienstleistung an den Palast zurück."
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Ideen

Ein Parité-Gesetz, das eine Fifty-Fifty-Repräsentanz von Frauen in den Parlamenten vorsieht, könnte ungeahnte Konsequenzen haben, meint der Politologe Winfried Thaa in der taz: "Die amerikanische Feministin Iris Marion Young forderte .. für die USA auch bereits in den 1990er Jahren besondere Repräsentationsrechte für eine lange Reihe historisch unterdrückter Gruppen: für 'women, blacks, Native Americans, Chicanos, Puerto Ricans and other Spanish-speaking Americans, Asian Americans, gay men, lesbians, working-class people, poor people, and mentally and physically disabled people'. Die Konsequenz, mit der Young ihre Konzeption von Gruppenrepräsentation und differenzierter Staatsbürgerschaft ausbuchstabiert, enthüllt zugleich deren Kehrseite: Die rechtliche und politische Gleichheit, auf der moderne Demokratien basieren, wird aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten."
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Gesellschaft

Die Rekatholisierung der CDU schreitet voran. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn stellt sich gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Sterbehilfe (unser Resümee). Und in der Zeit antwortet heute die Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner auf die etwas seltsame Frage "Darf man Tiere töten nur für den Geschmack?" "Gehen wir auf die Metaebene: In der Bibel gibt es unterschiedliche Stellen dazu, ob man Tiere töten darf oder nicht." Kollege Spahn lässt in solchen unklaren Lagen Studien anfertigen!
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Stichwörter: Sterbehilfe, Spahn, Jens

Internet

Empört schickt Sascha Lobo in seiner Spiegel-online-Kolumne Angela Merkel wegen ihrer Digitalpolitik in den Ruhestand - in ihrer gesamten Regierungszeit habe sie etwa beim Thema Bandbreite und Handyempfang nichts vollbracht und mache dann noch Scherze. Und dann noch die jüngsten EU-Reformen: "Die aktuelle Urheberrechtsreform ist Konzernpolitik und stärkt letztlich die Position von Google bis Facebook. Weil diese Riesenkonzerne - wenn überhaupt - die einzigen Plattformen sein werden, die sich das Rechtsrisiko leisten können, von Nutzern hochgeladene Inhalte zu erlauben. Und wer dagegen protestiert, wird von der EU-Kommission schriftlich als 'Mob' beschimpft."

Das Silicon Valley erkennt die "Krankheit als Marktpotenzial" schreiben die Philosophin Anna-Verena Nosthoff und der Wirtschaftswissenschaftler Felix Maschewski in der NZZ: Amazon gründete jüngst eine Krankenversicherung, Facebook entwickelt einen Algorithmus, der die Suizid-Gefahr amerikanischer User scannt und Alphabet arbeitet mit seinem "Project Baseline" an KI-basierten Software-Lösungen, um Krankheitsverläufe und den Todeszeitraum von Patienten in Krankenhäusern zu  bestimmen. "Krankheiten und ihre Entwicklung sollen - in einer Art Live-Ticker - genauer analysiert werden und damit immer besser vorhersagbar werden. Von den Bakterien im Darm bis zur Karies im Zahn, in alle Gebiete des Lebens und Sterbens erhält das Unternehmen nun Einsicht, vermisst sie transparent und setzt alles in einen größeren, biopolitischen Zusammenhang."
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Religion

Alle freuen sich über das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das die zweite Heirat eines Arztes  an einem katholischen Krankenhaus nicht als Kündigungsgrund anerkannt hat - das Bundesverfassungsgericht hatte vor einiger Zeit nicht so eindeutig geurteilt. Aber der Fall zeigt ohnehin nur die Spitze des Eisbergs, schreibt Ingrid Matthäus-Maier bei hpd.de: "Das Kirchliche Arbeitsrecht diskriminiert über 1,3 Millionen Menschen in den Kirchen, Caritas und Diakonie. Ob Kirchenaustritt oder Nichteinstellung Konfessionsfreier Menschen (bei der katholischen Kirche auch noch Homosexualität): keinen Millimeter gibt die Kirche freiwillig auf. Auch jetzt noch behält sie sich eine Verfassungsbeschwerde vor. Auch die evangelische Kirche beharrt auf der Kirchenmitgliedschaft bei Einstellung trotz eines anderslautenden BAG-Urteils." Hinzuzufügen ist, dass die meisten dieser Arbeitnehmer nicht etwa aus der Kirchensteuer bezahlt werden.
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Medien

Viel gelernt hat die ARD aus dem Framing-Papier jedenfalls nicht, meint Stefan Winterbauer in einem Meedia-Artikel, der die Kommunikationsunfälle der Anstalt in den letzten Tage auflistet: "Die ARD verfolgte eine Strategie des Herunterspielens und scheibchenweise dann doch veröffentlichen. Gerade so, als habe man seinen Abschluss an der Kommunikations-Fachhochschule Karl-Theodor zu Guttenberg gemacht."

Schuld an der Debatte um das Framing-Papier der Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling für die ARD ist Mathias Döpfner, schreiben gleich drei Journalisten auf der Seite der NDR-Sendung "Zapp". Döpfner hatte die öffentlich-rechtlichen Sender im Jahr 2017 Als "Staatsfunk" bezeichnet (und diesen Begriff nach einem Burgfrieden mit den mächten Anstalten wieder Zurück genomen, unser Resümee). Nach dieser Provokation blieb den ARD-Gewaltigen nichts anderes übrig, als selber Framing zu betreiben, so die Autoren: "Döpfner gab der Debatte um den hiesigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk so einen besonderen Rahmen. 'Framing' nennen das Sprachwissenschaftler wie Elisabeth Wehling. An sie wandte sich wiederum die ARD in genau dieser aufgeladenen Zeit, in der auch Rechtspopulisten die ARD, aber auch viele politische Entscheidungen etwa zum Umgang mit Geflüchteten angriffen. Die ARD beauftragte Schulungen und Begleitmaterial. Kosten bisher: 120.000 Euro. Neun Schulungen hat die ARD beauftragt, vier davon mit insgesamt 160 Teilnehmern fanden bereits statt."

Völlig verstört von der Kritik an dem Framing-Papier ist SZ-Autor Detlef Esslinger. Das Papier zu kritisieren und dabei polemische Sprache zu benutzen, empfindet er als "besonders perfide und drastisch". Ein Begriff wie "Umerziehungsfibel", den die Bild-Zeitung für den Leitfaden prägte, sei demagogisch: "Wer solche Begriffe setzt, weiß bestenfalls nicht, wem er in Wahrheit hilft. Jeden Tag versuchen Gegner von Information und Aufklärung, die Linguistik zu missbrauchen." Man könnte natürlich auch sagen, dass sie versuchen, einen Sachverhalt zu benennen.

Perlentaucher-Leser abhs schreibt dagegen in einem Leser-Kommentar gegen die These des Framing-Papiers, es gebe kein "objektives, faktenbegründetes und rationales Denken", sondern nur alles relativierende sprachliche Frames: "Sprache steht in einem komplexen Verhältnis zur Wirklichkeit. Dass sie keine absolute Wahrheit frei Haus liefert, heißt nicht, dass eh alles nur Manipulation ist. Man kann mit Sprache Propaganda machen oder versuchen sachorientiert zu argumentieren. Wehling stellt sich mit ihrem Papier klar auf die Seite der Propaganda, entlarvt damit ihr eigenes Konzept und demonstriert unfreiwillig, dass diese Art des postmodernen Denkens sehr wohl zur neuen Rechten beigetragen hat."

Und auch das noch: Matthias Heine hat in der Welt bei Linguisten nachgefragt, was sie von Elisabeth Wehlings Framing-Geschäft halten. Ein längst bekanntes Phänomen, winkt Heidrun Kämper, Expertin für politischen Sprachgebrauch am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim ab. "Eine perfekte Inszenierung von Wissenschaftlichkeit", meint indes Jörg Matthes, Chef des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien und zweifelt auch an der Authentizität von Wehlings Politikberatung: "Wenn Sie genauer hinschauen, so fällt auf, dass das ,Berkeley International Framing Institute' kein echtes Forschungsinstitut ist, wie es der Name suggeriert. Es scheint sich um ein virtuelles Beratungsunternehmen von Dr. Wehling zu handeln, ganz ohne Mitarbeiter. Auch hat es aus meiner Sicht nichts mit der Uni Berkeley zu tun. Die Fachzeitschrift ,Moral Cognition and Communication', die Dr. Wehling laut Homepage des Berkeley Institute herausgibt, existiert nicht, und wenn, so ähnelt sie doch stark sogenannten ,predatory journals'."

Außerdem zum Thema: Im Blog des "Netzwerks Recherche" macht Daniel Drepper, darauf aufmerksam, dass privat finanzierte Medien ein Problem mit dem Geschäftsmodell haben und viele Inhalte hinter Paywalls verstecken - es bleiben tendenziell nur die mit ihrem Framing befassten Öffentlich-Rechtlichen. Und Johannes C. Bockenheimer hat für die Salonkolumnisten herausgefunden, dass Elisabeth Wehlings "Berkeley International Framing Institute" mit der Berkely Universität nicht das geringste zu tun zu haben scheint.
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