9punkt - Die Debattenrundschau

Deutscher Wein von 1943

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
07.02.2019. Die Ungleichheit in der Welt ist in vielen Ländern vor allem eine zwischen Männern und Frauen: In vielen Entwicklungsländern haben Frauen laut Zeit online nur halb so viel Geld wie Männer. In der NZZ spricht Saul Friedländer über Antisemitismus in der alten Bundesrepublik. SZ und New York Times freuen sich über glänzende Zahlen der Letzteren.  Und der Tagesspiegel bewertet die Weimarer Republik neu.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.02.2019 finden Sie hier

Ideen

Per Leo, Mitautor des Buchs "Mit Rechten reden", legt in einem Zeit-Essay noch einmal dar, wie er Rechte durch Miteinanderreden demaskieren will: "Intellektuell kommt von rechts nichts, was der Rede wert wäre. Keine Idee, kein Problembewusstsein, keine Analyse. Keine Schärfe, weder im Schreiben noch im Auftreten. Nur das nebulöse Gerede von der Bedrohung des eigenen Volks, dessen Existenz so heiß empfunden wie lau benannt wird, und die strategische Absicht, den Diskurs zu kapern. Der Wille zur Krise. Um erfolgreich zu sein, brauchen sie uns. Wir Nicht-Rechten sind es, die ihnen unfreiwillig zu Kontur verhelfen, weil wir sie andauernd schärfer machen, als sie sind."
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Europa

Die Selbstherrlichkeit Erdogans wird heute zu seinem größten Problem, schreibt Bülent Mumay in seiner FAZ-Kolumne unter Bezug auf eine Umfrage: "Früher betrachteten die Bürger Terrorismus als größtes Problem, jetzt nehmen Wirtschaft und Teuerung der Lebenshaltungskosten diesen Rang ein. Da 2018 der Regimewechsel zum Präsidialsystem vollzogen wurde, werden heute alle Negativpunkte von Regierung und Wirtschaft dem Präsidentenpalast angelastet, erklärt der Koordinator der Studie, Mustafa Aydin."
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Stichwörter: Türkei, Mumay, Bülent

Internet

Dass das Internetportal Gab, ein Netzwerk für Rassisten, Rechtsradikale und Nationalisten, kurz vor dem Aus steht, nachdem der Zahlungsdienstleister Paypal, der Hoster Joyent und der Domain-Registrar Godaddy ihre Verträge mit Gab kündigten, begrüßt Simon Hurtz in der SZ zwar. Aber dass es jemanden gibt, der überhaupt die Macht dazu hat, stört ihn auch: "Auch Internetprovider und Browseranbieter treffen wichtige Entscheidungen: In Großbritannien gibt es Pläne, dass Provider den Zugriff auf pornografische Inhalte blockieren. Microsoft warnt Nutzer seines Edge-Browsers vor Seiten, die angeblich Falschinformationen verbreiten. Google bestimmt mit seinem marktbeherrschenden Chrome-Browser die Spielregeln im Netz. Hinzu kommen Zahlungsdienstleister wie Paypal oder Patreon, die Plattformen zwar nicht unmittelbar stilllegen, aber langsam ausbluten lassen können, wenn sie deren Konten einfrieren."

Spotify hat den großen Podcast-Anbieter Gimlet gekauft und erobert damit endgültig eine Rolle, die sich einst das Berliner Portal Soundcloud erträumt hat: Der Dienst wird unabhängiger von den Musikmajors, die die Erlöse aus dem Streamingmarkt abgreifen, schreibt Marcel Weiß in Neunetz: "Eine optimale und naheliegende Möglichkeit zur Ausdifferenzierung und Diversifizierung. Soundcloud hat tatsächlich seit dem Launch der RSS-Feeds für Podcaster vor fünf sechs Jahren nichts gemacht. Kein einziges zusätzliches Feature... Spotify hat 96 Millionen bezahlende Abonennten und insgesamt 207 Millionen Nutzer. Was Spotify künftig mit Podcasts macht, wird sich auf den gesamten Podcast-Markt auswirken."
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Geschichte

Die Weimarer Republik sollte weder als "Vorläufer des Dritten Reichs" noch unter dem "verklärenden" Blick der Goldenen Zwanziger betrachtet werden, schreibt Bernhard Schulz im Tagesspiegel und plädiert für eine differenzierte Sicht, die auch die Errungenschaften der Republik, etwa die Einführung der Demokratie oder des Frauenwahlrechts, berücksichtigt: "Die Arbeitswelt veränderte sich grundlegend mit der Einführung des gesetzlichen Achtstundentages und der Anerkennung der Gewerkschaften als Tarifpartner, beides noch am Ende des Kaiserreichs. Allerdings blieb die Klassenteilung der Gesellschaft ebenso bestehen wie die Differenz von industrialisierten und agrarischen Regionen. Der am Ende der Republik so verhängnisvolle Einfluss der ostelbischen Großgrundbesitzer wurde nie in Frage gestellt, die Frontstellung von Großbourgeoisie und Arbeiterschaft kennzeichnete die Industrieregionen von Oberschlesien bis zum Ruhrgebiet. Die Zusammensetzung der politischen Akteure von (adligem) Militär, Großagrariern und Industriellen bis zu Kirchen und Gewerkschaften blieb die gesamte Republik über bestimmend."
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Medien

Der Tagesspiegel versucht, mit teuren Branchen-Newslettern unter dem Titel "Background" Geld zu verdienen, etwa zu den Themen Energie und Klima und zu Digitalisierung, berichtet Grit Eggerichs im Deutschlandfunk: "Vergleichbar mit dem 'Background' ist Politico Europe. Die Redaktion in Brüssel erstellt täglich Newsletter zu Themenbereichen wie Mobilität, Brexit und Digitalisierung - zu haben ab 7.000 Euro im Jahr. Wie beim 'Background' werden die Texte exklusiv weitergegeben: Wer eine Lizenz hat, darf die Inhalte nicht weiterverbreiten, sie nicht in sozialen Netzwerken teilen und sie nirgends zitieren."

Im SZ-Interview mit Caspar Busse spricht Mark Thompson, Vorstandschef der New York Times, der es mit 3,4 Millionen Digitalabonnenten und 150 Millionen Lesern im Monat blendend geht, über 600.000 neue Abonnenten nach der Trump-Wahl, Ein-Dollar-Abos, das hehre Ziel von zehn Millionen Abonnenten bis zum Jahr 2025 und die Zukunft des Print-Journalismus: "Print ist heute noch sehr profitabel für uns. Das Problem ist nur, dass das Zustellsystem in den USA immer schlechter wird, auch wenn wir noch fast jede Ecke erreichen. Die Kosten für Produktion und Zustellung werden immer höher, die Anzeigen gehen zurück. Die gedruckte Zeitung wird damit immer teurer, ein Abo außerhalb von New York kostet heute schon mehr als 1000 Dollar im Jahr." Auch die New York Times veröffentlicht heute ihre Erfolgszahlen.
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Gesellschaft

In vielen Entwicklungsländern sind die Vermögensunterschiede zwischen Männern und Frauen eklatant - auch weil Männer das Geld einnehmen, das Frauen erarbeiten, schreibt die Autorin Simone Schmollak auf Zeit Online und blickt nach Sri Lanka:  Dort "gibt es weder Mindestlöhne noch ein nachvollziehbares Gehaltssystem. Das hat zur Folge, dass Arbeitgeber*innen Frauen schlechter bezahlen als Männer. Laut dem Schattenbericht für die Frauenrechtskonvention CEDAW, dem 'Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau', erhalten Frauen in der Landwirtschaft nur halb so viel Geld wie Männer. Teepflückerinnen verdienen etwa 400 Rupien am Tag, rund zwei Euro. Und auch das nur, wenn sie die erforderliche Menge pflücken."

Julia Lorenz plädiert in der taz auch gegenüber Abtreibungsbefürworterinnen für die Kompliziertheit von Gefühlen: "Unter unzähligen Frauen, für die der Eingriff undramatisch ist, sind immer auch Zweifelnde. Trauernde. Und die fühlen sich nicht besser, wenn sie nach konservativer Lesart tragische Sünderinnen sind und nach feministischer gar nicht existieren. Dass sich Frauen mit ambivalenten Gefühlen und Geschichten so selten zu Wort melden, ist kein Wunder: Wer nach einer Abtreibung eingesteht, beim Anblick von Babys nasse Augen zu kriegen, muss in Überschallgeschwindigkeit hinterhersetzen, trotzdem zu seiner Entscheidung zu stehen."

Im NZZ-Gespräch mit Benedict Neff spricht Saul Friedländer über AfD-Reaktionen während seiner Rede im Bundestag, sein Ende der Sechziger geführtes Interview mit Karl Dönitz und den Antisemitismus der Bundesrepublik: "Einmal war ich bei einem privaten Abendessen mit Akademikern zu Gast, bei dem deutscher Wein von 1943 aufgetischt wurde. Solche oder ähnliche Dinge kamen vor. Wenn die Leute dann den Eindruck hatten, dass ich mich ärgerte, sagte man hinter meinem Rücken: Er ist eben schwer belastet, er ist traumatisiert. Das war sehr unangenehm für mich. Heute kriege ich manchmal noch Briefe und E-Mails aus Deutschland mit Fragen wie: 'Glauben Sie nicht auch, Herr Friedländer, dass die Juden schuld sind am Antisemitismus?' Es sind Neonazis, die mit mir diskutieren möchten."
 
"Biologie ist zu akzeptieren, Biologismus nicht", schreibt in der NZZ der Jurist Loris Fabrizio Mainardi mit Blick auf die Geschlechterdebatte: "Eine intelligente Gender-Politik strebt keine - faktisch nicht zu erreichende und ihrerseits einengende - Gleichstellung oder gar Gleichschaltung an, wie sie durch 'geschlechtsneutrale' Sprachverordnungen erschreckend laut widerhallt, sondern vielmehr eine rechtsstaatlich durchzusetzende Gleichberechtigung." Mainardi kritisiert in seinem Artikel auch den kanadischen Anti-Gender-Star Jordan B. Peterson, der heute in der Zeit groß interviewt wird.
Archiv: Gesellschaft