9punkt - Die Debattenrundschau

Manie des permanenten Unter-Verdacht-Setzens

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.01.2018. Catherine Deneuve erklärt in Libération noch einmal, warum sie das #MeToo-kritische französische Papier unterzeichnet hat. Was man in Hollywood anprangert, wird in der Pornoindustrie als Mentalität gefeiert, schreibt Friederike Haupt in der FAS, wo sich auch Catherine Millet und Regina Ziegler äußern. Spiegel online erzählt, wie sich die polnische Opposition selbst zerlegt. Die von der EU für die geplanten Uploadfilter könnten zu einer Vorzensur im Netz führen, fürchtet ZeitOnline. Wen genau repräsentiert eigentlich Lamya Kaddors Liberal-Islamischer Bund, fragen die Salonkolumnisten.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.01.2018 finden Sie hier

Gesellschaft

Catherine Deneuve erklärt in Libération noch einmal, warum sie das #MeToo-kritische französische Papier unterzeichnet hat, obwohl sie sich von den Äußerungen einiger Mitunterzeichnerinnen distanziert und sich bei Gewaltopfern, "die das Papier als gewalttätig empfunden haben", entschuldigt: "Ich habe dieses Papier schließlich aus einem in meinen Augen wesentlichen Grund unterzeichnet: der Gefahr der Säuberungen in der Kunst. Wird man einst die Pléiade-Bände des Marquis de Sade verbrennen? Leonardo da Vinci als pädophilen Künstler bezeichnen und seine Gemälde verhängen? Die Gauguins in den Museen abhängen? Die Zeichnungen Egon Schieles vernichten? Die Platten von Phil Spector verbieten? Dieses Zensurklima macht mich sprachlos und lässt mich mit Sorge an die Zukunft unserer Gesellschaften denken."

Gleich drei Beiträge zu #MeToo brachte gestern die FAS. Friederike Haupt macht darauf aufmerksam, dass die Gewalt, die in Hollywood nun angeprangert wird, ein paar Blöcke weiter in der Pornoindustrie als Mentalität gefeiert wird: "Das ist kein Problem nur einiger weniger; die amerikanische Pornoindustrie setzt ähnlich viel Geld um wie Hollywood. Und ihre Filme haben deutlich mehr Zuschauer, nicht nur in Amerika, auch in Deutschland. Aber die Frauen, die dort geschunden werden, haben weniger Macht als Hollywoodschauspielerinnen. Sie haben keine Anwälte und keine Millionen Follower auf Twitter, die sie verehren."

Die Produzentin Regina Ziegler macht sehr pragmatische Vorschläge: "Es sollte in den Produktionshäusern Vertrauenspersonen geben, denen sich Frauen anvertrauen können. Nicht per Gesetz verordnet, sondern aus schierer Vernunft eingerichtet. Und denen, die missbraucht wurden, wäre zu raten, dass sie alles tun, um Beweise zu sichern. Auch wenn ihre Scham sie daran hindern möchte. Wenn ein Wort gegen das andere steht, muss es etwas geben, das den Ausschlag gibt. Schon eine genaue Notiz über die Umstände könnte helfen, auch noch nach Jahren."

Und Catherine Millet, eine der Autorinnen des französischen Aufrufs, hält im Gespräch mit Annabelle Hirsch an ihrer Kritik an #MeToo fest: "Ja, für mich huldigt ein Großteil dieser Feministinnen einer puritanischen Utopie, in der die Komplexität der Sexualität vollkommen glattgebügelt wird. Um eine sexuelle oder sogar nur eine romantische Beziehung mit einem anderen einzugehen, muss einer offensiv sein, sonst passiert nichts. Da kann es schon mal sein, dass man sich ungeschickt oder plump verhält. Ist das so entsetzlich?"
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Europa

Thomas Dudek erzählt bei Spiegel online, wie sich die Opposition in Polen selbst zerlegt. Während die PiS-Partei einen Antrag unterstützte, der eine leichte Liberalisierung von Abtreibung in Polen vorsah, kam schließlich nur ein Antrag zur Abstimmung, der sogar noch eine Verschärfung vorsah: "Daran sind die beiden großen Oppositionsparteien Bürgerplattform und Nowoczesna schuld. Trotz Fraktionsdisziplin lehnten drei PO-Abgeordnete das Projekt 'Retten wir die Frauen' ab, 29 weitere erschienen gar nicht erst zur Abstimmung. Bei der Nowoczesna enthielt sich ein Abgeordneter der Stimme, zehn blieben der Abstimmung fern."

Unterdessen malt Konrad Schuller im Leitartikel der FAZ die Gefahr eines "Polexit" an die Wand: "Wenn die Union Kaczynskis Geisterfahrt nicht hinnehmen will und wenn dieser trotzdem nicht einlenkt, könnte Polen am Ende für die EU verlorengehen. Die Gefahr eines nicht zu heilenden Bruchs ist real." Und im Feuilleton der FAZ wirft der Historiker Stephan Lehnstaedt einen Blick auf das Gedenkjahr 2018 in Polen.
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Politik

Ulrich Gutmair attackiert in der taz unter Rückgriff auf einen von Stephan Grigat herausgegebenen Essayband die deutsche Iran-Politik: "Die deutsche Außenpolitik verharrt .. in der Vorstellung, man könne wie seinerzeit im Ostblock 'Wandel durch Handel' herbeiführen. Es waren nach Abschluss des Atomabkommens nur wenige Tage vergangen, da landete Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel als erster westlicher Spitzenpolitiker in Teheran, begleitet von einer hundertköpfigen Delegation aus der Wirtschaft."
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Internet

Auf SZ online ermuntert Jürgen Schmieder die digitalen Analphabeten, der neuen Technik gegenüber etwas neugieriger zu sein: "Statt über den Enkel zu lästern, der mal wieder stundenlang ins Handy starrt, könnte man ihn doch mal fragen, was er da genau tut und wie das funktioniert. Es lohnt, den erwachsenen Zynismus abzulegen und kindliche Offenheit zu entwickeln. Danach kann man immer noch - und dann informiert - darüber entscheiden, wie viel Technologie man in seinem Leben haben möchte."
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Stichwörter: Zynismus

Urheberrecht

Für eine Reform des Urheberrechts überlegt die EU, Uploadfilter verpflichtend zu machen, die Inhalte auf Urheberrechtsverletzungen untersuchen, bevor sie veröffentlicht werden, berichtet  Friedhelm Greis auf ZeitOnline. Falls etwas zu Unrecht gesperrt wird, muss der einzelne User dagegen vorgehen. Das Ausmaß an möglichem Missbrauch und die Folgen der Verunsicherung von Usern kann man sich ausmalen. "Unterstützung erhielten die Gegner der Kommissionspläne in dieser Woche noch von deutschen Wagniskapitalinvestoren. In einem offenen Brief an die Europaabgeordneten warnen sie vor den Folgen der Pläne, insbesondere durch ein europäisches Leistungsschutzrecht, verpflichtende Upload-Filter und die Regelungen zu Text- und Data-Mining. Die Investoren hätten den Eindruck, dass die Parlamentarier eher den traditionellen Wirtschaftsbereichen als jungen Wachstumsfirmen zugeneigt seien. Das werde aber nicht dem großen Potenzial für neue Geschäftsmodelle mit langfristigen Wachstumsperspektiven und künftigen Jobs gerecht."
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Religion

Stefan Laurin porträtiert bei den Salonkolumnisten Lamya Kaddor, die Gründerin des "Liberal Islamischen Bundes" - und stellt eine der Hauptfragen bezüglich solcher Verbände: Wen repräsentieren diese bei Politikern so beliebten Figuren eigentlich? "Die Mitgliederzahlen sind nicht nur beim LIB ernüchternd, der nicht über die Größe eines kleinen Tischtennisvereins hinauskommt. Der Zentralrat mit seinen 21 Mitgliederorganisationen vertritt gerade einmal gut 20.000 Gläubige. Auch da stellt sich die Frage, warum Mayzek ein wichtiger Ansprechpartner für Medien und Politik ist - 20.000 Mitglieder, die hat auch der Turngau Südoberfranken und sein Vorstandsmitglied Edi Stark ist nie in Talkshows zu sehen."
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Medien

Man soll nicht so viel Aufhebens um Simon Strauß machen, antwortet Marko Martin in der taz auf Alem Grabovac, der den FAZ-Redakteur Strauß beschuldigte, eine neurechte Agenda zu bedienen (unser Resümee). Strauß wolle nur spielen: "Der selbsterklärte Außenseiter und Zwischen-den-Stühlen-Sitzer (mit der uneingestandenen Hoffnung auf einen Ohrensessel) ist dabei sowohl eine linke als auch eine rechte Figur, trotz aller Unterschiede verbunden in der Manie des permanenten Unter-Verdacht-Setzens, einer gewissen Nöligkeit und einsamen Grübelei, deren Referenztexte ebenso gut von Ernst Jünger wie von Bret Easton Ellis stammen können."

Georg Diez attackiert in Spiegel online direkt Jürgen Kaube, Nachfolger Frank Schirrmachers als Herausgeber und Feuilletonfürst in der FAZ, dem er vorwirft, auf die Attacke auf Strauß aus der taz nicht geantwortet, sondern nur mit einer Betrachtung (unser Resümee) reagiert zu haben. Insgesamt charakterisiert Diez Kaube im Gegensatz zum Aufreger Schirrmacher als Abwinker: "Bei Kaube nun ist das Pendant zu geschichtsrevisionistischen Grenzverschiebungen die Gelangweiltheit, mit der noch jeder Streit beiseite gewunken wird, ein andauerndes Luftrauslassen, mit dem Ziel, den Mangel an Sauerstoff dann selbst kritisch zu beschreiben..."

Republik.ch ist gestartet, das viel erwartete, per crowdfunding finanzierte Online-Magazin des bekannten Journalisten Constantin Seibt. Der Abopreis beträgt schlappe 240 Franken im Jahr, also weniger als die Schweizer für ihre öffentlich-rechtlichen Sender bezahlen. 16.000 Abonnenten gibt es schon. Einer der ersten Artikel ist freigeschaltet: Adrienne Fichter erzählt in sieben kritischen Artikeln die Geschichte von Facebook.

Daniel Zylbersztajn erzählt in der taz, wie sich die BBC gegen Vorwürfe wehrt, sie würde Frauen drastisch ungleich bezahlen.
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Ideen

Man soll nicht so viel Aufhebens um Simon Strauß machen, antwortet Marko Martin in der taz auf Alem Grabovac, der den FAZ-Redakteur Strauß beschuldigte, eine neurechte Agenda zu bedienen (unser Resümee). Strauß wolle nur spielen: "Der selbsterklärte Außenseiter und Zwischen-den-Stühlen-Sitzer (mit der uneingestandenen Hoffnung auf einen Ohrensessel) ist dabei sowohl eine linke als auch eine rechte Figur, trotz aller Unterschiede verbunden in der Manie des permanenten Unter-Verdacht-Setzens, einer gewissen Nöligkeit und einsamen Grübelei, deren Referenztexte ebenso gut von Ernst Jünger wie von Bret Easton Ellis stammen können."

Georg Diez attackiert in Spiegel online direkt Jürgen Kaube, Nachfolger Frank Schirrmachers als Herausgeber und Feuilletonfürst in der FAZ, dem er vorwirft, auf die Attacke auf Strauß aus der taz nicht geantwortet, sondern nur mit einer Betrachtung (unser Resümee) reagiert zu haben. Insgesamt charakterisiert Diez Kaube im Gegensatz zum Aufreger Schirrmacher als Abwinker: "Bei Kaube nun ist das Pendant zu geschichtsrevisionistischen Grenzverschiebungen die Gelangweiltheit, mit der noch jeder Streit beiseite gewunken wird, ein andauerndes Luftrauslassen, mit dem Ziel, den Mangel an Sauerstoff dann selbst kritisch zu beschreiben..."
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