9punkt - Die Debattenrundschau

Aufmüpfiges Lesen gegen den Strich

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.05.2014. In der taz erklärt Juri Andruchowytsch, wie die Maidan-Bewegung die Bürger der Ukrainer veränderte. Im Kongress wurde ein Gesetz, das die Befugnisse der NSA einschränken sollte, kastriert, melden Blogs in den USA. Die FAZ begibt sich unter Deutsche, die in Alanya leben. In der Welt fordert Pirat Christopher Lauer 500 Millionen Euro von Mathias Döpfner. Und das Metropolitan Museum stellt 400.000 Bilder von seinen Objekten für den allgemeinen Gebrauch online, meldet Engadget.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.05.2014 finden Sie hier

Europa

Der Schriftsteller Juri Andruchowytsch erklärt im Interview mit der taz, wie sehr sich die ukrainische Gesellschaft mit der Maidan-Bewegung verändert hat: "Die Leute erwarten nicht mehr, dass der nächste Präsident das Land rettet. Sie sind sich dessen bewusst, dass alles von ihnen selbst abhängt. Deswegen sind sie überall dort präsent, wo es um lokale Probleme geht. Die unzähligen Baustellen in Kiew etwa, die durch die korrumpierten Verhältnisse zustande kamen, wurden nach dem Maidan in vielen Fällen gestoppt und man ist zu geregelten Verfahren zurückgekehrt, die wieder durch die Gesellschaft kontrolliert werden. Diese gesellschaftliche Kontrolle ist etwas, das die Leute wieder gelernt haben."

In der SZ erzählt Bettina Schoeller-Bouju, wie enttäuscht viele Rumänen von der EU sind, die nichts gegen die Korruption im Land tut.
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Überwachung

Ein Gesetz, das die Befugnisse der NSA einschränken sollte, ist für die Abstimmung im amerikanischen Kongress komplett kastriert worden - Organisationen wie die Electronic Frontier Foundation (und übrigens auch Google) habe ihre Unterstützung für den Gesetzentwurf zurückgezogen. Mike Masnick kommentiert in Techdirt: "Dieses Gesetz räumt mit der Vorratsdatenspeicherung nicht mehr länger auf - und es scheint sogar Dinge zu erlauben, die zuvor als unklar galten, zum Beispiel die Möglichkeit von 'about'-Suchen (das heißt, dass die NSA nicht mehr nur nach Mails 'von' einer und 'an' eine bestimmte Person, sondern auch nach Mails 'über' sie suchen darf)." Masnick empfiehlt eine genauere Analyse Jennifer Granicks auf dem mit Sicherheitsfragen befassten Blog justsecurity.org.
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Medien

Der Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges fordert einen Regimewechsel in der EU und begründet diese Forderung unter anderem damit, dass ein sympathisches Projekt für Pressefreiheit an EU-Kommissar Barroso gescheitert sei. Dabei vergisst er zu erwähnen, dass dieses Projekt - die EU sollte es mit einer Million Euro jährlich finanzieren - sein eigenes war, notiert Stefan Niggemeier: "Bestimmt hat Jörges nur vergessen, dieses Detail im Text zu erwähnen. Oder der Stern hält es für keine Information, die die Leser interessieren müsste, dass Jörges hier in eigener Sache empört ist. Dass das 'eine Beispiel', das das Demokratiedefizit des EU-Kommissions-Präsidenten 'erläutern mag', zufällig sein Beispiel ist. Dass Jörges' Urteil über Barroso von einer sehr persönlichen Enttäuschung geprägt ist."
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Internet



Das Metropolitan Museum stellt 400.000 Bilder von seinen Objekten unter der Lizenz "Open Access for Scholarly Content" (OASC) online, meldet engadget.com. Unter anderem gibt es eine Sammlung von 18.000 Fotos, die publiziert werden. "Manche der Stücke kommen so zum ersten Mal an die Öffentlichkeit und ihre Abbildungen können für nicht-kommerzielle Zwecke benutzt werden." (Wobei anzumerken ist, dass Reproduktionen von Künstlern, die mehr als siebzig Jahre tot sind, ohnehin als rechtefrei anzusehen sind.) Die Abbildung unter OASC-Lizenz zeigt der Tageszeit angemessen eine "Brioche" von Edouard Manet aus dem Bestand des Met.

Christopher Lauer von der Piratenpartei antwortet in der Welt auf Mathias Döpfners Bekenntnis, dass er Angst vor Google habe. Auf die Politik zu hoffen, bringt nichts, meint Lauer und stellt den Erfindern des Leistungsschutzrechts die Open-Source-Idee vor: "Wenn man Google beikommen möchte, muss man einfach seine Geschäftsgrundlage zerstören. Und das geht am Einfachsten, indem man mit Unmengen von Geld intelligente Menschen finanziert, die einzig und alleine dafür a sind, Open-Source Suchalgorithmen zu entwickeln, die irgendwann leistungsfähiger als alles sind, was Google anzubieten hat." Lauer schlägt vor, dass Springer und weitere Medienkonzerne mindestens 500 Millionen Euro locker machen.

Der Schleswig-Holsteiner Datenschützer Jan Schallaböck begrüßt auf Netzpolitik die EuGH-Entscheidung gegen Google und antwortet auf die Frage, ob es richtig sein könne, die Suche nach einer rechtmäßigen Information zu unterbinden, ganz klar mit "Ja. Eine Suchmaschinenanfrage ist nicht dasselbe wie eine Archivrecherche. Bei der Google-Anfrage werden nahezu sämtliche im Internet offen verfügbaren Inhalte im Zusammenhang mit einem Namen zusammengeführt. Es entsteht ein umfassendes Dossier, mitunter sogar ein weitreichendes Profil einer Person. Mit einer Archivrecherche ist das nicht möglich."

Außerdem: Monique Goyens, Generaldirektorin des Europäische Verbraucherverbands BEUC, wirft in der FAZ Google vor, Suchergebnisse zu manipulieren, und dem EU-Wettbewerbshüter Joaquín Almunia, er unternehme nicht genug dagegen. Und Nina Rehfeld machte einen Kreativitätstest bei dem amerikanischen Ideenschmied und Silicon-Valley-Berater Tom Kelley.
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Kulturpolitik

Anders als Caspar Hirsch vor zwei Tagen, findet Michael Hagner, Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich, die Entscheidung des Schweizerische Nationalfonds, nicht mehr Bücher, sondern nur noch Digitalisate und damit Open Access zu fördern, für die Geisteswissenschaften fatal: Bücher würden ganz anders gelesen als naturwissenschaftliche Artikel, mit denen man oft nach dreißig Minuten durch sei: "Genaue Lektüren, Anstreichungen, Randkommentare, Exzerpte, Rezensionen, kontextualisierende Diskussionen, aufmüpfiges Lesen gegen den Strich - das sind die Rezeptionsformen, auf die Bücher angewiesen sind. ... Sicherlich können bei weitem nicht alle Bücher und ihre Autoren mit einer breiteren historischen Entfaltung rechnen, und doch sollte genau das - mit der Dissertation beginnend - der Anspruch sein, selbst wenn man weiß, dass man ihn nicht ganz erfüllen kann. Ohne diesen Anspruch gäbe es bald keine relevanten Bücher von Geisteswissenschaftern mehr."
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Gesellschaft

Hülya Özkan-Bellut hat sich für die FAZ mit ein paar Deutschen unterhalten, die im türkischen Alanya leben. Und mit Türken, die die mangelnde Integration der Deutschen beklagen: "Dienstleistung wird hier großgeschrieben. So hat sich auch Remzi selbständig gemacht und nach seiner Rückkehr aus Deutschland zum 'Reiseführer' umgeschult. 'Die Deutschen sind hochnäsig', meint er. Klar, sie würden Geld ausgeben und so zum Wohlstand der Stadt beitragen, aber anpassen wollten sie sich nicht. Manchmal habe er das Gefühl, es sei sogar andersherum. Die Einheimischen passten sich den hier lebenden Deutschen an. Streunende Hunde dürften jetzt nicht mehr vergiftet werden - die Deutschen hätten sich beschwert."

Im Tagesspiegel schildert der marokkanische Journalist Mohamed Amjahid, wie er bei der Ausländerbehörde in Berlin eine Arbeitserlaubnis für sein Volontariat beim Tagesspiegel beantragte: "Sie nimmt meine Papiere entgegen. Sie blättert. Sie lacht. Sie schüttelt den Kopf: 'Wir brauchen Ingenieure in Deutschland.' Das, das alte Mantra der einstigen Arbeitsministerin Ursula von der Leyen, ist ihr erster Satz. Während einer vor ihr sitzt, der offensichtlich kein Ingenieur ist. ... 'Sie sind ein Flop, würde ich mal sagen', begegnet mir Frau H. und legt meine Akte auf den Tisch - sie fordert mich auf zu gehen."

Nachdem in Britannien ein Streit ausgebrochen ist über die Frage, ob Opernkritiker eine Sängern als zu dick für ihre Rolle kritisieren dürfen, schaltet sich Michael Stallknecht in der SZ ein und fordert bessere Kostüme für alle: "Immerhin gestand Rupert Christiansen vom Daily Telegraph bezeichnenderweise ein, die Kostüme der Inszenierung in Glyndebourne seien zwar ausgesprochen ungünstig gewesen. Die Schuld an der Pleite schrieb er dennoch Erraught zu, die als Rosina im 'Barbier von Sevilla' sicher ganz reizend, für Hosenrollen nun mal ungeeignet sei. Schade, dass er ihre Münchner Auftritte als Romeo in Bellinis 'I Capuleti e i Montecchi' nicht erlebt hat, bei der die Kostüme des Modeschöpfers Christian Lacroix Erraught rollengerecht blendend aussehen lassen."
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