9punkt - Die Debattenrundschau

Wenn die Qualitätspresse schäumt

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.09.2016. Im Perlentaucher erklärt Till Kreutzer, warum das europäische Leistungsschutzrecht nicht mal seinen Lobbyisten nützen wird. Die Zeit findet, dass ARD und ZDF eine Rundumerneuerung durchaus gebrauchen könnten. In der FAZ  fürchtet Dan Diner einen Kulturkampf in und um Europa. Die taz fragt: Wer ist dieser Brillenträger mit dem Viertellächeln einer Mona Lisa? Außerdem wünscht sich die taz eine Debatte über die Verheerungen des Paragrafen 175.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.09.2016 finden Sie hier

Medien

Schwerpunkt EU-Leistungsschutzrecht

Ein Gesetz, das einer Lobby dient - wie jetzt das geplante europäische Leistungsschutzrecht, dessen Entwurf Günter Oettinger gestern vorstellte - schafft meist mehr Unklarheit als Klarheit, legt der Urheberrechtler Till Kreutzer im Gespräch mit Perlentaucher Thierry Chervel dar. Auf die Frage, ob das neue Recht den Verlagen mehr Instrumente zur Einschüchterung und Abmahnung geben werde, antwortet er: "Selbstverständlich, das dürfte einer der Gründe sein, warum gerade die Großverlage das LSR fordern. Sie wollen eine 'stärkere Rechtsposition für die digitale Welt'. Natürlich heißt das allem voran, dass sie Geld von Facebook und Google wollen. Aber das Recht dürfte auch sehr gelegen kommen und hinlänglich eingesetzt werden, um sich unliebsame Konkurrenz vom Hals zu halten. Ob es dann jeweils überhaupt einschlägig ist, ist ja bei dem Kampf Goliath gegen David erst einmal gar nicht so wichtig."

Eike Kühl zieht bei Zeit online nochmal Bilanz des deutschen Leistungsschutzgesetzes: "Was in erster Linie dafür gedacht war, den Marktführer Google mit seinen Diensten wie Google News zum Zahlen zu bewegen, brachte weniger Einnahmen für die Verlage als Arbeit für die Gerichte. In Spanien stellte Google seinen Newsdienst komplett ein, in Deutschland gaben selbst jene Verlage, die für das Leistungsschutzrecht waren, dem Unternehmen schließlich doch die Erlaubnis zur Gratisnutzung."

David Pachali schreibt bei irights.info: "Auch wenn die Kommission das Gegenteil beteuert: Ihre Pläne laufen darauf hinaus, die Haftungsprivilegien, wie sie für Online-Dienste gelten, auf den Kopf zu stellen. Sie laufen auf ein Internet hinaus, in dem Inhalte vorab von Rechteinhabern identifiziert und autorisiert werden müssten."

Geradezu entsetzte Äußerungen von IT- und Verbraucherorganisationen zu dem Entwurf stellt golem.de zusammen.

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Auch wenn die CSU es fordert, findet Götz Hamann in der Zeit eine Totalreform von ARD und ZDF notwendig. Schön wäre auch mal ein bisschen Rundfunkpolitik, die sich nicht in der Frage erschöpfe, um wie viel Cents die Beiträge steigen dürfen: "Die Ministerpräsidenten haben zugesehen, wie sich das Seniorenfernsehen ausbreitete, der durchschnittliche Zuschauer ist heute 66 Jahre alt. Sie haben akzeptiert, dass ein Intendant mehr verdient als der Chef einer Landesregierung, sich dieser Gehaltsvorsprung bis hinunter zum Pförtner zieht - und in der Rente noch vergrößert. Und sie haben hingenommen, dass Anstalten wucherten, während sie bei weltweit erfolgreichen Formaten, dem seriellen Erzählen im Fernsehen, versagten."
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Kulturpolitik

So übel findet der Berliner SZ-Kulturkorrespondent Jens Bisky die kulturpolitischen Akzentsetzungen von Michael Müller und Tim Renner gar nicht - und doch hat er auch Kritik: "Tim Renner scheint vor allem den Erneuerungsdruck, das Veränderungstempo erhöhen und neue Verbindungen herstellen zu wollen. Das war wahrscheinlich, wenn es denn überhaupt eines gab, das Kalkül hinter der Auswahl der neuen Intendanten für die Volksbühne und das Staatsballett. Die Entscheidungen durch Argumente zu legitimieren, die unmittelbar Betroffenen einzubeziehen oder ihnen wenigstens das Gefühl zu geben, sie hätten teil an der gewünschten Entwicklung, ist kaum versucht worden. Vielmehr schien es, als sollte die bessere Zukunft wie ein Geschenk der Obrigkeit herabschweben."
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Ideen

Dan Diner konstatiert in der FAZ eine Wiederkehr der Geopolitik und benennt als ihr Zeichen "die von Russland aus betriebene Politik porös gehaltener Grenzen... Offenbar soll seine unmittelbare Nachbarschaft - vornehmlich nach Westen hin - in einem Zustand beständiger Unruhe und Anspannung gehalten werden; eine Zone neuer Gefährdung im östlichen Europa." In großer Abstraktion, von sehr weit oben herabgeblickt, warnt Diner in der Folge vor einem "heraufziehenden ethno- und geopolitisch imprägnierten Kulturkampf  in und um Europa".
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Wissenschaft

In der NZZ reibt der Volkswirtschaftler Mathias Binswanger den Wissenschaften ihre Reste von Aberglaube unter die Nase, besonders jedoch der Ökonomie: "Ein dort vehement vertretenes Glaubensbekenntnis betrifft die sogenannte Neutralität des Geldes. Geld darf zumindest langfristig keinen Einfluss auf das Wirtschaftsgeschehen haben, und die Wirtschaft lässt sich deshalb ohne Geld wie eine Tauschwirtschaft beschreiben. Dieses 'Wissen' unterscheidet die eingeweihten Ökonomen von dem 'dummen' Rest der Welt, der unter Geldillusion leidet und fälschlicherweise glaubt, die Schaffung von mehr Geld könne die Wirtschaft längerfristig beeinflussen."
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Urheberrecht

Wolfgang Michal muss sich immer noch über die haltlosen Rasereien gegen die VG-Wort-Kritiker in FAZ und anderen Medien wundern (unser Resümee): "Wenn die Qualitätspresse schäumt, dann fließt nicht Qualitätsschaum aus ihren Zeilen, sondern Unsinn. FAZ-Medienredakteur Michael Hanfeld wütete am Montag im Feuilleton, als seien Weltfrieden, Abendland und Leitkultur zugleich in Gefahr. Dabei wurde lediglich ein schlecht formulierter Antrag gekippt, was in jedem besseren Verein hin und wieder vorkommen soll." Eine Presseschau zum Thema bringt irights.info.
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Stichwörter: Leitkultur, VG Wort, Urheberrecht

Europa

Uli Hannemann bemerkt in der taz, wie die totale Vermeidung inhaltlicher Aussagen im Berliner Wahlkampf sich bis in die Plakatierung erstreckt, die zuweilen völlig auf Parolen verzichtet: "Das wohl häufigste Plakat für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zeigt einen unscheinbaren Brillenträger mit dem Viertellächeln einer Mona Lisa. Neben dem Gesicht steht 'Michael Müller', sonst nichts. Das hinterlässt Ratlosigkeit: Wer ist dieser Müller, und was will er uns sagen? "

tazler Jan Feddersen findet es gut, dass Justizminister Heiko Maaß ein Gesetz zur Rehabilitierung der schwulen Opfer des Paragrafen 175 angekündigt hat. Aber er fürchtet, dass nun alles zu schnell geht: "Am Ende wird es ein Gesetz und eine gewisse Summe Geld geben, um die sich dann lobbyistisch gut aufgestellte queere Bürgerrechtsorganisationen zanken, um die entsprechende wissenschaftliche Aufarbeitung der Nazigeschichte ins Werk zu setzen. Aber viel zu schnell wird eine gesellschaftliche Debatte vermieden, die sich an alle richtet, die die Strafkultur gegen männliche Homosexuelle gut fanden und sie aufrechterhalten haben."
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Überwachung

Sowohl Verleger- als auch Journalistenorganisationen haben laut netzpolitik.org "den Gesetzgeber aufgefordert, dem Bundesnachrichtendienst (BND) die Datenerhebung bei denjenigen Personen zu untersagen, die zur Zeugnisverweigerung berechtigt sind. In der gemeinsamen Stellungnahme zur Neufassung des BND-Gesetzes betonen die acht Organisationen, dass 'das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalistinnen und Journalisten über Informanten und selbstrecherchiertes Material sowie das Redaktionsgeheimnis essenzielle Voraussetzungen für die journalistische Tätigkeit' seien."

Julian Assange ist irgendwie ein "Rechter" geworden, wundert sich Sascha Lobo in seiner Spiegel-online-Kolumne: "Immer wieder spielt Wikileaks zum Beispiel mit offenem oder implizitem Antisemitismus. Ein von Wikileaks ausgewählter schwedischer Kooperationspartner der Plattform etwa ist Holocaust-Leugner." Denn klar, ein Linker könnte ja niemals Antisemit sein!
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