9punkt - Die Debattenrundschau

Die Glitzeryachten vor Anker

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.12.2015. Im Perlentaucher schreibt Ralf Bönt, dass Autorenpflege bei Verlagen heute nicht die Regel, sondern reine Glückssache ist. Die Welt fürchtet, dass der Front national der Côte d'Azur die Party verdirbt. In der SZ attackiert Pankaj Mishra einen Westen, der seine Werte mit Champagner und Waffen bekränzt. Der Zeit des Terror geht die Überwachung von Frauen voraus, erinnert Rue89 an die dunklen Jahre Algerien. Und die taz bekommt in Indien für eine Frau nicht einmal eine Kuh
Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.12.2015 finden Sie hier

Urheberrecht

Im Perlentaucher schaltet sich der Schriftsteller Ralf Bönt in die Debatte um die Urheberrechtsreform ein (mehr hier). Die Verbundenheit von Autor und Verlag sei heute doch eher die Ausnahme, meint er: "Man kann heute gar nicht so schnell schreiben, wie die Lektoren, Verleger und Presseleute die Posten wechseln. Und daran wird sich auch nichts ändern. Ich mag in diesem Fall einfach etwas Pech gehabt haben, gebe aber zu bedenken, dass Vertrauen Glücksache ist, und selten von einem Paragrafen geregelt wird."
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Europa

In Frankreich geht ein verheerendes Jahr zu Ende, das mit dem Anschlägen auf Charlie Hebdo und Hyper Cacher begann und mit den Zugewinnen des Front National endete. In der Welt berichtet Jina Khayyer aus einem zunehmend von Spannungen und Widersprüchen bestimmten Land: "Auch wenn Marine Le Pen noch nicht ganz Frankreich für sich gewinnen kann, an der Côte d'Azur bekam ihre Partei beim ersten Wahlgang über 41 Prozent der Stimmen. Wie kann Frankreich damit leben, dass Cannes, die weltoffene Filmfeststadt, eine Hochburg der Front National ist? Werden im Mai trotzdem wieder die Glitzeryachten vor Anker gehen? Und Marken wie Louis Vuitton ihre Feste feiern?"

Auf Rue89 erinnert sich eine Frau namens Nadia daran, wie der Terror in Algerien seine Schatten in den achtziger Jahren vorauswarf: Mit einer obsessiven Überwachung von Frauen und ihrer Kleidung. "Die großen Brüder, die Mütter, die Väter, die Onkel, die Tanten, die Nachbaren: Die ganze Gesellschaft schein auf einmal nichts anderes zu tun zu haben, als Frauen zu kontrollieren und zu richten (vor allem die jungen Frauen, denn sie sind besonders begehrenswert)."

In der SZ ist Cathrin Kahlweit zuversichtlich, dass sich das selbstbewusste Polen von seiner neuen Regierung nicht so behandeln lassen wird wie Ungarn, wo Victor Orban ein "gespaltenes, zerstrittene und herabvgewirtschaftetes" Land übernommen hat.
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Gesellschaft

Die Debatte um Vergewaltigungen in Indien hat in den vergangenen drei Jahren tatsächlich vieles verändert, schreibt Katharina Finke in einer großen Reportage in der taz. Doch anders als sexuelle Gewalt wird der Handel mit Frauen unter dem Deckmantel der Ehe kaum geahndet: "In manchen Gegenden Indiens kostet eine Frau weniger als eine Kuh. Für eine Paro wie Amila, erklärt Raj, verlangen die Frauenhändler etwa 10.000 indische Rupien, umgerechnet rund 145 Euro, genauso viel wie für eine Saisonkraft. Eine Kuh, die auf dem Land oft noch den Traktor ersetzt und den Indern ohnehin heilig ist, ist teurer. Viele Eltern sehen die Geburt einer Tochter als Unglück an, sie macht aus ihrer Sicht nur Unkosten."

Melanie Mühl bezweifelt in der FAZ, dass spontane, übers Netz gesteuerte Hilfe für einzelne Menschen sinnvoll ist.
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Medien

In der SZ fragt Jan Stremmel nach den Attacken auf Jan Böhmermann aus dem HipHop, welche Rolle eigentlich Journalisten spielen, die bereitwillig Drohbotschaften transportieren. Und fürs Protokoll hält Holger Schmale in der FR fest, dass laut meedia niemand so oft in Talkshows saß, wie Wolfgang Bosbach, Sahra Wagenknecht und Peter Altmaier.
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Ideen

Zur Ideologie sei die Beschwörung westlicher Werte und kosmopolitischer Sinnenfreude geworden, schimpft Pankaj Mishra in der SZ: "Der treueste Verbündete des so vehement säkularen Frankreich im Nahen Osten ist eine fundamentalistische Theokratie: die wahre ideologische Heimat des IS. Und weil Frankreich es immer noch nicht geschafft hat, seinen spätimperialen Impuls loszuwerden, rebellische Eingeborene militärisch niederzuzwingen, führte es in den letzten Jahren einen Krieg an mehreren Fronten: Afghanistan, Elfenbeinküste, Libyen, Zentralafrikanische Republik, Mali. Die unglückseligen Zivilisten von Raqqa wissen nur zu gut, dass Frankreich nicht nur Champagner, sondern auch Waffen hat."

In der NZZ führt der emeritierte Basler Philosophieprofessor Anton Hügli in die Religionsphilosophie von Karl Jaspers ein. In der Literarischen Welt erläutert Ernst-Wilhelm Händler das philosophische System, das Bruno Latour in seinem Buch "Existenzweisen" entworfen hat. In der FAZ huldigt Robin Lane Fox den "Bekenntnissen" des Augustinus, die er ganz unvergleichlich findet.
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