9punkt - Die Debattenrundschau

Befestigung eines Strichs auf der Landkarte

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.12.2015. Die NZZ trifft den Leiter der syrischen Antikenbehörde, Maamun Abdulkarim,  der keineswegs nur den IS für die Zerstörungen antiker Stätten verantwortlich macht. Die SZ stellt neueste Technologien des Mauerbaus vor. Die FAZ skizziert die unterschiedlichen Interessenlagen von freien Autoren in Medien und Buchautoren in Bezug auf das Urheberrecht.  Fünf Jahre nach der Selbstverbrennung Mohamed Bouazizis zieht der New Yorker eine ratlose Bilanz des arabischen Frühlings.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.12.2015 finden Sie hier

Kulturpolitik

Monika Bollinger trifft für die NZZ in Damaskus den Leiter der syrischen Antikenbehörde, Maamun Abdulkarim, der auf ziemlich verlorenem Posten für Syriens Kulturerbe kämpft: "Der IS ist bei weitem nicht der einzige Akteur, der für Zerstörung verantwortlich ist. Quantitativ haben das Regime und verschiedene syrische Rebellengruppen die größeren Schäden verursacht. Beide Seiten nutzen solche Stätten bei Kampfhandlungen ohne Rücksicht auf Verluste. Man erinnert sich wohl an den ausgebrannten jahrhundertealten Basar von Aleppo oder die schwer beschädigte Umayyaden-Moschee in der umkämpften nordsyrischen Metropole. Doch weil diese Art der Zerstörung weder gezielt geschieht noch mit medienwirksamen Propagandafilmen inszeniert wird, erhält sie weniger Aufmerksamkeit."
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Europa

Die Tatsache, dass die republikanische Front gegen den Front national hielt, sollte nicht verbergen, dass diese Partei echte Fortschritte gemacht hat und durch zahlreiche Regionalabgeordnete auch infrastrukturell besser verankert ist, schreibt Nicholas Vinocur in politico.eu und malt gleich die nächsten Schritte aus: "Europas Fokus wird sich nun nach Großbritannien wenden, wo man ein neues Verhältnis zur EU aushandeln will. Le Pen wird wahrscheinlich Profit aus der Debatte über die Fehlleistungen der EU ziehen. Sie hat selbst bereits eine Plattform nach dem Brexit-Modell des britischen Premiers Cameron aufgebaut und verspricht, innerhalb von sechs Monaten nach der Wahl zur Präsidentin ein Referendum über den Verbleib im Euro abzuhalten."

Auch nach der Attacke der FAZ bleibt Götz Aly bei seinen Vorwürfen und erkennt in mancher Kritik an Mark Zuckerberg zumindest antisemitische Klischees (alle Links und unsere Resümees der Debatte). In seiner neuen Kolumne für die Berliner Zeitung zitiert Aly den Leserbrief eines Dr. P. aus Berlin, der ihn in dieser Annahme betätigt: "Leider darf sich Dr. P. von einem Artikel ermutigt fühlen, in dem Zuckerberg hintereinanderweg so charakterisiert wird: 'Persönlicher Weltmachtanspruch', zahlt in Europa 'so gut wie keine Steuern', 'Masche', 'Camouflage', Erfinder 'des größten Trojanischen Pferdes' seit Odysseus, 'globales Geschäft', 'verlogener Tonfall', behandelt Internetnutzer als 'Untertanen', scheut sich nicht, 'für seine Zwecke' seine neugeborene Tochter, 'die Allerkleinsten in Dienst zu nehmen'. Der Verfasser, Michael Hanfeld von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ist, um das klarzustellen, kein Antisemit - er hat Klischees verbreitet, die Antisemiten mit Vorliebe benutzen."

Außerdem: Angela Merkel bekommt inzwischen Liebeserklärungen von höchst unvermuteten Seiten, etwa von Vanessa Redgrave, die im Guardian sagt: "Etwas an dieser Frau ist sehr sehr besonders."
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Überwachung

In der SZ malt Frank Rieger in düstersten Farben die Zukunft der Hightech-Grenzanlagen: "Einer der Marktführer ist der EADS-Airbus-Konzern, der gerade die Zaun- und Grabenanlage an der saudisch-irakischen Grenze mit Radars, Kameratürmen, Bewegungssensoren und Lagezentren hochgerüstet hat. Solche Menschen-Aussperrriegel, bewacht von Drohnen, durch Nordafrikas Küstenregionen oder auch quer durch Mitteleuropa zu legen, darauf sind die modernen Festungsbaumeister des europäischen Gemeinschaftsunternehmens bestens vorbereitet."

Andrian Kreye hält es da in der SZ schon für einen gewissen Fortschritt, dass das amerikanische Heimatschutzministerium öffentlich ankündigt, künftig die Facebook-Seiten von Menschen zu durchforsten, die ein Visum beantragen.
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Medien

Endlich mal einer mit historischem Horizont, freut sich Silke Burmester in ihrer taz-Kolumne über Peter Wippermann, der seit gefühlten 150 Jahren die Zukunft vorhersagt: "Der hat nun im Interview mit dem Branchendienst turi2 gesagt, Zeitungen könnten einen ähnlichen Weg gehen wie Pferde: 'Ursprünglich Arbeitstiere, sind sie heute im Luxusmarkt.' Und dann - und jetzt kommt's - sagte er noch, es gebe heute in Deutschland mehr Pferde 'als vor dem Ersten Weltkrieg'."

Katrin Gänsler berichtet ebenfalls in der taz, wie sich die Nigerianer gegen ein Gesetz wehren, das kritische Kommentare in Sozialen Medien unter Strafe stellen will, oder vielmehr: "unseriöse Petitionen und damit verbundenen Angelegenheiten". #NoToSocialMediaBill.
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Internet

In der SZ berichtet Angela Gruner von Ärger unter den Wikipedia-Mitarbeiter über den alljährlichen, doch unnötigen Spendenaufruf für die amerikanische Wikimedia-Stiftung: "Aktuell sitzt die amerikanische Wikimedia-Stiftung auf 78 Millionen Dollar, ein Zuwachs um mehr als 24 Millionen Dollar im Vergleich zum Vorjahr. Im Jahr 2008 besaß die Stiftung noch weniger als zehn Millionen Dollar."

"Fehlende Willkommenskultur" bei der Wikipedia macht Thomas Urban in der SZ als Hauptgrund für das schwindende Engagement: "Wikipedia leidet an fortschreitender bürokratischer Erstarrung, die den verzweifelt gesuchten 'goldenen Autoren', die sowohl guten Willen als auch profundes Fachwissen mitbringen, das Mitmachen verleidet." (Konrad Lischka sieht die Ursache für das schwindende Interesse an der Wikipedia eher im Verfall der Idee des offenen Netzes, mehr hier und hier.)
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Urheberrecht

Die geplante Urheberrechtsreform scheint ja echt ein Flop zu sein. Bis auf den Gewerkschafter Frank Überall hat sich eigentlich noch keine Stimme dafür gefunden (unsere Resümees). Autoren, deren Stellung der Entwurf eigentlich stärken soll, haben sich bisher nur zu Wort gemeldet, um die Position der Verleger zu unterstützen. In der FAZ skizziert Jan Wiele heute die unterschiedlichen Interessenlagen von freien Autoren in Medien und von Drehbuch- und Buchautoren. Umstritten sei vor allem die Rechterückfallklausel mit einer Frist von fünf Jahren, die nicht für alle Autoren gleich sinnvoll sei. Und "bei aller notwendigen Stärkung von Urhebern vor dem Gesetz (gerade bei freien Journalisten scheint sie dringend nötig) darf die vom Minister geforderte Debatte über das Urheberrecht nicht dazu führen, dass die Verleger als Unbeteiligte am kreativen Prozess dargestellt werden."
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Politik

Am 17. Dezember 2010, vor genau fünf Jahren, hat sich Mohamed Bouazizi, ein tunesischer Gemüseverkäufer, aus Protest gegen Korruption in seinem Land in Brand gesteckt. Was ist aus dem arabischen Frühling seitdem geworden? Robin Wright zitiert im New Yorker zu der Frage eine Menschenrechtsaktivistin: "Fünf Jahre danach haben die Kosten und Folgen der Aufstände die Welt bestürzt. 'Vielleicht waren die internationale Gemeinschaft und die leute vor Ort naiv und euphorisch, weil es in Tunesien zunächst so einfach schien', sagt Sarah Leah Whitson von Human Reights Watch. 'Auch die Ägypter haben ihren Diktator abgesetzt. Aber wir haben die Kräfte gegen Demokratie und Rechte unterschätzt und auch, wie andere Kräfte der Unterdrückung und Zerstörung das Vakuum nach den Aufständen füllen würden.'"

Paul-Anton Krüger trifft für die SZ Ensaf Haidar, die für den zu tausend Peitschenhieben verurteilten Blogger Raif Badawi, heute in Brüssel den Sacharow-Preis entgegennehmen wird.
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