9punkt - Die Debattenrundschau

Eine Menge Leute, die überhaupt nicht gerne lügen

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.04.2015. Die NZZ fragt, ob nach Abschluss der hundertbändigen Heidegger-Ausgabe nicht dringend eine neue fällig wäre, die philologisch-kritischen Ansprüchen gerecht würde. Laut artechock wollen die Studenten der Berliner Filmhochschule dffb bei der Besetzung der Leitungsposition durchaus nicht einfach ihren Willen durchsetzen. Die FAZ liest die Blogbeiträge Raif Badawis, die nun auf deutsch erschienen sind, und findet einen klugen Säkularisten. Und wie funktioniert mediale Wahnehmung an Karfreitag?
Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.04.2015 finden Sie hier

Medien



Wie funktioniert eigentlich Wahrnehmung in den Medien? Während etwa die FAZ noch damit beschäftigt ist, trotz der letzten Beweise den Namen des Kopiloten Andreas Lubitz nach wie vor nicht zu nennen, wird auch noch ein zweites Ereignis eher verdrängt: Am Tag vor Karfreitag wurden in Kenia 148 Studenten ermordet, weil sie Christen sind, aber auf Seite 1 der FAZ steht nur "Empörung über Terroranschlag in Kenia". Die Tatsache der Selektion wird nur nebenbei erwähnt: "Zunächst töteten sie Dutzende Studenten mit Handgranaten und automatischen Waffen. Anschließend nahmen sie viele weitere als Geiseln. Dabei trennten sie christliche von muslimischen Studenten. Insgesamt wurden nach offiziellen Angaben 148 Menschen getötet." Daneben dann aber ganz groß die Überschrift: "Er ist auferstanden." Auf Seite 1 der Süddeutschen kommt das Massaker gar nicht vor.

(Via Meedia) Tun sich da zwei zusammen? Google wird ausgerechnet bei politico.eu des Springer Verlags, der den europäischen Lobbyismus gegen Google anführt, ein Ressort sponsorn, berichtet Kai-Hinrich Renner in seiner Handelslatt-Kolumne. Allerdings handelt sich um ein berets bestehendes Arrangement: "In den USA kooperiert die Suchmaschine schon seit längerem mit Politico. Sie präsentiert dort den Bereich Women And Leadership. Aus dieser Kooperation erwuchs der Gedanke, auch mit der europäischen Wochenzeitung European Voice zusammenzuarbeiten. Hier präsentiert Google den Themenschwerpunkt Internet Entrepreneurship. Die in Brüssel erscheinende European Voice ist Keimzelle der europäischen Redaktion von Politico. Das Joint Venture aus Springer und Politico LLC hat das Blatt gekauft, das sein Erscheinen einstellen wird, sobald das Portal offiziell freigeschaltet ist." Google will vorerst Sponsor bleiben.




Diese Zeichnung zu den jüngsten medienethischen Debatten schickte uns Bernd Zeller!

Der investigative Journalist Seymour Hersh war jüngst in My Lai und hat für den New Yorker darüber geschrieben - durch die Enthüllung der von amerikanischen Soldaten begangenen Massaker in dem Dorf wurde er berühmt. Allerdings hatte er die Geschichte von Amerika aus recherchiert. Im Interview mit Jared Malsin von der Columbia Journalism Review erläutert Hersh, dass er nach wie vor an das Gute in den Institutionen glaubt, die er besonders kritisch verfolgte: "Das einzige, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass es eine Menge guter Leute in der Regierung gibt, ob Sie"s glauben oder nicht: eine Menge Leute, die überhaupt nicht gerne lügen. Eine Menge Leute in der Armee, die in hohe Positionen gelangen und nicht ausstehen können, was sie dafür tun mussten und die damit aufhören wollen. Eine Menge Leute in den Geheimdiensten. Dieses Lügenmüssen, das ist mein Ansatzpunkt."
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Religion

Besprochen werden die Ausstellung "Ein Gott - Abrahams Erben am Nil. Juden, Christen und Muslime in Ägypten von der Antike bis zum Mittelalter" im Bode-Museum in Berlin (FAZ, mehr hier und hier) und Petra E. Dorsch-Jungsbergers Buch "Papstkirche und Volkskirche im Konflikt" (FAZ).
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Stichwörter: Mittelalter, Bode Museum

Ideen

Gerade wird die hundertbändige Heidegger-Ausgabe abgeschlossen, die allerdings keineswegs philologisch-kritischen Ansprüchen genügt, da stellt sich für Uwe Justus Wenzel in der NZZ die Frage, ob nun nicht eine ebensolche kritische Ausgabe angesagt sei - lebhaft schildert er den seit Jahren heftig diskutierten Verdacht, dass so manche "Stellen" noch nicht bekannt sind, und das, obwohl sich in jetzt publizierten "Schwarzen Heften" schon gezeigt hat, wie finster antisemitisch Heidegger tatsächlich drauf war. "Immerhin hat der neue Nachlassverwalter angekündigt, es würden Ergänzungsbände (gar eine "Ergänzungsausgabe") ins Auge gefasst, die auch jenen Nachlassteil beträfen, der noch bis 2046, bis zum Ablauf des Urheberrechtsschutzes, gesperrt bleiben sollte; es wäre dies der Teil der Manuskripte, der nicht in die Gesamtausgabe letzter Hand Eingang gefunden hat."

Außerdem: In der Welt erklärt Dirk Schümer mit Emmanuel Levinas, warum die Burka zu tolerieren eine Respektlosigkeit ist, denn: "Im Gesicht des Gegenübers achten wir die eigene Freiheit."
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Kulturpolitik

Der Streit um die Besetzung der Leitungsposition in der Berliner Filmhochschule dffb geht weiter. Kritiker Rüdiger Suchsland berichtet auf artechock von einer Pressekonferenz der Studenten, die nach der Absage des Produzenten Ralph Schwingel ihre Kooperationsbereitschaft betonen: "Von Blockade-Haltung könne keine Rede sein. Keines­wegs wollten die Studenten, wie von inter­es­sierter Seite kolpor­tiert werde, ihren Kopf durch­setzen, oder gar "den Direktor selbst bestimmen". Ihre Ziele seien zum einen das rein formale eines trans­pa­renten, fairen, für alle Kandi­daten gleichen Verfah­rens - das habe die Ernennung Schwin­gels von oben, abseits der Verfah­rens­re­geln und ohne korrekte Bewerbung verletzt. Zum zweiten wolle man nach der schlechten Erfahrung mit dem letzten Direktor Jan Schütte nur noch einen Direktor, der auch die Zustim­mung der Akademie habe."

Außerdem: In der Welt berichtet Hannes Stein über Umzüge des Goethe-Instituts in New York.
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Geschichte

Shermin Langhoff veranstaltet am Gorki-Theater ein Festival zum hundertsten Jahrestag des Völkermords an den Armeniern. Im Tagesspiegel-Interview mit Patrick Wildermann spricht sie auch über die deutsche Mitverantwortung: "Wir sprechen von 25.000 Soldaten im Osmanischen Heer und von 800 Offizieren, also maßgeblich Verantwortlichen. Der Generalstabschef des Feldheeres, der die Artillerie befehligte, war ein Deutscher. Aber der türkische Historiker Taner Akçam sagt dazu: Man kann nicht Mitschuld thematisieren, ohne von Hauptschuld zu sprechen. Und die ist klar definiert. Die deutsche Rolle interessiert uns natürlich, weil wir ein deutsches Stadttheater sind, in der Mitte Berlins."

Autor Steffen Kopetzky erklärt im Interview mit der Welt zu seinem neuen Roman "Risiko" um die Niedermayer-Expedition nach Afghanistan 1915, wie er bei den Recherchen lernte, dass die Deutschen gewissermaßen der Katalysator für den heutigen Dschihad waren: Als Max von Oppenheim noch an der deutschen Botschaft in Kairo war, stand "fast die gesamte muslimische Welt unter dem Einfluss von Feinden des Deutschen Reichs". Und so ersann Oppenheim einen Plan, den Islam zu instrumentalisieren: "Er will ihn als Waffe benutzen. In seiner "Denkschrift zur Revolutionierung der islamischen Gebiete unserer Feinde" entwarf Oppenheim einen weltweiten Plan. Nicht nur die Niedermayer-Expedition nach Afghanistan, sondern von Marokko bis Indien sollte der Dschihad jeweils auf spezifische Weise angefacht werden. Dazu brauchte es den osmanischen Sultan, der ja auch Kalif war."
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Politik

Sascha Feuchert, Vize-Präsident des deutschen PEN-Clubs, liest für die FAZ einige Blogbeiträge Raif Badawis, die am Donnerstag bei Ullstein als Buch erschienen sind - ein klares Plädoyer für Säkularismus und gegen die Borniertheit eines fundamentalistisch religiösen Staats: "Dagegen beruft sich Badawi, deutlich auch geschult am europäischen Vorbild, auf Natur- und Menschenrecht und sieht sich selbst "in erster Linie als Weltbürger": "Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind Teil der Menschheit, und uns obliegen demnach dieselben Pflichten wie allen anderen Menschen auch, und wir haben dieselben Rechte. So wie die anderen unserer Andersartigkeit Achtung zollen, so müssen wir auch das Anders-als-wir-Sein der anderen respektieren.""
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