9punkt - Die Debattenrundschau

Diesmal ging die Reise nach Cupertino

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
31.10.2014. Spanien schafft jetzt auch ein Leistungsschutzrecht und lässt "Google bluten", berichten mehrere Medien. In Großbritannien werden unterdessen neue Straftatbestände für Netzsperren geschaffen, berichtet der Guardian. Aber immerhin: Ungarn verzichtet auf die Internetsteuer, so aktuelle Meldungen. Libération erzählt, warum Asia Bibi gehenkt werden soll. In The Baffler streiten Thomas Piketty und David Graeber. Die Krautreporter erzählen, wie Apple Journalisten gefügig macht. Und neu: Die FAZ schafft einen Kulturkorrespondenten für ganz Europa.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 31.10.2014 finden Sie hier

Ideen

(Via Boingboing) The Baffler bringt ein interessantes Gespräch zwischen zwei Autoren wirtschaftshistorischer Bestseller, Thomas Piketty ("Das Kapital im 21. Jahrhundert") und David Graeber ("Schulden: Die ersten 5000 Jahre"). Piketty ist nett. Aber mit Graebers These kann er nicht viel anfangen: "Ich mag Ihr Buch übrigens. Die einzige Kritik, die ich hätte, ist, dass Kapital nicht auf Schulden reduziert werden kann. Sicher, die Schulden des einen - ob privat oder öffentlich - erhöhen die Ressourcen von anderen. Aber sie sprechen mögliche Differenzen zwischen Schulden und Kapital nicht an. Sie argumentieren, als wäre die Geschichte des Kapitals nicht von der der Schulden zu trennen."
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Internet

Zeit online meldet ganz aktuell, dass Viktor Orbán nach massiven Protesten die umstrittene Internetsteuer zurückzieht, mehr auch im Standard (Kommentar eines Lesers: "Bei uns würde man erst bei einer Schnitzelsteuer auf die Straße gehen.")

(Via Netzpolitik) Nicht nur bei Kinderpornografie und Copyright-Verstößen müssen Internetprovider in Großbritannien Websites sperren, sondern jetzt auch bei Seiten, die Kopien von Luxusgütern verkaufen - so hat es nach dem Bericht Julia Powles" im Guardian der High Court entschieden: "Der Prozess war von der Richemont/Cartier-Gruppe angestrengt, die verlangte, dass die fünf größten Internetprovider Großbritanniens... sechs Websites sperren, die Kopien ihrer Uhren anboten." Kommentar bei Netzpolitik: "Womit (mal wieder) bewiesen war, dass wir bei Zensursula Recht hatten: Sind Netzsperren einmal eingeführt, werden sie auf andere Bereiche ausgeweitet."

Überhaupt: Während in den USA Internetkonzerne blühen und gedeihen, setzen in Europa Politiker und Medienkonzerne (Springer, Lagardère, Murdoch und die europäische Zeitungsinitiative mit dem witzigen Namen "Open Internet Project") dem Internet immer engere Grenzen. In Spanien wurde jetzt eine Art Leistungsschutzrecht per Gesetz durchgewunken, berichtet Spiegel Online mit dpa: "Google und andere Suchmaschinenbetreiber müssen in Spanien vom kommenden Jahr an erstmals eine Abgabe an Verlage und Autoren zahlen, wenn sie deren Texte in Auszügen verwenden... Die Reform sieht auch Geldstrafen von bis zu 600.000 Euro für Anbieter vor, die illegale Downloads ermöglichen, sowie eine schärfere Überwachung zum Schutz des geistigen Eigentums." Auch Michael Hanfeld berichtet in der FAZ: "Spanien lässt Google bluten."

In Australien sollen Internetprovider künftig dazu verpflichtet werden, die Nutzungsdaten ihrer Kunden zwei Jahre lang zu speichern, berichtet Urs Wälterlin in der taz: "Bisher waren Internet-Dienstleister nicht verpflichtet, die Daten zu speichern. Aus Kostengründen verzichten viele Firmen darauf, umfangreiche Speicherkapazitäten einzurichten. In einem Fall habe das Fehlen der Besitzerdaten von IP-Adressen dazu geführt, dass 165 Verdächtige in einem Kinderpornoring nicht identifiziert werden konnten. Laut [Kommunikationsminister Malcolm] Turnbull sollen Internetfirmen mit Steuergeldern kompensiert werden, um die Kosten decken zu können."

Außerdem: In der FAZ kritisiert Joachim Müller-Jung Googles medizinische Ambitionen.
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Europa

Die Mitglieder der Orbán-Regierung schüren eine antieuropäische Stimmung, schreibt der Schriftsteller György Dalos in der NZZ und verdeutlicht den fruchtbaren geschichtlichen Boden, auf den diese Ressentiments fallen: "In meiner Kindheit erlebte ich selber die Gefühlswallungen einfacher Landsleute, die in den grauen Novembertagen 1956 auf die Uno-Truppen warteten, als auf den Straßen bereits die T-34-Panzer der Sowjetarmee rollten... Ihre Enttäuschung war echt und menschlich verständlich. Hingegen spielen die Herrschaften, welche die soziale Frustration unserer Gesellschaft in Richtung Europafeindlichkeit zu lenken versuchen, im Grunde nur ein riskantes Roulette mit der nationalen Empfindsamkeit. Tagsüber schwingen sie pathetische Reden, um nachts stocknüchtern an der Besteuerung des Internets zu arbeiten."

Weiteres: Die Mitgliederzahl der Sozialistischen Partei in Frankreich soll unter 100.000 gefallen sein, meldet Geoffroy Clavel in huffpo.fr. Die Mitgliederzahl des Front national hat historische 83.000 erreicht, meldet der gleiche Clavel ebendort. Für die FAZ begutachtet Dieter Bartetzko Tayyip Erdogans pharaonischen neuen Präsidentenpalast.
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Religion

Jean-Pierre Perrin erzählt in Libération die Geschichten der Iranerin Reyhaneh Jabbari, die am Samstag gehenkt wurde (mehr bei Spiegel Online) und der Pakistanerin Asia Bibi, der die gleiche Strafe droht: "Der Leidensweg Asia Bibis, eine einfachen Bäuerin und Mutter von fünf Kindern, beginnt am 2. Juni 2009, als sich zwei Schwestern, die mit ihr zusammenarbeiten, weigern Wasser aus einem Glas zu trinken, das sie ihnen anbietet und das sie zuvor genutzt hat. Sie sagen, das Glas sei durch die Lippen der Christin beschmutzt worden. Asia Bibi verwahrt sich dagegen und soll sich einen Vergleich zwischen Jesus und dem Propheten Mohammed erlaubt haben. Einige Tage später werden ihre Nachbarinnen sie beim Imam denunzieren."

Außerdem: Besprochen wird die Ausstellung "Haut ab!" des Jüdischen Museums Berlin über die Beschneidung im Judentum (FR). Und für die Welt liest Matthias Kamann ein Buch des Theologen Thomas Kaufmann über Luther und die Juden (mehr in unserer Bücherschau ab 14 Uhr).
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Kulturpolitik

In der NZZ fasst Joachim Güntner den Streit um die geplante Versteigerung zweier Warhols durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens zusammen.
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Stichwörter: Nordrhein-Westfalen

Medien

Richard Gutjahr erzählt bei den Krautreportern von der Abhängigkeit der Journalisten von Apple. Positive Berichterstattung wird belohnt, Kritik bestraft. Redaktionen erwarten selbstverständlich Beschickung mit Testgeräten, die auch mal eingestellt wird. Und wenn"s gut läuft, läuft es so: "Kürzlich hatte ich Glück und erhielt eine der begehrten Einladungen. Nicht etwa nach London, wo üblicherweise die Produktpräsentationen für europäische Medien abgehalten werden. Diesmal ging die Reise nach Cupertino, dem Stammsitz von Apple. Zwei Tage Kalifornien, all inclusive. Natürlich stehe es mir frei, meinen Flug selbst zu bezahlen, wird mir auf meinen expliziten Wunsch hin erklärt."

Auf Zeit online erklärt die 14-jährige Gymnasiastin Valerie Meyden, dass sie den geplanten öffentlich-rechtlichen Jugendkanal (mehr hier) überflüssig findet, wo sie und ihre Altersgenossen doch alles, was sie brauchen, im Internet finden: "Warum gibt es denn bislang keinen Jugendkanal, wie ARD und ZDF ihn planen? Offenbar halten ihn andere Sender einfach für überflüssig - und scheuen den finanziellen Aufwand von 40 Millionen Euro."

Da die FAZ kaum noch Kulturkorrespondenten im Ausland hat (viele sind ja schon entlassen, zurückgekehrt oder zu anderen Medien gewechselt), gibt die unten weitergetwitterte Meldung doch zu denken! FAZ-Feuilletonchef Nils Minkmar wird Kulturkorrespondent für ganz Europa! Edo Reents übernimmt "vorerst interimistisch" die Leitung des Feuilletons. Ja, und wer wird Herausgeber?

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Überwachung

In Zeit Digital spricht Patrick Beuth mit Laura Poitras über ihren Film "Citizenfour", in dem sie die Snowden-Enthüllungen dokumentiert. Dass ihr Filmprojekt jetzt fertiggestellt wurde, bedeutet nicht, dass es nichts Wichtiges mehr zu enthüllen gäbe, betont sie und verweist auf die Terroristen-Watchlist (siehe unser 9Punkt vom 25. Juli), die ein unbekannter Whistleblower unlängst öffentlich gemacht hat: "Nun, wo jemand das Risiko eingegangen ist, sie an die Öffentlichkeit zu geben, können sich Betroffene mit rechtlichen Mitteln wehren, wenn sie auf der Liste stehen. Bisher gab es da keine ordentlichen Verfahren, weil niemand erfuhr, warum sein Name darauf stand. Für mich ist das auch persönlich relevant, denn ich stehe selbst auf dieser Liste. Jetzt sehe ich zum ersten Mal ein Dokument, auf dem steht, wie die Regeln aussehen, nach denen jemand als terrorverdächtig eingestuft wird."
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