9punkt - Die Debattenrundschau

Die Vorzüge der Leibeigenschaft

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
29.10.2014. Das Problem der arabischen Staaten mit der IS-Miliz ist, dass sie ihre Ideologie zumeist teilen, meint der Guardian. FAZ und SZ fröstelt es in der russischen Kulturwelt. Die Welt fürchtet, dass sich die Tierrechtsethik als die Idiotie erweist, die sie sei. Günther Oettingers Vorschlag für eine Art europäisches Leistungsschutzrecht stößt in der FAZ auf Sympathie, aber nicht in zeit.de. Und Helen Epstein warnt im NYRBlog vor Ebola-Panik.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.10.2014 finden Sie hier

Internet

Günther Oettingers Vorschlag für eine Einführung einer Art europäischen Leistungsschutzrechts für Presseverleger hält Leonhard Dobusch in Zeit online für eine Themenverfehlung, aber eine Reform auf europäischer Ebene würde er begrüßen: "In einer digitalen Wirtschaft gibt es kaum Geschäftsmodelle, die nicht auf die eine oder andere Art mit dem Urheberrecht in Berührung kommen. Je unflexibler und unterschiedlicher das Urheberrecht in Europa ausgestaltet ist, desto größer auch der Standortnachteil für europäische Unternehmen im Vergleich mit Ländern wie den USA. Dort sorgt eine technologieoffene Fair-Use-Klausel für die notwendige Flexibilität im Urheberrecht. In Europa kämpfen Unternehmen, Kreative und Nutzer gleichermaßen mit einem starren Katalog an Ausnahmen ("Schranken"), die noch dazu in jedem Land verschieden implementiert sind."

Michael Hanfeld feiert Oettingers Vorstoß für ein europäisches Leistungsschutzrecht in der FAZ dagegen: "Ihm scheint daran gelegen zu sein, den Gedanken, dass Urheber und Verwerter Rechte haben, die finanziell abgegolten werden müssen, wirklich auf die Online-Ökonomie zu übertragen - der diese Idee fremd ist."
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Europa

In der SZ berichtet Tim Neshitov über die erfolgreiche Zerschlagung einer weiteren Kulturinstitution in Russland: Sämtliche Mitarbeiter des Moskauer Filmmuseums sind vorige Woche aus Protest gegen die neue Direktorin zurückgetreten, die den unbotmäßigen Naum Klejman abgelöst hat: "Naum Klejman, geboren 1937, hatte im März einen offenen Brief an ukrainische Filmkünstler unterschrieben. Man sei gegen die Lügen, die russische Medien über die Ukraine verbreiteten, und gegen einen russischen Einmarsch: "Zweifelt nicht an uns. Wir sind an der Seite der Wahrheit und wir sind mit Euch!""

Man fröstelt auch, wenn man liest, was Kerstin Holm in der FAZ über die Stimmung in der russischen Kulturwelt liest: "Wie Spitzenfunktionäre degenerieren, führte der eigentlich hochgebildete Vorsitzende des russischen Verfassungsgerichts, Waleri Sorkin, vor, als er jüngst öffentlich über die Vorzüge der Leibeigenschaft nachdachte. Kulturminister Medinski beklagt ein Übermaß an russischen Humanwissenschaftlern und sagte den Studenten des Konservatoriums eine Zukunft in Fußgängerunterführungen voraus."
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Geschichte

Im Interview mit Marta Kijowska in der FAZ erinnert Dariusz Stola, Direktor des Museums für die Geschichte der polnischen Juden, an die zwiespältige Haltung der Kommunisten zu den Juden in Polen. Einerseits gestatteten sie durchaus ein Gedenken: "Die Partei organisierte auch jedes Jahr Feierlichkeiten zum Jahrestag des Gettoaufstands, es gab das einzigartige Jüdische Theater in Warschau. Andererseits wurde die Erinnerung an die Ermordeten gleichsam "dejudaisiert". Das beste Beispiel ist das Denkmal in der Gedenkstätte Auschwitz, das vielen, alphabetisch geordneten europäischen Völkern gewidmet war und wo die Juden, die auf Polnisch mit dem Buchstaben Ź anfingen, ganz zum Schluss vorkamen."
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Religion

In der FR erkundigt sich Arno Widmann bei Peter van Ham, der 20 Jahre lang für ein Buch über das Tabo-Kloster recherchiert hat, über den Buddhismus. Frauen, lernen wir, dürfen allerdings auch hier nicht so schnell auf Erlösung hoffen: "Der Buddha selbst hat die volle Ordination sowohl für Mönche wie auch für Nonnen eingeführt. Davon erzählt auch ein Bildfries in Tabo, in dem ein Pilger von einer Gruppe Nonnen in Erleuchtungsstufen unterwiesen wird. Jedoch ist diese volle Ordination von Nonnen und damit deren Gleichstellung mit den Mönchen nie in den tibetischen Raum überliefert worden, so dass Nonnen immer noch ein beklagenswertes Dasein im Schatten ihrer männlichen Kollegen führen - oft an ihre Familien angeschlossen, wo sie die niedrigsten Arbeiten übernehmen müssen und so indoktriniert, dass sie diese Tätigkeiten gewissenhaft und demütig in der Vorstellung übernehmen, in ihrem nächsten Leben ein Mann zu werden."

Religion und Wahrheit haben sich ausnahmsweise versöhnt! Brady McCombs berichtet in einem AP-Artikel bei der Huffington Post, dass die Mormonen erstmals zugegegeben haben, dass ihr Gründervater Joseph Smith (unter anderem) mit einer 14-Jährigen verheiratet war. Mehr dazu auch bei slate.fr.
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Gesellschaft

So richtig damit abfinden kann sich Eckhard Fuhr in der Welt nicht damit, dass Hilal Sezgins veganes Manifest "Artgerecht ist nur die Freiheit" nun auch noch in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung verbreitet wird. Allzu absurd erscheint ihm Sezgins Antispeziesismus: "Konsequent zu Ende gedacht, brächte die Tierrechtsethik das Ende aller natürlichen Kreisläufe und damit das Ende des Lebens überhaupt. Natürlich möchte kein Tierrechtler, dass seine Idee so zu Ende gedacht wird, denn dann erwiese sie sich ja als die Idiotie, die sie ist."

Ulf Poschardt kriegt es in der Welt glatt hin, zu den neuesten Hooligan-Ausschreitungen einfach einen Text zu republizieren, den er vor 16 Jahren schon mal in der SZ zum Thema geschrieben hat. Selbstdiagnose: Der Essay "erscheint aktueller denn je". Das lässt sich angesichts seines Anfangs nur bestätigen: "Der Krieger ist immer eine Bedrohung. Der Krieger sehnt sich nach Gefahr, er umarmt seine Angst und liebt die Gewalt. Seine Moral hat sich der des Krieges angepasst: Es gibt nur Sieg und Niederlage." Und stimmt das nicht seit ungefähr einer Million Jahren?

Außerdem: Oliver Gertz beschwört in der SZ auf einer ganzen Seite drei den Rumble in the Jungle, dem Kampf Muhammad Ali gegen George Foreman vor vierzig Jahren in Kinshasa.
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Kulturpolitik

SPD, CDU und Bündnis 90/Die Grünen halten es nicht so mit Partizipation, wenn es um den Wiederneubau der Garnisonkirche geht, schreibt Matthias Grünzig mit Blick auf die Potsdamer Rathauskoaliton in der FAZ: "Alle Vorstöße für einen Bürgerentscheid oder auch nur eine Bürgerbefragung (wurden) mit teilweise fragwürdigen Verfahrenstricks abgewürgt. Selbst der Antrag auf einen Bürgerdialog wurde von der Rathauskooperation im September abgelehnt."
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Politik

Im Guardian hält es Brian Whitaker für das große Problem beim Kampf gegen den IS, dass die meisten arabischen Staaten seine Ideologie teilen: "Religiöse Regeln durchzusetzen und sich an die Seite von Gott zu stellen, hilft arabischen Regierungen, den Mangel an demokratischer Legitimität zu kaschieren. Das führt besonders beim Kampf gegen die Ideologie des Islamischen Staates zu Problemen, denn die meisten arabischen Staaten - darunter etliche aus der militärische Koalition gegen ihn - teilen mit ihm tendenziell den Zwang in der Religion. Der IS mag in der Praxis brutaler sein, doch im Grundsatz sind sie sich einig - sie gehen von der Überlegenheit des Islams aus und der Legitmität religiöser Diskriminierung."

Thomas Avenarius schüttelt es in der SZ angesichts der neuen IS-Methode, ihre Geiseln als vermeintliche Reporter einzusetzen.

Im Blog der NYRB weist Helen Epstein darauf hin, dass in Liberia, dem Zentrum der Ebola-Epidemie, vierhundert Menschen erkrankt sind. Nicht Millionen, nicht Tausende. "Warum das wichtig ist? Indem sie Ebola als eine aus der Kontrolle geratene Bedrohung der Menschheit darstellen, erschweren amerikanische Politiker und Medien die Bekämpfung der Krankheit - mit irrsinnigen Rufen nach Grenzkontrollen, die unnötige und grausame Quarantäne für gesunde Helfer. das könnte die Epidemie gefährlicher machen als sie jetzt ist. "
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