9punkt - Die Debattenrundschau

Schlussstrich ist noch lange nicht

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
25.04.2014. Empörung in den USA über die Abschaffung der Netzneutralität - damit habe Barack Obama ein Wahlversprechen gebrochen, meint der New Yorker. Der Beck-Verlag wehrt sich gegen Plagiatsvorwürfe beim Buch "Große Seeschlachten", bisher gebe es kaum Belege für diese Behauptung, sagt Beck-Lektor Ulrich Nolte im Interview mit dem Dradio Kultur. In der taz beklagt Philosoph Étienne Balibar die Schwäche der europäischen Linken. Anders als Wladimir Putin glaubt, ist das Internet keine Erfindung der CIA, meint Slate.fr.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.04.2014 finden Sie hier

Internet

Internetanbieter in den USA dürfen künftig gegen Aufpreis eine beschleunigte Übertragung bestimmter Daten anbieten, hat die Telekommunikationsaufsicht FCC entschieden (mehr hier in der New York Times). Damit ist das Prinzip der Netzneutralität, nach dem alle Daten gleich zu behandeln sind, faktisch beendet, wie die Kommentatoren alarmiert feststellen. Im New Yorker erinnert der Jurist Tim Wu daran, dass zu Barack Obamas uneingelösten Wahlversprechen auch gehört, dass er die Netzneutralität in seinem ersten Amtsjahr gesetzlich festschreiben würde - stattdessen wird sie nun abgeschafft: "This is what one might call a net-discrimination rule, and, if enacted, it will profoundly change the Internet as a platform for free speech and small-scale innovation. It threatens to make the Internet just like everything else in American society: unequal in a way that deeply threatens our long-term prosperity."

Die Angst vor einem Zwei-Klassen-Internet, in dem sich kleinere Akteure nicht mehr gegen die großen Konzerne behaupten können, prägt die Berichterstattung. So fürchtet Johannes Kuhn in der SZ: "Während die Internet-Großkonzerne bereit sein dürften, hohe Summen für die Bevorzugung zu zahlen, könnte Start-ups so der Zugang zum Markt verwehrt werden." In der Welt macht Benedikt Fuest allerdings geltend, dass es mit der Gleichberechtigung im Netz schon jetzt nicht weit her ist: "Dass speziell kleinere Anbieter, Newcomer und Start-ups sich die Erste-Klasse-Leitung nicht leisten können, gilt faktisch bereits jetzt, Netzneutralität hin, FCC her." Lediglich Patrick Welter findet in einem Kommentar in der FAZ Gefallen an der Entscheidung der FCC: "Mehr Wirtschaftlichkeit im Internet und der Ausbau der Leitungen erfordert Differenzierung und den Abschied vom romantischen Traum des Internets als Tummelplatz für ein wenig spinnerte Innovatoren. "

Andréa Fradin nimmt in Slate.fr ein paar Sätze auseinander, die Wladimir Putin vor Journalisten in Petersburg sagte - etwa, dass das "Internet ein Projekt der CIA" gewesen sei. Dem war nicht so, sagt Fradin, das Internet sei im Militär und in wissenschaftlichen Kreisen entstanden. Fradin weist auch darauf hin, dass Russland und China bei der Netmundial-Konferenz in Brasilien nicht unbedingt im Sinne einer einer ausgewogenen "Internet-Governance" agierten.
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Urheberrecht

Ulrich Nolte, Lektor des C.H. Beck-Verlags wendet sich im Interview mit Ulrike Timm im Dradio Kultur gegen den Vorwurf Arne Jannings in einem Facebook-Post, das Buch "Große Seeschlachten" von Arne Karsten und Olaf B. Rader sei zum großen Teil aus der Wikipedia zusammengestoppelt. "Im Facebook-Artikel steht, das ganze Buch sei zusammengeschustert aus Wikipedia-Einträgen. Dann heißt es, es gibt 30 Stellen, aber als Beleg werden dann nur fünf Stellen angeführt, die sich insgesamt auf eine gute halbe Seite addieren, verteilt auf ein 420- bis 450-Seiten-Buch. Also, das ist erst mal sehr wenig an Beleg."

Auch Sven Felix Kellerhoff kann die von Arne Janning in einem Facebook-Post vorgetragenen Vorwürfe gegen das Buch "Große Seeschlachten" von Arne Karsten und Olaf B. Rader nicht nachvollziehen. In der Welt schreibt er: "Tatsächlich tragen die bisher bekannten Fakten keinesfalls Jannings Verdikt: 'Karstens und Raders Buch ist nicht zu retten.' Man muss abwarten, ob und wenn ja welche weiteren Passagen der Kritiker anführen kann." Ähnlich sieht es Hemut Mayer in der FAZ. In Welt und FAZ wird außerdem berichtet, dass die Autoren des Buchs über rechtliche Schritte nachdenken.
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Politik

Junge Afrikaner werden solange in Scharen versuchen nach Europa zu flüchten, wie sich an den Rahmenbedingungen in Afrika nichts ändert, meint der senegalesische Rapper Gunman Xuman im Interview mit der NZZ: "Die einfachen Afrikaner profitieren kaum vom Abbau von Öl, Diamanten, Gold durch westliche Gesellschaften. Vielmehr haben unsere Bauern wegen der von der Weltbank diktierten Aufhebung aller Handelsgrenzen keine Chance mehr. Der ganze Markt wird von Dumping-Ware aus Amerika, Europa und China überschwemmt. Besonders leiden die Fischer. Sie können mit ihren Erträgen kaum noch ihre Familien ernähren, weil ausländische Fangflotten unsere Küstengewässer leer fischen. Wen wundert es, wenn viele Jugendliche lieber das Risiko, auf der Flucht zu ertrinken, auf sich nehmen, als hier in Elend zu ersticken?"

Mark Siemons porträtiert in der FAZ den zu vier Jahren Haft verurteilten Dissidenten Xu Zhiyong, der einen pragmatischen und reformistischen Ansatz vertritt und dennoch verfolgt wird, allein weil er sich eine kleine Öffentlichkeit verschafft hat: Die chinesische Regierung "bewertet auch Mikroblogger weniger nach ihrer Gesinnung als nach ihrem Wirkungsradius; ist der hoch, können auch harmlose Mitteilungen als Bedrohung des Herrschaftsmonopols empfunden und geahndet werden." (Mehr zu Xu Zhiyongs Haftstrafe bei der BBC)
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Europa

Michail Chodorkowskis Stiftung "Offenes Russland" hat in Kiew zu einer Diskussion zwischen russischen Oppositionellen und Vertretern der Majdan-Bewegung gerufen, bei der zum Teil wohl die Fetzen flogen, berichtet Moritz Gathmann in Spiegel Online: "Chodorkowski tritt zurückhaltend auf, aber seine Stimme wird schneidend, als er Putin offen für seine kurzsichtige Ukraine-Politik angreift. 'Putin löst keine globalen strategischen Fragen, er rächt sich für eine persönliche Beleidung', erklärt er. Beleidigt, so der im Dezember nach zehn Jahren Haft entlassene Geschäftsmann, sei der russische Präsident von der Revolution und der Vertreibung Janukowitschs."

In der taz mokiert sich Stefan Reinecke über Timothy Snyder, der Putin mit Stalin gleichsetzt, und plädiert dafür, sich die tatsächlichen Machtverhältnisse vor Augen zu führen. "USA und EU sind Russland in jeder Hinsicht überlegen: ökonomisch, militärisch, bei der Effektivität von Regierung und Verwaltung. Freiheitsversprechen und hedonistischer Individualismus, die schon das Sowjetreich zum Einsturz brachten, sind nach wie vor die wirksamsten Exportartikel des Westens. Deshalb ist es verquer, den Westen als hilf- und schutzloses Reh zu fantasieren, das gleich vom bösen Wolf gefressen wird."

Die Welt veranstaltet ein Pro und Contra zur Frage, wie sich Deutschland gegenüber Russland verhalten soll: Anne Applebaum fordert eine klarere Position, Torsten Krauel verteidigt den diplomatischen Ansatz der deutschen Regierung.

Im Gespräch mit Pepe Egger in der taz beklagt der französische Philosoph Étienne Balibar vor der Europawahl die Schwäche der Linken auf europäischer Ebene: "Eines der Symptome der gegenwärtigen politischen Krise, die auch eine moralische Krise ist, ist die Unfähigkeit der existierenden politischen Kräfte, sich auf europäischer Ebene zu organisieren, und zwar sogar dann, wenn ihre Interesse überlappen. Die Einzigen, die es wirklich versucht haben, eine transnationale politische Bewegung aufzubauen, waren die Grünen, und sie sind damit letztlich gescheitert. Mir schwebt eine Alternative Partei für Europa vor. Partei natürlich im breiten, Marx'schen Sinne, keine Organisation, sondern eine Orientierung, die nicht sehr mächtig sein muss, aber zumindest existieren sollte."
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Geschichte

Christiane Schlötzer und Stefan Ulrich begrüßen in der SZ Tayyip Erdogans Erklärung zum Völkermord an Armeniern: "Das Wort Völkermord kommt in seinem Text nicht vor. Aber die Botschaft, die erste eines türkischen Premiers zu diesem Tag überhaupt, enthält Formulierungen, die Schranken abbauen können."
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Kulturpolitik

Der Bau des lange geplanten Einheitsdenkmals auf dem Berliner Schlossplatz verzögert sich wegen wertvoller Bodenmosaike und in der Nähe nistender Wasserfledermäuse. Vielleicht ist die Zeit aber auch einfach noch nicht reif für ein Denkmal, meint Christiane Peitz im Tagesspiegel: "Was genau das war, 40 Jahre Teilung und der Herbst '89, darüber verständigen sich die Deutschen bis heute. Leidenschaftlich, ratlos, erbittert, höchst lebendig. Schlussstrich ist noch lange nicht. Ein Denkmal hingegen braucht die Distanz, den Wechsel vom Perfekt ins Imperfekt. Das ist die Lehre aus dem Denkmal-Debakel: Geschichte muss offenbar Patina ansetzen, bevor eine Gesellschaft ihr Standbilder widmet oder eine Waage im Zentrum der Hauptstadt."
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