Efeu - Die Kulturrundschau
Wald ist schwer zu fotografieren
Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
Kunst

Als schöne Übung in Ambivalenz feiert Alexander Menden die große Schau zu Paul Gauguin und Charles Laval im Amsterdamer Van-Gogh-Museum. Reinste Kolonialistenromantik seien die Bilder der beiden Maler aus Martinique, und doch großartig: "Frauen im Gespräch oder durch Plantagen schlendernd, alles durchströmt von träger Gelassenheit. Die Diskrepanz dieser Eingeborenenromantik zur Realität war gewaltig: Neunzig Prozent der Bevölkerung von Martinique waren Nachfahren afrikanischer Sklaven. Die porteuses, die in Gauguins und Lavals Landschaften so malerisch Obst auf dem Kopf tragen, verrichteten tatsächlich Knochenarbeit... All das macht die Ausstellung deutlich, zugleich wird aber auch nachvollziehbar, welch zentrale Bedeutung die Zeit in der Karibik für den neuen malerischen Gestus hatte, mit dem beide nach Paris zurückkehren sollten: die Strukturierung von Pflanzen und Menschen in Farbflächen, die durchgeformte Ästhetik der Landschaften."
In der SZ stellt Alex Rühle den Fotografen Andreas Magdanz vor, der sich als Forensiker versteht und mit seinen Studendeten der RWTH Aachen den "Totschlag am Hambacher Forst" untersucht: "Dann sieht man wunderschöne Arbeiten aus dem Forst selbst, dessen Bäume ja teilweise 350 Jahre alt sind. Wald ist schwer zu fotografieren, sagt Magdanz. Wie findet man in diesem Durcheinander der Stämme und Äste den richtigen Ausschnitt, das passende Licht? Und wie soll man die Tiefe dieses Raums auf einem planen Foto festhalten?"
Weiteres: Im Standard spricht Sebastian Pohl, Leiter des Münchner Kunstvereins Positive Propaganda, über Banksy und Street Art, den Markt und den "Straßenstrich der Kunst". Besprochen werden eine Ausstellung des oppositionellen DDR-Künstlers Klaus Hähner-Springmühl im Museum der bildenden Künste in Leipzig (FAZ) und eine Schau des Antwerpener Künstlerkollektiv A37 90 89 im NBK in Berlin (Tagesspiegel).
Literatur
Die aus 126 Personen zusammengesetzte "Neue Akademie" hat den nach den Skandalen um die Schwedische Akademie ausgerufenen Alternativen Nobelpreis an die 1937 in Guadeloupe geborene Schriftstellerin Maryse Condé verliehen. Eine gute Wahl, meint Angela Schader in der NZZ. Condé ist "eine Weltbürgerin, die sich nie scheute, gegen den Strom zu schwimmen. ... Die Hinwendung zur Négritude trübte aber nie Condés Blick für die Missstände in Afrika, das nach der Heirat mit einem guineischen Schauspieler zu ihrer zweiten Heimat wurde - oder hätte werden sollen. Denn in Guinea rief man sie 'toubabesse', weiße Frau; es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass sie sich als Schwarze unter Schwarzen ausgegrenzt fühlte."
Dazu gewissermaßen passend: Noch nie haben so viele afrikanische Verlage auf einer Frankfurter Buchmesse ausgestellt wie in diesem Jahr, berichtet Felix Stephan in der SZ. Feierlaune ist dennoch nicht zu beobachten - was insbesondere am Erfolg afrikanisch-stämmiger Autoren liegt, mit denen sich die Stände der Großverlage schmücken: "Diese afrikanischen Autoren haben allesamt an der Columbia, der Sorbonne oder in Oxford studiert und verkörpern deshalb genau jenes Verhältnis, das Frantz Fanon in seinem Buch 'Schwarze Haut, weiße Masken' beschrieben hat: Obwohl sie in Ghana, Nigeria oder Kenia geboren wurden, werden sie von den europäisch-amerikanischen Kolonialherren erst dann wahrgenommen, wenn sie sich auszudrücken wissen wie sie."
Elena Ferrantes erster Neapel-Band "Meine geniale Freundin" wurde in Italien als Mini-Serie verfilmt. Angelo Carotenuto hat aus diesem Grund ein Interview mit der Schriftstellerin und Übersetzerin geführt, das La Repubblica und die Literarische Welt gemeinsam veröffentlichen. Dass es männliche Drehbuchautoren und Regisseure sind, die ihren Stoff umsetzen, verändere die Sache durchaus: "Einer anderen Frau hätte ich nie erklärt: Du darfst diesen Film nur innerhalb der Grenzen meines Buches drehen. Da ich davon ausgehe, dass eine andere Frau genauso viel über unser Geschlecht weiß wie ich oder sogar noch mehr, hätte ich es zugelassen, dass sie sich gegen diese Grenzen stemmt und sie ganz nach ihren Bedürfnissen auch verändert."
Außerdem eine schöne Geste der Literarischen Welt, die sich dieser ganze Woche ganz den Schriftstellerinnen widmet: Die Welt-Redakteure empfehlen zahlreiche Autorinnen, die man gelesen haben muss, und zwar (verlinkt mit unseren Rezensionsnotizen): Maria Sibylla Merian, Lucia Berlin, Ricarda Huch, Agota Kristof, Rebecca Saint, Gabriele Tergit, Marie-Luise Scherer, Sophie von La Roche, Margarete Cavendish, Iris Murdoch, Irmgard Keun und Clarice Lispector. Außerdem bringt die Welt Notizen von Schriftstellerinnen, welche ihrer Kolleginnen sie dem Lesepublikum unbedingt ans Herz legen: Unter anderem empfiehlt Nora Bossong Judith Shklar und Sibylle Lewitscharoff Christine Lavant.
In der NZZ meditiert die ägyptische Schriftstellerin Mansura Eseddin über die unterschiedlichen Klangtexturen von Kairo und München. Während die bayerische Stadt in ihrer Erinnerung ungewöhnlich still ist, wird sie von Kairo nachts in ihren Träumen heimgesucht: "In meiner Vorstellung hatte sich meine wunderbare Stadt mit ihrer großen Geschichte und glänzenden Vergangenheit in Stöhnen und Schreie voll Todesnot aufgelöst. Dieses Stöhnen, diese Schreie waren keine Auswüchse meiner Fantasie, sie waren wahrer als das Leben selbst. Sie verfolgten mich, versuchten - vielleicht - mir das Leiden unsichtbarer anderer in den Sinn zu rufen. Es gibt Dinge, die keine Spur in der Erinnerung hinterlassen, und andere, die einen verfolgen. Mein Traum verfolgte mich. Ich fühlte mich, als hätten sich jene Geräusche für immer in meiner Seele und meinem Geist festgesetzt."
Weitere Artikel: Maik Novotny und Tex Rubinowitz plaudern im Standard entspannt über das Internetforum "Wir höflichen Paparazzi", in dem zahlreiche Schriftsteller sich ausprobierten. Schade findet es Tim Niendorf im FAZ-Blog, dass es auf einer Buchmessen-Veranstaltung über die Literaturen Lateinamerikas viel zu wenig Zeit für die viel zu vielen Gesprächsgäste gab. Für die Berliner Zeitung hat Susanne Lenz das Buchmessen-Gastland Georgien besucht. Mit der georgischen Schriftstellerin Ruska Jorjoliani hat sich Charlotte von Bernstorff für die FR zum Gespräch getroffen. Die Welt bringt einen Auszug aus Christian Berkels "Der Apfelbaum". Im literarischen Wochenend-Essay der FAZ gibt der Schriftsteller Stanisław Strasburger Einblick in seine Arbeit in Reykjavík, wo er in den Archiven für seinen neuen Roman recherchiert.
Besprochen werden Kenzaburo Ões "Der nasse Tod" (Standard), Burghart Klaußners "Vor dem Anfang" (SZ), Kolja Mensings "Fels" (Tagesspiegel), Alessandro Totas und Pierre van Hoves Comic "Der Bücherdieb" (taz), Emma Glass' Debüt "Peach" (FR), Jennifer Clements "Gun Love" (taz), Friedo Lampes "Septembergewitter" (Tagesspiegel) und Dmitry Glukhovskys "Text" (FAZ).
Film
Weitere Artikel: Im Kracauer-Stipendiatenblog des Filmdiensts verneigt sich Lukas Foerster vor dem französischen Regisseur Guillaume Brac und dessen neuen Film "L'île au trésor". Besprochen werden Ula Stöckls und Edgar Reitz' um 1970 entstandene Kurzfilm-Reihe "Geschichten vom Kübelkind", die nach einer Restaurierung wieder auf Kino-Tour geht (Filmdienst), Drew Goddards "Bad Times at the El Royale" (ZeitOnline), die Doku "Eine gefangene Frau" (Freitag, mehr dazu hier), die Serie "Sharp Objects" (Freitag) und die Netflix-Serie "Maniac" (NZZ).
Bühne

Antikes Drama, tolle Schauspieler, einen intelligenten Regisseur: Tagesspiegel-Kritiker Rüdiger Schaper erlebt bei Simon Stones "Griechischer Trilogie" am Berliner Ensemble vieles, was Theater groß. Leider auch vieles, was es schwer erträglich macht: "Gewalt folgt aus Gewalt, ansatzlos die Ausbrüche, unvermittelt. Wie Natur. Simon Stone hat in seiner 'Griechischen Trilogie' eine unangenehme Art, auf Schock zu spekulieren. Alle Männer sind Schweine. Alle Frauen leiden und sind ein bisschen doof."
Für Nachtkritikerin Esther Slevogt bleibt der Antiken-Splatter als feministisches Projekt auf halber Strecke stehen: "Er geht von der (im Programmheft formulierten) Prämisse aus, dass seit der Antike mit dem Theater etwas schiefgelaufen ist. Denn während Aristophanes und sein Kollege Euripides hier mit ihren Erzählungen von Frauenwiderstand 'komplexe, autonome und befreite Frauenfiguren' geschaffen hätten, würden wir aktuell in Regression verfallen. Das ist natürlich ein Irrtum. Denn 'Lysistrata', 'Die Troerinnen' und 'Die Bakchen' handeln allesamt von Männern - von Männern, deren Sexualtrieb stärker ist als die Vernunft (Lysistrata), von Männern, deren Zerstörungstrieb am Ende auch sie selber auslöscht (Troerinnen), und von Männern, deren rücksichtsloser Hedonismus eine Gesellschaft infiziert und in den Abgrund reißt (Bakchen). Nirgends sind da befreite autonome Frauen, sondern bloß Opfer und Projektionsflächen. Und so bleibt es auch bei Simon Stone." In der Berliner Zeitung bilanziert Ulrich Seidler recht nüchtern: "Für das Theater bringt das jedenfalls keinen Fortschritt."
Musik
Weitere Artikel: In der FAZ freut sich Jan Brachmann darüber, dass es Historikern und einer Stiftung gelungen ist, den Nachlass des 1916 verstorbenen Komponisten und Naturschutz-Vordenkers Ernst Rudorff zu sichern. Jens Uthoff flaniert für die taz mit dem Klangkünstler- und forscher Peter Cusack über den Alexanderplatz. Für die NZZ porträtiert Gabriele Spiller den Geiger Sebastian Bohren. Christian Schachinger plaudert für den Standard mit Conchita Wurst.
Besprochen werden Roger Willemsens postum veröffentlichte Essaysammlung "Musik" (Zeit), ein Konzert von Britta (Tagesspiegel), das postume Prince-Album "Piano & A Microphone 1983" (FR), ein Konzert der Berliner Philharmoniker unter Jakub Hrůša (Tagesspiegel), das Debütalbum "Anthem of the Peaceful Army" von Greta Van Fleet (FAZ), das musikalische Comeback von Franz Morak (Standard) und eine DVD-Edition mit Konzerten aus Gerd Albrechts "Wege zur Musik"-Reihe (NZZ).