Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Mai 2021

Niedertracht und Dilettantismus

31.05.2021. In der SZ fürchten die Fotografen Thomas Demand, Annette Kelm, Thomas Struth und Wolfgang Tillmans um das Bundesinstitut für Fotografie, das im Streit um Standorte und Schulen zerrieben zu werden droht. In der taz setzt die Künstlergruppe ruangrupa für die Documenta15 auf das Prinzip Reisscheune. Die SZ fragt mit Blick auf die DDR-Geschichte, wo in der Literatur eigentlich das offene Gespräch unter Ostdeutschen stattfindet. Nicht einmal die eigenen Nestbeschmutzer gelten noch was am österreichischen Theater, klagt die NZZ.

Die beschwingte Freiheit des Agierens

29.05.2021. Als "beste, konsequenteste" Entscheidung nickt der Tagesspiegel den Leipziger Buchpreis für Iris Hanika ab. Die FR hätte sich noch mehr über einen Preis für Friederike Mayröcker gefreut. In der Literarischen Welt schildert Leila Slimani, wie brutal die Marokkaner die Europäer nach dem Zweiten Weltkrieg wahrnahmen. Armin Petras kämpft nach den Rassismusvorwürfen um seine Existenz, weiß die taz. In der FR ärgert sich Hans Neuenfels darüber, dass am Theater nur noch in Klischees gedacht werde. Und die SZ versenkt sich in den eigentümlichen Philadelphia-Sound des Dirigenten Eugene Ormandy.

Eine Aufnahme der Welt

28.05.2021. Die Theaterkritiker amüsieren sich prächtig mit Rene Polleschs "Goodyear", in dem sich Sophie Rois und vier andere Theatergrößen als Rennfahrerwitwen ein amüsantes Szene-Pingpong liefern (aber es geht natürlich auch um Schein und Sein). Die FAZ empfiehlt eine Werkschau des ägyptischen Regisseurs Atteyat Al Abnoudy im Berliner Arsenal. Die NZZ würdigt die elitäre Ästhetik der Wiener Werkstätten. Die FAZ spaziert durch Anne Imhofs Verwandlung des Palais de Tokyo. Die Literaturkritiker trauern um den amerikanischen Kinderbuchautor Eric Carle, Schöpfer der unvergesslichen "Raupe Nimmersatt".

Ein regelrechter Stimmbruch

27.05.2021. Der Standard feiert den Erfinder der radikal subjektiven Ich-Fotografie: Nobuyoshi Araki. Die NZZ bewundert die Verflechtung zweier Hochkulturen in der Miniaturmalerei der Moguln. In der SZ überlegt die Schriftstellerin Ruth Herzberg, wie man nach Corona ein Gespräch beginnt. Die neue musikzeitung denkt über Gender und Stimme in den Opern Aribert Reimanns nach. Amazon hat MGM gekauft, berichtet die Welt.

Old Europe, dieser Sumpf der Laxheit

26.05.2021. Die SZ feiert eine Abschiedsparty fürs digitale Theater. Die NZZ erlebt in Aribert Reimanns "Lear"-Oper, wie der Machtmissbrauch die Zivilisation in den Abgrund reißt. Die Welt freut sich, dass Kevin Spacey in Italien ent-cancelt wird. Der Freitag wünscht sich dies auch für den DDR-Staatsautor Hermann Kant. Und die FAZ lauscht den Morsezeichen, die Klangkünstler Julien Desprez von einem anderen Planeten nach Moers sandte.

Alle drei haben die Haare schön

25.05.2021. Die SZ erfährt in der Ausstellung "Boden für alle", warum Österreich Ackerfläche in der Größe der Steiermark verloren hat. SZ und Le Monde bewundern gebührend die von Tadao Ando umgebaute Börse für die neue Collection Pinault. Die NZZ lernt auf der Architekturbiennale in Venedig, dass Grenzen kein Ende, sondern ein Anfang sind. IndieWire erkennt, dass die Hollywood-Studios ihren Rang nicht nur in der Realität, sondern schlimmer noch in der Hierarchie der Konzerne eingebüßt haben.

Unter Freunden nicht Usance

22.05.2021. Tagesspiegel und FAZ feiern in der Berliner Gemäldegalerie den Aufbruch mit spätgotischen Fliegen und Fratzen. Der Guardian häutet in London mit Matthew Barney einen Wolf im Schnee. Dass Peter Handke seit über einem Jahr nichts von seiner Auszeichnung in Serbien gewusst haben will, hält die FAZ für ziemlich erstaunlich. Mit Blick auf die Instagram-Serie über die letzten Monate Sophie Scholls fragt der Freitag: Wäre Instagram von den Nazis nicht eher als Mittel der Faschisierung eingesetzt worden? Die Zeitungen senden giftige Glückwünsche zum Achtzigsten von Bob Dylan, dem Großvater der Wokisten.

Mehr Schädelspaltung denn Zeitvertreib

21.05.2021. Der Guardian feiert den Fish'n'Chips-Surrealismus von Eileen Agar, der ganz ohne obskure Theorien französischer Denker auskommt. FAZ und SZ sausen mit futuristischen Tech-Hummeln über die Architektur-Biennale in Venedig und berauschen sich am Duft ausgerotteter Pflanzen. In der FAZ will Peter Handke von den vielen Auszeichnungen, die er auf seiner Serbien-Reise erhalten hat, im Vorfeld nichts gewusst haben. Die nachtkritik freut sich in Wien über die nackten Körper und Seelen in Majeta Kolezniks "Fräulein Julie", hätte aber auf Strindbergs abstruse Thesen über "degenerierte Mannweiber" gern verzichtet. Die SZ lässt sich von Till Lindemann in Russland mit Viren, Fischen und Torten bewerfen.

Ein Protestschreiben oder ein Kochbuch

20.05.2021. Die Diskussion um Machtmissbrauch am Theater geht weiter: Shermin Langhoffs "Viertelentschuldigung" ist doch schon wieder eine Machtdemonstration, moniert die Zeit, mehr kulturpolitische Kontrolle bei der IntendantInnen-Wahl fordert das VAN Magazin. Die FAZ lernt bei Hito Steyerl in Paris, warum auch Siri auf Kriegsrealitäten keine Antwort weiß. Außerdem erklären die Ethnologin Shalini Randeria und der Schriftsteller Ilija Trojanow in der FAZ, weshalb die indische Lyrikerin Parul Khakkar nach einem Gedicht über die indische Coronakatastrophe jetzt als "Volksverräterin" gilt. Indisches Kino ist mehr als Bollywood, lernt die taz mit Ivan Ayrs Truckerdrama "Milestone". Und in der Welt erklärt David Hockney, weshalb keine Zeitung seine Leserbriefe druckt.

Ganz Esprit, ganz Herz

19.05.2021. In der SZ feiert Michael Maar Rahel Varnhagen als Genie der Feder, des Zuhörens und der Freundschaft. Im Tagesspiegel verteidigt Kerstin Decker das Prinzip der kulturellen Aneignung: Was heute Wokeness heißt, hieß gestern revolutionäre Wachsamkeit. Der Guardian lässt Yayoi Kusamas Lichtgewitter unberührt an sich abprallen. Die taz trauert mit Gob Squad um Zukunftsvisionen in Berlin. Und ZeitOnline möchte sich gern vom männlichen Filmgeschmack emanzipieren. NZZ und SZ trauern zudem um den Cantautore Franco Battiato.

Alles, was dem Publikum gefallen könnte

18.05.2021. Der Standard erkundet im Kunsthistorischen Museum die Manifestationen Höherer Mächte. Die FR erlebt mit Rameaus Barockoper "Hippolyte et Aricie" in Mannheim, wie sich das Streaming verselbständigt. Die taz lässt sich von David France erklären, warum er für seine Doku über Homophobie in Tschetschenien auf Deep Fakes zurückgriff. SZ und FAZ schreiben zum Tod des deutsch-iranischen Dichters SAID.

Viel feinstoffliches Miteinander

17.05.2021. Die SZ erinnert an den Abriss des Nationaltheaters in Tirana vor einem Jahr. Im Tagesspiegel fürchtet die Regisseurin Simone Dede Ayivi, dass sich in herrischen Theaterstrukturen vor allem die zähen und lauten Typen durchsetzen. Die Welt möchte lieber vor Bismarck als vor der Majestät der politischen Korrektheit in  die Knie gehen. Die FAS hadert dagegen mit dem Literarischen Quartett als neuer Trutzburg gegen die Cancel Culture. Und die NZZ genießt Literaturlesungen auch gern beim Spazierengehen.

Mit allen Kutschen, Kostümen und Kerzen

15.05.2021. In Berlin hat das Theatertreffen begonnen - online, seufzt der Tagesspiegel, der sich mehr digitale Skepsis gewünscht hätte. Schnelleres Internet wäre auch schon ganz gut, meint die FAZ. Die Welt bewundert die gewaltigen Bilder in Barry Jenkins' Verfilmung von Colson Whiteheads Roman "Underground Railroad", der die Fluchtrouten schwarzer Sklaven in den USA nachzeichnet. Zeit online erinnert die Serie eher an die Feel-Good-Rituale mittelalterlicher Passionsspiele. In der FAZ überlegt Anne Weber, warum Schriftsteller zwar häufig von Hindi oder Wolof ins Englische oder Französische wechseln, aber nie umgekehrt. In der NZZ denkt der Schriftsteller Georgi Gospodinov über Gott und Ideologien nach. Die Welt feiert mit Tim Burgess Twitter Listening Parties.

Zu wenig happy Himmel

14.05.2021. Darf Shermin Langhoff als Intendantin des Maxim Gorki Theaters bleiben, weil sie eine Frau ist, fragt die Welt und denkt über ein "generisches Patriarchat" nach. Joseph Beuys war kein Rassist, kein Antisemit und auch kein Genie, meint Philipp Ursprung im Standard-Gespräch. Am Wiener Volkstheater scheitert Jonathan Meese derweil daran, den "Kunst-" vom "Polit-Beuys" zu trennen, erkennt die nachtkritik. Zu viel Sex, Promiskuität und Transgender, befand der Ständige Rat der Bischofskonferenz offenbar und entschied deshalb, dieses Jahr keinen Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis zu vergeben, glaubt die SZ. Die Welt trauert um die Filmemacherin und Riefenstahl-Biografin Nina Gladitz.

Eine analoge Wärme

12.05.2021. Zu Joseph Beuys' hundertstem Geburtstag fragt sein Biograf Hans Peter Riegel in der Welt, ob der große Kunst-Schamane heute bei den Querdenkern mitmarschierte. In der SZ huldigt ihm unter anderem Katharina Sieverding als ihrem wichtigsten Lehrer, gleich nach Gustav Gründgens. In der Nachtkritik wünscht sich Berlins Kultursenator Klaus Lederer mehr Sensibilität am Theater und weniger anonyme Anwürfe. Die FAZ geht bei den Kurzfilmtagen Oberhausen auf Entdeckungstour. Und in der Zeit beschwört St. Vincent den Geist der Siebziger: "Das Leben war schlecht, aber die Musik war richtig gut."

Sie ist die reine Wahrheit

11.05.2021. Sachsen will den Vertrag mit Christian Thielemann nicht verlängern. Die SZ fragt, ob mit dem Dirigenten etwa keine Oper von morgen zu machen sei. FAZ und NZZ nehmen weiter Anstoß an Peter Handkes Auszeichnung durch die Republika Srpska. Die taz stellt fest, dass jetzt sogar der Pop anfällig wird für Verschwörungstheorien. Recht erschrocken schreiben die Feuilletons über den Tod des amerikanischsten aller Architekten, Helmut Jahn.

Dann eben Erfundenes

10.05.2021. Die Nachtkritik feiert Svenja Viola Bungartens kraftmeiernde Splatter-Blasphemie "Maria Magda", die auf dem Heidelberger Stückemarkt den Autor*innenpreis erhalten hat. Die Welt goutiert Christian Thielemanns nobel gestrigen Eskapismus. Auf einen zur Schau getragenen Starrsinn erkennt der Tagesspiegel bei Peter Handke, der sich in der Republik Srpska von Milosevic-Getreuen feiern lässt. In der FAZ überlegt die Bauingenieurin Lamia Messari-Becker, was wir mit all den Ruinen des Leerstands anfangen, die uns die Pandemie hinterlassen wird. Und die taz freut sich, dass Clubs künftig als Kulturstätten gelten.

Zwischen Mad Max und Andrej Tarkowski

08.05.2021. "Goworit Moskwa" - Moskau spricht - singt die russische Elektropopgruppe Shortparis, da hört auch die FAZ zu. Die SZ liest sich durch neue digitale Lyrik. Der Standard blickt mit Valentyn Vasyanovychs Film "Atlantis" aus dem Jahr 2025 zurück auf die Ukraine, jetzt ein surreales Trümmerfeld. Die taz vermisst Corona im Film. Hyperallergic staunt über die Wandlungen der Malerin Deborah Remington. Die FR erklärt, was in den Siebzigern Beuys und Habermas mit jungen Köpfen anstellten.

Spielzeug eines verrückten Gottes?

07.05.2021. Die New York Times schlendert über die Kunstmesse Frieze und stellt sich vor, sie wäre nicht der Kopf einer Kuh. Während die staatlichen Bühnen ihren Mikroaggressionen nachspüren, gehen die privaten Theater pleite, meldet die SZ. 54books fragt, warum es in Kinderbüchern fast nie arme Kinder gibt. FAZ Quarterly stellt modernes Design aus China vor. Die Welt schreibt zum Tod von Nick Kamen, dessen Schönheit in den Achtzigern eine aufregende, wüste, exzessive Zukunft versprach.

In Facettenhäppchen

06.05.2021. In der Debatte über Rassismusvorwürfe an deutschen Theatern hört Bernd Stegemann (Zeit) nur noch moralische Empörung, keine Argumente mehr. Auch die nachtkritik fragt sich, ob es nun um Inhalte geht, oder nur die nächste Generation schreiender Rechthaber*innen ans Ruder will. Im Van Magazin erzählt die kroatische Komponistin Sara Glojnarić, wie sie ihre eigene internalisierte Misogynie überwinden musste. Die Welt führt durch die Verfilmungen des Lebens von Sophie Scholl, die vor hundert Jahren geboren wurde.

Werfe ich ihn raus?

05.05.2021. In der FAZ sprechen fünf Opern-IntendantInnen über Geniekult und Machtmissbrauch an den Bühnen. Außerdem besucht die FAZ die deutsch-russische Romantik-Schau in Moskau und erkennt ein "Ringen um Freiheit". Die NZZ ahnt, dass bei der Sanierung des Zürcher Schauspielhauses nicht Geld und Technik entscheidend sein werden, sondern die Vision. Der Tagesspiegel blickt auf die heikle Lage der Comiczeichner in Brasilien. Vor der Eröffnung des Dokfest München denkt die SZ über die Ästhetik der Gattung nach. Außerdem lernt sie: Gangsta-Rap macht frauenfeindlich und antisemitisch, aber nicht rassistisch.

Hart für den Verstand

04.05.2021. Der Observer feiert Überschwang und Lebensfreude in Jean Dubuffets Art Brut. Der DlfKultur berichtet von den Schikanen gegen kritische KünstlerInnen in Russland. Ohne Arbeit bleibt die Kunst ungefährlich, erkennt die SZ bei den Ruhrfestspielen. Dem CrimeMag bleibt Lee Daniels' Biopic über die große Billie Holiday zu lau. Als Soziologe des Gangstarap erklärt Martin Seeliger in der taz, was Haftbefehl zu irre geilem Punk macht. Und das ZeitMagazin lernt von Alexander McQueen: Leder ist die neue Seide.

Originell wie ein Paganini-Capriccio

03.05.2021. Die Nachtkritik studiert mit Yukio Mishima bei den Ruhrfestspielen die Verhaltenslehre der Kälte. Der Tagesspiegel möchte der Skandalreihe der Berliner Bühnen auch etwas Positives abgewinnen. Die FAZ lernt im Musée du Luxembourg, wie  französische Malerinnen die männliche Bastion der Pariser Akademie einnahmen. Auf Revolver huldigt der Filmhistoriker Christoph Draxtra der technischen Imperfektion. Standard und Jungle World reagieren mit verhaltener Begeisterung auf das neue Album von Ja, Panik.