Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juli 2020

Großer Blickverwischer

31.07.2020. Mehr künstlerische Freiheit statt Diversity-Checklisten bei der Filmförderung fordert der FilmDienst. Der Tagesspiegel stellt ein neues Geschäftsmodell vor: Journalisten und Filmbranche machen Wirtschaftskrimis. Die SZ fühlt sich ganz unbeschwert mit den Songs von Provinz. In der FAZ schildert der Schriftsteller Elias Khoury die verzweifelte Lage im Libanon. Der Standard untersucht aus aktuellem Anlass die ureigene Theater-Epik Peter Handkes.

Gespür für Zwischen- und Übergangszeiten

30.07.2020. Monopol linst mit dem Fotografen Jeff Mermelstein auf die SMS-Nachrichten fremder Handys. Die SZ wärmt sich mit Sam Wassons Roman "The Big Goodbye" am Gruppengeist der Macher von "Chinatown". Wenn die Berliner Clubs sterben, sterben auch Schutzräume für die Außenseiter, fürchtet die Zeit. Warum plötzlich dieses Interesse für orthodoxe Juden im Film, fragt die NZZ.

Um den Fischladen des Vaters zu dekorieren

29.07.2020. In der NZZ huldigt Michael Krüger dem italienischen Romancier Guido Morselli, in dessen Roman "Dissipatio humani generis oder Die Einsamkeit" das Leben aus der Stadt verschwand. Die FAZ blickt auf die hundertjährige Geschichte der Salzburger Festspiele. Ein bisschen Auftrieb für den Sommer holt sich die SZ von Judd Apatows Filmkomödie "The King of Staten Island". Und der Guardian gruselt sich in Ai Weiweis Bombenschau im Imperial War Museum.

So herrlich gehechelt

28.07.2020. Die NZZ erklärt, warum amerikanische Museen so schnell ihre Kurator entlassen. Die FAZ erlebt mit Amel Alzakouts poetischem Requiem "Das Purpurmeer" die Wucht eines Schiffbruchs. Von Bertolt Brecht lernt sie in der Münchner Ausstellung "Radio-Aktivität", die bourgeoise Selbstgenügsamkeit des Medienkonsums zu verachten. Auf Cargo feiert Dominik Graf eine Derrick-Folge des tschechischen Autorenfilmers Zbynek Brynych. NZZ und SZ trauern um Kansai Yamamoto, der Textil-Ikonen des Glam-Rock.

Wiese links oder Wiese rechts

27.07.2020. Die NYRB staunt, wie geschmeidig sich New Yorks glitzernde Kunstwelt den kommunistischen Muralismo  einverleibt. Die Welt trotzt in Bayreuth Corona-Ängsten mit Wagner-Wahn. In der Berliner Zeitung erzählt Clemens Meyer, wie das Massaker von Novi Sad Eingang in seinen neuen Romans fand. Die Zeit beklagt unsere verzerrte Wahrnehmung nahöstlicher Musik. Außerdem verabschieden die Feuilletons verabschieden Olivia de Havilland, die sich in Hollywood das Recht erkämpft hatte, nicht nur naive Mädchen spielen zu müssen.

Sonne, Zitrusfrüchte und Vergnügen

25.07.2020. Die FAZ probiert den nussbaumfarbenen Maßanzug des neuen Berliner Flughafens an und findet: sitzt perfekt. Mit Dario Calmese durfte der erste schwarze Fotograf nach über hundert Jahren das Vanity-Fair-Cover schießen, verkündet die taz und blickt auf den Rassismus in der Modeindustrie. Die Musikkritiker lauschen dem Schweigen dicker Käuze, wenn Taylor Swift mit Bon Iver im Wald singt. In der FR beklagt Thomas Oberender den "kolonialen Gestus" der Wessis im Osten. In der Welt erzählt Lauren Groff, wie schlecht Corona dem hedonistischen Florida bekommt.

Welch zarter Überdruss

24.07.2020. Die Berliner Zeitung schwelgt im langen Y der jetzt auch singenden Schauspielerin Sandra Hüller. Wir verlernen unsere Material-Intelligenz, bedauert die NZZ. Die Zeit empfiehlt Uisenma Borchus Film "Schwarze Milch" über die mongolischen Schwestern Ossi und Wessi. In der SZ verteidigt Staatssekretärin Petra Olschowski Sandra Richter vom Literaturarchiv Marbach gegen ihre Kritiker.

Der Schmerz des Kollektivs

23.07.2020. Selbst die Haute Couture zeigt ihre Schauen jetzt digital, berichtet die NZZ und schwelgt in Stoffen. Die SZ bewundert Nick Caves Gucci-Hosen. 54books sucht die Zärtlichkeit in der europäischen Kulturgeschichte. Gary Garrels, langjähriger Kurator des SFMOMA, muss seinen Posten räumen, ebenso Martin Parr als Kurator des Bristol Photo Festivals - beide erwiesen sich im Rassismusdiskurs als nicht ganz sattelfest.

Das furchtbare Köln Concert

22.07.2020. Die FAZ feiert den Maler K.H. Hödicke, der seine Farbe so frei und gezielt lancierte wie ein Bogenschütze seine Pfeile. Völlig betört geht sie auch vor dem Gambisten Vittorio Ghielmi in die Knie. Die Zeit lässt sich von der Jazzmusikerin Johanna Summer ins Glücksdelirium versetzen. Die SZ vermutet hinter dem Streit in Marbach eine Auseinandersetzung um die Digitalisierung.  Und die Welt klagt über die Moderne, die jetzt auch noch den Denkmalschutz für sich beansprucht.

Ein Marsch voller Grazie

21.07.2020. Der Freitag fliegt mit Patricio Guzmán über die Kordillerien und blickt dabei in die tiefen Schluchten der chilenischen Geschichte. Die taz streift im Kunstmuseum Basel durch die Geschichte der Alltagsfotografie. Die NZZ verteidigt Milan Kundera gegen den Dogmatismus seines Biografen Jan Novak. Und die FAZ lässt bei Paavo Järvis Musikfestival im estnischen Pärnu die Maske fallen.

Das Energiefeld des Mediums Witz

20.07.2020. In der taz erzählt die Künstlerin Ayşe Erkmen, wie sie im abgeschotteten Istanbul der siebziger Jahre aus sich selbst zu schöpfen lernte. Die SZ schreitet mit Giacometti zurück zur schlichten Schönheit altägyptischer Skulpturen. Außerdem feiert sie die historische Konstellation des Jahres 2020, in dem alle wichtigen Literaturpreise an gestandene Autorinnen gingen. Die FR fragt, wie Lustgewinn und intellektuelle Akrobatik gefahrlos zusammen gehen können. Und die NZZ porträtiert die Komponistin, Geigerin und Bildhauerin Cécile Marti.

Probebohrungen

18.07.2020. Im Interview mit lens culture überlegt die polnische Künstlerin Karolina Wojtas, wie man am besten seinen kleinen Bruder umbringt. Hyperallergic stellt den Künstler Leo Amino vor. Wenn Otto in einem Film das Wort "Neger" benutzt, dann sollte man sich auf eine diskursive Praxis der Dialektik der Aufklärung gefasst machen, warnt die FAZ. So gesehen müsste die Übersetzung von Joshua Cohens Roman "Witz" ein Albtraum sein. Denn darin geht es um den größten Zivilisationsbruch der Moderne, erzählt Übersetzer Ulrich Blumenbach in der NZZ.

Skepsis ist die Eleganz der Angst

17.07.2020. Die taz führt durch die Welt des tansanischen Bongo Flava. Die Zeit fragt: ist Burhan Qurbanis "Berlin Alexanderplatz" ein Akt der kulturellen Aneignung? Die FAZ erlebt Umbruchsstimmung in der Kunsthalle Mannheim. Vor dem geplanten neuen Campus der Bundesbank ist sie allerdings ratlos: so viel Retro für die Zukunft? Die SZ betrachtet die Löcher in schwarzen amerikanischen Familien, die der Künstler Darrel Ellis zeigt.

Sogar das Bildformat ist g'spürig

16.07.2020. Die FAZ bewundert in Paris die strahlend-farbigen Abstraktionen von Otto Freundlich. Außerdem zeigen die Modedesigner in Paris Männermode für den nächsten Sommer, die von Architektur, Keramik, Korbflechterei und Shibori-Techniken beeinflusst ist, berichten das Blog Disneyrollergirl und die Vogue. Die Filmkritiker gratulieren Trey Edward Shult zu seinem Drama "Waves". Im Van Magazin erklärt Musikprofessorin Kirsten Reese, warum so wenige Frauen in den Musikhochschulen reüssieren - trotz Gleichstellungsbeauftragter. Die FAZ liefert Hintergründe zur schlechten Stimmung im Literaturarchiv Marbach.

Im Bett liest er "Monsieur Bovary"

15.07.2020. Die taz feiert die verfluchten Soundwunder der Clubkultur, die weiterleben muss. Die SZ fragt anlässlich von Burhan Qurbanis Döblin-Verfilmung "Berlin Alexanderplatz", ob ein schwarzer Flüchtling nicht genug Gepäck mit sich trägt, als dass man ihm auch noch eine deutsche Moralerzählung überstülpen muss. Die FAZ bestaunt die neue Deichmann-Bibliothek in Oslo.

Von den Rändern her

14.07.2020. Die FAZ will nicht mehr in die Hagia Sophia, wenn sie die Innenräume nur noch vom Rand betrachten darf. In der Welt fordert Hans Kollhoff: "Diese City-Tree-Monster müssen weg!" von seinem Walter-Benjamin-Platz. Die SZ entschleunigt mit Vaporwave. Auf Tell stärkt sich Sieglinde Geisel an den Selbstreinigungskräften eines guten Verrisses. In der taz erklären Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar vom Hybrid Space Lab, warum man historisch problematische Denkmäler nicht abreißen sollte.

Distanz ermöglicht Deutlichkeit

13.07.2020. Melancholisch, poetisch, versöhnlich - so erleben die Theaterkritiker den Abschied Matthias Lilienthals von München, der dafür ins Olympiastadion lud. In der NZZ wirft Ines Geipel dem Verlag "Das kulturelle Gedächntnis" noch einmal vor, Susanne Kerckhoff, deren "Berliner Briefe" gerade Furore machen, als unpolitisches, gar unbeschriebenes Blatt zu präsentieren. Die FAZ könnte mit dem Fotografen Christian Borchert an der Welt verzweifeln. In der SZ erläutert die Dresdner Kuratorin Kathleen Reinhardt ihre geplante Aktion "1 Million Rosen für Angela Davis".

Rotwein schmeckte ihm besser als Doppelkorn

11.07.2020. Man muss nur auf den Hamburger Bahnhof schauen, um zu erkennen, was in der Preußenstiftung falsch läuft, meint die taz. Im SZ-Gespräch mit Ines Geipel erinnert sich Susanne Kerckhoffs Tochter Dina Haerendel an den Geruch von Angst und Apfelmus in Berliner Bombennächten. Die NZZ blickt auf die Anfänge der Kriegsfotografie. Notre-Dame soll originalgetreu wiederaufgebaut werden, atmet die FR auf. Die Zeit lauscht den Lungen- und Rachenlauten von Elaine Mitchener. Und das Monopol-Magazin fliegt auf DDR-Orientteppichen nach Jerusalem.

Atlantikgrau in Atlantikgrau

10.07.2020. Sorry, wir sind zu spät! Wir hatten ein technisches Problem. Der Standard stellt den südafrikanischen Künstler Robin Rhode vor. Die SZ plaudert mit Matthias Lilienthal über ein wegen Corona abgesagtes Mammutprojekt der Kammerspiele, das Bolanos Roman "2666" mit den Olympischen Spielen von 1972 zusammenbinden wollte. Zeit online singt ein hochverdientes Lob der "alten Damen" Elke Erb und Helga Schubert. Die FAZ sieht das ganze Drama des Weltkriegs-Filmdramas "Greyhound" in dem Gesicht von Tom Hanks.

So zeichenentlastet

09.07.2020. Die NZZ bewundert die von vielerlei kulturellen Einflüssen geprägten Schatten des indonesischen Wayang. Die Welt freut sich an Skulpturen Priska von Martins, die ihr wie ein unwahrscheinlicher Irrläufer der modernen Kunst begegnen. In der FR durchforstet der Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer die Klassiker von Homer bis Kleist nach Rassismus und wird fündig. In der New York Times verabschiedet sich John Zorn von Ennio Morricone, im Van Magazine Helmut Lachenmann.

Aus Dampf geboren

08.07.2020. Elke Erb ist neue Büchner-Preisträgerin. Wurde aber auch Zeit, freuen sich die Kritiker. Jetzt soll sogar Lin-Manuel Mirandas Musical "Hamilton" gecancelt werden, berichten The Nation und die Daily Mail: Weil Hamilton die Sklavenhalterfamilie seiner Frau unterstützte und Miranda das verschweigt. Den deutschen Museen geht's auch in der Krise ganz gut, meldet die SZ. Nur für die armen freien Mitarbeiter bräuchte man etwas mehr Geld. Die taz wünschte sich, Pedro Almodovar hätte Netflix-Parodie "Eurovision Song Contest" verfilmt. In der FAZ sucht Dirigent René Jacobs die wahre Männlichkeit Beethovens.

Gräser vom Schlüpferband

07.07.2020. Die Filmkritiker beschwören den Garten voller Schönheit, den uns der große Komponist Ennio Morricone hinterlassen hat. Wunderbar schmelzenden Italo-Pop konnte er übrigens auch, zeigt uns The Quietus. Der Tagesspiegel lernt, dass Diversity in der Oscar-Academy mit Tücken verbunden ist. Wie's weitergeht mit der Staatlichen Ballettschule in Berlin untersucht die taz, die außerdem eintaucht ins Hippie-New-Age mit einer Hamburger Gruppenausstellung zu den Thesen der Philosophin Donna Haraway.

Auch glaube ich an Wittgenstein

06.07.2020. Die SZ bricht in kosmischer Verbundenheit mit dem Klangkünstler Alva Noto zu einer Odysee durchs Weltall auf. Weiße Kritiker verstehen die Zwischentöne in der Literatur von schwarzen und migrantischen Autoren einfach nicht, glaubt Maryam Aras in 54books.Die weiße taz empfiehlt trotzdem nigerianische Popmusik. Die NZZ begibt sich mit dem georgischen Maler Andro Wekua in ihren Raum der Wünsche. Aktualisiert. Vorerst nur die Meldung: Ennio Morricone ist gestorben.

Zwischen Drogentrip und Superorgasmus

04.07.2020. Die NZZ überprüft anlässlich einer Kunstausstellung über die 1920er unseren Kälte-Habitus. Monopol würde Georg Herolds "Ziegelneger" gern im Städel hängen lassen, aber andere Künstler zum Thema Rassismus dazu stellen. In der taz erklärt Marjane Satrapi, die gerade einen Film über Marie Curie gedreht hat, warum erfolgreiche Frauen nicht nett sind. Krise ist produktiv, ruft Artechock aufmunternd allen Filmkünstlern zu. Die Welt will endlich wieder singen.

Mit Blick durch die Glasdreiecke

03.07.2020. Die SZ besucht die kugelrunde Niemeyer-Sphere in Leipzig. Die Berliner Zeitung erlebt die kosmische Dimension der schwarzen Erfahrung in einem Video für Kanye West. Die FAZ feiert mit dem Jazzmusiker Shabaka Hutchings die Schönheit der Widerstandskraft der Griots. Die NZZ sucht einen Mann mit Krawatte. Artechock wünscht sich mehr Komplexitätstoleranz beim Streaming von Kinofilmen, sonst drohe eine Replikation der Provinz im Internet. Die FAZ erinnert an einen denkwürdigen "Fidelio" im Gulag von Perm.

Mikrokosmos, Makrokosmos und wieder zurück

02.07.2020. Angesichts der Forderung einer Studentin, Georg Herolds Bild "Der Ziegelneger" von 1981 im Städel abzuhängen, stellt die Welt fest: Korrektes Menschsein geht durchaus zusammen mit interpretatorischem Schwachsinn. Die Zeit wagt sich in das Sommerhaus der beinahe unmöglichen Schriftstellerin Monika Maron. Die FR feiert die Grafikdesignerin Anette Lenz. Der Tagesspiegel bewundert die transzendente Qualität von Christian Petzolds "Undine", Kinostoff reinsten Wassers, sekundiert die Zeit. Das Van Magazin weiß nicht so recht wo hingucken, beim kleinen Privatkonzert der Mezzosopranistin Hagar Sharvit.

Kein einziges Konzert, niemals

01.07.2020. FAZ und Tagesspiegel hoffen, dass der Bund den Hamburger Bahnhof kauft, bevor aus ihm eine Shoppingmall wird. ZeitOnline erkennt in Jean Paul Gaultier den Vordenker heutiger Sensibilitäten. Die FR feiert die Gründung des Suhrkamp Verlags vor siebzig Jahren, dem die Bundesrepublik die kritisch-undogmatische Gesellschaftstheorie verdankt. Und die taz lernt mit Rosaceaes neuem Album "Efia" einiges über Exportschlager.