Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2020

Kunstwerk aus eigenem Recht

30.06.2020. Im monopol-magazin wünscht sich Olu Oguibe mehr radikale Denkmäler wie das "Black-Lives-Matter"-Mural, das Muriel Bowser in Washington D.C in Auftrag gegeben hat. In der SZ erklärt der Fotograf Tyler Mitchell die Bedeutung von Kleidung für Schwarze. Die taz verjüngt sich mit Spiritual Jazz des bald 80-jährigen amerikanischen Saxofonisten Gary Bartz. Die FAZ feiert das Hörspiel. Und in der FR feiert Matthias Lilienthal seine Erfolge.

Ein bisschen Glimmer

29.06.2020. Die FAZ drängt sich in München mit Sheela Gowda und indischen Straßenarbeitern in alte Ölfässer. Im Blog Tag und Nacht erinnert sich Marlene Streeruwitz zum Siebzigsten, wie sie einst gegen die Feuilleton-Päpste ums Überleben kämpfte. Die Filmkritiker diskutieren über Film- und Kinoförderung: Artechock fordert, träge Programmkinos zu bestrafen. In der Welt erzählen die Intendantinnen des Theaters am Neumarkt, wie sie das Weiße Haus besetzten. Die FR träumt mit Jan Kehl von autofreien Innenstädten mit kurzen Wegen.

Eine eigene Zone lyrischer Magie

27.06.2020. Kirill Serebrennikow ist in Russland zu drei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden. Der Tagesspiegel erklärt die Unterschiede zwischen sowjetischer und putinscher Zensur. Welche Rolle spielen Hautfarbe und Herkunft in der Popmusik, fragt die FAZ. Monopol begegnet bei Deana Lawson in Basel den KönigInnen der afrikanischen Diaspora. In taz und Standard spricht Christian Petzold über Männerfantasien. Die taz blickt außerdem ins Werk von Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert. Und die SZ tanzt zu Thai-Funk des texanischen Trios Khruangbin.

Liebestollheit und tausend Paradoxien

26.06.2020. FAZ und taz staunen bei den Festivals "Radar Ost" und "Postwest" über Anarchie und Kritik am Westen im osteuropäischen Theater. Das deutsche Theater hingegen hat ein Klassismus-Problem, konstatiert die nachtkritik. Wenn Rechte und Linke den Pop kapern, was bleibt dann noch übrig für progressiven Pop, seufzt die taz. Schon mal K-Pop gehört?, fragt die SZ zurück. Im Guardian ärgern sich die schwarzen Architekten Elsie Owusu und Shawne Adams über den Rassismus in der britischen Architekturszene.

Bedauerlich, dass Vögel nicht lesen

25.06.2020. In der Zeit erinnert sich Maxim Biller, wie er und Ex-FAZ-Literaturchef Gustav Seibt einst versuchten, Karl Heinz Bohrers Abneigung gegen Marcel Reich-Ranicki zu ergründen. Die FAZ wühlt in Leipzig in den Mägen von Albatrossen. Siebzig Prozent der britischen Theater fürchten den Bankrott, weiß der Standard. Auch die Berliner Philharmoniker darben - und die freien Musiker sowieso, ergänzt das VAN-Magazin. Der Galerist Johann König und der Architekt Arno Brandlhuber möchten den Mäusebunker zum neuen kulturellen Zentrum Berlins ausbauen, meldet der Tagesspiegel.

Klicken, Zerren, Zirpen

24.06.2020. In der SZ erzählt die Dokumentarfilmerin Yulia Lokshina von den entwürdigenden Arbeitsbedingungen, unter denen osteuropäische Arbeiter beim Fleischfabrikanten Tönnies verschlissen werden. Die FAZ entflieht der Banalität der Welt in der ersten großen Karl-Lagerfeld-Retrospektive im Kunstmuseum Moritzburg. Der Guardian blickt mit dem Architekturhistoriker Mohamed Elshahed auf Kairos vernachlässigtes architektonisches Erbe. Die SZ kriecht mit Sir John Barbirolli in die letzten Winkel der Partitur. Und die Filmkritiker trauern um Batman-Regisseur Joel Schumacher.

Weise und bestechend unschuldig

23.06.2020. Die nachtkritik analysiert den systematischen Rassismus der amerikanischen Theaterwelt, in der schwarze Schauspieler oft nur besetzt werden, damit die Produktion als "divers" gilt. Die SZ blickt derweil in die reiche Filmtradition des amerikanischen Black Cinemas. Die FAZ findet im Tiroler Taxispalais zum Glauben an das Wort mit der Pop-Art-Nonne Corita Kent. Die NZZ schaut mit Vladimir Sorokin in das dystopische Russland des Jahres 2027. Und alle trauern um den großen Jürgen Holtz.

Ein stiller Akt literarischer Güte

22.06.2020. Sehr glücklich sind die LiteraturkritikerInnen mit Bachmann-Preisträgerin Helga Schubert: Für den Tagesspiegel eine der spektakulärsten Gewinnerinnen der Geschichte. Jan Kovaks wenig schmeichelhafte Milan-Kundera-Biografie hat in Tschechien einen geschichtspolitischen Bürgerkrieg ausgelöst, konstatiert die FAZ. Im Welt-Interview lässt sich Woody Allen derweil nicht von der Kritik an seiner Autobiografie aus der Ruhe bringen. Für den Kunsthandel ist Deutschland ein Wettbewerbsnachteil, ärgert sich Johann König ebenfalls in der Welt. Und die FAS staunt über das Plastik-Palmyra von Verena Issel.

Ein ob der Welt frustrierter Katzenfreund

20.06.2020. Die LiteraturkitikerInnen ziehen eine durchwachsene Zwischenbilanz zum Bachmann-Wettbewerb: Die achtzigjährige Helga Schubert gilt als Favoritin, Neu-Juror Philipp Tingler als enfant terrible. Es wird wieder massiv illegale Partys in Berlin geben, glaubt DJ Emerson in der taz mit Bick auf die coronabedingt geschlossenen Clubs. Tagesspiegel und taz erinnern an den vor 25 Jahren von Christo und Jeanne-Claude verhüllten Reichstag, der Berlin die "Kalte-Kriegs-Mentalität" austrieb. In der SZ lüftet Martin Schoeller das Geheimnis der Porträtfotografie.

Nicht ein einziges garstiges Wort

19.06.2020. "Muss jetzt jede Carmen eine Roma sein?", fragt die Welt jene, die eine braun geschminkte Anna Netrebko als Aida für rassistisch halten. Der Freitag fordert eine kommentierte Ausgabe von "Vom Winde verweht" - ohne zu glauben, man könne den Zuschauern damit den Rassismus austreiben. Im Guardian verrät Werner Herzog sein Ehegeheimnis: Englisch sprechen. Das britische Theater hat ein Klassenproblem, konstatiert der Dramatiker James Graham ebenfalls im Guardian. Und die Berliner Zeitung erkennt bei Veronika Kellndorfer die gespenstische Poesie der Neuen Nationalgalerie.

Ein gigantischer bunter Kristall

18.06.2020. In Zeit und VAN-Magazin sprechen die Schriftstellerin Jackie Thomae und die Musiker Brandon Keith Brown und Hyuneum Kim über ihre ganz unterschiedlichen Erfahrungen mit Rassismus in Deutschland. FAZ und taz lesen rauschhaft in Nuri Bilge Ceylans türkischem Dialogepos "The Wild Pear Tree". In der SZ schildert der Musiker Seun Kuti die Klassendistanzierung in Nigeria. Die taz lernt in Chemnitz, wie das DDR-Künstlerkollektiv "Clara Mosch" mit Brotbacken 120 Stasi-Spitzel auf Trab hielt.

Wunderschöner Alptraum und Sinnesreiz-Overkill

17.06.2020. Die Theaterkritiker begeben sich mit Susanne Kennedy auf einen psychedelischen Trip zu einem KI-Orakel und ertrinken im Farbrausch einer tief traurigen Welt. Die SZ hüpft trippelnd durch das Museum von Bob Dylan. taz und Tagesspiegel tanzen mit den Bachmann-DebütantInnen durchs Netz. Die taz blickt in der Wiener Secession mit dem amerikanischen Künstler William E. Smith in die toten Augen unserer krisengebeutelten Gegenwart. Wer Nachhaltigkeit will, muss auf Neubau verzichten, fordert die Welt.

Die Kunst, Dynamik im Stillstand zu erzeugen

16.06.2020. In der SZ erklärt die Architektin Marina Tabassum, dass auch Häuser Licht und Luft zum Atmen brauchen. ZeitOnline beobachtet beim Hildesheimer Prosanova-Festival den Ausbruch aus dem Safe Space. Die FAZ sucht auch noch hundert Jahre nach Gründung von Groß-Berlin das Herz der Stadt. Im DlfKultur spricht Georg Seeßlen über den amerikanischen Polizisten, der im Film schon immer arm und kaputt war. Und die NZZ lernt von Elon Musk, den Weltraum mit Eleganz zu erobern.

Irgendwas geht immer ab

15.06.2020. In der New York Times blickt Bob Dylan auf das zerbrechliche menschliche Wesen. Im Standard beklagt Franzobel das Gefühl des Defizitären, das der Kapitalismus leider auch im Überfluss proudziere. NZZ und Nachtkritik bangen um die britischen Bühnen, deren Geschäftstüchtigkeit ihnen weder gegen Corona noch gegen Sparwut hilft. Die FAS freut sich, dass Franz Erhard Walthers partizipative Kunst endlich gewürdigt wird. Und alle Feuilletons trauern um den März-Verleger und Genussmenschen Jörg Schröder, der Sex und Revolution in die deutsche Buchbranche brachte.

Polemischer Groove

13.06.2020. Domus stellt den mit 29 Jahren verstorbenen chinesischen Fotografen Ren Hang vor, der seine Landsleute mit Aktbildern provozierte. Die SZ erfreut sich an einem nackten Jesus von Max Klinger. Die FAZ steht staunend vor Alfred Hrdlickas "Nackte Frauen tanzen vor Adolf Hitler" von 1975. Die taz stürzt sich mit der ugandisch-britischen Band Nihiloxica in ein kataklystisches Inferno. Die Welt erklärt, warum Verlegen viel mit Zocken zu tun hat. Der Tagesspiegel sitzt auf der Stuhlkante vor Spike Lees Film "Da 5 Bloods" über schwarze, weiße und vietnamesische Veteranen des Vietnamkriegs.

Siebzehn Rote Mädchen

12.06.2020. Die FAZ entdeckt die Bildhauerin Priska von Martin. In der taz rühmt Martina Weith, Frontfrau der Punkband Östro 430, die Eier belgischer Lesben. Dlf Kultur fragt, warum Soundcloud wartet, bis sich Nutzer beschweren, bevor es volksverhetzenden Rechtsrock löscht. Die NZZ denkt darüber nach, wie man die Fabrik in die Stadt holen könnte.

Sinn ohne Abgeschlossenheit

11.06.2020. Zeit-Cluster in Farbe habe sie für den Hamburger Bahnhof gemalt, erklärt Katharina Grosse in Monopol. Tell-Review vertieft sich in die Bücher von Clarice Lispector. Die taz erinnert an den Blues- und Rockmusiker Rory Gallagher. Der Streaminganbieter HBO Max will "Vom Winde verweht" aus seinem Angebot nehmen, um den historischen Zusammenhang erklären zu lassen, berichtet die FAZ. Die Welt wittert schon Zensur.

Schrapnelle aus der Echokammer

10.06.2020. Die Zeit erklimmt im Hamburger Bahnhof die Farblandschaften Katharina Grosses. ZeitOnline schöpft Hoffnung, dass eine neue Schönheit in der Mode den Imperativ ironischer Hässlichkeit ablösen könnte. Die SZ fürchtet, dass die moderne Kunst Tempo und Wachheit auch dem Messezirkus verdankt. Die FAZ diskutiert einen neuen Vorschlag für die Frankfurter Bühnen. In der Republik.ch erinnert sich Melinda Nadj Abonji an die Zeit, als die Schweiz die "Überfremdunginitiative" diskutierte, aber ihren Vater Rinderhäute salzen ließ.

Die Bombenlegernatur der Kunst

09.06.2020. Die Nachtkritik fragt, warum die Kultur eigentlich nur noch als Pflegefall in Erscheinung tritt und nicht als Akteur.  Und warum will sie eigentlich systemrelevant sein, fragt die SZ gleich hinterher. In der Berliner Zeitung fordert Ines Geipel etwas mehr historische Expertise vom Literarischen Quartett. In Monopol sprich der Maler Daniel Richter von den Ochsen und Schwalben im Kunstbetrieb. Die taz bedauert den Abzug der Fashion Week von Berlin nach Frankfurt. Berlin und Mode, das passt eh nicht, meint dagegen ZeitOnline.  

3x Montrachet à runt 3.000 Euro

08.06.2020. Die FAS errechnet die Vermögensvorteile, die einem Kunstsammler aus seiner Contemporary Art Ltd. mit Sitz auf Guernsey erwachsen.  Die NZZ fragt sich, ob Wien ein zweites Museum der Moderne überhaupt gebraucht hat. Die FAZ feiert Indiens empathische Literatur. Der Tagesspiegel verzeichnet viel traurige Verwirrung auf dem neuen Album von Haftbefehl. Und die Welt bechert mit Lois Hechenblaikner in Ischgl.

Das süße Versprechen auf egalitäre Nähe

06.06.2020. "Ein Drittel der amerikanischen Soldaten, die in Vietnam dienten, war schwarz", erinnert Spike Lee im noch vor dem Tod von George Floyd geführten SZ-Gespräch über seinen neuen Film "Da 5 Bloods". In der Welt warnt Vanessa Springora, die mit 14 Jahren ein Verhältnis mit Gabriel Matzneff hatte, davor, den französischen Schriftsteller aus der Literaturgeschichte zu streichen. Die Berliner Zeitung fordert eine Grundsatzdebatte über Berliner Kulturpolitik, Sammler- und Sponsoreninteressen. Und die SZ lernt bei Rudolf Buchbinders Beethoven-Konzert in Bochum leere Konzertsäle schätzen.

Pandemisches Trostpflaster

05.06.2020. Das Kino ist in der Krise, allen voran die Mega-Multiplexe, schreibt Artechock. Soll man diese gerade mal hundert Jahre alte Kunstform jetzt schon musealisieren, fragt bang Lars Henrik Gass, Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage, im Filmdienst. Wer in diesen Zeiten Trost sucht, dem empfiehlt monopol eine Reise zu den Glückskeksen von Félix González-Torres in den Opelvillen in Rüsselsheim. Sehr viel bittereren Trost findet die Filmemacherin Waad al-Kateab: In Syrien hat Corona dem Töten eine Weile Einhalt geboten, erzählt sie in der NZZ. Die Welt blättert durch einen zentnerschweren Band des Architekturhistoriker Richard Nemec zu Nazibauten.

Die Apathie eines weißen Publikums

04.06.2020. Eike Schmidt, Leiter der Uffizien in Florenz, schlägt vor, religiöse Kunst aus den Museen zurück in die Kirchen zu bringen, berichtet Hyperallergic. In der Zeit macht sich Filmemacher Edgar Reitz angesichts von Netflix und Co. große Sorgen ums Kino. Die taz ärgert sich über Party-Exzesse in Berlin. Die SZ bewundert Jacqueline du Pré und ihr Cello in einer Hommage des Londoner Royal Ballet an die Cellistin. Die FAZ lässt sich von Architekt Christopher Roth Weltumbaumodelle aus der Zukunft erklären.

Wer hat euch geschickt?

03.06.2020. In der FAZ schreibt Colson Whitehead eine amerikanische Fantasyserie, in der schwarze Frustration zu  Bildungs- und Polizeireform führt. Die SZ hört ungefilterten Zorn aus dem neuen Album von Irreversible Entanglements. Der Merkur bewundert die kraftsparende Athletik in Igor Levits Klavierspiel. In der FR  beharrt Kulturdezernentin Ina Hartwig auf einem Neubau der Frankfurter Bühnen. Und Monopol weiß: Livestreams sind die neuen Podcasts.

Anweisung des Lebens

02.06.2020. Die Feuilletons trauern um Christo, den großen Ver- und Enthüller, Landschaftsbemaler und formstrengen Konzeptkünstler. In der FAZ bewundert Karl Heinz Bohrer zum hundertsten Geburtstag von Marcel Reich-Ranicki dessen Courage, sich Feinde zu machen. Der Freitag erinnert daran, wie Fassbinder mit Brigitte Mira Camp in Reinkultur schuf. Und die taz erlebt im Historischen Museum Frankfurt, wie die moderne Großstadtfrau beweglich wurde.