Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2020

Eine aufrichtige und absolute Offenbarung

30.11.2020. Coop Himmelb(l)au will Wladimir Putin einen Kulturtempel auf der Krim errrichten. Könnte gut sein, dass das Architekturbüro damit nicht nur gegen den Anstand, sondern auch gegen die internationalen Sanktionen verstößt, meint die SZ. In der FAS verteidigt Michel Houellebecq das Recht auf religiösen Angriff und Absturz. Im Münchner Schlachthofviertel besichtigt die taz schon mal die Fundamente des neuen Volkstheaters. Und von artechock bis ZeitOnline sind alle begeistert von Dominik Grafs Jubiläumstatort "In der Familie".

Flamboyanz, Fluidität, ausgelassenes Nerdtum

28.11.2020. Die taz erklärt, weshalb Linke, Feministinnen und konservative Moslems gegen Berkun Oyas Netflix-Serie "Bir Başkadır" über den Alltag in Istanbul Sturm laufen. Im Interview mit artnews erzählt die polnische Malerin Ewa Juskiewicz, weshalb sie die Gesichter ihrer porträtierten Frauen mit Insekten und Pilzen bedeckt. Mit einem Geldsegen von 74 Millionen Euro will sich das Literaturarchiv in Marbach als Literaturdatenzentrum aufstellen, meldet die Welt. Und die SZ betet Harry Styles in fluffigem Volant auf dem Cover der US-Vogue an.  

Leider nur sehr eingeschränkt erreichbar

27.11.2020. Der Tagesspiegel fragt, warum das Spandauer Rathaus in Berlin nicht tätig wird, während ein Privathaus von Scharoun verschandelt wird. Die Schriftstellerin Katja Lange-Müller setzt ihren Schnutendeckel ab und liest auf einer Parkbank, erfahren wir aus der SZ. Die taz schwelgt in Liebes- und Todessehnsucht mit der Musicbanda Franui. Die FAZ stellt die Künstlerin Therese aus dem Winckel vor, die selbst glaubte, dass Frauen besser nicht genial sein sollten.

Ganz allein im stillen Theater

26.11.2020. Ist sie nun von Leonardo oder von Cockle Lucas? Die Welt empfiehlt eine Arte-Doku zur umstrittenen Flora-Büste des Bode Museums. Die SZ betrachtet die tödliche Querflöte mit ganz neuen Augen. In der taz erklärt Miranda July den Vorteil kleiner Budgets im Filmgeschäft, und eine Reihe von Filmregisseurinnen erklärt, warum Artes "Unbeschreiblich weiblich"-Wettbewerb keineswegs feministisch ist. Die nmz erinnert an den Komponisten Iwan Wyschnegradsky. Zeit online und Tagesspiegel feiern die messerscharfen Raps auf dem Debütalbum von Megan Thee Stallion.

Dazu die erotische Aufladung der Aktion

25.11.2020. Zum Internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen fordert die Fotografin Donna Ferrato eine bessere Ausbildung für Polizisten. FR und NZZ erinnern an den japanischen Schriftsteller Yukio Misihima, der sich in einem reaktionären Todesrausch vor fünfzig Jahren das Leben nahm. Ron Howards "Hillbilly Elegy" entlockt dem Tagesspiegel nicht mal ein wohliges Gruseln.  Die FAZ bemerkt mit Entsetzen, wie aufregend die maßgeschneiderten Playlists von Spotify sind. Und die NZZ stellt fest: Die großen Volumen in der Alpen-Architektur sind passé.

Die Arbeiterklasse unter den Poeten

24.11.2020. Die SZ huldigt der vor sechzig Jahren gegründeten Oulipo-Bewegung, ganz ohne E. Die taz versinkt mit Sebastian Hartmanns "Zauberberg"-Inszenierung in einem fantastisch verstörenden Traumgestöber. Die FAZ fragt nach der Herkunft der Krefelder Mondrian-Gemälde. Die taz erlebt auch in der Kleinen Galerie in Eberswalde wie sich Walter Womackas Agit-Prop in Hans Tichas Agit-Pop verwandelte. Der Standard erzählt vom rasanten Aufstieg des Malers Amoako Boafo, der es von der Wiener Kunstakademie direkt ins Guggenheim schaffte. Und ZeitOnline lernt den sanften Hauch der westafrikanischen Musikerin Amaarae zu fürchten.

Duktus aus Verklärung und Verzicht

23.11.2020. Die Feuilletons erinnern an Paul Celan, der vor hundert Jahren geboren wurde und dessen Czernowitzer Sprachklang auch von deutschen Märschen nicht übertönt werden konnte. Die FR lernt im Architekturmuseum München, was Künstliche Intelligenz am Bau leisten kann. In der Jungle World fordert Lars Henrik Gass Kinematheken für die Großstädte. Die SZ kann das Gejammer der Theaterintendanten nicht mehr hören. Der Tagesspiegel kann die Verödung des Großstadtlebens nicht mehr ertragen. Die FAZ zählt die Opfer, die der Kampf der Moskauer Bühnen gegen Corona fordert.

Sowohl feministisch, als auch glutenfrei

21.11.2020. In der FAZ erklärt die Musikwissenschaftlerin Eva Rieger, warum die Aufklärung schlecht war für die Frauen im Allgemeinen und Musikerinnen im Besonderen. Die New York Times stellt den Künstler und Filmemacher Sky Hopinka aus der Ho-Chunk-Nation vor. Die NZZ kostet geschmorte Hexe im Kindertheater. Die taz probt afrikanische Tanzschritte mit Isaac Kyere. Warner testet mit "Wonder Woman" die Zukunft der Filmindustrie, die der Tod des Kinos sein könnte, berichtet die SZ. Schönheit wird die Welt retten, ruft in der FAZ Renzo Piano.

Ist Bamberg der apokalyptische Vorreiter?

20.11.2020. Die Welt betrachtet spöttisch die orientalisierenden Gutmenschen in "Rembrandts Orient". Die nachtkritik erklärt am Beispiel Bambergs, was den Theatern nach der Pandemie droht, wenn die Kassen der Kommunen leer sind. Artechock guckt zähneknirschend Filme des Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg im Netz. Die taz begutachtet die Praktiken der Musikplattform Bandcamp.

Schwafelnd, schwankend und stolpernd

19.11.2020. Wie wollen wir künftig wohnen? Eine Frage, die die FAZ gern auf einer internationalen Bauausstellung diskutiert sähe. Die NZZ blickt melancholisch auf Kunstsammlung Emil Bührles, die ohne Waffenverkäufe nicht zustande gekommen wäre. Die taz erinnert an die Modefotografin Louise Dahl-Wolfe. Das Van Magazin untersucht die dubiosen Geschäftspraktiken des amerikanischen Musiklabels Orpheus Classical. Dlf Kultur fragt, warum das Monopol Magazin Black Lives Matter an die Spitze der Top 100 der wichtigsten Akteure der Kunstwelt gesetzt hat. Und nicht Donald Trump.

Pracht, Herrlichkeit und Verblendung

18.11.2020. Hyperallergic bewundert die verstörende Sinnlichkeit der brasilianischen Künstlerin Lucia Nogueira. Die FAZ möchte auch den Beethoven verehren, der politisch auf der falschen Seite stand. Auf ein geteiltes Echo stößt Andres Veiel mit seinem Klima-Prozess "Ökozid". Und in der NZZ verrät David Wagner, warum Berlins Straßen so breit angelegt sind.

Das Material ist die Message

17.11.2020. In der NZZ protestiert der Architekturhistoriker Bernd Nicolai gegen Pläne des Pharmakonzerns Hoffmann-Laroche, in Basel die Ikonen der Schweizer Industriemoderne zu schleifen. Der Guardian erklärt, warum heutige Bauten immer hässlicher werden. Die taz feiert die Arbeit der Kommunalen Galerien in Berlin und besonders die deutsch-türkische Ausstellung "Shifting Patterns" in der Galerie Nord. In der NZZ überlegt David Grossman, was Menschen zu Soldaten des Bösen macht. Der Standard fragt, wie bieder sex-positiver Rap ist.

Drei Browser-Tabs entfernt

16.11.2020. Auf ZeitOnline gerät Werner Herzog über einen Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren in die Ekstase des Entdeckens. Die FAS blickt mit Monika Marons Literaturagenten in die Verlagsbüchse der Pandora. Die FAZ bewundert die neue Große Moschee von Algier. Die Nachtkritik erkundet im Theater-Game "Golem 24143" das Kieler Ostufer. Die Berliner Zeitung stellt den Modemacher Amesh Wijesekera vor, der die binäre Kleidung ebenso wie den Ethno-Look hinter sich lässt. Und die Jungle World huldigt mit Jessie Wares Disco-Album dem eleganten Glitzer.

Bodenhaftung, Glamour und Grandezza

14.11.2020. In der Welt bekräftigt Monika Maron noch einmal, mit Neurechten nichts am Hut zu haben. Die Filmkritiker liegen Sophia Loren zu Füßen, die in dem Netflix-Drama "Du hast das Leben vor Dir" ihr Comeback in einer Rolle als ehemalige Prostituierte feiert. Die NZZ verbindet sich mit Michel Comte an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei mit den Kräften des Universums. Die FAZ hofft durch das geplante Edo Museum of West African Art in Benin-Stadt auf einen Wendepunkt in der Restitutionsdebatte. Und in der taz ärgert sich Lisa Eckhart über Reinheitsgebote von Links und Rechts.

Oh Halme ihr Halme

13.11.2020. Die Berliner Zeitung vermisst bei einer Diskussionsveranstaltung über postpandemisches Theater bei den Analogrevoluzzern um Gorki-Intendantin Shermin Langhoff die Neugierde auf das digitale Neue. Die SZ erforscht den Aerosolflug beim Spiel der Berliner Philharmoniker. Le Monde Diplomatique staunt über den Erfolg tugendhafter türkischer Telenovelas in Lateinamerika.

Kurzer Triumph der Form

12.11.2020. Die Welt blickt auf die leeren Straßen Berlins - erst bei Michael Schmidt, dann vor der eigenen Tür. Die FAZ erlebt Augenblicke der höchsten Sichtbarkeit in einer Berliner Ausstellung zum Thema Tod. Das Van Magazin fordert einen New Deal für die Musik- und Kulturszene, die dafür ihren Elfenbeinturm verlassen soll. Der Tagesspiegel blättert durch einen Fotoband zum Ende der Weimarer Porzellanmanufaktur und verliebt sich in die Vase "Tini".

Mit der Axt zensiert

11.11.2020. Die NZZ klickt sich berührt durch die Online-Ausstellung "Hold Still" der National Portrait Gallery, die Britannien beim Brotbacken und Haareschneiden zeigt. Die SZ möchte die Kunst trotzdem lieber wieder im Museum sehen. Die taz erkennt beim Berliner Jazzfest, dass die Avantgarde nicht populärer wird, wenn sie in den hippen Wedding zieht. Die FAZ quittiert mit Begeisterung, dass die Hardrock-Fabrik AC/DC weiter auf Hochtouren läuft. Und Hyperallergic fragt: Warum ist Mary Wollstonecraft nackt?

Das positivste Gefühl der Jetztzeit

10.11.2020. In der FAZ erklärt die Gestalterin Christa Petroff-Bohne die besondere Nachhaltigkeit des DDR-Designs. Die Bilder des mit dem Leica Award aufgezeichneten Fotografen Luca Locatelli lobt sie dagegen etwas säuerlich als opportun und dekorativ. Ausgiebig kommentiert wird von taz bis SZ, dass Monika Maron ab jetzt bei Hoffmann und Campe veröffentlicht. Und der Guardian hört dank OpenAI nagenneue Stücke von Frank Sinatra und Freddie Mercury.

Stark in der Einsamkeit der Position

09.11.2020. Der Standard ruft die dämonische Heiterkeit der Lyrikerin Tamar Radzyner in Erinnerung. Die Welt lernt die Sinnstiftung von Pierre Soulages zu schätzen. In der taz spricht Regisseur Leo Khasin über antisemitische Mobber in der Schule und seinen Film "Das Unwort". Die SZ verkraftet mit der FC Bayern World auch die Rückkehr des Ornaments in die moderne Stadt. Die FAZ verabschiedet den Filmemacher Fernando Solanas, der das Kino zur revolutionären Praxis machte und nun dem Coronavirus erlag. Der Freitag tröstet sich mit Lilith Stangenbergs Album "Orphea".

Gigantische Entdifferenzierungsmaschinen

07.11.2020. Die NZZ blickt romantisch in die Wolken - auf Augenhöhe mit Gott. Die SZ fragt, ob eigentlich jemand mal die sexistischen Texte des gefeierten nigerianischen Musikers Burna Boy gelesen hat. Der Standard stellt sich in den harten Regen der Metalcombo Mr. Bungle. Die Theaterkritiker reagieren verhalten positiv auf die Berufung von Iris Laufenberg zur Intendantin des Deutschen Theaters Berlin ab 2023. In der Literarischen Welt propagiert die Entwicklerin Linda Rachel Erni die Vorzüge ihrer KI für die Manuskriptanalyse der Verlage. In der NZZ erklärt die legendäre Modekritikerin Suzy Menkes, warum man bei Modeschauen auch auf die Rückseite achten sollte.

Spaltprodukt des Lebens

06.11.2020. Die taz würdigt die militante Pop- und Punkästhetik, die Heide Stolz schon Mitte der sechziger Jahre vorweg nahm. In der nachtkritik wirft Sarah Waterfeld vom Künstler*innen-Kollektiv Staub zu Glitzer der Kulturszene Systemrelevanz vor. Vielleicht sollten die Theater jetzt mal zurücktreten und ihren elitären Status reflektieren, meint Kampnagel-Leiterin Amelie Deuflhard in Dlf Kultur. Und auch das Van Magazin fürchtet einen Rückzug der Kultur ins elitistische Wolkenkuckucksheim. Zeit online trauert um goldene Kinowochen, die der Pandemie zum Opfer fallen. In der taz erklärt Krimiautor Tom Callaghan, warum die Kirgisen gerade auf die Straße gehen.

Das Unmögliche möglich machen

05.11.2020. Die FR ahnt, warum Museumsmann Udo Kittelmann die Neue Nationalgalerie und Berlin verlässt. Die FAZ würdigt den Einsatz der Oper Graz für das Randrepertoire. Im Dlf Kultur schlägt Thomas Ostermeier vor, die Theater den ganzen Winter über geschlossen zu halten und dann im Sommer durchzuspielen. Die SZ sammelt Stimmen von Autoren zur Wahlnacht in den USA. Die taz sichtet online das Programm des Dok.-Filmfestivals in Leipzig. Die SZ staunt über das gewaltige transatlantische Gratis-Onlinefestival des Jazzfestes Berlin.

Ein eigentliches Fabelwesen

04.11.2020. Noch schlimmer als falsche Nachrichten sind falsche Gefühle, erkennt der Schriftsteller Ernst-Wilhelm Händler, der in der SZ Instagram-Rezensionen durchforstet. Der Guardian bewundert die queere Drastik in den Fotografien Zanele Muholis. Die taz freut sich über die Post-Internet-Ästhetik, die mit der Roma-Baukultur in Dortmund Einzug hält. Die Welt ist dankbar, dass vor fünfzig Jahren nicht die Gare d'Orsay abgerissen wurde. Und die NZZ feiert Tilda Swinton als große Uneindeutige des Gegenwartskino.

Bloß nicht verrückt werden

03.11.2020. In der FAZ erklärt Frank Stella, dass die USA längst nicht so gespalten sind, wie Europa das von Zeit zu Zeit war. Die Welt feiert von solchen Einwürfen unberührt mit Johann Gottfried Schadow die preußische Lässigkeit. In der Berliner Zeitung pochen die beiden geschassten Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin darauf, dass die Vorwürfe gegen sie konkret gemacht werden. Und die taz fragt, ob die angesagten Chunky Boots noch Punk sind oder schon Corona. NZZ und DlfKultur streiten über Systemrelevanz und Selbstgefälligkeit der Kultur.

Lockend leise Höchsttöne

02.11.2020. Die Feuilletons trauern um Sean Connery und bekommen noch einmal weiche Knie vor dieser Stimme, dieser Agenteneleganz und lässigen Männlichkeit  mit proletarischer Note. Auf ZeitOnline berichtet Can Dündar, wie Fernsehserien in der Türkei nationalistische Dschihad-Stimmung verbreiten. Das Kino braucht nicht nur Coronahilfen, sondern eine Zukunftsperspektive, ruft Lars Henrik Gass im DlfKultur. Die SZ lässt sich im Wolkenkuckucksheim von Caroline Wettergreens Koloraturen betören. Und Marlene Streeruwitz würde mal gern im Operettenreperoire aufräumen.