Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2020

Da gehen Energien hin und her

31.03.2020. In der FAZ trauert Olga Tokarczuk um die offenen Grenzen Europas. In der SZ verteidigt Judith Schalansky das Schuppentier. taz, FR und Nachtkritik diskutieren die digitale Revolution, die gerade die Bühnen umwälzt. Zum Achtzigsten bekommt Timm Ulrichs von seinen ehemaligen SchülerInnen eine Klasse in Benin. Die SZ übt, mit afrikanischem Pop Corona wegzutanzen. Und Klagenfurt findet jetzt doch statt.

Gymnastik und Atemübungen

30.03.2020. In Guardian und Spiegel schreibt Francesca Melandri einen Brief aus der italienischen Zukunft. Die Jury des Bachmann-Preises protestiert gegen die Absage des Wettbewerbs. Die taz lernt mit Johannes Itten, den Atem Rembrandts von Giottos Odem zu unterscheiden. Der Tagesspiegel lauscht Wajdi Mouawads Audio-Tagebuch aus dem Pariser Confinement. Die Musikkritiker trauern um den großen polnischen Komponisten und spirituellen Avantgardisten Krzysztof Penderecki.

Trotziger Tanz auf dem Virusvulkan

28.03.2020. Die coronageplagte New York Times lässt sich im leeren Met Museum von der Heiligen Rosalie trösten. Wolfgang Tillmans wirbt am Kunstmuseum Basel für Abstand. Die FAZ denkt mit der Architekturtheoretikerin Beatriz Colomina darüber nach, wie Seuchen auf Dauer das Stadtbild verändern. Hans Ulrich Gumbrecht arbeitet sich für die Literarische Welt durch einen guten Regalmeter von Klassikern der Epidemie- und Seuchenliteratur. Die taz meditiert mit Emily St. John Mandels Roman "Das Licht der letzten Tage" über postapokalytische Narrative. Die FAZ versinkt in Camus' "Pest", der Tagesspiegel im "Zauberberg". Zeit online lauscht Bob Dylans "Murder Most Foul".

Sakralbauten feinsinniger Außerirdischer

27.03.2020. In Berlin soll der Mäusebunker abgerissen werden, Berlins einziger, international berühmter Brutalismusbau, empört sich der Tagesspiegel. Die SZ geht vor dem schwedischen Jazzposaunisten Nils Landgren auf die Knie. Die FAZ gleicht die Corona-Tagebücher im Netz mit Samuel Pepys berühmten Schilderungen der Pest im London des 17. Jahrhunderts ab. Die Kunstkritiker gratulieren Daniel Spoerri zum Neunzigsten und hoffen auf eine schöne Telefonparty.

Es wird wieder neu anfangen, hochfahren

26.03.2020. Die Künste sind jetzt von Existenzsorgen geplagt: Die Buchverlage verschieben Veröffentlichungstermine oder stellen auf E-Book um, Bühnenkünstler und Musiker stehen vor dem Nichts, berichten Zeit und Welt. Und die versprochene unbürokratische Hilfe? Kommt erst nach Durcharbeitung eines 60 Seiten langen Antrags, klagt die SZ. Die NZZ lernt in einer Ausstellung über Holz, wie unglaublich intelligent Pflanzen sind. In der FAZ ärgert sich Michael Wolffsohn über die Netflix-Serie "Unorthodox", die ein ganz falsches Bild vom Judentum zeichne. Die taz guckt Filme im Arsenal, online.

Auch die in Frakturschrift brüllenden Goten

25.03.2020. Große Trauer herrscht in den Feuilletons um Asterix-Zeichner Uderzo: ZeitOnline verabschiedet einen großen Europäer. Libération erinnert daran, dass der Vater des berühmtesten aller Gallier der Sohn italienischer Einwanderer war, der sich in der Pariser Banlieue gegen Linke zu wappnen lernte. SZ und Standard trauern zudem um Afro-Jazz-Pionier Manu Dibango, der kongolesischen Rumba in dampfende Kompositionen wandelte. Die FR fragt sich, warum Disneys neuer Streamingdienst so kleinmütig startet. In der NZZ empfiehlt Graham Swift, jetzt am besten Daniel Defoes "Pest zu London" zu lesen. Und der Tagesspiegel beobachtet in Guadalajara die Wiederbelebung der mexikanischen Moderne.

Sex, Tanzen, Liebe, Politik,

24.03.2020. Die FAZ berichtet aus Mailand vom kulturellen Widerstand der Pinakothek Brera gegen Traurigkeit und Sorgen. Die NZZ fürchtet dennoch den großen kulturellen Aderlass, im Standard fürchtet Albertina-Direktor den Rückfall in provinzielle Zustände. In der taz erzählt Milo Rau, wie er Antigone am Amazonas inszenieren wollte. Der Corriere della Sera trauert um die unvergleichlich elegante Lucia Bosé, die nun auch an Corona gestorben ist. ZeitOnline erinnert anlässlich des Todes des DAF-Musikers Gabi Delgado an die wesentlichen Dinge im Leben.

Treffen mit der eigenen Geschichte

23.03.2020. In der FAZ verabschiedet Antonio Scurati mit den Toten der Lombardei auch Italiens glücklichste Epoche. Hyperallergic betrachtet die großen Pest-Gemälde von Poussin und Gargiulo. Die FAZ lernt von Edward Hopper, dass eben das Licht flanieren muss, wenn die Menschen nicht mehr rauskönnen. Die SZ bewundert, wie Nicole Chevalier in Christoph Waltz' Inszenierung als Heldin ganz ohne heldische Gesten brilliert. Und der Tagesspiegel hört fiesen Corona-Pop.

Sehr konkret einsame Welt

21.03.2020. "Ist die Langsamkeit der Literatur dem Geschehen überhaupt gewachsen?", fragt die Schriftstellerin Kathrin Röggla in der FAZ. Der Filmdienst empfiehlt Filme von Roy Andersson, der längst erkannte: Soziale Distanz ist die conditio humana schlechthin. In der taz fürchtet Annemie Vanackere mit Blick auf die Sars-Epidemie 2003 die Spätfolgen der Krise für das Theater. Die FAZ besucht den Kanzlerfotografen Konrad Rufus Müller, der in seiner Freizeit lieber Kuhaugen und Föten fotografiert. Und die NZZ zieht sich in das Universum von Beethovens Humor zurück.

Schreckliche Götternacht

20.03.2020. Die New York Review of Books schweift durch frühlingsfrohe Künstlergärten. In der Zeit erklärt Karl-Heinz Ott, warum Hölderlin sich so gut von ganz rechts wie ganz links vereinnahmen ließ. Ein gutes hat die Corona-Krise doch: Sie lässt die Populisten ziemlich nackt aussehen, meint der italienische Schriftsteller Paolo Rumiz im Freitag. Die Jungle World amüsiert sich in der Quarantäne mit den jüdischen Nazijägern der Amazon-Serie "Hunters". Zeit online weint still auf die vollkommen sinnfreie neue Morrissey-CD.

Wie leer der Saal wirkt

19.03.2020. Die FAZ erstarrt fast vor der Dichte der Zeichen in einem David-Bowie-Bildband. Die SZ lässt sich von der  Literaturwissenschaftlerin Eva Horn erklären, warum Epidemienfilme gerade Konjunktur bei den Streamingportalen haben. Die NZZ besucht eine hochluxuriöse Künstlerresidenz in Dakar. Die Zeit denkt über die Gründe von Uwe Tellkamps Systemverachtung nach.

Einen Westflügel müsste man haben

18.03.2020. Die SZ jubelt über die Befreiung des Architekten Richard Neutra aus dem "Knast der Coffee-Table-Books". Die FAZ besingt die Ahnherrin aller Webkünstlerinnen. Die taz feiert die feministische Avantgardistin Francesca Woodman. DT-Intendant Ulrich Khon bemerkt demprimiert, wie wenig das Theater auf echte Tragödien vorbereitet sind.  Und auf ZeitOnline beobachtet David Wagner, wie Berlin langsam einschlummert.

Verflucht sei C.

17.03.2020. Die Gerhard-Richter-Retrospektive des New Yorker Met Breuer Museums findet online statt: Die NZZ rühmt Richters Werk als großen Akt der Negation. Die taz fragt, wie die große Hamburger Synagoge aussehen soll: Neubau oder Rekonstruktion? In der Welt verdammt Abel Ferrara den Ausverkauf New Yorks. Außerdem erkennt die Welt mit Albert Camus: Der Mensch, der sich gegen das Nichts auflehnt, ist ein Arzt in Norditalien. Und die SZ weiß Trost: Igor Levits Konzerte.

Ununterbrochen bunte Herzchen

16.03.2020. Abschottung ist gut für die Kreativität, lernt der Tagesspiegel vom Berliner Maler Alexander Iskin. Im Kino war das Virus schon immer tödlich, erinnert Critic.de. Die taz hätte trotz allem gern auf der Buchmesse in diesem Jahr den großen Generationenwechsel erlebt. Die FAZ lotet mit Katie M. Flynn das pandemische Katastrophengeschehen aus. La Repubblica ruft dem Architekten Vittorio Gregotti ein sanftes Addio zu, der nun ebenfalls an Corona gestorben ist. Aber wenigstens gibt es die schönen italienischen Balkongesänge.

Konzentration, kein Lächeln

14.03.2020. Der Tagesspiegel hört die Berliner Philharmoniker mit Bela Bartok im Netz. In der Literarischen Welt erklären die Linguisten Frank Fischer und Boris Orekhov, wie man ein neuronales Netzwerk dazu bringt, wie Hölderlin zu dichten. Die Welt goutiert einige Amuse bouche im Museum Tinguely, scheut aber vor den Augäpfeln Janine Antonis zurück. Die NZZ begutachtet in London die "Forgotten Masters" imperialer Company Art. Außerdem geißelt sie flache Literaturkritik im Fernsehen. Die SZ übergibt die Literaturkritik an Sensitivity Reader.

Nichts an Zeremonie

13.03.2020. Die Theater schließen den Betrieb - die Berliner Philharmoniker spielen vor leerem Saal und dem Internet, für Twitter gibt Igor Levit ein Hauskonzert. In der SZ erinnert sich Filmemacherin Ulrike Ottinger an die Pariser Bohème der Sechziger. Warum so bitter und ernst, und so thesenhaft, fragen die enttäuschten Theaterkritiker nach der Premiere von Marius von Mayenburgs "Die Affen". Warum so lieblos, fragt die FAZ nach der äußerst kurzen und unfeierlichen Vergabe der Leipziger Buchpreise. Die NZZ freut sich, dass die Animationsfilme von Hayao Miyazaki jetzt bei Netflix laufen.

Ein Spiel der Verzerrung

12.03.2020. Update: Der Preis der Leipziger Buchmesse geht in diesem Jahr an Lutz Seiler für seinen Wenderoman "Stern 111".  - Die SZ lernt aus Haifaa Al Mansours Komödie "Die perfekte Kandidatin", dass saudische Frauen unter ihren Schleiern äußerst individuelle Wesen sind. Hyperallergic erzählt von einer Aktion des Kunstkollektivs Colectiva SJF, das in Mexiko Stadt an die Namen ermordeter Frauen erinnerte. Van schildert die katastrophale finanzielle Lage vieler Musiker. Dezeen bewundert die aufblasbaren Latexhosen von Harikrishnan.

Beharrung und forsche Impulse

11.03.2020. Die SZ erlebt mit Isabelle Huppert und einem schwarzen Adler in Tennessee Williams "Glasmenagerie" großes Theaterglück in Paris. Die NZZ blickt mit Neri Oxmann in die ökologische Zukunft aus Seide und Poesie. Die FAZ erkundet das Erfolgsgeheimnis von Helsinkis Stadtbücherei Oodi. Der Tagesspiegel beobachtet, wie die Streamingportale von der Coronakrise profitieren.  Und die FR lauscht intensiv dem verrätselten Jazz des Trios Grünen.

Das Tränenfunkeln von Georgette Dee

10.03.2020. Die SZ erfährt im Düsseldorfer K20, welche Schaffenskraft Picasso zwischen zwei und vier Uhr nachmittags an den Tag legte. Im Standard fragt Elfie Semotan,  wie man junge, schöne Frauen unerotisch fotografieren kann. Die Welt wirft einen Blick in Uwe Tellkamps kommenden Roman, von dem ein Auszug in der rechten Postille Tumult erschien. Und alle trauen um Max von Sydow, der die somnambule Aura ins Kino brachte.

Schön, nicht schön

09.03.2020. Die Welt lernt in Rom, nicht nur den klassischen, sondern auch den wilden Raffael zu bewundern. Die Nachtkritik erkennt mit Kirill Serebrennikows Inszenierung von Boccaccios Pestgeschichten, dass Theater unter Quarantäne nicht funktioniert. In der NZZ trauert Christina Viragh um venedig, weint aber den ausbleibenden Kreuzfahrtriesen keine Träne nach. Die FAZ beobachtet entgeistert, wie sich Uwe Tellkamp gegen die Einheitsfront stemmt. Außerdem trauern die Feuilletons um den Pianisten McCoy Tyner.

Es muss immer ein Abriss sein

07.03.2020. Die Berliner Zeitung lässt sich von Florentina Holzinger in den Sophiensälen Masturbationstipps geben und eine Stange durch den Unterleib bohren. Die SZ lässt sich im Münchner Haus der Kunst lieber von Franz Erhard Walthers Stofffiguren umarmen. Im Tagesspiegel erklärt die feministische Rapperin Sookee, warum sie die Bühne verlässt. In der Literarischen Welt beschwört Leander Steinkopf das Scheitern als Chance. Und die taz schaut sich im Jüdischen Museum in Berlin Israel von außen an.

Meist über Emojis

06.03.2020. Die NZZ feiert mit einem ganzen Dossier das Zarteste des Künstlers Franz Gertsch. Die FAZ gerät ausgerechnet in einer Singer-Sargent-Ausstellung in einen kulturellen Bürgerkrieg. Der Urbanist Winy Maas erklärt in der SZ, warum es okay ist, wenn deutsche Städte langweilig sind. Es gibt ja Eindhoven! Der Filmdienst lernt aus dem filmischen Kriegstagebuch "Für Sama" von Waad al-Kateab die Realität eines jeden Krieges begreifen. Im Freitag beschreibt die Schriftstellerin Marion Messina das neue Prekariat in Frankreich.

Von rosig gesund bis zum Zustand der Verwesung

05.03.2020. Die Filmkritiker bewundern Catherine Deneuve als Schauspielerin Fabienne in Hirokazu Kore-edas Film "La Vérité". Wolfgang Müller von der Tödlichen Doris verabschiedet sich im Tip von Tabea Blumenschein. In 54books.de denkt Berit Glanz über Autofiktion nach. Die SZ bewundert die Männerfantasien des Choreografen Moritz Ostruschnjak. Zeit online zeigt frauenverachtenden Rappern die Grenzen auf. Die New York Times stellt den kenianischen Künstler Michael Soi vor, dessen Serie "China Loves Africa" den Unmut der Chinesen erweckt hat.

Moment alltäglicher Entspannung

04.03.2020. SZ und Guardian feiern den Pritzker-Preis für die beiden irischen Architektinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara, mit dem sich die Frauenquote gleich verdoppelt. Die Welt bangt um die Zukunft französischer Filmzeitschriften. In der taz spricht die junge Autorin Olivia Wenzel über ihre Angst als Schwarze in Deutschland. Heftig umkämpft ist weiterhin der Frauenhass im HipHop. Im Tagesspiegel schreibt Ulrike Ottinger zum Tod ihrer Weggefährtin durch den Berliner Underground, Tabea Blumenschein

Wellen gehen über uns

03.03.2020. Frankreich streitet erbittert über den César für Roman Polanski, darunter auch Virginie Despentes und Samantha Geimer. Die Nachtkritik feiert mit Florentina Holzinger in München die brutale Schönheit weiblicher Körper. Die elegante Gewalttätigkeit der Salome goutieren dagegen FR und FAZ in Frankfurt. Die taz lauscht mit Zorka Wollny in Stettin der Rebellion der Vögel. SZ und Monopol trauern um den großen Kunstrebellen Ulay. Und alle schreiben zum Tod von Ernesto Cardenal, der dem Sandinismus die schönsten Liebesgedichte vermachte.

Von Natur aus ungebärdig

02.03.2020. Die Berlinale ist mit einem Goldenen Bären für Mohammad Rasoulofs iranischen Film "There is No Evil" zu Ende gegangen. Die einzig plausible Entscheidung oder eine politische? Die Kritiker bilanzieren Carlo Chatrians erstes Berliner Festival höchst uneins. In der NY Times bekennt Mary Lovelace ihre Lust, Doktrinen zu sprengen. Nachtkritik und SZ proben mit Yael Ronen am Thalia Theater den Identitäts- und Kontrollverlust der Zukunft. Und die FAZ prüft mit dem Ensemble Modern das Lebensmodell Idealismus.