Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

September 2021

Schwingen des rechten Arms mit Faust

30.09.2021. Hyperallergic besucht im Metropolitan Museum eine Ausstellung über "Die neue Frau hinter der Kamera". Bei Dlf Kultur fragen Weberinnen aus Südmexiko, warum ihre Muster von Firmen wie Zara einfach kopiert werden können. In Van überlegt der Komponist Fabien Lévy, wie Konzerte umweltschonender veranstaltet werden können. Die FAZ taucht ein in gelebte Postkolonialität mit Lisa Bierwirths Spielfilm "Le Prince".

Ein Mann, der nicht mehr mag

29.09.2021. Die taz porträtiert die mexikanische Architektin Tatiana Bilbao, die in einem Haus für 6.000 Euro auch die Schönheit mit einpreist. Die FAZ erlebt, wie New York sich an Terence Blanchards Oper "Fire Shut Up In My Bones" berauscht. Der Tagesspiegel grübelt, was nach R. Kellys  Verurteilung mit seinen Songs auf den Musikportalen geschehen soll. Zum 450 Geburtstag hat die FR Caravaggio alles verziehen. Die Filmkritiker hatten nach dem neuen James-Bond-Film keine Zeit zu schlafen. Und die NZZ ächzt unter der angestrengten Individualität der Turnschuh-Träger.  

Die Welt verändern? Heute nicht das Thema

28.09.2021. Die FR geht mit Domenico Cimarosas "L'Italiana in Londra" in die hohe Schule der Komik. Der Standard lässt es mit Rebecca Horn im Kunstforum Wien krachen. Die taz entdeckt im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe die moderate DDR-Moderne. Die NZZ vermisst im deutschprachigen ein Bewusstsein für die Comicgeschichte. In der SZ denkt der Architekt Manuel Herz darüber nach, wie man an Babyn Jar erinnern kann. Außerdem fragt sich Maxim Biller in der SZ, warum im deutschen Fernsehen Demokratie immer so langweilig klingen muss.

Unwirklichkeit üben

27.09.2021. Die FR lernt von Camille Pissarro im Kunstmuseum Basel, dass Schönheit aus der Freiheit rührt. Die FAZ erlebt mit Rubens Reniers' "Reuiem", wie sich Erinnerung in Bewegung und Poesie verwandelt. Außerdem beugt sie sich über die Klimabilanz klassischer Orchester. Die NZZ beobachtet, wie sich Kinder jugoslawischer Kriegsflüchtlinge literarisch an die Heimat der Eltern annähern.

Rettet Ironie die Würde?

25.09.2021. Die Theaterkritiker lassen sich von Stefan Bachmann in Düsseldorf angenehm überfordert durch Rainald Goetz' "Reich des Todes" führen. Der Tagesspiegel sucht derweil den Schock, wenn Florentina Holzinger an der Voksbühne Imaginationen von Weiblichkeit mit Blut und Kot überschreibt. Steckt hinter Christian Krachts Rücktritt von der Nominierung zum Schweizer Buchpreis tatsächlich Solidarität oder doch Kalkül, fragt der Tagesanzeiger. Der Filmdienst nimmt die beinahe queeren Schurken in Bond-Filmen unter die Lupe. Die SZ macht einen Ausflug in die Welt der Mystik in der neuen Isarphilharmonie. Schön, dass die Rieckhallen gerettet sind, aber wie geht es mit dem Hamburger Bahnhof weiter, fragt Monopol.

Existenz ist ja sowieso grotesk

24.09.2021. Die SZ fühlt im Frankfurter MMK die Wut nach, die die gehörlose Künstlerin Christine Sun Kim packt, wenn sie ihr Honorar mit der Gebärdensprachdolmetscherin teilen soll. Die Rieckhallen bleiben Berlin erhalten, aber wie teuer das wird, weiß man noch nicht, schreibt die Welt. Im SZ-Magazin will Peter Handke auf keinen Fall auf urwüchsige Sprache verzichten. Die nachtkritik stellt in einem Theaterbrief aus Mexiko die mexikanischen Suffragetten vor, die mit Kunst gegen patriarchale Gewalt auf die Straße gehen. Herzog & de Meuron können auch dezent, stellt die FAZ beim Besuch im Duisburger Museum Küppersmühle fest.

Essenz eines Edens ohne Schatten

23.09.2021. "Die exzessive politische Korrektheit hat etwas Totes in sich", schäumt Werner Herzog in der Zeit. Das liberale Freiheitsversprechen wird auch in der Kunst nicht eingelöst, muss der Tagesspiegel im Berliner HKW erkennen. Wenn Barrie Kosky die Stipendiaten der American Academy vor den "Jammer-Berlinern" warnt, freut sich der Tagesspiegel allerdings. Philipp Stölzls Verfilmung von Stefan Zweigs "Schachnovelle" entzweit die Kritiker: Besser als das Buch, jubelt die SZ, "Vorhang zu und keine Fragen offen", unkt die Welt. Früher war mehr Lametta, seufzt Zeit Online mit Blick auf den Klimakrisen-Song, den eine Gruppe ramponierter deutscher Popstars aufgenommen hat.

Kontrollierte Verwilderung

22.09.2021. Die Shortlist des Deutschen Buchpreises ist da und die KritikerInnen schließen zufrieden ihre Wetten ab. In der Welt lässt sich Antje Rávik Strubel aber erstmal verzückt vom Gendersternchen in einen leichten Schwindel versetzen. Der Guardian bewundert die Subversivität islamischer Kunst, etwa wenn Bushra Waqas Khan ein viktorianisches Ballkleid aus pakistanischen Dokumenten schneidert. Die SZ balanciert in  Hamburg mit Ewelina Marciniaks Adaption von Olga Tokarczuks Roman "Die Jakobsbücher" auf der feinen Linie zwischen Fremdheit und Nähe. Und die Zeitungen trauern um die feministische Filmemacherin und "ProQuote Film"-Mitbegründerin Tatjana Turanskyj.

Modernität in formaler Perfektion

21.09.2021. Die FAZ blickt in Warschau zunächst arglos auf einen Haufen Kohlköpfe und erkennt dann Wilhelm Sasnals deutliche Kampfansage an die Beschöniger der polnischen Geschichte. Der Jury der Emmy-Verleihung wird vorgeworfen, sie habe zu viele Weiße ausgezeichnet: Nicht die Jury ist für strukturelle Fehlleistungen verantwortlich, wendet die SZ ein. Die NZZ cruist wehmütig mit einem roten Citroën durchs MoMA. Den Theaterkritikern dröhnt der Kopf, wenn Simon Stone ihnen in einem Tankstellenshop die Debatten der letzten sechs Jahre um die Ohren haut.

Ist da ein Komet im Anflug?

20.09.2021. Die SZ schwärmt von den Stoffen, die in den Wiener Werkstätten geschaffen wurden. Außerdem baut sie jetzt auch in der Solarenenergie wieder auf Beton. Der Standard feiert mit Peter Handke und Frank Castorf in Nordböhmen ein Fest der Widersetzlichkeit. Bei Tidal erklärt Simon Reynolds die Beudeutung von Chic in der Popmusik. Die taz schwört auf die Gelassenheit von Paolo Conte.

Content mit vorinstalliertem Eigenleben

18.09.2021. René Pollesch eröffnet seine erste Spielzeit als Intendant der Volksbühne mit einem eigenen Stück - und die Kritiker sind vor allem: ratlos. Vielleicht reicht es nicht, dass der neue "Nicht-Chef" es allen Beteiligten nur nett miteinander machen will, meint die SZ. Die FAZ staunt in Kassel, wie behutsam, aber auch scharf die Ausstellung "Suizid - Let's talk about it" ein Tabuthema berührt. Die taz resümiert 16 Jahre Literaturbetrieb unter Merkel. Als unbestrittenen Popstar der Stunde würdigen die Musikkritiker Lil Nas X, der als Teenie noch versuchte, seine Homosexualität wegzubeten und schließlich zur schwarzen, queeren Ikone wurde.

Da schimmert förmlich die Luft

17.09.2021. Die NZZ ist glücklich, dass die Berlinische Galerie dem deutschen Publikum Ferdinand Hodlers spärlich bedeckte Leiber zumutet. Die FAZ freut sich indes, dass die Wiener Albertina mit den Mythen rund um Amedeo Modigliani aufräumt. Der taz vergeht dank Anna-Sophie Mahlers Inszenierung der "Mittagsstunde" in Hamburg endgültig die Lust aufs Landleben. Die SZ spürt ein Gefühl von Freiheit beim 54. Steirischen Herbst. NMZ und NZZ strahlen im Glanz der frisch renovierten Zürcher Tonhalle.

Von Natur aus polarisiert

16.09.2021. In der Zeit erklärt Hito Steyerl, weshalb sie das Bundesverdienstkreuz ablehnt - und auch sonst nicht für "Diversity-Washing" zur Verfügung steht. Die Filmkritiker erliegen dem Charme von Maria Speths "Herrn Bachmann und seiner Klasse", die FR fragt aber: Ist es legitim, so viel Intimität von Kindern abzuschöpfen? In der SZ erzählt Ahmad Sarmast, wie er versucht, Musikerinnen und Musiker vor den Taliban in Sicherheit zu bringen. In NMZ und VAN spricht Barbara Beuys über die wagemutige Komponistin Emily Mayer. Hyperallergic bewundert im MoMA den Modernismus brasilianischer Fotografie der Vierziger bis Sechziger.

Einblicke in Möglichkeitswelten

15.09.2021. Die SZ staunt, wie Yinka Shonibare in Salzburg mit Waxprints die britische Kolonialgeschichte vom Maskenball ins Massaker wendet. Die FAZ blickt mit Thomas Demand in Moskau in jenen schneeweißen Überwachungskokon, in dem Edward Snowden einst auf Asyl in Russland wartete. Den Filmkritikern gehen die Augen über vor den vor sich hin brütenden Herrschern in Denis Villeneuves Science-Fiction-Epos "Dune".  Im Perlentaucher entdeckt Marie Luise Knott andere Wahrheiten in den geweißten Gedichten von Mary Ruefle. Und die SZ schreit sich mit King Krules die Klagegesänge einer Generation aus dem Herzen.

Pauken, dickes Blech, hibbelige Flöten

14.09.2021. Die FAZ findet mit dem Psychiatrie-Patienten Maurice Blin den französischen Otto Dix in der Sammlung Prinzhorn. In der Welt erklärt Klaus Biesenbach, wie er die Neue Nationalgalerie diverser machen will. Die English Touring Opera entlässt derweil die Hälfte ihres Orchesters: Sie sind zu weiß, melden FAZ und Daily Mail. Auf 54books beklagt Till Raether einen Mangel an Fundamentalkritik gegenüber der Polizei im Krimi. Die Theaterkritiker taumeln mit Oliver Frljics "Brüdern Karamasow" am Hamburger Schauspielhaus von Debatte zu Debatte. Und die SZ spürt das pralle Leben im locker aus dem Handgelenk geshuffelten Groove von Little Simz.

Der fast verblutende Körper einer jungen Frau

13.09.2021. In Venedig ging der Goldene Löwe an Audrey Diwans Verfilmung von Annie Ernaux' Abtreibungsgeschichte "Das Ereignis". taz und Tagesspiegel resümieren das Filmfestival. In der FAS erinnert Ernaux daran, wie schlecht der Roman in den - feministisch furchtbaren - neunziger Jahren ankam. Die SZ feiert Christoph Mäcklers Frankfurter Romantik-Museum als Deutschstunde aus Stahl, Glas und Beton, und die FAZ freut sich, dass die Transzendenz wieder ein Obdach erhält. Und die taz freut sich, dass die Berliner Fashion Week dem Trend zur Jogginghosen unverdrossen Schönheit entgegensetzt.

Knickfittich, Flatterpelz, Zagelschratt

11.09.2021. In der Welt huldigt Sibylle Lewitscharoff den diabolischen Finessen deutscher Dante-Übersetzungen. Die Nachtkritik erlebt bei Christopher Rüping in Bochum einen Dante der Lässigkeit und Freiheit. Die FAZ blickt auf die Zäsur zurück, die der 11. September auch für die amerikanische Literatur bedeutete. Die taz erschauert in Venedig in Jan Matuszyńskis Film "Leave No Traces" über die Willkür polnischer Staatsgewalt. Die FAZ versinkt in den abstrakten Landschaften Georgia O'Keeffes.

Ein Irrweg der Materie

10.09.2021. Die Filmkritiker kommen erschöpft von zu viel Immersion aus Václav Marhouls Filmadaption von Jerzy Kosińskis brutalem Weltkriegsroman "The Painted Bird". Die FAZ sah in Odense die Welterlöserin, und sie heißt Madame Nielsen. Der Tagesspiegel möchte von der Bundesregierung wissen, warum der Gabriele Münter Preis für bildende Künstlerinnen über 40 nicht mehr verliehen wird, und erfährt, die Bekämpfung von Sexismus habe Vorrang. Die SZ amüsiert sich im neuen Design-Schauraum der Münchner Pinakothek. Die taz schwärmt von den Jazzplatten aus den Sechzigern, die das Label Souffle Continu wieder veröffentlicht.

Von wegen Stehvermögen

09.09.2021. Die FR hat eine Horrorvision von einer Kultur, in der jede Äußerung vom Nachweis der korrekten Ethnie begleitet sein muss. Im Tagesspiegel erzählt die Schriftstellerin C Pam Zhang, warum sie einen uramerikanischen Western geschrieben hat mit chinesische Einwanderern als Hauptfiguren. Lens Culture bewundert die prekären Skulpturen von Sue Palmer Stone. Artechock entdeckt in Yuri Ancaranis Film "Atlantide" die Schönheit im Unvollkommenen. Die NZZ bestaunt die Dramen männlicher Existenz in ihrem Garten.

Tiere, die nie existiert haben werden

08.09.2021. Die FR schwärmt vom diesjährigen Festival in Venedig, wo ihr sogar opulente Balzac-Verfilmungen gelungen erscheinen. Die SZ ruft auf, nach Halle zu fahren, wo das Literaturhaus Leni Sinclairs aufrührerische Fotografie der amerikanischen Musikszene zeigt. Die taz hofft in Weimar vergebens auf Vergebung durch die japanische Seelöwin. Und die NZZ hätte von Rammsrein in Moskau lieber schwule Küsse als sowjetische Heldenlieder präsentiert bekommen.

Vom Schläfrigen zur Explosion

07.09.2021. Die Feuilletons trauern um Jean-Paul Belmondo, den großen Athleten des französischen Kinos, der die gefährliche Schönheit zum Lebensprizip machte: La vie Bébel. Die SZ lässt sich vom malischen Künstler Famakan Magassa verraten, wie die Koredugaw soziale Konflikte lösen. Die NZZ freut sich über den Wahnsinn, der in Mauricio Kagels "Staatstheater" regiert. Und Dezeen begutachtet eine erstklassige Immobilie in der amerikanischen Wüste.

Die Landschaft, die Arbeit, die Rufe der Hirten

06.09.2021. Auf ZeitOnline donnert Maxim Biller, dass auch Schwarze oder Frauen literarisch nur gute Figuren abgeben, wenn sie Opfer und Täter zugleich sind. Die FAS beobachtet den Auszug der Literatur aus den selbst geschaffenen Mittelschichtsblasen aufs Land. Die SZ porträtiert die Choreografin Wen Hui, die dann doch keine revolutionäre Vorzeigeballerina wurde. Der Guardian kapituliert vor der intellektuell überbordenen Kunst der Turner-Preisträgerin Helen Marten. Und der Tagesspiegel steigt mit Michelangelo Frammartino tief in den kalabrischen Fels.

In dieser Musik steckt Strom

04.09.2021. Die nmz lauscht bei der Ruhrtriennale gebannt Michael Wertmüllers Spielen mit dem Klang der Worte. In der taz erklärt Komponist Stewart Copeland, wie sich Musik über Tesla, Edison und Stromerzeugung anhört. Hilary Mantel erklärt in La Republicca, dass sie Irin werden will, um Europäerin bleiben zu können. Zeit online sieht die Zukunft der Musik und sie heißt: Abba. Die Filmkritiker sitzen in Venedig Denis Villeneuves orchestrierte Riesenschlachten in der Neuverfilmung von "Dune" ab. Die SZ hat viel Sympathie für Kristen Stewarts Diana. Der Tagesspiegel bewundert nachhaltige Kunst in Helsinki.

Seine Lieder sind Fahnen

03.09.2021. Die Welt staunt in Venedig, mit welcher Wucht Jane Campion in ihrem Film "The Power of Dog" das Feld toxischer Männlichkeit beackert. Die SZ will auch in der Kunsthalle Rotterdam keine niedlichen Tiere mehr sehen, solange die als Fischstäbchen auf unserem Teller landen. Monopol fragt sich, warum die sonst so kritische Kunstwelt Kanye West zu Füßen liegt. Und: Die Musikkritiker trauern um den großen Komponisten und Widerstandskämpfer Mikis Theodorakis.

Sieben oder acht Gewehre

02.09.2021. Pedro Almodóvar erzählt in "Madres paralelas", dem Eröffnungsfilm der Filmfestspiele in Venedig, von zwei ungeplant schwangeren Frauen: undogmatisch und erfrischend großzügig, schwärmt der Standard. Mei Wei erzählt in der nachtkritik von der Wiederaufnahme eines Propagandastücks aus den sechziger Jahren in Schanghai, bei dem die älteren Zuschauer lustvoll mitsangen. Im Van Magazin berichtet Antonia Munding vom Molyvos Festival, das in Griechenland unter dem Motto "Freiheit" wenige Kilometer vor dem türkischen Hoheitsgebiet und ebenso wenig entfernt von den Flüchtlingen im Lager Kara Tepe stattfindet.

Zwischen Schönheit und Desaster

01.09.2021. Die FAZ feiert das Berliner Architekturkollektiv Raumlabor, das in Venedig für seine visionären Entwürfe mit dem Goldene Löwen ausgezeichnet wurde. Die FR blickt ebenfalls nach Venedig, wo heute die Filmfestspiele mit dem Hang zum Schwelgerischen beginnen. SZ und taz lauschen gebannt Heiner Goebbels' beim Musikfest in Berlin uraufgeführter Megasinfonie "A House of Call".  Und die NZZ seufzt: Im Londoner Globe Theatre gibt es jetzt selbst "Romeo und Julia" nur noch mit Trigger-Warnung.