Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

August 2020

Hektik bei gleichzeitigem Stillstand

31.08.2020. Ziemlich deprimiert kommen die KritikerInnen aus René Polleschs Stück "Melissa kriegt": Das soll das Wiedersehen nach der Corona-Pause sein?, fragt etwa der Tagesspiegel. Im Standard verrät David Grossman, mit welchen Exerzitien er seine Übersetzer zu Höchstleistungen anspornte. Die FAZ gerät in der Basler Ausstellung "Real Feelings" in eine emotionale Feedbackschleife. Und beim Vergleich der Wiener und Berliner Philharmoniker stellt die SZ fest: Abstand erzeugt einen spröden Klang. Und natürlich trauern auch die deutschen Feuilletons um den Black Panther Chadwick Boseman.

Klang eines britischen Amphibienfahrzeugs

29.08.2020. Entsetzt blickt Kurt Drawert in der FAZ auf die Welle an Corona-Literatur, die der Herbst bereithält: Wo bleibt da die Hingabe, seufzt er. Ebenfalls in der FAZ träumt Volker Schlöndorff von einer Renaissance des Autorenfilms. Im Zeit-Online-Interview spricht der Regisseur Massoud Bakhshi über häusliche Gewalt und patriarchale Repression im Iran. Die SZ tanzt mit Marlene Monteiro Freitas auf Kampnagel ein dämonisches Evangelium mit Bataille, Tschaikowski und Kafka. Und die Orchester dürfen wieder näher zusammenrücken, freut sich die taz

Le Grand Puzzle

28.08.2020. Das Moma eröffnet nach dem Lockdown mit einer großen Schau über den Sammler, Anarchisten und Dandy Félix Fénéon, berichtet die New York Times. In der SZ erklärt Direktorin Hedwig Fijen das Selbstverständnis der Manifesta, die am Freitag in Marseille eröffnet. NZZ und SZ bestaunen das neue Basler Stadtcasino von Herzog & de Meuron. Die FAZ fragt: Warum reagierte jahrelang niemand auf Berichte über Missstände an der Staatlichen Ballettschule Berlin?

Charme des Provisorischen

27.08.2020. Der Tagesspiegel landet mit Diao Yinans Film "Der See der wilden Gänse" in der neonbunten, aber auch elenden Provinz Chinas. Der Berlinale fliegt gerade ihre Entscheidung um die Ohren, nur noch einen genderneutralen Preis für schauspielerische Leistungen zu vergeben: Das geht nur auf Kosten der Frauen, rufen die Kritiker. Die taz feiert den Fotografen Michael Schmidt. Die FAZ amüsiert sich mit Alessandro Melanis Barockoper "L'empio punito".

Zum Adonis modelliert

26.08.2020. Die FAZ erlebte auf dem Literatufestival von Lana, wie Swetlana Alexijewitsch Weißrusslands Präsidenten Lukaschenko zum Dialog aufforderte - mit der Gesellschaft, mit der Zeit, mit den neuen Menschen. Die SZ feiert die neue Geschlechtergerechtigkeit im deutschen Tanz und den Ballettstar Friedemann Vogel. Im Tagesspiegel befindet Barrie Kosky zur Mohrenstraße: Der Name muss weg. Monopol freut sich über den rowdyhaften Künstler-Humor, mit dem die Familie Grässlin das Schwarzwaldstädtchen St. Georgen beglückt.

Eine große Vergessmaschine

25.08.2020. In der NZZ gesteht Maxim Biller, dass er am Internet noch mehr als an Deutschland leidet. Die Einführung eines genderneutralen Schauspielpreises bei der Berlinale stößt bei der Berliner Zeitung auf Widerspruch. Die taz feiert den Fotokünstler Josef Schulz, der Allerweltsbauten in ihrer ganzen Einfalt erstrahlen lässt. Die SZ lauscht betört dem karibischen Groove der Londoner Tenorsaxofonistin Nubya Garcia.

Infiziert, verstrahlt und melancholisch

24.08.2020. Die FAZ atmet auf der Riga-Kunstbiennale beglückt einen Hauch von sowjetischer Bunkerlandschaft ein. Der Standard beobachtet das Gerangel unter den Platzhirschen der Wiener Hochkultur. Die New York Times weist die allseits verehrte Criterion-Collection auf den peinlichen Mangel an schwarzer RegisseurInnen hin. Und die SZ erkennt in Cardi Bs versautem "WAP"-Video die Utopie der Stunde.

Die Krise, die Chance. Klar.

22.08.2020. Die SZ entdeckt den Humanismus im Berliner Grau, das der Fotograf Michael Schmidt gegen die Radikalität von Schwarz und Weiß setzte. Die Filmkritiker vergnügen sich nach Monaten der Kinoflaute in Christopher Nolans Blockbuster "Tenet": "Spektakel in höchster Vollendung" , versichert der Tagesspiegel. FAZ und Welt empfehlen dringend den Film "Coronation", für den Ai Weiweis Videos aus Wuhan zu einem Kaleiskop der Unterdrückung zusammengefügt hat. Die taz beoabchtet, wie die Gräben zwischen U- und E-Musik gerade wieder aufreißen.

Edel, gut und ein wenig einfältig

21.08.2020. Die SZ wandert über den neuen Berliner Flughafen und lernt, was Tragik ist. Welt, Zeit und Freitag laufen mit Visar Morinas Film "Exil" die deutsche Via Dolorosa der Debatten über Identität, Heimat, Zugehörigkeit ab. Im Interview mit der Welt ärgert sich Monika Maron über die Art, wie in Coronazeiten über alte Menschen gesprochen wird. Die FAZ wirft einen Blick auf die Musikszene von Belarus. Der Standard vermisst den lauten, unberechenbaren Christoph Schlingensief.

Herbst der Improvisation

20.08.2020. 20.08.2020. In der FAZ staunt der algerische Schriftsteller Kamel Daoud immer noch, wie ähnlich Picassos Blick auf Frauen dem Blick des Islams ist. Die SZ besucht eine große Nam-June-Paik-Retrospektive. Außerdem stellt sie neue Pay-Per-View-Modelle für Klassikkonzerte vor. Zeit online ist enttäuscht von "Biohackers" und auch fast allen anderen deutschen Serien bei Netflix.

Unaufdringlich großartig

19.08.2020. Die Kritiker begutachten wohlwollend die Longlist des Deutschen Buchpreises: Schön vielfältig, loben taz und Tagesspiegel, auch im Erzählen. In der Berliner Zeitung spricht die Bühnenbildnerin Aino Laberenz über das Gebirge an Material, das Christoph Schlingensief hinterlassen hat. Wie gut würde ein Schlingensief dem heutigen Debattenklima tun, seuzft Monopol. Der Perlentaucher bewundert die Explosion des Lichts in Michael Almereydas Biopic "Tesla" .

Mehr Geld für Werbung ausgeben

18.08.2020. Die NZZ lernt beim Zürcher Theaterspektakel von Yan Duyvendak, wie Krisenmanagement in wilden Aktionismus ausartet. Die taz beobachtet beim Sommerfestival auf Kampnagel, wie Oona Doherty und Mufasa den maskulinen Kern der Arbeiterklasse freilegen. Die Jungle World stöbert in den Leselisten der extremen rechten in Amerika. Und die SZ fragt in Sachen Filmförderung, seit wann Größe Professionalität garantiert.

Der Skater nimmt sein Board

17.08.2020. Die SZ blickt in Chemnitz zur Abwechslung mal auf den Darm von Karl Marx. In der Berliner Zeitung widerspricht René Pollesch der Vorstellung, Theater beruhe auf Nähe und Körperkontakt. In der Berliner Zeitung fragt Lisa Eckhart, ob es eigentlich auch soziale Aneignung gibt. Die NZZ hört in Lucerne den schockierend unkonventionellen Beethoven. Klaus Lemke erzählt in der Jungle World von der Völkerverständigung am Sowjetischen Ehrenmal.

Im besten Sinne theatralisch

15.08.2020. In der Welt erklärt Herta Müller, warum wir ein Exilmuseum brauchen. Die Berliner Zeitung fragt, ob der Entwurf der Architektin Dorte Mandrup für das Museum nicht zu viele Interessen bedienen muss. Monika Maron bricht im Gespräch mit dlf Kultur eine Lanze für die Ritterlichkeit. Die FAZ betrachtet mit einer Kuratorin und einem Museumswärter Kunst von "31: Frauen". Kunst kann zur Waffe werden - daran erinnert die nachtkritik anlässlich der vor hundert Jahren in Leizig gegründeten Massenfestspiele der Gewerkschaften. Zeit online widmet sich dem Phänomen rechter Rapper.

Schrei ins Leere

14.08.2020. Die NZZ hört in Salzburg Werke von Salvatore Sciarrino und Georg Friedrich Haas: Mehr Gegenwartsbezug geht nicht, versichert sie. Die Jungle World kommt über Kanye West darauf, dass es ein Milieu schwarzer Alt-Right-Aktivisten gibt. Wie man Sinnlichkeit und Analyse verbindet, lernt der Tagesspiegel in einer Werkschau des Filmregisseurs Hartmut Bitomsky. Der Tagesspiegel ist ganz hingerissen von dem Museum, das David Chipperfield für die Sammlung Würth gebaut hat. Die FR sieht, von Aby Warburg inspiriert, in der Berliner Gemäldegalerie Heilige, die einen Drachen steigen lassen.

Kreise drehen sich wie kleine Planeten

13.08.2020. Die SZ hofft, dass der neue MIDI-Standard künftig sämtliche Anschlagdynamiken einer Gitarrensaite zum Klingen bringt. taz und Perlentaucher empfehlen wärmstens Marcell Jankovics' 1981 entstandenen Animeklassiker "Sohn der weißen Stute", der wieder in die Kinos kommt. Dlf Kultur fragt, warum die große Diversity-Mode in der Kunst so faul rüberkommt. Und: Die Debatte um Lisa Eckhart geht weiter.

Sehr boshaftes Missverstehen

12.08.2020. Die nachtkritik lässt alle Hoffnung auf Utopie fahren im Theater im Bunker. Die FAZ freut sich über Kammermusik beim Young Euro Classic. Im NDR hat Lisa Eckhart ein Problem mit dem hohen Ross, dass wir sittlich überlegen seien. Die SZ feiert die visionäre Kunst des texanischen Fischers und Malers Forrest Bess. Epd Film und FAZ bewundern den italienischen Schauspieler Pierfrancesco Favino als Mafioso auf Sparflamme.

Buntfarbig Zweifelhaftes

11.08.2020. Die taz fürchtet den Angriff der Tradition auf die bescheiden-elegante Nachkriegsmoderne. Die SZ staunt, vor welch rauschenden Dekors die Fotografin Deana Lawson ihre meist armen Modelle in Szene setzt. Flüssiges Gold bewundert die FAZ in der Innsbrucker Inszenierung von Ferdinando Paërs Oper "Leonora". Der Dlf wirft einen ersten Blick auf Lisa Eckharts misanthrope "Omama". Auf Tell plädiert Frank Heibert gegen den Verriss und für eine Demut der Erkenntnis. Die NZZ sorgt sich um die modische Zukunft der Socke.

Oft nach Moll getrübt

10.08.2020. Die taz erkundet mit Dawn Mellor die sexuelle Dynamik im Verhältnis zur Polizei. Der Freitag bewundert die filmische Präzision, mit der Anna Sofie Hartmann in ihrem Film "Giraffe" vom Baum des Fehmarnbelttunnels erzählt. Die FAZ hört in Salzburg Mahlers Sechste in Hundertschaftsstärke. Und über Lisa Eckhart in Hamburg wird weiter diskutiert.

Gepfefferte Bonmots und riskante Witze

08.08.2020. In der taz erzählt der Schriftsteller Pedro Baran, wie Corona Kolumbien noch gefährlicher macht. Die Berliner Zeitung schaut in Orhan Pamuks Fotografien des nächtlichen Istanbul wehmütig auf das Sterben der Freiheit in der autoritären Türkei. Der neue Held im Film ist der Verräter, erkennt der Filmdienst. Und die SZ hört mit den "neißen" Hits der Glass Animals den perfekten Soundtrack für Post-Corona-Zeiten.

Die letzte große Party

07.08.2020. Die Cancel Culture greift weiter um sich: Das Harbourfront Literaturfestival hat die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart, der Rassismus vorgeworfen wird, aus Angst vor der autonomen Szene ausgeladen. Sie ist nur nicht links genug, meint die FAZ. Auch die Ausstellungen des kanadischen Künstlers Jon Rafman wurden nach Missbrauchsvorwürfen abgesagt. Die Museen reagieren auf Nachfrage mit dröhnendem Schweigen, weiß die Welt. Die FAZ blickt traurig auf die Kulturszene in Beirut zurück, wo die Menschen vor kurzem noch hungrig nach Kunst Museen und Theater stürmten. Die taz fordert Ganztagstheater und Kulturgutscheine für Arbeitnehmer.

Diesem jungen Mann ging es nicht um den Körper

06.08.2020. Die Filmkritiker liegen der großartigen Barbara Sukowa in Filippo Meneghettis Lesben-Thriller "Wir beide" zu Füßen. Der Tagesspiegel entdeckt in den Fotografien von Maria Sewcz letzte Reste von Toleranz in Istanbul: Etwa ein nachlässig gebundenes Kopftuch. Die nachtkritik reist mit Rimini Protokoll lieber in die eigenen Ohrmuscheln. Nicht Sarah Kirsch, sondern Anna Seghers bezeichnete sie als SED-Funktionärin, erklärt Helga Schubert im Dlf-Kultur. Die taz erzählt, wie deutsche Bands versuchen, die Sympathie der Italiener zurückzugewinnen.

Ein Maximum an Sonne

05.08.2020. Die SZ fragt am Beispiel von Jon Rafman, welche Strafe im Kunstbetrieb auf aggressives Mackertum steht. In der taz erinnert sich der Verleger Benno Käsmayer, wie er in den Siebzigern literarische Konterbande nach Deutschland brachte. In der Berliner Zeitung erzählt Matthias Lilienthal, wie er erfolgreich die Münchner Kammerspiele versaute. Die FAZ erlebt mit Jon Stewart, wie das amerikanische Kino und ein demokratischer Wahlkampfmanager nach dem suchten, was das Land noch zusammenbringen könnte. Gegen Pandemien setzt Domus auf architektonische Antikörper.

Nasen auf der Straße brechen

04.08.2020. Die ganze Verheerungswut der Liebe und tiefe Melancholie erleben die KritikerInnen in Salzburg mit Mozarts "Cosi fan tutte". Die SZ ist auch hingerissen von der Sopranistin Elsa Dreisig, die Strahlenhöhe und dunkle Tiefe gleichermaßen beherrscht.  Die Welt trauert um Sonia Darrin, die Sätze über Männer sagte, wie sonst keine Frau im Hollywood der Vierzigerjahre. Domus feiert die Wiederaufserstehung italienischer Ingenieurskunst in Genua. Und ZeitOnline vernimmt deutlich den Plüschhammer auf dem neuen Album von Apache 207.

Husten im Rang

03.08.2020. Endlich wieder große Oper, jubeln die KritikerInnen nach Richard Strauss' "Elektra" bei den Salzburger Festspielen: Herrlich fand es die SZ, wie sie von der Raubtier-Musik angesprungen wurde. Die FR genoss Krzysztof Warlikowskis kalten Blick auf die Frauen. Der Standard gönnt sich eine ordentliche Polemik gegen Hugo von Hofmannsthals "Jedermann". Das neue hygienische Theater haben wir übrigens nicht nur Corona zu verdanken, bemerkt der Tagesspiegel, sondern auch den Dramaturgen. Die taz lernt in Dresden Pilzparasiten zu schätzen. ZeitOnline unterhält sich mit Rapperin Nura übers Hate ertragen und fame werden.

Entschlossen horizontal

01.08.2020. In der FAZ lässt die Schriftstellerin Helga Schubert kein gutes Haar an Christa Wolf und Sarah Kirsch, die ihr beide zu SED-treu waren. Die FR bewundert die rot-gelb-blauen Collagen Marion Eichmanns. Epd-Film erklärt, was Virtual Production ist. Die SZ stellt das Architekturbüro Barkow Leibinger vor, das auch in Berlin ohne Sandstein baut. Die NZZ hüpft sich auf einem pinkfarbenen Trampolin ins Eiscremeglück.