Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

März 2021

Exodus aus der Transparenz

31.03.2021. Die Architekten Herzog und de Meuron stellen ihren revidierten Entwurf für das Museum des 20. Jahrhunderts vor: Die Fassade ist jetzt attraktiver findet der Tagesspiegel, aber ein Klimakiller, bemerkt die Zeit. Das neue Museum wird nicht mal genug Geld haben, stellt die taz fest, um sich die Werke von Gerhard Richter schenken zu lassen. Außerdem lauscht die taz den achtsamen Sonoklasmen des Walter Smetak. Der Filmdienst entdeckt das experimentelle Filmwerk von Maria Lassnig. Und die SZ wüsste, womit sich die Theater im Lockdown sinnvoll beschäftigen könnten.

Unversehens gehört uns der Morgen

30.03.2021. Amanda Gormans Inaugurationsgedicht "The Hill We Climb" liegt nun auf Deutsch vor. Tagesspiegel, taz und Standard blicken etwas betreten auf die lyrischen Grenzen einer rassismuskritischen Funktionspoesie. Für Sharon Dodua Otoo auf 54books lautet die wichtige Frage nicht, was Weiße, sondern was Schwarze übersetzen dürfen. In der Debatte um die Dokumentation "Lovemobil" erklärt Werner Herzog, was seine ekstatische Wahrheit von einer Fälschung unterscheidet. Der Filmemacher Dietmar Post vermisst auf Artechock überhaupt ein paar filmethische Diskussionen.

Im Tiefflug über Paris

29.03.2021. Die FAZ erschauert unter dem zärtlichen Blick der Malerin Alice Neel. In der FR beschreibt Andreas Rostek, wie ein Dante-Text von Arno Widmann die Gemüter in Italien zum Kochen bringt. Die Welt erlebt das sexsüchtige Juste Milieu in Tobias Kratzers Pariser Inzenierung von Gounods "Faust". ZeitOnline nimmt die Bezahlverfahren der Streamingdienste unter die Lupe, von denen am Ende immer die Stars profitieren.

Schillerndes Sprengen

27.03.2021. Der Standard überwindet seinen Ekel und verliebt sich in die nackten, knorpeligen Wesen von Patricia Piccinini in Krems. Die Gorman-Debatte lässt die LiteraturkritikerInnen nicht los: Eine verpasste Chance im Bemühen um Sichtbarkeit konstatiert die taz, die Banalität von Identitätspolitik erkennt die Jungle World hier. Die SZ begibt sich derweil auf die Suche nach den weißen Traditionen des Jazz. Außerdem fragt sie: Wie zeitgemäß ist eigentlich der alte, weiße Schamane Beuys? Artechock verliert nach Elke Margarete Lehrenkrauss' "Lovemobil" das Vertrauen in die Doku. Und das monopol-magazin schickt eine Million Rosen an Angela.

Wo es für alle tickt

26.03.2021. Die FR steht mit Timm Rautert im Essener Folkwang Museum am Scheideweg der Fotografie. Wer von einer Regisseurin erwartet, dass sie für eine Doku jahrelang unter Straßenprostituierten recherchiert, muss ein bisschen mehr als 36.000 Euro ausgeben, mahnt Artechock in Richtung NDR. Die Welt kratzt mit Barrie Kosky in München die Patina vom "Rosenkavalier". In Marbach träumt man vom "totalen Archiv", weiß die SZ. Die FAZ blickt bei der Berliner MaerzMusik in die mit ersten Adressen geschmückten Auftragsbücher der Composer of Colour. Und die Feuilletons trauern um Bertrand Tavernier.

Die Gefühle sind subtiler

25.03.2021. In Myanmar protestieren die Dichter mit einer Video-Aktion gegen den Militärputsch, erzählt die taz. Wenn wir nur spielfilmartige Dokus sehen wollen, müssen wir uns über Fälschungen nicht wundern, meint die FR angesichts der gefakten Szenen in Margarete Lehrenkrauss' Doku "Lovemobil". Einen Mord dafür zu erfinden, geht allerdings zu weit, meint Zeit online. Monopol singt ein Liebeslied auf den deutschen Kunstverein. Und der Countertenor Tim Mead erklärt im Interview mit Van, warum er lieber Barock als Puccini singt.

Je dichter das Komposit

24.03.2021. Hyperallergic feiert den Einzug der Mlle Bourgeoise Noire ins Brooklyn Museum. Die Nachtkritik möchte von den Theatern lieber keine Nachhilfe zum besseren Verständnis der Stücke bekommen. Die taz erkennt die Hybris der Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss, die ihren Dokumentarfilm "Lovemobil" etwas authentischer als die Wirklichkeit machen wollte. Und der Tagesspiegel ruft den Rednecks zu: Country war nie nur weiß.

Rabiater Zartsinn

23.03.2021. Große Trauer herrscht um den polnischen Weltpoeten Adam Zagajewski: In der Welt würdigt Michael Krüger den Philosophen und Reisenden, in der FR Artur Becker seine Sorge um Schönheit und Wortfreiheit. Die NZZ verspürt das innere Brennen beim neuen "Rosenkavalier" an der Bayerischen Staatsoper. Die FAZ lässt die britische Künstlerin Phyllida Barlow freudig über sich kommen wie einen gewaltigen Erdrutsch. Und die SZ erfährt von Labelbetreiber Mathias Modica, dass die coolen Kids von Neukölln nicht mehr vor dem Techno-Keller stehen, sondern vor dem Jazzclub.

Gott sei Dank gibt es Berlin

22.03.2021. Im Standard fordert Marlene Streeruwitz ein rundum erneuertes Theater. Ebenfalls im Standard reitet Richard Müller eine scharfe Attacke gegen die Anhänger der Diversität, die ihn an die Internationale der Nationalisten erinnern. In der Welt wird weiterdiskutiert über Machtpositionen im Theater, Gefügigkeiten und fliegende Fäuste.  Im Tagesspiegel beansprucht der Maler Alvaro Barrington für sich die Lizenz, Drake und Mark Rothko zu sampeln. Und alle berichten selig vom Rachmaninow-Konzert der Berliner Philharmoniker für tausend Auserwählte.

Irrelevant und sogar gefährlich

20.03.2021. Die New York Times feiert den Willen zur Modernität und zur Persönlichkeit bei Alexander Calder. Der Tagesspiegel staunt, was alles ging in der Berliner Architektur der achtziger Jahre. Die FAZ beobachtet Vanessa Mai beim Proben ihres Augenaufschlags. Pitchfork porträtiert Lana Rey als Proust der Popmusik. Die taz findet den echten DDR-Menschen mit seinen Erfahrungen nirgends so authentisch beschrieben wie bei Helga Schubert.

Kunst kommt zuerst, dann Politik

19.03.2021. Die FAZ erkennt den Hauptangeklagten in der großen Gilbert & George Retrospektive der Schirn: Die Kirche. In der SZ fragen die beiden Künstler, warum die Kirchen sich niemals entschuldigt haben für ihre Verbrechen insbesondere an Homosexuellen. Das Theater hat ein Strukturproblem, meint die Hannoversche Intendantin Sonja Anders auf Zeit online. Im Tagesspiegel erklärt der Komponist George E. Lewis sein Programm für die Maerzmusik, das viele afrodiasporische Musiker vorstellt. Monopol badet in Zürich in Total Spaces, Licht und Farbe.

Schwerelos durch den Kosmos

18.03.2021. Auch die Tchibo-Hausfrau möchte im Klassiksender nicht mit einfacher Sprache unterfordert werden, versichert die FAZ dem WDR. Warum wirkt der städtische öffentliche Raum in der Pandemie so öde, fragt monopol. Das Van Magazin empfiehlt deutschen Theaterintendanten, sich in Sachen Mitarbeiterführung ein Vorbild an der Privatwirtschaft zu nehmen. Auf Zeit online möchte die Schriftstellerin Rasha Khayat nicht nach Hautfarbe oder Herkunft definiert werden, danke schön. Und: Die Musikkritiker schreiben zum Tod des Dirigenten James Levine.

Komplexität und Möglichkeitssinn

17.03.2021. SZ und Dezeen gratulieren dem Architektenduo Lacaton & Vassal zum Pritzker-Preis: Die beiden zeigen, dass günstiges Wohnen nicht hässlich sein muss. Raum schafft Möglichkeiten, erklären die beiden in Le Monde. In der Welt erkundet Regisseur Ersan Mondtag den Grenzbereich von Energie-Entladung und Übergriff. Die FAZ lernt von Fred Stein, dass gute Fotografen zuhören können. Und die Washington Post trauert um Yaphet Kotto, den knorrigsten Schurken des amerikanischen Kinos.

Ein Porträt unseres Selbst

16.03.2021. Der schnelle Abgang von Volksbühnenintendant Klaus Dörr überumpelt die Feuilletons. Hier geht ein geschlagener Mann vom Bühnenschlachtfeld, glaubt die Welt. Die Strukturen ändern sich, freut sich der Tagesspiegel. Die FR hört derweil zu Christopher Loys Berliner Inszenierung der "Francesca da Rimini" die Engel im Opernhimmel jubilieren. Auf den Felsbildern der Sammlung Frobenius betrachtet die FAZ bewegt die Interaktion von Mensch und Welt. Der Filmdienst enteckt die Schönheit des Unvollkommenen in den Trashfilmen des Streamingdienstes ByNWR.

Das stumme Leiden der Frau

15.03.2021. Wozu braucht das Land eine Bauakademie, fragt die FAZ: Wäre ein arbeitendes Ministerium nicht sinnvoller? Theater tun nur aufgeklärt, weiß die Aktivistin Sarah Waterfeld in der Welt, in Wahrheit sind sie Bastionen des Sexismus und des Patriarchats. Die SZ erfährt vom Baltimore Museum, wie man "progressiv entsammelt". 54Books denkt über das glorifizierte Erzählen von Schwangerschaft nach. Und im Standard möchte Jonathan Meese eines klarstellen: Richard Wagner ist keine Freizeitbeschäftigung!

Wer das nicht Paradies nennt

13.03.2021. "MeToo an der Volksbühne" titelt die taz heute: Zehn Mitarbeiterinnen werfen dem Intendanten Klaus Dörr Belästigung vor, die taz berichtet. In der Welt wirft Deniz Yücel den Aktivisten, die es ablehnen, dass Weiße Amanda Gormans Texte übersetzen, Rassismus vor. Aber Übersetzererfahrung wäre schon von Vorteil, wendet Tell ein. Die NZZ reist im Museum Rietberg zu den Ursprüngen der Kunst. Der Standard erinnert an den verstorbenen Regisseur Peter Patzak. Und die SZ macht es sich mit einem Drink im Eames Lounge Chair gemütlich.

Diese Einbeziehung exotischer Objekte

12.03.2021. Die nachtkritik feiert begeistert Seyneb Saleh als Isa, the queen of Gossenpoesie am Schauspiel Hannover. Der Tagesspiegel bewundert im Museum Barberini den Orientalismus Rembrandts und seiner Zeitgenossen. Nach der Niederländerin Marieke Lucas Rijneveld wurde jetzt auch der katalanische Übersetzer von Amanda Gorman, Victor Obiols, abgesägt, weil er keine schwarze Frau ist, berichtet die Welt. Dafür profiliert sich der Disneykonzern mit kultureller Sensibilität als Speerspitze des Fortschritts, so Zeit online.

Rhapsodische Freiheit

11.03.2021. Die FR amüsiert sich in der Schirn mit Shit Faith und anderen Provokationen von Gilbert & George. Die Zeit lernt von Caspar David Friedrich, das im Nebel etwas Neues verborgen liegen kann. In der NZZ erklärt Mithu Sanyal, wie produktiv und tragisch zugleich Identitätspolitik sein kann. In der SZ fragt sich Kazuo Ishiguro, ob Künstliche Intelligenz uns auch deshalb Angst macht, weil sie so gut ist. Die Zeit stöbert bei Google Arts & Culture durch 13.000 Online-Exponate zur Geschichte der elektronischen Musik.In der taz hat Klaus Lemke eine ausgezeichnete Idee zur Rettung des Kinos: es muss sich als Nonstop-Kino wiedererfinden.

Solange das Ranking stimmt

10.03.2021. Werden Übersetzungen jetzt nach einer Diskriminierungsskala vergeben, fragt Wolfgang Matz in der FAZ und wundert sich, dass unter anderem Kübra Gümüsay die Gedichte Amanda Gormans ins Deutsche übertragen soll. Hyperallergic klickt sich im "American Archive of Public Broadcasting" durch 40.000 Stunden Rundfunk mit schwarzer Literatur, Musik und Politik. Die Welt berichtet von Kampagnen gegen die Filmemacherin Chloe Zhao in China. Der Tagesspiegel verfällt am Mehringplatz dem Zauber der Berliner Postmoderne. Die taz trifft sich am Habibi-Kiosk in der Maximilianstraße.

Mit einem 'yeaaah, nice'-Hauchen

09.03.2021. In der FR geht die Autorin und Filmemacherin Merle Kröger der Frage nach, wie wie ein politisches Subjekt entsteht. In der Debatte um die Amanda-Gorman-Übersetzung fragt Marion Kraft zurück, ob man nicht doch eher weiß sein müsse, um im Betrieb als Übersetzerin infrage zu kommen. Der Standard erlebt mit Pretty Yende in der "Traviata" die Verschmelzung von Dramatik, Koloratur, Überschwang und Todesangst. Die taz blickt auf die Erschütterungen in der griechischen Theaterlandschaft. Die Zeit verliert sich mit Salka Tizianas Film "For the Time Being" im spanischen Nichts.

Rausch der Repetition

08.03.2021. Tut nicht so grün, ruft Architekt Hans Kollhoff in der FAZ den Verfechtern eines Europäischen Bauhauses zu, Ihr bleibt ja doch Konsumkapitalisten! Nachtkritik und FAZ blicken mit Sasha Waltz' neuer Choreografie in die Freiheit. Die SZ begibt sich mit Simon Rattle auf psychedelische Weltraumreise.

Polyester, Baumwolle und Rippenstrick

06.03.2021. Dezeen bewundert die skulpturale Haute Couture von Ryunosuke Okazaki. Die SZ porträtiert die Sängerin und Dirigentin Nathalie Stutzmann. Die Welt kritisiert das Othering Amanda Gormans. In der FAZ blicken sechs ex-jugoslawische AutorInnen zurück auf das Jahr 1991, als der Krieg ausbrach. Die taz stellt das feministische chilenische Kunstkollektiv Lastesis vor. Die FAZ fühlte sich bei der Wohnzimmer-Biennale, die jetzt zu Ende ist, sehr allein. Fürs Programm gab's bei den Kritikern lobende Worte.

Alte Räume und neue Zeiten

05.03.2021. Die Filmkritiker feiern auf der Berlinale Maria Speths Doku über "Herrn Bachmann und seine Klasse". Warum hat die Berlinale eigentlich noch Sektionen, fragt Artechock. In der nachtkritik ermuntert Sebastian Hartmann die Theater zum Sprung ins Netz. Die SZ schwärmt vom kalifornischen Stil des Architekten Werner Düttmann, der dieses Jahr Hundert wird. Van polemisiert gegen Wohlfühl-Klassik.

Das Gezische, die verschämten Lacher

04.03.2021. SZ und Zeit starren auf die Bytes einer neuen Kunst, deren Hauptmerkmal ein digitaler Eigentumsnachweis ist. Im Standard meint Christoph Thun-Hohenstein vom Wiener MAK: Warum noch Originale zeigen? Reproduktionen sind auch sehr schön und viel klimafreundlicher. Die Filmkritiker sahen auf der Online-Berlinale Filme von Radu Jude und Céline Sciamma. Eine niederländische Weiße soll die Gedichte Amanda Gormans nicht übersetzen, in Deutschland hofft der Verlag Hoffmann und Campe mit einem Dreier-Team aus Kübra Gümüşay, Hadija Haruna-Oelker und Uda Strätling die Identitätsfrage umgehen zu können, berichtet die Zeit. Die Erben des Kinderbuchautors Dr. Seuss haben gleich sechs seiner Bücher zurückgezogen, meldet die FAZ, wegen typisierender Stereotypen. Die taz hört smoothen Souljazz von Adrian Younge.

Die Zwänge des Ruhms

03.03.2021. Die Kämpfe um feministische Kunst werden in Polen mit neuer Härte ausgetragen, beobachtet die taz, im Museum und auch auf der Straße. Die FAZ blickt ungläubig auf den winzigen Frauenanteil in gehobenen Orchesterpositionen. Der Freitag wiegt und biegt sich in Pauline Anna Stroms Retro-Yoga-Musik. In der SZ offenbart sich Christian Kracht als Spiegelbild seiner selbst. Und auf der Geister-Berlinale liefen Filme von Hong Sangsoo und Daniel Brühl, wie ZeitOnline, taz und Culturmag berichten

Keine Zeit zwischen den Zeiten

02.03.2021. Der Guardian weiß, warum die Dichterin Marieke Lucas Rijneveld darauf verzichen musste, die Gedichte von Amanda Gorman ins Niederländische zu übersetzen. Die FAZ trifft die libanesische Autorin Chaza Charafeddine in Beirut. Tagesspiegel und ZeitOnline blicken auf die nackten Seelen und in Dominik Grafs Kästner-Verfilmung "Fabian". Die NZZ trauert um die zum Abriss freigegebenen Maag-Hallen. Die SZ schwelgt mit Pınar Karabuluts Webserie "Edward II." im rosafarbenen Trash.

Was erleben wir? Eine Irrealität?

01.03.2021. Mit Unbehagen blickt die Filmkritik auf die Berlinale, die heute als reines Branchenereignis beginnt: Die FR fürchtet die Geburt eines virtuellen Monsters, die SZ eine einzige deprimierende Streamingsuppe, die FAZ die Provinzialisierung des deutschen Films. Die taz unterzieht die deutsche Popliteratur der Neunziger einer Revision. Der Tagesspiegel sorgt sich immer mehr um die Literaturkritik im Hörfunk. Und der Guardian blickt mit Gilbert and George auf die zerschlagenen Gestalten des Londoner Lockdowns.