Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Juni 2021

Epochale Verdoppelung der Welt

30.06.2021. Die SZ fragt sich, ob Amazon mit seiner Verpflichtung auf eine "authentische Darstellung" in seinen Filmen auf dem Weg zu einer Blut-und-Boden-Politik ist. Auf Intellecture beklagt die Orlanda-Verlegerin Annette Michael ein fehlendes Sensorium für afrikanische Literaturen. Die FR feiert die avantgardistische Modefotografie von Yva. Dezeen lernt von Architekt Francis Kéré das Zusammenspiel von materieller Kühle und visueller Wärme. Und die taz feiert die schrullige krautrockhafte Freakigkeit der Fische.

Gönn dir deine Bourgeoisie

29.06.2021. In der FAZ bemerkt Schriftstellerin Nora Bossong eine neue Verbissenheit im Literaturbetrieb. Außerdem lässt sich die FAZ von den Kinoverbänden erklären, warum die Filmwirtschaft gerade brummt. Die Nachtkritik lässt sich freudig von einem bunten Münchner Drachen einschüchtern. Die SZ steht im Musée du quai Branly vor den Trümmern afrikanischer Masken. Und im ND trauert Berthold Seliger um den revolutionären Komponisten Frederic Rzewski, für den jeder einzelne Ton wichtig war.

Ähnlich wie die dicke Zigarre

28.06.2021. Im Standard erklärt die Filmemacherin Jasmila Žbanić, warum sie nach Srebrenica und im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen nichts Attraktives am Krieg finden kann. Die FAZ bewundert die verpixelte Rauchsäule, die Frank Gehry in Arles gen Himmel steigen lässt. Das Theater wird immer schweinischer, seufzt die SZ. Und die NZZ lernt im Textilmuseum von St. Gallen, warum Politiker mit ihrer Kleidung Gleichheit signalisieren, Politikerinnen aber nicht.

Sie sollen das Qi ihres Gegenübers spüren

26.06.2021. Zwischen ausgestopften Tierkadavern erkennt die FAZ in Amsterdam in Bruce Nauman einen Pandemie-Propheten. Außerdem sehnt sie sich nach der Wildheit und Rohheit des "in-yer-face"-Theaters zurück. In der SZ erkennt Maria Schrader in Robotern die besseren Menschen. Der Tagesspiegel überwindet mit dem chinesischen Künstler Zheng Bo im Gropius-Bau den Anthropozentrismus. In der Welt erklärt Ralf König, weshalb sein Lucky Luke nicht rauchen und nicht schwul sein durfte. Und in der FR wünscht sich Marion Poschmann mehr "Laubenthusiasmus" in der Literatur.

Die alles bestimmende Diskursmode

25.06.2021. Die SZ liest noch einmal Uwe Timms Roman "Morenga", der sich schon vierzig Jahren mit den Kolonialverbrechen der Deutschen beschäftigt hat. Der Tagesspiegel reist mit Alice Winocours feministischem Kosmonautendrama "Proxima" ins All. Der Künstler Christian Boltanski spricht mit Monopol über den Tod. In Van möchte die designierte Intendantin der Semperoper Nora Schmidt lieber nichts mit Genies zu tun haben.

Ja herrlich, ja bitte!

24.06.2021. Die FAZ blickt einem melancholischen hummerroten Wassermann ins Auge und feiert ein Oeuvre voller Rätsel der Künstlerin Ilna Ewers-Wunderwald. Scharf kritisiert sie hingegen den nachgebesserten Entwurf von Herzog & de Meuron für das neue Kunstmuseum in Berlin. Die FR lässt sich entspannt vom Pixar-Animationsfilm "Luca" mit einem als Jungen getarnten Meerwesen ins Italien der 50er versetzen. Die NZZ freut sich über die Helvetica auf den neuen Männeranzügen von Comme des Garcons. In der SZ erklärt der irakische Dirigent Karim Wasfi, warum Beethoven auch den Irakern etwas bedeutet.

Der Löwe darf nicht stinken

23.06.2021. Auf ZeitOnline zürnt Robin Detje gegen das Langweilertum in der Literatur und ihre "Festlegung auf die mittlere Lage". Im Filmdienst fürchtet Tacita Dean, dass gerade die leichten Kameras den Film schwerfällig und bieder gemacht haben. Die FAZ feiert Gio Pontis heitere Moderne, die nie den Bruch mit der Tradition vollzog. Der Guardian blickt mit Sebastiao Salgado in das Herz Amazoniens. Und die taz widmet sich nur halb überrascht dem #MeToo im Deutschrap.

Rapstee, Kurkuma, Vitamin C

22.06.2021. Die Feuilletons freuen sich über den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für die simbabwische Schriftstellerin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga: Sie wird die erste schwarze Preisträgerin seit Chinua Achebe 2002. Wo bleibt denn jetzt die so oft reklamierte Relevanz des Theaters?, fragt die SZ. Die FAZ besichtigt im Centre Pompidou die weibliche Seite der Abstraktion. Die taz sucht beim FrauenFilmFest in Köln mit der Biosuppenhexe nach Alternativen zur chemischen Produktion.

Dem Risiko literarisch gewachsen

21.06.2021. In Klagenfurt ist der Bachmannwettbewerb zu Ende gegangen, gewonnen hat die Autorin Nava Ebrahimi. Die KritikerInnen in FAZ bis taz interessieren sich allerdings vor allem für die KritikerInnen in der Jury. Der Tagesspiegel resümiert die Sommer-Berlinale, mit der sich das Verhältnis von Innen und Außen verschob. Die SZ lernt von Sandra Hüller, dass Körbe und Beutel viel nützlicher sind als Werkzeug und Waffen. Die Welt ärgert sich, dass die erfolgreich  diversifizierte Oper segregiert werden soll. Und die FAZ feiert die sanften Utopien von Duplex Architekten. 

Die schöne Utopie des Gegenwartspessimisten

19.06.2021. In der taz erklärt Najem Wali, warum sein neuer Roman in Ägypten wohl auf wenig Gegenliebe stoßen wird. Außerdem lässt sich die taz vom Drone- und Ambientsound des finnischen Komponisten Vladislav Delay durch die Hitze tragen. Die FAZ besucht das neue Besucherzentrum für den Nationalpark Schwarzwald und stellt fest: Auch die Boombranche Naturschutz entgeht der Wachstumslogik nicht. Cargo kann keine Filme aus den Achtzigern mehr sehen, zu beleidigend sind sie für das feministische Auge. Die SZ bereist die Orte um Florenz, in die sich die Uffizien verteilt haben.

Das Moderne wird begradigt

18.06.2021. Hubert Winkels singt in Klagenfurt ein Loblied auf die intellektuelle Literaturkritik. Die Theaterkritiker kommen froh aus Oliver Frljićs angenehm undoktrinärem Abend "Alles unter Kontrolle" am Gorki Theater. Zeit online erfährt aus Ute Adamczewskis Dokumentarfilm "Zustand und Gelände", wie die NS-Frauenschaft half, die Schreie der gequälten Häftlinge zu ersticken. FAZ und Zeit denken anlässlich der Ausstellung über die Anfänge der Documenta im DHM über Abstraktion, Politik, Macht und Verdrängung nach. Die FAS hört Musik ohne Regeln des Esbjörn Svensson Trios.

Fragmente des bildungsbürgerlichen Kanons

17.06.2021. Die NZZ unterhält sich mit der Künstlerin Pamela Rosenkranz über Künstliche Intelligenz, Katzen und die Vorstellung von Reinheit. Im Interview mit der Jungle World erklärt Filmemacher Julian Radlmaier, wie man am besten die Theorie-Besserwisserei aushebelt. Die FAZ kritisiert scharf die Berufung von Christian Spuck zum neuen Leiter des Berliner Staatsballetts. Ebenfalls in der FAZ notiert der Literaturwissenschaftler Achim Hölter eine zweite Phase der Comic-Selbstzensur aus den fünfziger Jahren angesichts der politisch-korrekten Eingriffe in die Comic-Übersetzungen der göttlichen Erika Fuchs. Im Van Magazin warnt der Cellist Steven Isserlis vor dem Lachen des Pianisten Ferenc Rados.

Zweckfreie Strenge

16.06.2021. In der Schau "Australia 1992" erlebt der Guardian den Kampf um die Landrechte der Aborigines als Pasolini-Film. Die NZZ misstraut dem neuem Trend zur Comicbiografie. Standard und Presse blicken nach Klagenfurt, wo heute Abend der Bachmann-Wettbewerb beginnt. Die FAZ beobachtet Stalins Rückkehr auf die Moskauer Bühnen. Und die SZ blickt noch einmal mit der Melancholie Charles Aznavours auf die Welt.

Mehr Office und weniger Home

15.06.2021. Die Berliner Zeitung entdeckt einen Dürer in Crailsheim. In der SZ beklagt ausgerechnet Hubert Winkels die Betriebshaftigkeit der Literaturkritik. Der Tagesspiegel berichtet erschüttert von Christophe Cognets auf der Berlinale gezeigtem Dokumentarfilm "From Where They Stood". Die FAZ erklärt dem Berliner Senat, dass niedrige Hochhäuser nicht halb, sondern doppelt schlimm sind. Die NZZ erlebt Wagners "Rheingold" als Grand Guignol. Und die SZ zieht jetzt in ihr eigenes Vorstandszimmer.

So, weiter gehts!

14.06.2021. Die SZ spürt im Haus der Kunst den Schweiß, der Menschen zusammenbringt. Auf ein erwartbar geteiltes Echo stößt Frank Castorf mit seiner "Fabian"-Inszenierung am Berliner Ensemble. Im Standard erinnert Elfriede Jelinek an den Lyriker H.C. Artmann, von dem sie lernte, dass es kein Zuviel gibt. Die Welt klagt, dass das Centre Pompidou schon wieder geschlossen wird. Und die FAZ lauscht dem Blues des Gitarrenvirtuose Mdou Moctar.

Auffällig viele Katzen

12.06.2021. Die FAZ blickt mit James Ensor in Mannheim hinter die Masken. Die FR fängt mit Norbert Biskys "Trollfarmer" in Leipzig digitale Farbfetzen. In der taz ärgert sich Dániel Kovács, Kurator des ungarischen Pavillons auf der Architekturbiennale in Venedig, über die "negativ konnotierte Identität" der Osteuropäer. Die NZZ porträtiert afrikanisches Theater zwischen Aufbruch, Postkolonialismus und Islamismus. In der SZ beerdigt Anke Stelling die Berlin-Träume der Neunziger. Und die taz steckt mit der Eboni Band berauscht knietief im spätrömischen Disco-Idiom der Achtziger.

Symbiose durch Konfrontation

11.06.2021.  Die taz würdigt die subtilen Störgeräusche und Broken Beats im japanischen Ambient der Achtziger. Die SZ empfiehlt den Berlinalefilm "Courage" des belarussichen Regisseurs Aliaksei Paluyan und seiner furchtlosen Kamerafrau Tanya Haurylchyk. Der Tagesspiegel staunt über den Bilderteppich des Outsider-Künstlers Robert Fischer. Und: Die Architekturkritiker trauern um Gottfried Böhm.

Das Zeitgenössische als Alibi

10.06.2021. Die Zeit fragt, warum das Wachstumsdenken ausgerechnet in der Kunst überlebt. Die FAZ sucht das Zukunftsversprechen in einer Ausstellung über "Vision und Schrecken der Moderne". Ebenfalls in der FAZ beschreibt Bernd Stegemann die Angst des Trapezkünstlers vor dem Betriebsrat. Van fragt, warum dem WDR bei Neuer Musik nur Klischees einfallen. In der SZ diagnostiziert Eva Menasse mit dem Abflachen der Pandemiekurve hierzulande einen eklatanten Zuwachs von Menschenfreundlichkeit. Der Tagesspiegel hätte seine Berlinale gern auch künftig im Sommer.

Superschnell, superkopflos, dabei immer superpräzise

09.06.2021. Der Tagesspiegel feiert die heute in Berlin beginnende Publikumsberlinale. Die NZZ beobachtet die große Kräftverschiebung im Blockbuster-Kino von den USA nach China. Die FAZ erlebt in der Moskauer Garage, wie Putins Glorie sanft in Süßlichkeit ertränkt wird. In der FR möchte Schauspiel-Intendant Anselm Weber beim nächsten Vertrag gern weniger Macht haben.

Die Produktion läuft ganz normal

08.06.2021. Der DlfKultur blickt auf die Not der Textilarbeiterinnen in der Türkei. Die taz erkundet Familienbilder in der Fotografie. Die Welt erlebt mit Andras Schiff einen Brahms ohne Bart und Bauch. Die NZZ sieht das Ende von Personen- und Geniekult am Theater nahen. Der Tagesspiegel begrüßt die neue Doppelspitze an der Berliner dffb. Und in der SZ gönnt sich Lutz Seiler etwas Kellerfreizeit.

Die Schweine tanzen die Krankheit

07.06.2021. Mit klingelnden Ohren kommen Nachtkritik und Standard aus Elfriede Jelineks Pandemiestück "Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!" Die FAZ sieht Moskaus Kunstszene innerlich emigrieren. Oder feiert sie ein Pestgelage?  In 54books erklärt Barbara Vinken die Mode zum Protest gegen eine Politik des gesunden Menschenverstands. In der SZ spürt der Historiker Carlo Gentile den NS-Verbrechen von Documenta-Mitbegründer Werner Haftmann nach. In der taz beteuert Stefan Dettl, dass die Musik von LaBrassBanda auch zur Yoga-Meditation passt.

Bewohnerin der Schrift

05.06.2021. Die Feuilletons trauern um die Dichterin Friederike Mayröcker, deren musikalische Form der Grenzenlosigkeit sie würdigen. Die Architektur der Zukunft wird nicht gebaut, sondern überbaut, lernt Zeit online von dem australischen Architekten Liam Young. Tagesspiegel und Dlf Kultur staunen über die Provokationen der israelischen Videokünstlerin Yael Bartana. Die Berliner Zeitung ist auch nach dreißig Jahren noch fasziniert von Rebecca Horn. Die Musikkritiker feiern den pianistischen Furor der Marta Argerich, die heute achtzig Jahre alt wird.

Abstand ist die Seele des Schönen

04.06.2021. In der SZ weiß Friedrich Ani nicht, ob er nach der Pandemie überhaupt wieder raus will. Im Interview mit Van erzählt der belarussische Dirigent Vitali Alekseenok, warum er gerade auf keinen Fall Schostakowitsch dirigieren will. Hyperallergic stellt uns die prächtig bemalten Lastwagen in Indien vor. Artechock fürchtet einen Kollaps der kommenden Kinosaison. Der Tagesspiegel informiert über das atemberaubende Programm von Cannes.

Ein gewisses Augen-Make-up als Standard

03.06.2021. Der Observer bewundert frustiert die Formen der Bildhauerin Barbara Hepworth. Die Zeit unterhält sich mit Kara Walker über politische Kunst. Und Clemens J. Setz erzählt vom spannendsten intellektuellen Slapstickmoment seines bisherigen Lebens. Die Welt feiert Barry Jenkins' Serie "Underground Railroad". Die taz bewundert die rüstungshafte Schönheit Angelina Jolies als Feuerwehrfrau. Im Standard versetzt Rene Pollesch ein Brecht-Stück in ein Hollywoodmusical von 1938.

Hedonistisch ausufernde Kunst-Happenings

02.06.2021. Die taz stöbert in den kenianischen Beständen des Rautenstrauch-Joest-Museums. Außerdem meldet sie die Freilassung des kubanischen Künstlers Luis Manuel Otero. Die SZ lernt im Vitra-Designmuseum, wie nah sich die Avantgarden von DDR und BRD waren. Die NZZ schwärmt von der HBO-Miniserie "Mare of Easttown", in der Kate Winslett wie auch die amerikanischen Provinz ihre schroffe Schönheit offenbaren dürfen. Die Jungle World beobachtet, wie die BDS-Bewegung jetzt auch einen Fuß in die Technoszene bekommt.

Kollektive Krachmacher-Traditionen

01.06.2021. Die SZ reist nach Mali zu DJ Diaki, um die Zukunft elektronischer Musik zu erhaschen. Die taz lernt von Marc Brandenburg, die Umdrehung der Schwerz-Weiß-Perspektive nicht zu deuten. In der FAZ traut sich Linus Reichlin nicht mehr an Frauenfiguren heran Die Welt ermisst, welch gewaltiger Umbau auf die Städte nach der Pandemie zukommt. Und die taz entziffert die Drapiersprache des Modedesigners Halston.