Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

November 2021

Ästhetik des Eises

30.11.2021. Aus einmal regnet es Dirigentinnen, freut sich die SZ und feiert die überlegene Meisterschaft der Litauerin Giedre Slekyte, die in Berlin Janaceks "Katja Kabanova" dirigierte. In Peter Eötvös' neuer Oper "Sleepless" klöppelt selbst der Tod noch mit knochentrockener Zartheit, staunt die FAZ, der Tagesspiegel stört sich allerdings am gütigen Retter in versöhnlicher Baritonlage. Die taz erlebt auf dem Climate Cultures Festival, wie poetisch sich vom Klimawandel erzählen lässt. Außerdem besucht sie das Cinéma Numérique Ambulant in Ouagadougou.

Entweder niedrig und breit oder hoch und schmal

29.11.2021. Im Standard blickt Wiener Staatsopern-Intendant Bogdan Roscic deprimiert auf eine Zukunft, in der weite Tele der Gesellschaft in völlige Irrationalität abgesunken sind. Sibylle Lewitscharoff gewährt der NZZ Zutritt ins brodelnden Ungemach. Das Grün gehört zum Urbanen, erklärt in der FR der Stadttheoretiker Robert Kaltenbrunner. Die SZ gönnt sich mit Thom Luz' Münchner Aristophanes-Inszenierung ein bisschen Eskapismus. Die FAS verteibt sich die Zeit mit dem Kino der alten weißen Männer. Die Feuilletons trauern zudem um den Komponisten und Boradway-Texter Stephen Sondheim.

Die Kakofonie ist beabsichtigt

27.11.2021. Erschüttert erkennt der Tagesspiegel auf den Fotos von Zanele Muholi, welchen Verfolgungen und Verbrechen Homosexuelle und trans Menschen noch immer in Afrika ausgesetzt sind. Hyperallergic entdeckt mit Catherine Murphy das Unheimliche im Alltäglichen. In der taz erklärt Kim Stanley Robinson, weshalb seine Science-Fiction-Romane zum Klimawandel längst Realität geworden sind. Und die Jungle World lernt von Hackedepicciotto, wie gut Klänge aus dem mittleren Orient und Metal zusammenpassen.

Das Ende der Seifensekte

26.11.2021. Die Kritiker versinken mit Peter Jacksons achtstündiger Beatles-Doku in "Wolken von grenzenloser Kreativität". Die SZ hebt ab im Raumschiff der Stuttgarter John-Cranko-Ballettschule. In Hamburg verneigt sie sich noch einmal vor Tomi Ungerer, der sich nie korrumpieren ließ. Im Freitag erzählt Gisela von Wisocky, wie sie mit Adorno die verschmähte Kindheit freiließ. Und die nachtkritik fordert "intimitätssensibles" Arbeiten am Theater.

Dramatisch willkommene Krisen

25.11.2021. In der NZZ berichtet der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu vom spurlosen Verschwinden jener Reporter, die in Wuhan recherchierten. Im VAN-Gespräch vermisst der Pianist Rudolf Buchbinder indes die großen Charaktere in der Klassik: Am Ende kommt immer Christoph Thielemann. Die Filmkritiker vermissen derweil Aretha Franklin in Liesl Tommys Biopic über die Künstlerin. Die Welt ärgert sich, dass der "Nussknacker" am Berliner Staatsballett gecancelt wurde. Und die SZ lernt von Louise Brown, was ein guter Tod ist.

Stauchfalten im blauen Wasser-Papier

24.11.2021. Die Nachtkritik bemerkt alarmiert, dass wir vom Theater entwöhnt werden. Die FAZ ergründet in Santander die Welten Thomas Demands. Die SZ stößt im palästinensischen Flüchtligslager Dheisheh auf das Erbe einer Kultur des Exils. Im Freitag beklagt der slowenische Schriftsteller Goran Vojnović eine kommerzialisierte Jugonostalgie. Angefeuert von Christiane Rösinger befreit sich der Tagesspiegel auf dem Planet Egalia von seinem PH. Und Critic.de erfreut sich an den überkrachten Dialogen in Gábor Altorjays DDR-Fantasie "Pankow '95".

Eine andere Hölle als die zuvor

23.11.2021. Jubelnden Applaus spenden taz und SZ Nora Abdel-Maksouds Münchner Komödie "Jeeps", die der Eierstocklotterie des Erbens ein Ende macht. Die FAZ bewundert im Prado die Pracht lateinamerikanischer Kunst in Spanien. Der Standard stellt die Verlegerin Ann Kathrin Doerig vor, die der Misogynie der Welt mit schönen Büchern entgegentreten möchte. Das Comeback des Minirocks versetzt die NZZ in Hochstimmung.

Berührung wird möglich

22.11.2021. Die erschöpften Theaterkritiker von Standard, taz und Nachtkritik erholen sich in der Hamburger Signa-Performance "Ruhe" mit Birkenrohrling-Tee, Aal-Ritualen und afrikanische Riesenschnecken. In der FAS bekennt Jane Campion ihr Mitgefühl für Western-Scheusale. Der Freitag fragt, woher der große Wille zur Poesie rührt, wenn Männer über ihre Mütter schreiben. Die SZ wünscht sich von der Architektur den Einfallsreichtum eines Günther Ludwig Eckert, der die Biosphären retten wollte, indem er die Menschheit in eine weltumspannende Röhre pferchte.

Großes Mutterfinale

20.11.2021. Die Theaterkritiker liegen Angela Winkler zu Füßen, die in Jan Bosses Adaption des Kracht-Romans "Eurotrash" an der Schaubühne die Crostinis fliegen lässt. Zeit Online erinnert an die Ondes Musicales des Cellisten Maurice Martenot, ein Instrument, um arabische Musik auf europäischer Klaviatur zu spielen. Die Jungle World entdeckt den subversiven Humor der Neuen Deutschen Welle. Die FAZ schreibt über den langen Schatten von Vichy in der französischen Literatur.

Das Schwungrad der Poesie

19.11.2021. Bei der Probe zum "Troubadour" in Nürnberg stellt sich die Frage: Ist Rassist, wer einer schwarzen Chorsängerin bei der Probe ein Beispiel aus Afrika gibt, wie Peter Konwitschny es tat? Die Literaturkritiker trauern um den Avantgardisten Oswald Wiener. Die SZ porträtiert die Dramatikerin Nora Abdel-Maksoud, die eine Erbschaftslotterie auf die Bühne stellt. Van weiß, warum auch heute Komponistinnen kaum zu hören sind.

Die Denkerei ist nichts für mich

18.11.2021. Liebe findet sich in den kleinsten Ecken, erkennt critic.de in Sebastian Meises Gefängnisfilm "Große Freiheit". In der Jungle World erklärt die äthiopische Autorin Maaza Mengiste, warum die Frauen kaum bekannt sind, die gegen Mussolinis Einmarsch kämpften: Nach dem Krieg mussten sie wieder in die Küche. Die SZ stöhnt über die Tiefsinnshochstapelei von Jon Fosses neuem Stück "Starker Wind" am Deutschen Theater und begeistert sich für die Aufnahme aller 299 Schumann-Lieder durch Christian Gerhaher und Gerold Huber. Prospect sucht ein anderes Wort für Blau.

Schießerei ohne Pistolen

17.11.2021. Die FAZ erlebt mit Jane Campions Western "The Power of the Dog" ein Massaker der Sinne. Hans Pleschinski attestiert der deutschen Literatur in der Welt einen Hang zur Griesgrämigkeit. Der Guardian liegt der freundlichen Rhinozeros-Dame Miss Clara zu Füßen. Die SZ ergründet im Wallraf-Richartz-Museum die Maltechniken der Moderne. Standard und Welt gehen mit Adele in Trennungstherapie.

Aus dem Jetzt heraus

16.11.2021. Die FAZ feiert die schädelsprengende Fotografie Katharina Sieverdings. Die taz erlebte auf der Duisburger Filmwoche einen neuen Fetischismus des BildesSZ und Welt blicken konsterniert auf die Massensex-Szenen in Feinripp in Stefan Herheims "Ring"-Inszenierung. Crescendo verzweifelt am Sparwahn in der Klassik. Außerdem trauern die Feuilletons um die libanesisch-amerikanische, zutiefst humanistische Schriftstellerin Etel Adnan.

Zu viele Kalorien, zu viele Fette

15.11.2021. Im Standard erzählt Eva Menasse, wie sie in Berlin lernte, mit der Sprachaxt durch den Wald zu gehen. SZ und Nachtkritik feiern in München eine dunkle Messe mit Thomas Köck. Die FAS versteht mit der Netflix-Serie "Squid Game" allmählich, wie antikapitalistisches Entertainment funktioniert. Die taz empfiehlt nachdrücklich Daniel Mendozas Leals kolumbianische Dokuserie "Matarife" über die Verstrickung von Drogenkartellen und Politik. Außerdem huldigt sie der Legende Zygmunt Blask.

Strategisches Vertippen

13.11.2021. Der Filmdienst unterhält sich mit Vanessa Lapa über ihre Doku "Speer goes to Hollywood". Die NZZ empfiehlt neue Literatur aus Grönland. Die FAZ lernt im Münchner Architekturmuseum, wie man Obdachlosen helfen kann. Standard und Zeit begreifen nicht, warum Damon Albarn sein neues Album in Island aufgenommen hat: Nebel gibt's schließlich überall. Dem Tagesspiegel sitzt die Antimaterie eines Pollesch-Abends in den Knochen.

Die Realität hinter der Angst

12.11.2021. Zeit und FAZ diskutieren über das Erbe des ARD-Programmdirektors Hans Abich: Propagandahelfer der Nazis oder Speerspitze des televisionären Fortschritts? Möglicherweise war er beides. Oicanadian entdeckt die "Nazi Death Parade" des Comickünstlers August M. Froehlich. Monopol lernt in der Kunsthalle Mannheim, dass Muttersein sehr viel mehr ist, als nur Madonna mit Kind. Manchmal ist es auch ein Dackel mit Stinkefinger. Die taz streckt ein Ohr ins imaginäre Außen des Noise-Musikers Helm.

Sauerkraut mit Schink und Wurst

11.11.2021. Die Filmkritiker feiern Andreas Kleinerts Biopic über den Schriftsteller Thomas Brasch: Der Film sieht aus wie ein Stück DDR-Nouvelle-Vague, die es niemals gab, freut sich die FR. Höchst angeregt kommt die Zeit aus einer Ausstellung über die Porträtkunst, wie sie Edouard Manet und dem Kunstkritiker Zacharie Astruc vorschwebte. Die FAZ amüsiert sich prächtig in der Urfassung von Jacques Offenbachs "La vie parisienne": Tchî tchî, boum boum. Die Literaturkritiker gratulieren Dostojewski zum 200. Geburtstag. Und VAN fordert die Sender auf, nicht mehr jede Marketing-Möhre anzuknappern, die die Klassische-Musik-Labels ihnen hinhalten.

Das Auftauchen von Krähen

10.11.2021. Der Tagesspiegel berichtet, dass Orhan Pamuk in Istanbul ein weiterer Prozess droht: Er soll Atatürk verunglimpft haben. Verhalten nimmt die Kritik Andreas Kleinerts Biopic "Lieber Thomas" auf, das aus Thomas Brasch einen deutschen Riesen machen will. Die FAZ bewundert die kreative Strenge des schwedischen Architekten Sigurd Lewerentz. Die SZ amüsiert sich prächtig mit "Garland" in Granz. Die taz lässt sich von der brasilianischen Schlagzeugerin Mariá Portugal niederstrecken.

Das Herz virtuos auf der Zunge

09.11.2021. Die SZ erlebt im Folkwang Museum, wie die Avantgarde des Tanzes im Austausch der Kulturen entstand. Die NZZ berichtet von neuen schweren Vorwürfen gegen die Sammlung Bührle. ZeitOnline erinnert an die Empathie, die die verstorbene Filmemacherin Tamara Trampe selbst noch einem Oberstleutnant der Staatssicherheit entgegenbrachte. Der Standard lernt von Diana Ross das Downsexing.   

Es sind auch die Pferde, die erzählen

08.11.2021. Die KritikerInnen feiern Yael Ronens Musical zur Cancel-Culture "Slippery Slope" als entspannteste Ideologie-Zertrümmerung seit Mel Brooks "Springtime for Hitler". Vom Londoner Old Vic Theatre wird derweil der ehemalige Monty Python Terry Gilliams gecancelt, wie die SZ berichtet. Die taz lernt vom frisch gekürten Büchner-Preisträger Clemens Setz  Klopfzeichen zu verstehen. Der Filmdienst erliegt der glimmenden Schönheit Vicky Krieps'. Warum sieht man auf gerenderten Architekturentwürfen, fragt die NZZ, nur noch Cappuccino schlürfende Hipster, aber keine Schneidereien?

Poetisches neben Kolloquialem

06.11.2021. In der Literarischen Welt blickt die Soziologin Carolin Amlinger auf das prekäre Dasein von Schriftstellern. Wir bauen die Künstler auf und die subventionierten Orchester greifen sie dann ab, ärgert sich der Konzertveranstalter Andreas Schessl im VAN-Magazin. Der Standard lässt sich von Jonathan Meese mit Hakenkreuzbinde durchs Wiener Volkstheater peitschen. Die FAZ macht es sich in München gemütlich zwischen Riesenhalmen und Gartenei. Und Hyperallergic bewundert Fotografien von Georgia O'Keefe.

Bevor das Fallbeil niedergeht

05.11.2021. Die FAZ verfällt im Museum Rietberg der Kultiviertheit narrativer Kunst aus Japan. Die NZZ fragt: Musste man wirklich die antisemitischen Passagen aus Patricia Highsmiths Tage- und Notizbüchern streichen? Der Tagesspiegel erlebt finales Kopfkino in Sebastian Hartmanns Inszenierung des "Idioten", die SZ nur eine Parade hechelnder Soloauftritte. Die taz steht im Kunstmuseum Bonn vor den Zigarettenstummeln von Ingeborg Lüscher und staunt: Rauchen galt mal als schick. Die Musikkritiker erleben ein verstörendes deja vu mit Abbas neuem Album "Voyage".

Wie ein zart schattiertes Schönwetterwölkchen

04.11.2021. Die FAZ hört die Erotik knistern, wenn Christian Thielemann aus Wagners Ring spielt. In der Welt erklärt die Autorin Deboray Levy ihr Konzept der weiblichen Subjektivität. Die Zeit liest mit langen Ohren die Twitter-Verse von Clemens Setz. Die Filmkritiker schweben heiter durch Mia Hansen-Løves Anti-Bergman-Film "Bergman Island". Die Zeit spiegelt sich im phantastischen neuen Depot des Boijmans Van Beuningen Museums. Die NZZ entdeckt mit dem Maler Otto Wyler einen leisen Meister. Und eine sehr müde nachtkritikerin lernt in Sebastian Hartmanns Inszenierung von Dostojewskis "Der Idiot": Tiere und Hitler gehen immer.

Kein akademisches Ordnungsprinzip, nirgends

03.11.2021. SZ und Welt huldigen dem malenden Partisan Georg Baselitz, der in die Académie des Beaux-Arts aufgenommen wurde und dem das Centre Pompidou eine imposante Retrospektive widmet. Die NZZ lauscht noch einmal den revolutionären Eruptionen in einem Live-Mitschnitt von John Coltranes "Love Supreme". Die FAZ bewundert die Konsequenz, mit der Kate Winslet die Erwartungen der Filmindustrie an sie unterlief. Zärtliche Grüße gehen an Monica Vitti, mit deren Modernität nicht einmal Antonioni mithalten konnte.

Wasserrauschen auf dem Himmeltindan

02.11.2021. In der Welt schreibt Deniz Yücel zum Tod des Schriftstellers Doğan Akhanli, der das Deutschen um den Plural von Heimat bereicherte. Nach dem Besuch der Willi-Sitte-Schau in Halle möchte die FR eigentlich die Suche nach dem guten Menschen in der Kunst abblasen. Vom chinesischen Dokumentafilmer Wei Deng lernt sie, wie viel Selbstbestimmtheit in der Tragik liegen kann.  Die NZZ lernt am Schauspiel Köln, was ein Schaupieler macht, wenn er nicht spielt. ZeitOnline folgt dem Saxofonisten Mulo Francel auf Berggipfel, in deren dünner Luft selbst Schwermut leicht klingt.

Fühlen Sie sich verantwortlich?

01.11.2021. Die taz kratzt mit Nicole Eisenman in der Kunsthalle Bielefeld am dünnen Firnis der Zivilisation. taz und FAZ loten Höhen und Tiefen des politischen Theaters aus. In der FR setzt die haitianische Schriftstellerin Yannick Lahens ihre Hoffnungen auf die Kreativität der Jugend. Im Tagesspiegel erzählt die Regisseurin Shahrbanoo Sadat von der Liebe der AfghanInnen zu Bollywood-Filmen. Und die FAS fragt, wieviel Afrofuturismus in Kraftwerk steckt.