Efeu - Die Kulturrundschau

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.

Januar 2016

Künstlerische Knaller

30.01.2016. Cees Nooteboom betrachtet für die NZZ Bilder von Hieronymus Bosch und sucht den 21-Jährigen in sich, der sie zum ersten Mal sah. Applaus für Andrea Breths Wiener Inszenierung des Crime-Klassikers "Diese Geschichte von Ihnen" von John Hopkins. Mehr Action fordert die SZ derweil von Matthias Lilienthal in München. Das Kino trauert um den Meister der himmlischen Längen: Jacques Rivette.

Neoromantische Tendenz zum Düsteren

29.01.2016. Die Zeit sucht die tiefere Bedeutung in Toshio Hosokawas Fukushima-Oper "Stilles Meer". Früher war mehr Aufbruch, seufzt die FAZ in einer Ausstellung mit Zukunftsbildern von einst bis jetzt. Im Guardian/Freitag fordern Nadia und Leila Latif mehr Diversität im Kino. Die NZZ liest sich durch japanische Gegenwartsliteratur. taz und Berliner Zeitung bereiten uns auf neue Geografien bei der Transmediale vor.

Frühstück mit tibetischem Porridge

28.01.2016. Der FAZ rauschen die Ohren von Fortegewitter und Lamentolyrik in Wolfgang Rihms "Hamletmaschine". Die Filmkritiker feiern den scheuen Garrel'schen Touch. Rettet den Brutalismus in der Architektur, ruft der Freitag. Zeit online rümpft die Nase über den neuen Schmusekurs des Rappers Kendrick Lamar. Die NZZ legt sich unter einem Buddha-Kopf schlafen. Die Berliner Zeitung liest mit Abbas Khiders "Ohrfeige" das Buch der Stunde.

Schach in Potenz

27.01.2016. Quentin Tarantinos "Hateful Eight" spaltet die Filmkritik: Die einen halten den Film für bestialisch und ekelerregend, die anderen für ganz großes Gegenwartskino. Die NZZ beobachtet, wie die Hamburger Theater dem neuen Wir eine Bühne geben. Die FAZ hört beim Ultraschall-Festival Menschenaffen Spiegeleier brutzeln. Die Nachtkritik enthüllt ihren Plan zur Abschaffung des Claus Peymann.

Hektisch und gleichzeitig unbeirrbar

26.01.2016. Slate.fr freut sich auf graue Zeiten in der Architektur: Es wird wieder mit Beton gebaut. Die NZZ begrüßt sehr, dass sie sich wieder an Wolfgang Rihms "Hamletmaschine" abarbeiten darf. Außerdem preist sie den spröden Charme Javier Sebastians. Luk Percevals Steinbeck-Inszenierung "Früchte des Zorns" fällt dagegen komplett durch. Die taz berichtet vom Eklat beim Max-Ophüls-Festival. Welt und Berliner Zeitung betrachten bewegt die in Berlin gezeigte Kunst aus dem Holocaust.

Der Bildwert von Fleisch

25.01.2016. Der Streit um die Oscars tobt weiter: Regisseur Steve McQueen will nicht länger wie im Johannesburg von 1976 Filme drehen. Die FAZ entdeckt in Paris die Geschichtsvergessenheit in Anselm Kiefers Kunst. Die SZ sorgt sich um das kritische Istanbuler Ausstellungshaus Salt. Die NZZ feiert mit Ferdinand Kramers konsequent sachlicher Architektur die zweckmäßige Schönheit.

Eines der produktivsten Orakel seiner Zeit

23.01.2016. Angesichts der Verhältnisse in Venezuela überkommt die SZ tiefes Unbehagen beim Konzert des mit dem Simón Bolívar Symphony Orchestra durch Deutschland tourenden Dirigenten Gustavo Dudamel. Milo Rau spricht mit der Jungle World über Realismus und mit der Welt über Aktivismus auf der Bühne. Die Welt stellt ein paar coole Typen vor. Und die FAZ begeht beglückt das neugestaltete Museum Unterlinden in Colmar.

Die ursprüngliche Kraft des Hasses

22.01.2016. Frank Castorfs Inszenierung von Hebbels "Judith" lässt auch für den wackersten Volksbühnenmasochisten nichts zu wünschen übrig, versichert die Berliner Zeitung. Die restlichen Theaterkritiker nicken erschöpft mit den Köpfchen. Die taz freut sich am derben Vibrato Mary Ochers. Critic.de besucht das Filmfestival Hofbauerkongress. Die Kunstkritiker feiern zwei neu restaurierte Caspar-David-Friedrich-Gemälde: ein so strahlendes Blau war nie.

Scherenschnittartige Leichtigkeit

21.01.2016. Im Standard erklären Charlie Kaufman und Duke Johnson, wie man Sex mit Puppen dreht. Die SZ feiert die Schwerelosigkeit auf der Kölner Möbelmesse. Ohne Rahmen achtet die taz in der Kopenhagener Glyptotek mehr auf Pinselführung als auf nacktes Fleisch. Die FR langweilt sich mit Gegenwartskunst.

Wie die Gedanken laufen

20.01.2016. Große Begeisterung für Charlie Kaufmans Film "Anomalisa": Die FAZ erkennt im Stoptrick den Rhythmus der großen, schlimmen Liebe. Die SZ fragt dagegen bang, ob wir wirklich alle ferngesteuert sind. Im Standard erklärt Apichatpong Weerasethakul die meditativen Bewegungen seiner Kamera. taz und ZeitOnline diskutieren zum Auftakt der Fashion Week über "The True Cost". Die Welt warnt vor einem massenhaftem Wohnungsneubau. Und Sophia Loren und Marcello Mastroianni tanzen eine letzte Rumba für Ettore Scola.

Aus Erbauungswitz wird Demontagehumor

19.01.2016. Warum ist und bleibt Gustav Mahler so populär?, fragt die NZZ. Der New Yorker berichtet sehr kritisch über die Netflix-Dokuserie "Making a Murderer", die die Unschuld eines Angeklagten nachweisen will. Wenn Dauerwellen und Bärte sich innig veschränken, dann ist das Pop, und Dolly Parton wird siebzig, informiert die FAZ. Die SZ zweifelt am Gelb-Ocker-Ton der Innenwände der renovierten  Kathedrale von Chartres. Für die Kritiker ist  Eugène Labiches "Die Affäre Rue de Lourcine" am Deutschen Theater Musik. Die Literaturwelt trauert um Michel Tournier.

Geburt eines Meta-Theaters aus dem Geiste des Zynismus

18.01.2016. Sind wir alle Arschlöcher? Eindeutig ja, meinte Theatermacher Milo Rau neulich in einem Essay über unseren "zynischen Humanismus", den er nun in einem aktuellen Theaterabend über die Flüchtlingskrise weiterdrehte. Die Kritiker stimmen zu. Die NZZ würdigt den Maler Gottfried Honegger, der fast hundertjährig gestorben ist. Im Welt-Gespräch vermutet deutsche Regisseur Martin Moszkowicz, dass Netflix nicht allzu viele deutschsprachige Serien herausbringen wird. Volltext rühmt den norwegischen Autor Tomas Espedal.

Gnadenloser Antagonismus

16.01.2016. Schon wieder Grigory Sokolov, dem sich auch Manuel Bug in seinem Blog nicht entziehen kann: Wir binden ein zweistündiges Konzert mit Schubert und Beethoven ein. Ziemlich aufregend findet die SZ die Kunst Isa Genzkens, der in Bonn eine Ausstellung gewidmet ist. In der Welt schreibt Airen über die Heroisierung der mexikanischen Drogenbosse in Film und Fernsehen, und Ben Lerner spricht über das Wesen der Lyrik.

Etwas existenziell Obdachloses

15.01.2016. In der Welt erklärt Regisseur Marco Kreuzpaintner, was einen deutschen Film mit einem Budget von zehn Millionen Dollar von einem amerikanischen Film mit dem gleichen Budget unterscheidet. critic.de bringt eine zärtliche kleine Hommage auf den späten Stallone. Die NZZ würdigt nochmal den Pritzker-Preis für Alejandro Aravena, mit dem ausdrücklich eine sozial und politsch denkende Architektur ausgezeichnet wird. Die Filmwelt trauert um Franco Citti und Alan Rickman.

Selberweiterbauen

14.01.2016. Heute finden weltweit Lesungen für den saudi-arabischen Dichter Ashraf Fayad statt, der wegen "Apostasie" zum Tod verurteilt ist. Die Kollegin Priya Basil schreibt dazu in der NZZ. Das Lens-Blog der New York Times wirft Licht auf das Leben der geheimnisvollen Fotografin Vivian Maier. Der Pritzker-Preis für den chilenischen Architekten Alejandro Aravena findet viel Zustimmung in den Feuilletons. So wie der neue Film von Apichatpong Weerasethakul. In der Zeit spricht Grigorij Sokolow über Gilels, Richter und Sofronitzki. Und wir lassen alle vier spielen! Und übrigens: Ai Weiwei darf jetzt bei Lego bestellen!

Der Wahnsinn als Komödie

13.01.2016. Die Filmkritiker amüsieren sich prächtig in Adam McKays Komödie zur Weltwirtschaftskrise "The Big Short". Im Fotoblog Kwerfeldein erklärt die Fotografin Julia Runge, wer die namibischen Baster sind. Die taz porträtiert Carolee Schneemann, eine feministische Künstlerin, die immer noch mit dem Feuer spielt. Im Standard erklärt Aris Fioretis, wo seine Heimat ist. In Begleitschreiben denkt Leopold Federmair über interkulturelle Literatur nach. 

Phänomen und Phantom

12.01.2016. David Bowie dominiert die Feuilletons. Sein Lied "Lazarus" wirkt wie ein bewusster Abschied - wir binden es ein. Domus beschreibt die Luxus-Ghettoisierung in Beirut trotz - oder gerade wegen - der 1.2 Millionen syrischen Flüchtlinge. Die NZZ besucht die neue Smart City bei Wien. Das russische Publikum liebt den Sozialistischen Realismus in der Kunst, notiert erstaunt der Standard.

Rausch des differenzlosen Denkens

11.01.2016. Nachtkritik und NZZ erleben in Jans Bosses Inszenierung von Arthur Millers "Hexenjagd" das Zusammenspiel Hysterie und Kalkül. In der NZZ wird Laszlo F. Földenyi Zeuge, wie Dürer bei Giorgione in Venedig die Melancholie kennenlernte. Die Welt besingt die glamourösen Filmproduzentinnen der Nouvelle Vague. Die SZ erinnert daran, wie André Courrèges die Geschwindigkeit in die Mode brachte. Und völlig überraschend kommt die Meldung: David Bowie ist tot.

Gladiatoren auf großer Bühne

09.01.2016. In der Welt erklärt Richard Flanagan, warum große Verbrechen immer von großem Schweigen begleitet werden. Die SZ besingt Stars im Ensemble und begrüßt die Neuen Auftraggeber. Die NZZ bewundert Sonnendächer und Palmwedel in der neuen Nationalgalerie von Singapur. Der Standard sieht eine konsumkranke Nora in Klagenfurt.

Freejazzvariante der Baumarkt-Postmoderne

08.01.2016. Die SZ besucht den Schauspieler Hannes Rittig, der nach seiner Entlassung das Cafe Koeppen zu seiner neuen Bühne gemacht hat. Die FAZ geht auf eine Karlsruher Party mit lauter begnadeten Selbstdarstellern. Der Freitag staunt über die Häuser rumänischer Migranten: vorn die Küche zum Vorzeigen, hinten die zum Kochen. Die taz porträtiert den Leipziger Maler und Musiker Lorenz Lindner als ziemlich poetischen Sturkopf. Die NZZ stellt Schweizer Musiklabel des Postpunk vor. In Volltext empfiehlt Norbert Gstrein wärmstens Ari Shavits Israelbuch "Mein gelobtes Land".

Ein echter Mann der Zukunft

07.01.2016. Die FAZ amüsiert sich über die Betretenheit der Kunstwelt angesichts einer - aus heutiger Sicht denkbar unkorrekten - Inschrift auf Kasimir Malewitschs "Schwarzem Quadrat". Die Filmkritiker bewundern die Kameraarbeit Emmanuel Lubezkis für "The Revenant". Und: Alle trauern um Pierre Boulez, der einmal sagte: "Eine Kultur, die nicht mit ihrer Tradition bricht, die stirbt."

Bewegung im Dunkeln

06.01.2016. Die Welt feiert die stillen Pastelle des Genfer Calvinisten Jean-Etienne Liotard. In der NZZ berichtet Serhij Zhadan von seiner Reise an die Front im Donbass. Der kalabrische Autor Carmine Abate erkennt etwas sehr Vertrautes in den Augen der Flüchtlinge in seinem Heimatort. Die Berliner Zeitung erinnert an den schwarzen preußischen Kapellmeister Gustav Sabac el Cher. Die taz fragt in Tom Hoopers Transgenderdrama "The Danish Girl": Und was ist mit dem Sex?

Das dunkle Zentrum

05.01.2016. Der ukrainische Premier empfängt immer noch vor Getreidefeld mit Blümchen, notiert der Standard. Die taz friert sich durch Alejandro G. Iñárritus Survival-Western-Epos "The Revenant". Die NZZ porträtiert die chinesische Autorin Yiyun Li als Star der exilchinesischen Literatur. Die SZ fröstelt vor Benedetto Calcagnos neuem Gebäude für den Europäischen Rat in Brüssel. Die nachtkritik feiert in Halle die Stunde der Komödianten - und ein Stück DDR-Theatergeschichte.

Rückzug ins Schauen und Staunen

04.01.2016. Was noch zu sagen bleibt, wenn alle Worte geschrieben sind, lernt die Welt von der Künstlerin Etel Adnan. Autor Manfred Rebhandl erinnert sich im Standard ans Sternsingen seiner Kindheit. Der Freitag liest in den epischen Fernsehserien die Zukunft des Theaters. Und der Filmregisseur Alejandro González Iñárritu erklärt im Observer die mexikanische maximalistische Kunst der Darstellung.

Im Starrsinn boshafter

02.01.2016. Frohes neues Jahr wünscht der Perlentaucher! Platz für Neues? Nicht im Klassiker-Himmel, der ist rammelvoll, diagnostiziert Eckhard Henscheid in der Welt. Die SZ staunt über eine dynamische Visualisierung des Broadway. Der Standard begutachtet den chemischen Fingerabdruck Picassos, den sechs neu entdeckte Bilder enthüllt haben. Welt und Zeit sehen die neue ZDF-Serie "Morgen hör ich auf", eine Art "Breaking Bad" auf Deutsch.