Elena Ferrante

Meine geniale Freundin

Roman
Cover: Meine geniale Freundin
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518425534
Gebunden, 422 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Aus dem Italienischen von Karin Krieger. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein und sind doch unzertrennlich, Lila und Elena, schon als junge Mädchen beste Freundinnen. Und sie werden es ihr ganzes Leben lang bleiben, über sechs Jahrzehnte hinweg, bis die eine spurlos verschwindet und die andere auf alles Gemeinsame zurückblickt, um hinter das Rätsel dieses Verschwindens zu kommen. Im Neapel der fünfziger Jahre wachsen sie auf, in einem armen, überbordenden, volkstümlichen Viertel, derbes Fluchen auf den Straßen, Familien, die sich seit Generationen befehden, das Silvesterfeuerwerk artet in eine Schießerei aus. Hier gehen sie in die Schule, die unangepasste, draufgängerische Schustertochter Lila und die schüchterne, beflissene Elena, Tochter eines Pförtners, beide darum wetteifernd, besser zu sein als die andere.
Bis Lilas Vater seine noch junge Tochter zwingt, dauerhaft in der Schusterei mitzuarbeiten, und Elena mit dem bohrenden Verdacht zurückbleibt, eine Gelegenheit zu nutzen, die eigentlich ihrer Freundin zugestanden hätte. Ihre Wege trennen sich, die eine geht fort und studiert und wird Schriftstellerin, die andere wird Neapel nie verlassen, und trotzdem bleiben Elena und Lila sich nahe, sie begleiten einander durch erste Liebesaffären, Ehen, die Erfahrung von Mutterschaft, durch Jahre der Arbeit und Episoden politischer Bewusstwerdung, zwei eigensinnige, unnachgiebige Frauen, die sich nicht zuletzt gegen die Zumutungen einer brutalen, von Männern beherrschten Welt behaupten müssen.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.09.2016

Schon durch seine politisch-historische Dimension hat Elena Ferrantes Roman "Meine geniale Freundin" Andreas Fanizadeh für sich eingenommen. Das Lebensgefühl zweier begabter junger Frauen im Neapel der Nachkriegszeit, in dem männlich dominierte Familienhierarchie und Blut-und-Boden-Mentalität auf Wirtschaftswachstum und zunehmende Bildungsmöglichkeiten als Schüssel zur individuellen Selbstbestimmung aufeinandertreffen, weiß ihm die Autorin brillant zu vermitteln. Besonders angetan erscheint der Kritiker von der Figur der hypersensiblen Lila: Das zur Diva des "lumpenproletarischen" Rione avancierende und doch zunehmend unter ihrer Hochbegabung leidende junge Mädchen verkörpert für ihn in einer Welt der rivalisierenden Clans das weiblich Andere in seiner "existentiellen Schönheit".  Allein die Schilderung einer Silvesternacht, die Fanizadeh an die "fratzenhaft-dämonischen Gemäldeanordnungen" eines Daniel Richters erinnert, ringt dem Kritiker größte Anerkennung ab. Subtile Figurenpsychologie und Karin Kriegers großartige Übersetzung tun ihr Übriges, schließt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 31.08.2016

Christian Bos räumt ein, dass er Elena Ferrantes Roman nur widerwillig in die Hand genommen hat, aus Furcht, dem Hype um eine Schmonzette aufzusitzen. Doch offenkundig war er schon nach wenigen Seiten dem Ferrante-Bann verfallen, ohne genau zu sagen, warum. Die schlichte Sprache verschwinde geradezu hinter der prallen Handlung, stellt Bos fest und erzählt selbst recht ausführlich die Saga um zwei Mädchen nach, die in den fünfziger Jahren Neapels Armut zu entkommen versuchen. Am Ende nimmt Bos die Autorin vor dem Vorwurf in Schutz, dem Konzept des realistischen Romans unkritisch zu folgen, denn er ahnt, dass es die Leser sind, die die beiden Mädchen aus purer Leselust in ihre bedrückende Welt der Armut und Gewalt zwängen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 27.08.2016

Über Elena Ferrantes Berühmtheit kann Franz Haas nur staunen. Den ersten Teil von Ferrantes zyklischer Geschichte zweier konkurrierender Frauenleben in einem von der Camorra regierten Armenviertel Neapels findet er solide gemacht, aber konventionell. Als Zeitpanorama überzeugt ihn das Buch durchaus, und Ferrantes Figurenpsychologie erscheint ihm subtil genug. Kindheit und Jugend schildert ihm die Autorin zwar ohne erzählerische Experimente, aber im Vertrauen auf die Erzählbarkeit der Welt. Statt die Herkömmlichkeit des Erzählens zu bemängeln und "Kitsch" zu rufen, sucht Haas lieber nach Vorbildern. Elsa Morante fällt ihm ein und Anna Maria Ortese. Meisterliche Beschreibungen oder Gestaltungen von Nebenfiguren überzeugen Haas letztlich von diesem Roman.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.08.2016

Sandra Kegel ist egal, wer genau sich hinter dem Namen Elena Ferrante verbirgt. Die Literatur spricht für sich, meint sie. Und sie spricht grandios in diesem ersten nun auf Deutsch zu lesenden Band von Ferrantes neapolitanischer Tertralogie, die sich von den 50er bis ins Heute spannt. Das Buch ist für Kegel ein Panorama der italienischen Gesellschaft, verfasst in serieller Erzählweise mit einem weiten Erzählbogen, Cliffhangern und anderen fernsehtauglichen Zutaten. Zu den beiden Frauenfiguren im Zentrum der Geschichte gesellt sich laut Kegel Neapel als dritte Figur, das Viertel Rione, in dem die Mädchen aufwachsen. Wie Ferrante das für die Leserin sinnlich erfahrbar macht, die Gerüche, die Enge der Gassen, die Gewalt der Camorra, findet Kegel sprachlich elegant, bildstark und dramaturgisch gekonnt. Ein Vergleich mit weltliterarischen Ikonen erscheint ihr möglich, doch überflüssig.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 25.08.2016

Für Iris Radisch ist "Meine geniale Freundin", der erste Teil von Elena Ferrantes neapolitanischer Saga schlicht ein "epochales literaturgeschichtliches Ereignis". Wie Ferrante hier anhand von zahlreichen Figuren und über sechs Jahrzehnte hinweg europäische Geschichte als "weibliche Nahgeschichte" erzählt, ringt der Rezensentin höchste Anerkennung ab und lässt sie Vergleiche zu Ingeborg Bachmann, Elfriede Jelinek oder Herta Müller ziehen. Insbesondere aber bewundert die Kritikerin, wie die unbekannte, im "Schreib-Schneckenhaus" zurückgezogene Autorin anhand zweier Freundinnen von den Auswegen aus dem Drama eines traditionellen Frauenlebens und der Zerbrechlichkeit weiblicher Selbstentwürfe in einer vom archaischen Geschlechterverhältnis geprägten Umgebung erzählt. Ein Buch, das unter dem geschmeidigen Netz "makelloser Sätze" pulsiert und lange nachhallt, urteilt die Rezensentin.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 20.08.2016

Rezensent Thomas Steinfeld nimmt den Wirbel, der überall auf der Welt um die unter dem Pseudonym schreibende Elena Ferrante gemacht wird, zum Anlass, schon vor der deutschen Veröffentlichung des ersten Teils ihrer "Neapolitanischen Suite" zu besprechen. Ganz so aufregend wie die Frage nach der Identität der Autorin erscheint ihm die Geschichte um eine rivalisierende Freundschaft zwischen zwei ungleichen Frauen, die jeweils ihrem Milieu entkommen wollen, allerdings nicht: Zwar lobt er die Unaufdringlichkeit und Nüchternheit von Ferrantes Erzählung, doch sieht er in dem Roman eigentlich ein nostalgisches Projekt: Die Wiederbelebung des großes realistischen Romans unter weiblichen Vorzeichen. Steinfeld sieht hier Anklänge an die "großräumigen Rauschbücher" des 19. Jahrhunderts, aber auch an Karl Ove Knausgards sechsbändige Mammutwerk "Mein Kampf" mit ihrer Faszination des Alltäglichen. Was der Rezensent allerdings nicht positiv meint, wie er am Ende gnadenlos urteilt: Gerade die leichte Zugänglichkeit des Romans, seine geschickte Konstruktion und clevere globale Vermarktung machen es für ihn zu einem Werk der Trivialliteratur.
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