Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Bühne

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 08.12.2023 - Bühne

Das Flex-Ensemble mit Tom Pearson und - unverkennbar - Calder


Der Multimedia-Künstler und Choreograf Tom Pearson und das Flex-Ensemble schaffen mit ihrer Show "Calder Moves" im Sprengel-Museum Hannover einen immersiven Begegnungsraum zwischen der Kunst von Alexander Calder, und Musik und Tanz des Ensembles. Was Immersion dabei genau bedeutet, erklärt Pearson im taz-Interview mit Alexander Diehl: "'immersiv' ist schon sehr zum Buzzword verkommen. Es gibt aber doch ein ganzes Spektrum an interaktiven Möglichkeiten bis hin zur Immersion; ich verstehe darunter die vollständige Kontrolle über einen gewidmeten und rigoros gestalteten Raum. 'Calder Moves' liegt da irgendwo in der Mitte. Der Saal ist halböffentlich und wir verändern ihn auch nicht - aber wir antworten ihm. Insofern ist das Projekt ortsspezifisch, bezogen auf Umgebung und Architektur. Calders Kunst stellt aber auch einen Bezugsrahmen bereit: Das Ganze ist inspiriert von 'Calders' Mobiles', mit denen es sich zugleich ja ganz konkret den Saal teilt. Noch immersiver dürfte die Idee sein, ein Ritual zu erschaffen, an dem das Publikum teilnehmen kann; der Versuch, ihm Wege zu eröffnen, eine noch intimere Beziehung zur Musik einzugehen: durch den Klang, durch eigene Bewegung und durch den direkten Kontakt zu den Aufführenden."

Weiteres: Das Schauspielhaus Zürich bekommt mit der Saison 2025/26 ein neues Intendantenduo, meldet dlf Kultur: Pinar Karabulut und Rafael Sanchez lösen Ulrich Khuon ab.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 07.12.2023 - Bühne

"aerocircus" von Jacob Höhne auf der Bühne der Berliner Festspiele © Phillip Zwanzig

Gemeinsam mit dem argentinischen Performance-Künstler Tomás Saraceno und dem inklusiven RambaZamba-Theater hat Jacob Höhne Thomas Köcks Stück "aerocircus" auf die Bühne der Berliner Festspiele gebracht, die großen Schauspielerinnen Ilse Ritter und Angela Winkler traten auf, dazu tanzten Elefanten, Zebras und Geister im Angesicht der Apokalypse. Kann da noch was schiefgehen, fragt Nachtkritiker Michael Laages. Ja, viel sogar, "weil Köcks Text schwach wie keiner zuvor geraten ist." Die Fabel ist "derart proppevoll gestopft mit Köck-Ideologie, plattgeklopft mit dem größtmöglichen politischen Holzhammer, dass sie in zwei Theaterstunden dann eben doch nie wirklich 'typisch RambaZamba' wird. Ganz ernsthaft etwa scheint der Autor vermitteln zu wollen, dass das Ende aller Dinge nur den finstren Umtrieben gewinngeiler Wirtschaftsbosse geschuldet sei, die sozusagen die Welt zum Frühstück verspeisen, und nicht etwa ausgelöst worden ist durch Jahrhunderte blinder Fortschrittsgläubigkeit auch all derer, die da täglich mitarbeiten an der Vernichtung rundum - also von uns selbst, unschuldig schuldig geworden, um des kurzfristigen Überlebens und des Wohlstands willen. Wie praktisch, wenn statt uns allen immer nur böse Männer zuständig waren."

Ähnlich, wenngleich gnädiger urteilt Daniel Völzke im Monopol-Magazin: "Der Text von Thomas Köck rührt dann leider … fahrig in einem Themenbrei herum, dessen Zutatenliste von Artensterben über Frauenrechte bis Robotik reicht, wobei jeder einzelne Komplex doch nur scheinbar aufgelöst wird in der redundanten Anklage gegen die verdammten neoliberalen CEOs, die 'Ausbeuter' und die Reichen dieser Welt." "Bewegend" findet Katja Kollmann in der taz allerdings einen bewegenden Abend.

Unter seiner Leitung werden die Wiener Festwochen "Widersprüche, Absurditäten, faschistisches Denken zulassen und untersuchen", warnt Milo Rau, der im Standard-Gespräch auch erklärt, weshalb er sich als "linksradikal" versteht: "Heute gilt jeder, der aufgeschlossen ist und an das Gute glaubt, schon als 'linksradikal'. Und rundherum hat sich ein gewisser faschistischer Realismus durchgesetzt, der besagt, dass die anderen zuerst dran sind mit Sterben und in der Sonne verbrutzeln. Das ist eine rationale Einstellung nach dem Prinzip 'Rette sich, wer kann'. Das kann ich verstehen, aber man muss für kurze Zeit Nachteile in Kauf nehmen, um als Menschheit eine bessere Zukunft zu haben. Linksradikal heißt für mich also, dass ich in langfristigen Strukturen versuche zu denken. Aber das Problem ist das Handeln: Wir haben zwar das Wissen, aber als Bürgerinnen und Bürger keine Möglichkeit, außer die bekannten Parteien zu wählen, die dann nichts ändern. Die Grünen in Deutschland haben nicht einmal eine Geschwindigkeitsbegrenzung durchgekriegt. Das führt dazu, dass sich Menschen vom parlamentarischen System abwenden. Diese Entwicklung möchte ich als Theatermacher gerne aufhalten."

Weitere Artikel: In der SZ wirft Egbert Tholl einen vielversprechenden Blick auf das kommende Programm der Salzburger Festspiele, die unter anderem mit einem von Christian Thielemann dirigierten "Capriccio", einem "Don Giovanni" unter dem Dirigat von Teodor Currentzis, aber auch mit Opern fernab vom Mainstream wie Georg Friedrich Haas' "Koma" oder Beat Furrers "Begehren" aufwarten. Für die Berliner Zeitung blickt Doris Meierhenrich derweil auf das Programm der Berliner Sophiensäle, das erstmals gemeinsam von Jens Hillje und Andrea Niederbuchner verantwortet wird und schon von finanziellen Kürzungen bedroht ist. Pinar Karabulut und Rafael Sanchez übernehmen ab der Saison 2025/26 für zunächst fünf Jahre die Intendanz am Zürcher Schauspielhaus, meldet Ueli Bernays in der NZZ.

Besprochen werden Manfred Trojahns Kammeroper "Septembersonate" im Opernhaus Düsseldorf (VAN, FAZ) und Lydia Steiers Inszenierug der "Aida" in der Oper Frankfurt (FR).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.12.2023 - Bühne

Juliane Banse (Ellice Staverton), Holger Falk (Osbert Brydon), Statisterie,
© Wolf Silveri


Eine berückend schöne, der Poesie des Unsagbaren verpflichtete Musiktheateradaption der Henry-James-Novelle "The Jolly Corner" hat Manuel Brug (Welt) im Opernhaus Düsseldorf gesehen. "Septembersonate" heißt die Bühnenfassung von Manfred Trojahn. Brug begeistert sich insbesondere für die Figuren, etwa für den Protagonist Osbert, der "sich immer mehr in seine Geschichten und Gespinste verstrickt. Ein Narzisst, durchaus. Ellice, die Actrice, eine Lulu in vielfachen Gestalten als Marilyn, Revuegirl, schließlich Osberts Doppelgänger, mit dem er sich verknüllt und verschlingt. Juliane Banse macht das mit viel Empathie für das gemeinsame Gestern, aber auch als nicht fassbar Fragende ganz fabelhaft, herbstlich schön schwingt sich die Stimme mit herbem Vokalrand auf, intensiv und doch distanziert. Singend ist Osbert II (Roman Hoza) sein Klon mit Mein-Freund-Harvey-Hasenohrenhelm, vampirhaft, horrorfilmnostalgiegruselig." Joachim Lange bespricht die Aufführung für die nmz.

Lotte Thaler besucht für die FAZ das Rokokotheater Schwetzingen, wo Reinhard Keisers Barockoper "Nebucadnezar" gegeben wird. Die Modernisierung des Stoffes durch den Regisseur Felix Schrödinger findet nicht durchweg den Zuspruch der Rezensentin ("peinliches voyeuristisches Waterboarding"), die Musik jedoch ist eine Wucht: "Das Philharmonische Orchester Heidelberg, das auf modernen Instrumenten spielt, legte sich höchst motiviert für Keisers Musik ins Zeug, im Tutti wie auch in den vielen Soli des Fagotts und der fabelhaften Oboe. Einmal stürmte das Orchester wie von der moralischen Leine gelassen los, als Adina ihren Darius wie einen Hund auf die Bettkante zitiert, den Ehebruch schon in Gedanken vorwegnehmend. Und keine Frage, wer hier am Pult des Orchesters steht: eine Frau, Dorothee Oberlinger, die ihre Musiker kollegial animierend durch die Partitur führt und einmal sogar selbst, wie mitleidend, zu ihrer Blockflöte greift. Eine Entdeckung."

Paris, le 21 novembre 2023. Karlheinz Stockhausen / Sonntag aus Licht (scènes 3,4 et 5). Foto © Denis ALLARD / Philharmonie de Paris


In der Pariser Cité de la Musique und der Philharmonie de Paris wurde, über zwei Tage und zwei Orte verteilt, Karlheinz Stockhausens "Sonntag aus 'Licht'" gegeben, mit Maxime Pascal am Pult. In der NZZ zeigt sich Eleonore Büning beeindruckt von der Spannbreite des Werks: "Auch im zweiten Aufzug, den 'Engelsprozessionen', kreuzen sich Scherz und Ernst, Raum und Zeit. Sieben Engelschöre tanzen jauchzend durch die Gänge des sternförmig platzierten Publikums. Ein Happening - heute sagt man 'immersiv' dazu. Als Stockhausen das musikalische Geschehen ins Innere der Zuhörer verlegte, war dieses Modewort noch nicht erfunden. Der dritte Teil, 'Lichter-Bilder', bezieht die gesamte Natur mit ein, alle sollen Gott, die Liebe und das Leben lobpreisen. Im vierten, 'Düfte-Zeichen', wird das Publikum gründlich eingenebelt mit Weihrauch. Und es taucht endlich Über-Eva auf, die wie Wagners Erda eine Packung Weisheit im Gepäck hat: 'Männer, hört auf die Frauen. Ihr seid von Frauen geboren.'"

Ein BVG-Musical, muss das sein? Kann man machen, findet Peter Laudenbach in der SZ. Die den Berliner Verkehrsbetrieben gewidmete Show "Tarifzone Liebe" im Berliner Admiralspalast ist jedenfalls "schwungvoll und ohne Verspätungen im Takt inszeniert. Die Kalauer klingen, als hätten die Texter zu großzügig bei den mobilen Händlern in der U 8 eingekauft: 'BVG, die härteste Droge der Welt - ein Zug, und du bist weg.' Weil der BVG sowieso niemand eine 'Alles-super!'-Werbung abnimmt, hat ein Chor der genervten BVG-Kunden seinen Auftritt, um ein paar Beschwerden anzubringen beziehungsweise zu singen: 'Zu spät, zu laut, zu dreckig! Ich fand 'nen Krümmel in der Ritze! Warum darf mein Pudel nicht auf die Sitze?'"

Weitere Artikel: Wolfgang Behrens denkt in der nachtkritik über die Schwierigkeiten der Theaterwelt beim Umgang mit Israel nach. Jakob Hayner zeichnet in der Welt nach, warum Fortinbras, eine Figur aus Shakespeares "Hamlet", lange vergessen war, aber derzeit wieder wichtig ist.

Besprochen werden eine Inszenierung von Molières "Der Menschenfeind" am Wiener Burgtheater (FAZ), Anna Bergmanns Joyce-Carol-Oates-Adaption "Miss Golden Dreams" am Staatstheater Karlsruhe (SZ), Nestroys "Höllenangst" am Linzer Landestheater (Standard) und Igor Strawinskys "The Rake's Progress" am Freiburger Theater (nmz), Manfred Trojahns Kammeroper "Septembersonate" im Opernhaus Düsseldorf (nmz)
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Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.12.2023 - Bühne

Szene aus "Aida" am Schauspiel Frankfurt. Foto: Barbara Aumüller.

Düster und wirkmächtig ist Lydia Steiers Inszenierung von Verdis "Aida" an der Oper Frankfurt, lobt Wolfgang Fuhrmann in der FAZ. Viele Referenzen an Hans Neuenfels skandalumwitterte Aufführung hat Steier hier eingebaut, erkennt der Kritiker, wie damals tritt Aida als Putzfrau auf. Manchmal geht Fuhrmann die Drastik der Szenen etwas zu weit - es sind vor allem die ruhigeren Momente, die ihn überzeugen: "In den beiden letzten Akten wird die Inszenierung, wie einst bei Peter Konwitschny, zum radikalen Kammerspiel. Hier vor allem zeigt Steier, dass sie nicht nur virtuos Massenszenen voll böser kleiner Details inszenieren kann (wie das geheuchelte Mitleid der aufgetakelten Siegesparty-Gesellschaftsdamen mit den Kriegsgefangenen), sondern auch die verstörende Flucht der Liebenden in den Tod als abgrundtiefe Verzweiflung bei Siegern wie Besiegten. Die harfenumrauschte Ges-Dur-Verklärung, die Verdi komponiert hat, erscheint nicht mehr glaubhaft." Sehr finster findet auch FR-Kritikerin Judith von Sternburg diese Inszenierung - aber auf der anderen Seite entspricht das ja auch irgendwie den Schrecken unserer Realität, meint sie.

Weiteres: In Krisenzeiten kommt dem Theater eine wichtige gesellschaftliche Rolle zu, meint der Kultursenator von Hamburg und Präsident des Deutschen Bühnenvereins Carsten Brosda in einem Gastbeitrag in der SZ. Besprochen werden Alireza Daryanavard und Mahsa Ghafaris Stück "Chronik der Revolution" am Berliner Ensemble (nachtkritik, taz) und Nuran David Calis Inszenierung von Lessings "Nathan der Weise" am Nationaltheater Mannheim (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.12.2023 - Bühne

Szene aus "Der Himbeerpflücker" im Theater in der Josefstadt in Wien. Foto: Theater in der Josefstadt.

Einen "vor Boshaftigkeit triefenden" Abend hat Martin Lhotkzy für die FAZ im Wiener Theater in der Josefstadt gesehen. Fritz Hochwälders Komödie "Der Himbeerpflücker" spielt in den sechziger Jahren im fiktiven Ort Bad Brauning (zu Recht denkt man dabei an Braunau am Inn, verrät Lhotzky). Ein Fremder taucht auf, angeblich ein ortsbekannter brutaler SS-Scherge - was den Dorfbewohnern aber keine Probleme bereitet, hat doch jeder im Ort von dessen Nachlass, bestehend aus "zwei Koffern voller Zahngold aus dem Konzentrationslager, in dem er stationiert war", profitiert, resümiert der Kritiker. Der Humor ist hier so rabenschwarz, dass man es in dieser Inszenierung von Stephanie Mohr vor allem dem großartigen Ensemble zu verdanken hat, dass man sich trotzdem manchmal traut zu lachen, lobt Lhotzky: "Günter Franzmeier verleiht dem Herrn Bürgermeister weniger Würde als vielmehr Schlitzohrigkeit und boshafte Arroganz. Wenn er sich vor dem vermeintlichen Massenmörder verbeugt, möchte man meinen, er habe wirklich kein Rückgrat. Und wenn er seinem Töchterlein - Paula Nocker verkörpert in ihrem kessen Dirndlkleid (Kostüme: Nini von Selzam) und der überaus üppigen roten Perücke die von sich selbst überzeugte Jugend der Sechziger tadellos - zuredet, sich doch mit dem "Himbeerpflücker" zu … 'treffen', traut man ihm einfach alles zu."

Weiteres: Für die Bayreuther Festspiele wurde ein rigoroser Sparplan verabschiedet, meldet die SZ mit dpa. Der Wirtschaftsplan wurde unter anderem vom Deutschen Musikrat heftig kritisiert.

Besprochen werden Anna Bergmanns Inszenierung von "Miss Golden Dreams" nach Joyce Carol Oates' Roman "Blond" am Staatstheater Karlsruhe (taz, nachtkritik), Toshiki Okadas "No Horizon" am Thalia Theater Hamburg (nachtkritik), Pia Richters Inszenierung von Jelineks "Das Licht im Kasten" am Landestheater Tübingen (nachtkritik), Alireza Daryanavards und Mahsa Ghafaris "Chronik der Revolution" am Berliner Ensemble (nachtkritik), Theresa Thomasbergers Inszenierung von Klaus Theweleits "Männerfantasien" am Deutschen Theater Berlin (taz), Pinar Karabuluts Adaption von Kafkas "Der Prozess" am Schauspiel Köln (nachtkritik), Axel Ranischs Inszenierung von Paul Zachers Stück "Mutti, was machst du da?" am Berliner Ensemble (nachtkritik, Tsp), die Adaption von Jurij Brězans Roman "Die schwarze Mühle" durch Showcase Beat Le Mot auf Kampnagel Hamburg (nachtkritik), Lilja Rupprechts Inszenierung von Elfriede Jelineks "Sonne/Luft" Schauspiel Frankfurt (FR), Stephan Kimmigs Adaption von Michel Friedmans biografischem Langgedicht "Fremd" am Schauspiel Hannover (SZ) und die Performance "Über das Unbehagen zu Wohnen" vom Kollektiv andpartnersincrime im Schweizer 5 (FR).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.12.2023 - Bühne

In der Welt informiert Matthias Heine über das "Living Archive" des Royal Court Theatre in London, das "2.000 Stücke von etwa tausend Autoren" online zugänglich macht, darunter Stücke von "Edward Bond, Caryl Churchill, David Hare, Wole Soyinka, David Edgar, Mary O'Malley, Hanif Kureishi und Jez Butterworth. Auch die 'Rocky Horror Show' wurde dort 1973 uraufgeführt. Die ersten hundert sind schon online. Der Rest soll nach und nach folgen, wenn weitere Sponsoren gefunden sind. Der erste war die Bloomberg-Stiftung." Vielleicht könnte das eine Inspiration auch für deutsche Bühnen sein?

Weitere Artikel: In der Welt schreibt Manuel Brug eine kleine Hommage zum hundertsten Geburtstag der Callas, in der NZZ würdigt Christian Wildhagen die Primadonna assoluta, die auch heute noch "allen den Kopf" verdreht. Dazu gibt es eine Bilderstrecke. Auch der Dlf brachte gestern ein langes Feature zur Callas. Valery Gergievs Treue zu Putin zahlt sich immerhin in Russland aus: Er wird der neue Chef des Bolschois, nachdem der bisherige Leiter Wladimir Urin wegen seiner Kritik am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gehen musste, meldet die SZ. In "Bilder und Zeiten" (FAZ) würdigt Andreas Nentwich die "Schreibtechnik der Entzauberung" des Theaterkritikers und Essayisten Alfred Polgar.

Besprochen werden Lilja Rupprechts Inszenierung von Elfriede Jelineks "Sonne/Luft" am Schauspiel Frankfurt (nachtkritik), Pınar Karabuluts Inszenierung von Kafkas "Prozess" am Schauspiel Köln (SZ), Nuran David Calis' Inszenierung von Lessings "Nathan" am Nationaltheater Mannheim (nachtkritik), Gob Squads "Handle with Care" am HAU Berlin (nachtkritik) und Bastian Reibers "Genesis" an der Berliner Schaubühne (nachtkritik).
Stichwörter: Callas, Maria

Efeu - Die Kulturrundschau vom 01.12.2023 - Bühne

Das Verfahren gegen den Choreografen Marco Goecke, der die Kritikerin Wiebke Hüster mit Hundekot attackiert und damit "für das Theaterereignis des Jahres gesorgt" hatte, wie Egbert Tholl in der SZ bekundet (unser Resümee), wird gegen eine Geldzahlung eingestellt. "Mittelfristig dürfte sein Ausraster seiner Karriere kaum geschadet haben", vermutet Tholl, hätte er damit doch wichtige Diskussionen über die Stellung der Kritik im Kulturbetrieb angestoßen. Hüster eigne in der Schärfe ihrer Besprechungen "durchaus eine Art Alleinstellungsmerkmal." Die Zeit zitiert aus einem Interview, das der Choreograf der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung gegeben hat: "Goecke bereut seine Hundekot-Attacke inzwischen. 'Es ist tragisch, was passiert ist, und auch zu bereuen' (…). Er habe immer versucht, gerade bei der Arbeit ein guter Mensch zu sein. 'Ich bin entsetzt und traurig, dass ich mit einer solchen Tat nun auch Teil des Schlechten bin', sagte er." Eine "mittlere vierstellige Summe" komme nun einem gemeinnützigen Verein für Konfliktschlichtung zu, melden beide Zeitungen übereinstimmend.

Hotel Utopia. Foto: Verena Kathrein.

Zu gleichen Teilen beeindruckt, mitgenommen und überfordert ist taz-Kritikerin Amelie Sittenauer von Christiane Mudras interaktivem Theaterstück "Hotel Utopia", das passenderweise, wie sie findet, im THF Tower des alten Flughafens Tempelhof gespielt wird. Die Erfahrungen Geflüchteter, die hier im Zentrum stehen, können aus nächster Nähe nachvollzogen werden: "Beim 'Check-In' wird jede*r Teilnehmer*in mit einem Pass und einer Nationalität ausgestattet, so auch die Autorin dieses Textes, mit jenem von Zahra Naseri. Plötzlich befindet sie sich wie etwa 30 andere Menschen in den Transitzonen des internationalen Grenzsystems, mitten im Dickicht des Behördendschungels zwischen Jobcenter, Bamf, Erstaufnahmeeinrichtung, Botschaft, Integrationskurs und Ausländerbehörde. Anhand ihres afghanischen Passes (Pass-Index Nummer 93) wird sie dort vermessen, befragt und bewertet." Mudra habe hier immens viele Informationen und Erfahrungen verarbeitet, allerdings "wirkt die Inszenierung dadurch teils überfrachtet. Da vermitteln die eigens gemachten Erfahrungen des Publikums mit der bürokratischen Gewalt des Grenzregimes die Thematik viel deutlicher und direkter", wie der Kritikerin ein anderer Besucher zeigt:  Er "ist überwältigt von der Akkuratheit der Darstellung. Vor zwölf Jahren floh er selbst aus Afghanistan nach Deutschland: 'Es war genauso. Wir haben tage- und monatelang gewartet.'"

Nachtkritiker Janis El-Bira hält fest: "Eine erschlagende Materialfülle, die zur Banalität des Behördenrundgangs etwas streberhaft draufgesetzt wirkt, vor allem aber den Eindruck einer Ebenenverwechslung erzeugt. Denn die vielen eingeschobenen Exkurse und Frontalunterrichte lassen das Spielelement leicht vertrocknen. Dann vollzieht man im erschöpften Schlangestehen und Stempelsammeln bloß noch symbolisch die Unmenschlichkeit eines Systems nach, das einem hier Mal ums Mal eh unmissverständlich ausexpliziert wird."

Weiteres: Judith von Sternburg (FR) interviewt die Regisseurin Lydia Steier zu ihrer "Aida"-Inszenierung an der Oper Frankfurt.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.11.2023 - Bühne

Für das Van-Magazin unterhält sich Lotte Thaler mit dem Tenor Jonathan Tetelman, der gerade als "Werther" in Robert Carsens Inszenierung von Jules Massenetes Oper in Baden-Baden zu sehen ist. Über Massenets musikalische Darstellung des Werther sagt er folgendes: "Extrem lyrisch! Aber im Text und der Musik steckt so viel Dramatik, dass die Rolle zwischen den Fächern liegt. Die Stimme braucht auch Heroisches, damit der Charakter glaubhaft wird, sie darf weder zu leicht noch zu schwer werden. Dazu kommt, dass der französische Stil dieser Oper von den Regeln des italienischen Belcantos abweicht. Das muss man lernen, um die Rolle korrekt zu singen. Donizetti, Bellini oder Verdi geben dem Tenor nie Rätsel auf, welche Töne offen und geschlossen zu singen sind. Bei Massenet ist das anders: Töne, die im italienischen Repertoire geschlossen, also gedeckt und nobel erklingen sollen, werden im französischen oft offen und hell gesungen."

Weiteres: Shermin Langhoff, Intendatin des Gorki-Theaters, schreibt in einem Gastbeitrag im Tagesspiegel darüber, wie Berlin sich seine Vielfalt erhalten kann.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 29.11.2023 - Bühne

Gerald Felber besucht für die FAZ eine Gesprächsrunde des Wiener Richard-Wagner-Verbands unter dem Titel "Regietheater - ein Irrweg?" - allerdings speziell auf Opernregie bezogen. Abgerechnet wurde da, lernen wir, mit einer Generation von Opernmachern, die postmoderne Beliebigkeit mit politischem Sendungsbewusstsein verbinden. Wie aber könnte es jenseits des Regietheaters weitergehen mit der Oper? Vielleicht, so die Sopranistin und Regisseurin Cathrin Chytil, "mit der eigenen Erfahrung einer wirklich kollektiven Inszenierungsarbeit, die dem Team kein vorgefertigtes Konzept präsentiert, sondern von Beginn an alle auf und hinter der Bühne Beteiligten einzubeziehen sucht. Sie hatte darin auch die Zustimmung von Roland Schwab, Regisseur unter anderem des letzten, von Publikum wie Kritik wohlwollend aufgenommenen Bayreuther 'Tristan', der aber auch unterstrich, dass nicht pedantische Buchstabentreue das Korrektiv überzogener inszenatorischer Profilierungssucht sein könne, sondern einzig die Gewinnung von assoziativ-emotionalem Neuland in kundig-liebevoller, sich angesagten Moden verweigernder Annäherung an die Stückautoren und ohne den Anspruch, das Publikum betreuen zu müssen: Räume öffnend und nicht verengend."

In der taz schreibt Mahinur Niyazova über Schamil Dyikanbaew, einen kirgisischen Regisseur, der Bühnenstücke nach Vorlagen des Schriftstellers Tschingis Aitmatow inszeniert. Für den Standard besucht Stefan Ender eine Aufführung eines Stücks, die die Wiener Staatsoper bereits seit 60. Jahren gibt: Puccinis "La Bohème" in der Inszenierung Franco Zeffirellis. Swantje Karich bewundert in Welt+ die Schauspielerin Edith Clever, die in der Berliner Akademie der Künste für Besucher einer ihr sowie dem belgischen Künstler Luc Tuymans gewidmeten Ausstellung aus einem Botho-Strauss-Text liest.

Besprochen werden Arrigo Boitos Oper "Mefistofele" in der Opera di Roma (nmz), Patty Kom Hamiltons "Schmerz Camp" am Theater Bremen (taz Nord) und die Wagner-Inszenierungen des "Lohengrin" und der "Meistersinger" an der Deutschen Oper Berlin (VAN).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.11.2023 - Bühne

Der Kultursenator von Hamburg und Präsident des Deutschen Bühnenvereins Carsten Brosda unterhält sich im FAZ-Interview mit Sophie Klieeisen über die Reaktionen der Theater auf die Attentate der Hamas. Es sei wichtig, betont er, künstlerischen Institutionen nicht die gleichen Aufgaben zuzuschreiben wie der Politik : "Ich bin zurückhaltend bei der Frage, inwieweit wir nun von den Kunstinstitutionen eine Eindeutigkeit des öffentlichen Bekennens erwarten müssen. Sie können uns schließlich auch helfen, über die Ästhetik Formen zu finden, die uns in die Lage versetzen, gesellschaftlich zum Diskurs zu kommen. Da findet ja tatsächlich eine Kategorienverschiebung der beiden Bereiche statt und damit auch eine Schwächung dessen, was sie jeweils können. Wir haben öffentlich momentan den Hang, von Kulturinstitutionen eine Orientierung der Bevölkerung zu erwarten, für die eigentlich die Politik zuständig ist."

Berthold Seliger hat sich bei den Barocktagen der Staatsoper Berlin drei unterschiedliche Inszenierungen des "Medea"-Stoffes von Euripides angesehen und berichtet begeistert im ND darüber. Die größte Überraschung hielt für ihn die konzertante Aufführung des Melodrams von Georg Anton Benda mit dem Text von Friedrich Wilhelm Gotter bereit: "Bendas 'Medea' ist ein ganz erstaunliches Werk - und hier steht (fast) nur noch Medea im Mittelpunkt. Das Melodram ist eine Art Soloshow für eine Sprecherin als Medea, deren Aussagen von einem Kammerorchester unterstrichen, kommentiert und verstärkt werden."

Weiteres: Kathrin Bettina Müller porträtiert in der taz die Regisseurin Clara Weyde. Jorinde Minna Markert schreibt in der Nachtkritik ein Essay zum Boom des Autofiktionalen an Deutschen Theatern.

Besprochen werden Boris Charmatz Tanzstück "Club Amour" im Tanztheater Wuppertal (taz), Robert Carsens Inszenierung von Jules Massenets Oper "Werther" am Festspielhaus Baden-Baden (FR), Jan Lauwers Inszenierung von Györgi Ligetis Oper "Le Grand Macabre" an der Staatsoper Wien und Vasily Barkhatovs Inszenierung desselben an der Oper Frankfurt (Welt) sowie Trajal Harrells Choreografie "Tambourines" beim Pariser Festival d'automne (FAZ).