9punkt - Die Debattenrundschau

Ein Grammophon und ein paar Platten

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
24.04.2019. Auf The Daily Beast hält es die Terrorismus-Expertin Rita Katz für wahrscheinlich, dass der IS für das Attentat von Sri Lanka verantwortlich ist und schildert die neue Strategie der Terrorgruppe in Asien. Recode.net und der Journalist Karl Bode auf Medium bringen Hintergrundtexte zur Rolle der sozialen Medien in Sri Lanka. Die Todesstrafe für Homosexualität in Brunei kann nur mit einem universellen Menschenrechtsdiskurs bekämpft werden, insistiert Jan Feddersen in der tazSZ-Journalist Jörg Häntzschel begibt sich nach Kamerun, um mit Museumsleuten über Restitution zu sprechen.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.04.2019 finden Sie hier

Politik

Die Zahl der Toten ist nach den Anschlägen von Sri Lanka offiziell auf 359 gestiegen.

Auf The Daily Beast hält es die Terrorismus-Expertin Rita Katz für wahrscheinlich, dass das IS-Bekenntnis zu den Anschlägen von Sri Lanka stimmt. Sie bestätigt auch den Regierungssprecher des Landes, der zunächst die einheimische radikale Gruppe National Thowheeth Jama'ath verantwortlich gemacht hatte, denn die neue Strategie des Islamischen Staats sei, sich regionale Gruppen einzuverleiben und sie auszubilden: "Bis zu diesem Sonntag hatte sich die Gruppe National Thowheeth Jama'ath vor allem durch Anschläge auf Kirchen ausgezeichnet, niemals durch Selbstmordattentate, geschweige denn tötliche Attacken. Nun haben ihre Mitglieder eine komplizierte und gut koordinierte Serie von Anschlägen über ganz Sri Lanka verteilt verübt. Diese Angreifer haben mit großer Wahrscheinlichkeit Training und Unterstüzung von ISIS bekommen, vielleicht  an einem der Standorte von ISIS auf den Philipinnen oder anderswo in Asien."

Auch der Islamwissenschaftler Reinhard Schulze glaubt in der NZZ, dass nur ein Netzwerk um den National Thowheeth Jama'ath die Anschläge geplant haben kann: "Es ist nicht abzusehen, ob dieses Netzwerk noch über andere personelle Ressourcen verfügt oder ob es sich selbst in Form eines kollektiven Selbstmordattentats ausgelöscht hat. Die Brutalität dieses Massenmords deutet auf eine Logik des Hasses hin, der der islamistischen Vergeltungsreligiosität innewohnt."

Auch wenn den Attentaten keine Facebook-Kampagne oder Ähnliches vorausging, ist Facebook doch ein Thema, denn die Regierung hat Facebook und alle anderen sozialen Medien, inklusive Youtube geschlossen, um weitere Gewalt zu verhindern.

Bei recode.net bringt Emily Stewart einen sehr ausführlichen Hintergrundtext über die Rolle von Facebook und anderen sozialen Medien in Südostasien, wo bis zu 96 Prozent der Bevölkerungen Internet haben und Facebook nutzen. Dass Facebook in Myanmar genutzt wurde, um die ethnische Reinigung der Rohingya zu betreiben, ist vielfach belegt. Facebook selbst hat einiges unternommen, um Desinformation zu kontrollieren, dennoch sei die Schließung der sozialen Medien in Sri Lanka wohl die einzig richtige Maßnahme, so Stewart: "Sri Lanka hat ebenfalls schon vorher Probleme mit Desinformation und der Anstachelung zur Gewalt über Facebook. Letztes Jahr rief die Regierung nach Gewalt zwischen der singhaleischen buddhistischen Mehrheit und Muslimen den Aushnahmezustand aus und blockierten den Zugang zu vielen Plattformen, inklusive Facebook, Whatsapp und Vibver (das nicht zu Facebook gehört)."

Der Tech-Journalist Karl Bode macht in seinem Medium-Blog auf den besonderen Status von Facebook in asiatischen Ländern aufmerksam: "In vielen dieser Länder bietet Facebook eine verminderte Version des Internets, die als 'Free Basics program' bekannt ist. Zusammen mit lokalen Mobil-Providern bietet Free basics geringverdienenden Nutzern freien Zugang zu einer Auswahl von Inhalt, die von Facebook kuratiert ist. Nutzer verwechseln diesen Dienst oft mit dem Internet selbst, ein Umstand, der von Aktivisten angegriffen wurde, weil er das offene Netz verzerrt und die bereits bestehende Problematik von Hate Speech und Desinformation noch vergrößert."

Farah Mihlar, muslimischer Menschenrechtsaktivist in Sri Lanka, schildert im Guardian die schwierige Lage der Muslime auf der Insel: "Während des Bürgerkriegs von 1983 bis 2009 zahlten die Muslime den Preis für ihre Gewaltlosigkeit und die Vermeidung tamilischer Militanz. Im vom Konflikt betroffenen Norden und Osten Sri Lankas gab es Morde, ethnische Reinigung, Entführungen und Vertreibungen. Am Ende des bewaffneten Konflikts wurden sie sowohl von den Singhalesen als auch den Tamilen als 'neuer Feind' angesehen. Die letzteren sahen sie als Hindernis auf dem Weg zu ihrer Autonomie. Mit evangelikalen christlichen Gruppen wurden sie von extremistischen buddhistischen Gruppen auf singhalesischer Seite (die mit stillschweigender staatlicher Unterstützung operierten) in systematischen und weitreichenden gewalttätigen Angriffen und Hasskampagnen auf sozialen Medien ins Visier genommen." Einen entsprechenden Artikel über die Lage der Christen auf Sri Lanka hat der Guardian bisher leider nicht gebracht.

Der Sultan von Brunei fordert in einem Brief an die EU "Respekt" für die in seinem Zwergstaat geltende Todesstrafe für Homosexualität. Mit dem gleichen "Respekt"-Argument wird ja auch das Kopftuch in muslimischen Ländernm verfochten. Solche Zwänge lassen sich nur mit einem auf universellen Ideen beruhenden Diskurs bekämpfen, nicht mit dem Instrumentarium der von Judith Butler geprägten Linken, insistiert Jan Feddersen in der taz: "Denn was soll schon falsch sein an den Toleranz ersehnenden Wünschen, wie sie in Brunei formuliert wurden, wenn es denn die ihren sind? Der Westen hat den Kulturrelativist*innen zufolge nichts zu melden - gelobt sei kulturell das, was dort Tradition ist. Und ist es nicht so, dass Traditionalität, vermeintlich gelebte Authentizität jedes Menschenrecht auf individuelle Unversehrtheit durch staatliche Organe aushebelt - zumal wenn es aus Ländern kommt, die alles in allem nicht dem reichen Westen zugerechnet werden?"
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Internet

In der SZ warnt die amerikanische Computerwissenschaftlerin Anca Dragan im Rahmen von John Brockmans "Possible Minds"-Projekts vor einer immer leistungsfähigeren KI, die aber unserer menschliche Natur nicht versteht.
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Gesellschaft

Christiane Schlötzer besucht für die SZ in Istanbul das Museum für den armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink, der 2007 in Istanbul auf offener Straße von einem türkischen Ultranationalisten erschossen wurde: "'23,5 April' heißt nun der Erinnerungsort, den die Hrant-Dink-Stiftung in Istanbul eingerichtet hat. Die ehemaligen Redaktionsräume der von Dink 1996 gegründeten zweisprachigen Zeitung Agos wurden in ein anspruchsvoll gestaltetes Museum verwandelt, das auch eine Begegnungsstätte für junge Menschen sein soll. Die Zeitung ist dafür umgezogen. Die Stiftung hat damit in der Türkei etwas bisher Einmaliges geschaffen: einen intimen und doch öffentlich zugänglichen Ort, der an eines der großen Traumata des Landes erinnert."
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Medien

Die VG Media, die gern für die beteiligten Medien Leistungsschutzrechte beziehen will, hat von Google in einem Vergeichsangebot 1,24 Milliarden Euro gefordert, berichtet Stefan Krempl bei heise.de. Google wolle sich zu diesen "haltlosen Gedankenspielen" nicht äußern. Die meisten der beteiligten Verlage, die sich nun wohl vom EU-Urheberrecht bestärkt fühlen, haben Google nach dem deutschen Leistungsschutzgesetz kostenlose Lizenzen erteilt. "Der Suchmaschinenbetreiber überlegt nun nach Informationen von heise online auch angesichts der Anschuldigungen der VG Media, sich nicht 'rechtskonform' zu verhalten, den Verlegern eine Art Gegenrechnung zu schicken. Diese sollen Hunderte Millionen Klicks über die Suchmaschine erhalten haben, die frei monetarisierbar gewesen seien."
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Ideen

Jens Bisky beklagt in der SZ, jetzt online, den hysterisierten Zustand der Debatte, wofür er die Schuld allerdings vorwiegend bei jenen sieht, die linke Identitätspolitik kritisieren. In einem Punkt aber hat er sicher recht: "Besonders schwer hat es derzeit das Spielerische in Diskussionen, das Erproben von Argumenten. Deswegen herrscht auf den 'ideologischen Kriegsschauplätzen' viel Bitterkeit, während die Kunst der Polemik auf den Hund gekommen ist. Sie kann unter lauter Killermimosen schlecht gedeihen, verbindet Polemik doch Schärfe mit Genauigkeit."

Außerdem: In der NZZ denkt Michael Wolffsohn über die Gewaltenteilung in westlichen Demokratien nach. Hier behagt ihm die Rolle der Justiz nicht, wo die Richter Gott spielen, obwohl sie - weiß Gott - fehlbar sind
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Kulturpolitik

Auch Jörg Häntzschel (SZ) fand es langsam an der Zeit, in Sachen Raubkunst auch mal mit afrikanischen Museumsleuten zu sprechen. Auf zwei Seiten schildert er seine Eindrücke von einer Reise nach Kamerun, wo das europäische Konzept Museum nicht so recht zündet. In der Kleinstadt Forumban besucht er das Privatmuseum, das die Prinzessin Rabiatou Njoya und ihr Bruder erbaut haben. Von hier brachte der deutsche Hauptmann Hans Glauning einst den perlenbesetzten Thron des Königs Njoya nach Berlin. Der König wurde im Gegenzug mit einem Grammophon und ein paar Platten abgespeist: "Prinzessin Rabiatou Njoya ist nur telefonisch zu erreichen. Den Gesichtsverlust ihres Großvaters will sie nicht eingestehen. 'Er hat den Deutschen den Thron geschenkt!', ruft sie, irritiert von der Unterstellung, er sei betrogen worden, ein Opfer der Kolonialisten wie so viele. Könnten Berlin und Foumban nicht Original und Kopie tauschen? 'Wenn das möglich wäre, gut!', meint sie, zumal die Kopie ohnehin entweiht ist. Ein Foto von 1912 zeigt den österreichischen Kaufmann Rudolf Oldenburg, der respektlos seinen Stiefel auf den Thron stellt. Noch lieber wären ihr aber Tantiemen, sagt sie. Sie könnte sie gut für ihr Museum brauchen, in dem sie unter anderem restituierte Objekte aus Frankreich zeigen will." (Mehr zur Geschichte des Throns in einem taz-Artikel von Marlene Militz vom Dezember 2018)
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