9punkt - Die Debattenrundschau

Ohne Verbindung zur Wahrheit gar nicht denkbar

Rundblick durch die Feuilletondebatten. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.04.2018. Den jüngsten Luftschlag der Amerikaner, Briten und Franzosen in Syrien kommentiert die New York Times als begrenzt. Putin könnte trotzdem ziemlich sauer reagieren - aber vor allem, weil die wirtschaftlichen Sanktionen funktionieren, meint die taz. Journalisten wollen Facebook gar nicht kritisieren, hat Netzpolitik beim Journalismus-Festival in Perugia beobachtet - lieber lassen sie sich von Facebook finanzieren. Bei emma.de erklärt Serap Güler, CDU-Staatssekretärin für Integration in NRW, warum sie die neue Kopftuchdbatte angestoßen hat. Die NZZ bringt ein Dossier über Michel Foucault.
Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.04.2018 finden Sie hier

Politik

Donald Trump hat seine Twitter-Drohungen nun also wahrgemacht, allerdings, wie es scheint, in einem begrenzten und mit Frankreich und Großbritannien koordinierten Luftschlag gegen Chemiewaffen-Infrastrukturen in Syrien. In einer Video-Erklärung, die man unter andere bei BBC sehen kann,  begründet er den Schlag. Russland hat bereits protestiert. In einem ersten kleinen Kommentar für die New York Times sprechen Peter Baker und Rick Gladstone von einem "Tough Talk, but a Restrained Strike".

Domonic Johnsons heutiger taz-Kommentar ist noch in Unkenntnis des Schlags geschrieben. Er hebt vor allem auf die Sanktionen gegen Putins Lieblings-Oligarchen Oleg Deripaska ab, der mit Trumps einstigem Wahlkampfmanager Paul Manafort und den britischen Exministern George Osborne und Peter Mandelson befreundet war. Ihm gehört der weitgrößte Aluminiumproduzent der Welt, der nun von den Rohstoffbörsen ausgeschlossen und damit von Pleite bedroht ist: "Deripaska war Symbol für Russlands Integration in die Weltwirtschaft. Nun steht sein Schicksal, auch vor dem Hintergrund der britischen Skripal-Affäre, für den Wunsch, diese Integration zu beenden - ein Vorgang von globaler Tragweite, was auch Deutschland mit seinen ökonomischen Russland-Verflechtungen zu spüren bekommen wird. Wirtschaftlich, das zeigt sich jetzt, hat Trump also Putin in der Hand. Der Kreml-Chef muss im Gegenzug wenigstens militärisch unangreifbar erscheinen, sonst ist sein Nimbus als Führer einer Supermacht dahin."
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Gesellschaft

Serap Güler, CDU-Staatssekretärin für Integration in NRW, erklärt im Gespräch mit Alexandra Eul auf emma.de, warum sie eine Debatte über ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 an Schulen und Kitas angestoßen hat: "Wenn man sich einmal die Hintergründe anschaut, warum Frauen im Islam ihr Haupt bedecken sollen, dann ist die Antwort: Um ihre Reize vor Männern zu verhüllen. Insofern handelt es sich daher bei jungen Mädchen nicht um die freie Religionsausübung, sondern um ihre Sexualisierung. Damit habe ich als Frau und als Muslimin ein Problem. Das Kopftuch an KiTas und an Schulen ist kein Massenphänomen und gehört auch nicht zu den dringlichsten Problemen. Aber es hat in den letzten Jahren zugenommen. Das dürfen wir nicht ignorieren."
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Medien

Recht harsch urteilt Alexander Fanta bei Netzpolitik über Vertreter der Medienbranche, die beim Journalismus-Festival in Perugia (das übrigens von Facebook und Google gesponsort wird) über Facebook sprachen - aber ganz anders als der Rest der Welt: "Für die Branche ist der Skandal am Verhalten Facebooks nämlich nicht die Preisgabe der Privatsphäre der Nutzer, sondern die wirtschaftliche Ausbootung der Verlage durch den Konzern. Facebook müsse einen Teil seiner Einnahmen in eine Stiftung zur Finanzierung der Medien einbringen, sagte der New Yorker Journalismus-Professsor Jay Rosen. Ähnlich argumentierte auch Craig Silverman von Buzzfeed News: Facebook solle nicht nur Medienorganisationen finanzieren, sondern auch Journalismus-Ausbildung und andere Medieninitiativen. Kurzum: Die Branche will die Hand aufhalten und sich vom Großen Bruder Facebook das Schweigen über dessen Geschäftspraxen erkaufen lassen." Und laut Standard hat sich Alan Rusbridger, ehemals Guardian, in Perugia gleich auf den Posten eines Facebook-Chefredakteurs beworben.
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Geschichte

In der taz erinnert sich der französische Freund und Weggenosse Jean-Marcel Bouguereau an Rudi Dutschke: "In einem Interview mit dem französischen Historiker und Osteuropa-Experten Jacques Rupnik im Jahre 1978 erklärte er, dass das entscheidende Ereignis des Jahres 1968 nicht die Proteste in Paris gewesen seien - von denen er erst auf seinem Krankenhausbett erfuhr - sondern Prag, wo der Versuch, den Sozialismus menschlicher zu machen, das absolute Gegenteil der von der französischen Linken verteidigten stalinistischen Linie dargestellt habe."
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Europa

Die taz hat in einem größeren Rechercheprojekt den Hintergrund von Mitarbeitern der AfD-Fraktion im Bundestag durchleuchtet. Schon die schiere Zahl ist erstaunlich: "Die Bundestagsverwaltung spricht von bislang 279 MitarbeiterInnen der AfD-Fraktion, doch hier sind noch nicht alle verzeichnet. Wir haben fast 350 Namen von MitarbeiterInnen recherchiert, die die AfD in Berlin und in Wahlkreisbüros beschäftigt."

Sabine am Orde spricht von "mindestens 27 Mitarbeitern der AfD im Bundestag mit rechtsextremem Hintergrund, diese sind in 23 der 92 Abgeordnetenbüros angestellt oder arbeiten für die Fraktion. Sie kommen aus dem Umfeld der NPD, sind IB-Aktivisten oder in rechtsextremen Burschenschaften. Zählt man Mitarbeiter mit neurechtem Hintergrund hinzu, die etwa aus dem Institut für Staatspolitik kommen oder für das Magazin Compact arbeiteten, sind es sogar 48 Mitarbeiter." Sehr viele andere Mitarbeiter kommen allerdings aus den etablierten Parteien, inklusive Linkspartei. Die Mitarbeiter schaffen eine Verbindung zwischen Rechtsextremen, Rechtspopulisten und der Mainstream-Öffentlichkeit, legen die Autoren in einem dritten Artikel dar.
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Ideen

Die NZZ bringt ein kleines Dossier zu Michel Foucault. Der Hauptartikel, Claudia Mäders Lektüre des vierten Bandes der Histoire de la Sexualité, "Les Aveux de la chair" steht noch noch nicht online (Nachtrag: Jetzt schon). Feuilletonchef René Scheu fragt, was Foucault am Liberalismus faszinierte: "In erster Linie sicher der Blick auf die Macht als Phänomen, das jeder Institution vorausgeht: Wie für Foucault ist für die Neoliberalen Macht immer schon da, wenn zwei Menschen interagieren. Macht geht nicht von einem Souverän aus, sondern von jedem Einzelnen, immer und überall. Und mit dieser nüchternen Sicht einher geht das Bestreben der Neoliberalen, Macht zu begrenzen."

Und der Foucault-Herausgeber François Ewald nimmt Foucault im Interview mit Claudia Mäder gegen den Vorwurf in Schutz, er sei ein postmoderner Relativierer von Wahrheit: "Die Wahrheit ist geradezu der Kern seiner Philosophie - immer geht es in seinen Arbeiten um die Beziehung des Menschen zur Wahrheit; ein Subjekt ist ohne Verbindung zur Wahrheit gar nicht denkbar für Foucault."
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Internet

In der NZZ findet Adrian Lobe die ganze Datensammelei im Netz zwar grässlich, doch beklagt er auch, dass nicht alle Äußerungen im Internet archiviert werden können: "Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der speicherwütigen Generation, die das Nichtvergessen zur Ideologie erklärt hat, das kollektive Vergessen droht."
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Stichwörter: Lobe, Adrian